Die Coordination gegen BAYER-Gefahren forderte die Theologische Fakultät der Uni Marburg auf, die Ehrendoktorwürde von Carl Duisberg zu entziehen. Die Fakultät veröffentlichte daraufhin eine Stellungnahme. Beide Schreiben sind anbei dokumentiert. Die örtliche Presse berichtete über die Diskussion. Ausführliche Informationen zu Carl Duisberg finden sich hier.
20. Juli 2015
Stellungnahme des Fachbereichs Evangelische Theologie
Fachbereich regt Forschungen zu Carl Duisberg an
Anlässlich des Festakts zum 400-jährigen Bestehen der Philipps-Universität am 30.7.1927 wurde unter anderem Prof. Dr. h.c. mult. Carl Duisberg, damals Aufsichtsratsvorsitzender der IG-Farben, von der Evangelisch- Theologischen Fakultät ein Ehrendoktor verliehen. Begründet wurde dies mit seinem großen sozialen Engagement für die Arbeiterschaft seiner angestammten Firma Bayer und mit seiner Förderung studentischen Lebens und der Wissenschaft. 1920 koordinierte er beispielsweise die Gründung des „Stifterverbandes der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft“, und er engagierte sich für die wenig später entstehende „Dahrlehenskasse der Deutschen Studentenschaft“. In der damaligen Fakultät fand ferner Duisbergs Interesse für aufkommende ökumenische Fragen ein positives Echo.
Der Fachbereich Evangelische Theologie wurde kürzlich aufgerufen, die Ehrendoktorwürde zurückzunehmen, da Duisberg im 1. Weltkrieg die Entwicklung und Produktion chemischer Giftstoffe vorantrieb und den Einsatz belgischer Zwangsarbeiter befürwortete. In der Tat war Duisberg aus heutiger Sicht eine ambivalente Persönlichkeit: Herausragendes soziales Engagement steht Positionen gegenüber, die aus ethischer Sicht heute klar zu verurteilen sind.
Der Fachbereich Evangelische Theologie zeichnet sich durch eine lange Tradition einer liberalen und auch der eigenen Geschichte gegenüber kritischen Theologie aus. Vor allem die Marburger Theologie im Nationalsozialismus ist gut erforscht. Deshalb erscheint es angemessen, im vorliegenden Fall den Weg einer differenzierten Beleuchtung der eigenen Geschichte weiter zu verfolgen. Dies hat gegenüber einem einmaligen Akt der Aberkennung einer Ehrendoktorwürde den Vorteil der Nachhaltigkeit. Der Fachbereich regt daher zur wissenschaftlichen Erforschung des Themenkomplexes an: der Rolle Carl Duisbergs als Unterstützer der Universität, seiner Rolle im Kontext der Theologie sowie der Verflechtungen von Politik und Theologie zur Zeit der Weimarer Republik.
Prof. Dr. Bärbel Beinhauer Köhler
Dekanin des Fachbereichs Evangelische Theologie Marburg
Theologische Ehrendoktorwürde von Carl Duisberg
2. Juli 2015
Dekanat der Theologischen Fakultät
Lahntor 3
35032 Marburg
Sehr geehrte Damen und Herren,
in den 80er Jahren habe ich an der Philipps-Universität studiert. Nun stieß ich in der Publikation „Carl Duisberg – Briefe eines Industriellen“ von Dr. Kordula Kühlem auf die Information, dass der Chemiker Carl Duisberg im Jahr 1927 in Marburg einen Ehrendoktor für Theologie erhielt.
Carl Duisberg ist in keiner Weise als Vorbild für künftige Generationen geeignet. In mehreren Städten wurde in den letzten Monaten eine Umbenennung von Duisberg-Straßen beschlossen. Daher möchte ich Sie bitten, ein Verfahren zur Aberkennung der Ehrendoktorwürde einzuleiten.
zur Begründung des Antrags:
Im November 2014 wurde in Dortmund eine Umbenennung der dortigen Carl-Duisberg-Straße beschlossen. Zur Begründung schreibt das Dortmunder Stadtarchiv: „Duisberg gehörte zu den führenden deutschen Industriellen, die während des Krieges die – auch nach dem damals geltenden internationalen Kriegsrecht illegale – Deportation belgischer Zivilisten zur Zwangsarbeit nach Deutschland durchsetzten. (…) Als Patriarch lehnte er bis zu seinem Tod Gewerkschaften entschieden ab. Er war von Beginn an Gegner der Weimarer Demokratie.“ Die vollständige Stellungnahme finden Sie unter http://www.cbgnetwork.org/downloads/Stellungnahme_Stadtarchiv_Dortmund.pdf
Am 8. Dezember folgte der Stadtrat von Lüdenscheid und beschloss eine Umbenennung des dortigen Duisbergwegs. Das Lüdenscheider Stadtarchiv schreibt unter anderem: „Während des Ersten Weltkriegs wurde unter Duisbergs Vorsitz bei Bayer Giftgas für den Kriegseinsatz produziert. Abfallprodukte der Chemischen Industrie, die mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten kämpfte, dienten als Rohstoffe. In Leverkusen war das u. a. Phosgen, ein Gas, das besonders grausam wirkt“, siehe: http://www.cbgnetwork.org/downloads/Duisberg_Stadtarchiv_Luedenscheid.pdf
In Frankfurt am Main wurde ebenfalls ein Verfahren zur Umbenennung der dortigen Duisbergstraße eingeleitet. Wie Sie vielleicht wissen, wurde auch in Marburg intensiv über die Umbenennung des Carl-Duisberg-Hauses diskutiert. An dem Gebäude wurde inzwischen eine Gedenktafel angebracht, siehe: http://www.studentenwerk-marburg.de/?id=78
Bereits Ende des 19. Jahrhunderts hatte Carl Duisberg die Vermarktung von Heroin als angeblich harmlosem Hustenmittel betrieben. Als Wissenschaftler das Suchtpotential des Präparats anprangerten, äußerte Duisberg, man müsse die „Gegner mundtot schlagen“. Obwohl sich rasch die Gefahr der Abhängigkeit herausstellte, führte die Firma Bayer den Verkauf von Heroin über Jahrzehnte hinweg fort.
Im 1. Weltkrieg beklagte Duisberg gegenüber den Generälen Hindenburg und Ludendorff den Mangel an Arbeitskräften. Mit dem Ausspruch „Öffnen Sie das große Menschenbassin Belgien“ forderte er den Einsatz von Zwangsarbeitern. Das Reichsamt des Inneren griff Duisbergs Vorschlag auf und ließ 1916 zehntausende Belgier deportieren. Mehrere Tausend starben.
Zur selben Zeit entwickelte Carl Duisberg gemeinsam mit Fritz Haber Giftgase wie „Grünkreuz“ und „Senfgas“, testete diese erstmals an der Front und verlangte vehement ihren Einsatz – wissentlich gegen die Haager Landkriegsordnung verstoßend.
1917 wurde Duisberg Mitglied der rechtsextremen Deutschen Vaterlandpartei. Zudem war er Vorstandsmitglied des „Unabhängigen Ausschuß für einen deutschen Frieden“, einer Gründung des antisemitischen Alldeutschen Verbands. Duisberg forderte die Annexion der besetzten Gebiete in Belgien und Nordfrankreich und etwas später auch “deutschen Lebensraum” in Polen und Russland. Duisberg hatte beste Kontakte zur Obersten Heeresleitung unter Hindenburg und Ludendorff und mischte sich offensiv in die Kriegszielplanung ein. Auch forderte er den uneingeschränkten U-Boot-Krieg und setzte sich erfolgreich für die Absetzung des (angeblich zu nachgiebigen) Kanzlers Bethmann-Hollweg ein.
Der Weimarer Republik stand Duisburg von Anfang an ablehnend gegenüber. Duisburg organisierte Spenden an nationalistische Parteien, spätestens seit 1930 auch an die NSDAP. 1931 forderte Duisberg, der mittlerweile Aufsichtsratsvorsitzender der IG FARBEN geworden war: „Fortwährend ruft das deutsche Volk nach einem Führer, der es aus seiner unerträglichen Lage befreit. Kommt nun ein Mann, der bewiesen hat, dass er keine Hemmungen hat, so muss diesem Mann unbedingt Folge geleistet werden.“
Im Gegenzug für ihre Millionen-Spenden erhielt die IG FARBEN von den Nationalsozialisten Absatzgarantien für synthetischen Treibstoff und Kautschuk. Kein anderes Unternehmen kollaborierte in der Folgezeit so eng mit dem Dritten Reich. Anlässlich seiner Pensionierung frohlockte Carl Duisberg denn auch: „Ich freue mich auf einen Lebensabend unter unserem Führer Adolf Hitler.“
Aus meiner Sicht ist ein Kriegstreiber, der persönlich den Einsatz von Giftgasen und die Deportation von Zwangsarbeitern forciert hat, nicht geeignet, mit einer theologischen Ehrendoktorwürde ausgezeichnet zu werden. Bitte informieren Sie mich über die weiteren Schritte.
Mit herzlichen Grüßen,
Philipp Mimkes
Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG)
Postfach 15 04 18
40081 Düsseldorf