Oberhessische Presse (Marburg), 22. Juli 2015
Theologen sehen Rolle von Ehrendoktor kritisch
Die von Initiative geforderte Aberkennung der Ehrendoktorwürde von Dr. Carl Duisberg lehnt Dekanin ab
Die Dekanin des Fachbereichs Evangelische Theologie will die „ambivalente Persönlichkeit“ des 1927 geehrten Chemikers differenziert beleuchten lassen.
Anlässlich des Festakts zum 400-jährigen Bestehen der Philipps-Universität am 30. Juli 1927 wurde unter anderem an Professor Carl Duisberg von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Uni Marburg ein Ehrendoktortitel verliehen. Begründet wurde dies damals mit seinem großen sozialen Engagement für die Arbeiterschaft seiner angestammten Firma Bayer und mit seiner Förderung studentischen Lebens und der Wissenschaft, erläuterte Professorin Bärbel Steinhauer-Köhler, Dekanin des Fachbereichs Evangelische Theologie, jetzt auf Anfrage der OP. 1920 habe Duisberg beispielsweise die Gründung des „Stifterverbandes der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft“ betrieben und sich zudem für die „Darlehenskasse der Deutschen Studentenschaft“ eingesetzt.
Mehr als 50 Jahre später forderte jetzt Philipp Minkes von der Gruppe „Coordination gegen Bayer-Gefahren, die Ehrendoktorwürde für den 1935 verstorbenen Chemiker Duisberg postum zu entziehen. Er stieß in einer Duisberg-Biographie auf die Information, dass der Chemiker Marburger Ehrendoktor gewesen sei. „Duisberg ist in keiner Weise als Vorbild für künftige Generationen geeignet“, meint Minkes. „Ein Kriegstreiber, der persönlich den Einsatz von Giftgas und die Deportation von Zwangsarbeitern forciert hat, ist nicht geeignet, mit einer theologischen Ehrendoktorwürde ausgezeichnet zu werden“, erläutert Minkes. So habe der ehemalige Bayer-Chef Duisberg gemeinsam mit dem Chemiker Fritz Haber Giftgase wie Senfgas entwickelt und deren Einsatz im Ersten Weltkrieg gefordert.
Minkes weist darauf hin, dass Ende 2014 auch aus ähnlichen Gründen der Carl-Duisberg-Weg in Dortmund und der Duisberg-Weg in Lüdenscheid umbenannt worden seien. „Der Fall eines Ehrendoktors eines Verstorbenen ist juristisch anders gelagert als etwa die Benennung einer Straße“, erläutert Professorin Bärbel Steinhauer-Köhler vom Fachbereich Evangelische Theologie auf Anfrage der OP. Eine Ehrendoktorwürde sei von ihrer Verleihung an mit dem Namen ihres Trägers verbunden.
Theoretisch ist es nach OP-Informationen möglich, Ehrendoktortitel auch nach dem Tod der Geehrten zu entziehen. Einleiten und vollziehen kann ein solches Verfahren aber nur der Fachbereichsrat des Fachbereichs, der den Titel verliehen hat – und zwar mit einer Dreiviertel-Mehrheit der Fachbereichsrats. An die Aberkennung der Ehrendoktorwürde für Duisberg wird derzeit von Seiten des Fachbereichs Theologie nicht gedacht. Es erscheine aber angemessen, den Weg einer differenzierten Beleuchtung der eigenen Geschichte weiter zu verfolgen, erklärt die Dekanin. Dies habe gegenüber einem einmaligen Akt der Aberkennung einer Ehrendoktorwürde den Vorteil der Nachhaltigkeit. In möglichen künftigen Forschungsarbeiten könne es um die Rolle Duisbergs als Unterstützer der Universität zur Zeit der Weimarer Republik gehen.
Der Fall habe im Fachbereich großes Interesse geweckt, sagte die Dekanin. „In der Tat war Duisberg aus heutiger Sicht eine ambivalente Persönlichkeit“, schreibt die Dekanin. Herausragendes soziales Engagement stehe Positionen gegenüber, die aus ethischer Sicht heute klar zu verurteilen seien.
Auch um die Benennung des Carl-Duisberg-Hauses am Schloss, eines Studentenheims des Marburger Studentenwerkes, hatte es Diskussionen gegeben. Mittlerweile ist an dem Heim eine Gedenktafel angebracht, auf der eine differenzierte Würdigung Duisbergs nachzulesen ist.
Das 1894 errichtete Haus war zum Universitätsjubiläum im Jahr 1927 umgebaut worden. Carl Duisberg hatte damals das Geld dafür gestiftet. „Das Studentenwerk als Betreiber des Studentenwohnheims ‚Dr. Carl-Duisberg-Haus“ ist sich der dunklen Facetten in der Biografie Duisbergs bewusst und hat diese unter Einbezug von Historikern aufgearbeitet“, teilte Studentenwerks-Sprecherin Franziska Busch auf Anfrage der OP mit. Die Entscheidung, den Namen beizubehalten, sei dennoch bewusst getroffen. „Nicht kaschieren, sondern kritisch mit den Tatsachen auseinandersetzen“, das sei die Devise des Studentenwerks. von Manfred Hitzeroth
Ausführliche Informationen zu Carl Duisberg finden sich hier