WDR, 1. März 2011
EU verbietet Weichmacher in Trinkflaschen
Gift in Babyflaschen: Gefahr gebannt?
Wie gefährlich ist der Weichmacher Bisphenol A wirklich? Die Diskussion um diese Frage zog sich hin, jetzt hat die EU entschieden: Ab Dienstag (01.03.11) ist der umstrittenen Stoff zumindest in Babyflaschen verboten.
Hersteller solcher Flaschen dürfen die Chemikalie ab sofort nicht mehr verwenden, ab 1. Juli 2011 gilt auch ein Verkaufsverbot für Flaschen, die Bisphenol A enthalten. BPA, wie der Stoff abgekürzt heißt, ist als Ausgangsstoff in vielen Plastikprodukten enthalten. DVDs enthalten BPA ebenso wie Thermopapier – als Kassenbon oder Faxpapier zum Beispiel. Vor allem aber in Lebensmittelverpackungen, in Frischhalteboxen oder als Innenbeschichtungen von Konservendosen könnte es, wie Experten befürchten, gesundheitsschädigend für den Menschen sein. Besonders bei Erwärmung kann sich BPA aus dem Material lösen und in den menschlichen Körper gelangen.
Impotent und herzkrank durch Bisphenol?
Dabei scheint die Frage, wie gefährlich BPA für den Menschen sein kann, unter Wissenschaftlern ungewöhnlich umstritten. Während der Stoff für Babyflaschen in Frankreich und Kanada bereits verboten ist, sind sich hierzulande selbst die zuständigen Institute der Bundesregierung nicht einig. So warnt das Umweltbundesamt seit über zehn Jahren vor dem Stoff. In einer umfangreichen Broschüre von 2010 weist die Behörde eindringlich auf die „unerwünschte Nebeneffekte“ hin: Mehr als 100 Untersuchungen mit Ratten und Mäusen hätten gezeigt, dass selbst niedrige Konzentrationen von Bisphenol A Verhalten, Lernvermögen und Hirnstrukturen bei den Tieren verändern – auch bei deren Nachkommen. Neue Studien, die das Umweltbundesamt zitiert, ließen vermuten, dass Bisphenol A auch beim Menschen Entwicklungsstörungen und Krankheiten auslösen kann. In der Wirkung ähnlich wie das weibliche Sexualhormon Östrogen, würden Männer, die regelmäßig auch mit kleinen Mengen der Chemikalie in Kontakt kommen, vermehrt an Erektionsproblemen leiden. Für Babys sei eine gestörte Entwicklung des Nervensystems zu befürchten, und auch Diabetes und Herz-Kreislauferkrankungen werden inzwischen mit einer erhöhten Belastung durch Bisphenol A in Zusammenhang gebracht.
Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) dagegen bezieht sich auf Untersuchungen, die bei Stichproben von Babynahrung aus Polycarbonatflaschen keine grenzwertüberschreitenden Mengen an Bisphenol A ergaben. Eine Gesundheitsgefährdung für Babys, die aus solchen Flaschen trinken, bestehe daher nicht, vermeldet das Institut auf seiner Homepage, und schlussfolgert: „Einen Verzicht auf Polycarbonatfläschchen hält das BfR nicht für erforderlich“.
Bayer: „Kein Anlass zur Sorge“
Einer der weltweit größten Hersteller des umstrittenen Stoffs ist der Leverkusener Bayer-Konzern. Bisphenol A gehöre zu den Produkten, die „einen größeren Teil“ des Umsatzes ausmachen, sagt Sprecher Frank Rothbarth, genaue Zahlen will er nicht nennen. Der Stoff werde in vielen Bereichen verwendet – unter anderem für die Herstellung von Autos, Datenträgern und auch Lebensmittelverpackungen. Dass die EU nun den Einsatz von Bisphenol A in Babyflaschen verbietet, hält man im Bayer-Konzern für nicht gerechtfertigt. „Die wissenschaftliche Datenlage gibt dazu in keiner Form irgendeinen Anlass“, meint der Sprecher. Gutachten neutraler Behörden hätten die Unbedenklichkeit des Stoffes nachgewiesen.
„Gefährlichkeit hängt vom Blickwinkel ab“
Beim Umweltbundesamt sei man „sehr froh“, dass die EU nun diesen „wichtigen Schritt“ getan habe, sagt Andreas Gies, Leiter der dortigen Abteilung Umwelthygiene. Auf der Grundlage diverser wissenschaftlicher Studien fordert das Umweltbundesamt schon seit mehr als zehn Jahren ein Verbot von BPA in Babyflaschen. Denn trotz der unterschiedlichen Bewertungen gebe es unterm Strich erhebliche Bedenken und Unsicherheiten zum Thema Bisphenol A. „Es muss jede Möglichkeit genutzt werden, die Belastung von Mensch und Umwelt durch diesen Stoff zu senken“, sagt Gies unmissverständlich. Dass die vielen Studien über die Bedenklichkeit von Bisphenol A zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen kamen, wundert ihn nicht. „Das hängt von der Planung der Studie und vom Blickwinkel der Experten ab“, sagt er.
„Bayer hat Verbot herausgezögert“
„Zu welchem Schluss eine Studie kommt, lässt sich mit vielen Tricks beeinflussen“, sagt Philipp Mimkes vom Verein „Coordination gegen Bayer-Gefahren“. Dass sich Deutschland und die EU so lange gegen ein Verbot von BPA gesträubt haben, rechnet der Physiker unter anderem dem Hersteller Bayer zu. Immer wieder habe Bayer teure Studien in Auftrag gegeben, die die Ungefährlichkeit des Stoffes beweisen sollten – gegen eine Vielzahl von in der wissenschaftlichen Fachwelt anerkannten Untersuchungen, die eher bedenklich stimmten. „Zum Beispiel kann man robustere Rattenarten für die Tierversuche benutzen, oder die Studie einfach rechtzeitig abbrechen, bevor Schädigungen beim Nachwuchs zu beobachten sind.“ Mit solchen angeblichen Gegenbeweisen habe Bayer das Verbot von Bisphenol A lange herausgezögert, meint Mimkes: „Nach Datenlage hätte das schon zehn Jahre früher kommen können.“
Dass Bayer mehrere Studien in Auftrag gab, kann Sprecher Rothbarth bestätigen, zu deren Inhalten wolle er sich aber nicht äußern. Er verweist auf die Unbedenklichkeitsnachweise, die der Branchenverband Plastics Europe vorgelegt hätte. Plastics Europe deklariert sich selber als Vertreter der „politischen und wirtschaftlichen Interessen der Kunststofferzeuger in Deutschland“. Die gelieferten Nachweise, so der Bayer-Sprecher weiter, hätten immerhin auch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) davon überzeugt, dass es keine Gefahr durch BPA in Babyflaschen gebe. Die EFSA hatte gegen das Verbot argumentiert und die zulässigen Grenzwerte für BPA hochgesetzt.
Chemiekonzerne sollen Studien selbst liefern
Daran, dass Chemiekonzerne Unbedenklichkeitsbescheinigungen für ihre eigenen Produkte vorlegen können, die dann der Politik als Grundlage für Entscheidungen dienen, wird sich wohl auch zukünftig wenig ändern: Vor vier Jahren trat die EU-Chemikalienverordnung „Reach“ in Kraft. Sie legt fest, dass die Verantwortung für die Sicherheitsprüfung chemischer Stoffe bei den Herstellern selber liegt. Firmen wie Bayer dürfen Millionen teure Untersuchungen über die Unbedenklichkeit ihrer Produkte in Auftrag geben. „Das kann und will der Staat nicht zahlen, deshalb ist es Aufgabe der Hersteller“, erläutert Andreas Gies vom Umweltbundesamt die Verordnung. „Ob das eine gute Lösung ist“, fügt er vieldeutig hinzu, „wird sich zeigen“. Von Nina Magoley