Rheinische Post, 17. April 2010
CO-Pipeline: neue Kontroverse
Vor-Ort-Produktion statt Leitungsverbund? – Die Ankündigung des Bayer-Konzerns, künftig große Mengen Kohlenmonoxid in Dormagen zu benötigen, mehrt die Zweifel der Skeptiker an den Grundlagen des Projekts.
Die Debatte um die in der Region umstrittene Kohlenmonoxid(CO-)Pipeline des Bayer-Konzerns ist um eine Facette reicher. Grund ist der geplante Ausbau einer bestimmten Kunststoff-Produktionsschiene (Polyurethan-Weichschäume) in Dormagen (siehe die Stellungnahme der CBG). Mehr als 150 Millionen Euro will Bayer Material Science (BMS) in den Standort investieren. Kern der Investitionen ist eine hochtechnisierte, neue Maßstäbe setzende Produktionsanlage für Toluylen-Diisocyanat (kurz TDI), die 2014 in Betrieb gehen soll. Doch nicht nur TDI wird für die Herstellung der Polyurethane benötigt, sondern auch das kontrovers diskutierte, hoch giftige Kohlenmonoxid (CO). Und zwar in einem Umfang, der die derzeit in Dormagen anfallende, nach bisheriger Lesart teilweise „überschüssige“ CO-Menge deutlich übersteigt. „Um die künftige CO-Nachfrage in Dormagen zu decken, planen wir im dortigen Chempark einen zusätzlichen zweiten Reformer zur Herstellung von Kohlenmonoxid“, sagte Bayer-Sprecher Jörg Brückner gestern auf Anfrage. Gibt es noch einen Überschuss?
Für die zahlreichen Gegner der CO-Pipeline, die inzwischen mehr als 100 000 Unterschriften sammeln konnten, ein Grund mehr, die Aufgabe der 67 Kilometer langen, überwiegend rechtsrheinisch verlaufenden Gasleitung von Dormagen nach Krefeld-Uerdingen zu fordern. „Bislang wurde das ganze Projekt damit gerechtfertigt, dass die Überschüsse, die in Dormagen entstehen, in der Uerdinger Kunststoff-Produktion dringend benötigt werden und deshalb dorthin geleitet werden müssen. Jetzt braucht man in Dormagen plötzlich mehr CO als dort zurzeit überhaupt anfällt. Warum dann noch eine CO-Transportleitung nach Uerdingen mit ihren unkalkulierbaren Risiken?“, fragt Dieter Donner, Koordinator der Anti-Pipeline-Initiativen im Kreis Mettmann. Für Brückner ein Denkansatz, der letztlich in die Irre führt. „Wir brauchen in jedem Fall einen Leitungsverbund, der einen Austausch zwischen den Werken sicherstellt und es unter anderem ermöglicht, Reserven einzuspielen.“ Für den Bayer-Mann ist der Fall klar: „Die Verbundstruktur ist unverzichtbar.“
Unterdessen schreitet die nachträgliche, eigentlich vor Baubeginn zu leistende Klärung, ob die Trasse vollständig frei von Bomben- und Munitionsresten aus dem Zweiten Weltkrieg ist, weiter voran. Von Norden her hat sich der Kampfmittelbeseitigungsdienst Rheinland (KMBD) inzwischen bis Erkrath vorgearbeitet. Der bislang problematischste Fund war der einer knapp sechs Meter von der Trasse entfernt liegenden Zehn-Zentner-Bombe, bei der – zur Erleichterung aller Beteiligten – der Zündkopf fehlte. Wie lange die Suche noch dauern wird, ist offen. „Das hängt von den Witterungsverhältnissen und der Zahl der aufzugrabenden Stellen ab“, sagte KMBD-Dezernentin Gudela von Gronefeld im RP-Gespräch. Wie berichtet, muss an jenen Stellen entlang der Trasse, bei denen die nachträgliche elektromagnetische und radarbasierte Abtastung (Detektion) unklare Ergebnisse bringt, das Erdreich aufgegraben werden. „Bislang haben wir neben der Mündelheimer Bombe zahlreiche Munitionsreste, ein Maschinengewehr sowie Stabbrand-Bombenköpfe gefunden“, erläuterte die Geophysikerin. Das jetzt angewandte Verfahren (neue Luftbildbewertung; Detektion und Ausgrabung, wo nötig) hält sie für zuverlässig. Dennoch ist sie offen für zusätzliche Hinweise aus der Bevölkerung. „Wer sich an Kriegsbeschuss entlang der Trasse erinnert, sollte Kontakt mit seinem städtischen Ordnungsamt aufnehmen.“ VON JÖRG JANSSEN