Presse Info vom 6. November 2009
Coordination gegen BAYER-Gefahren
„Zahlungen an Mitarbeiter und Zulieferer systematisch verzögert“
hohe Zinsgewinne für BAYER / Interview mit freien Mitarbeitern veröffentlicht / „Klima der Angst“
Freie Mitarbeiter des BAYER-Konzerns werfen dem Unternehmen vor, Zahlungen an Zulieferer und Mitarbeiter systematisch zu verzögern. Nach Aussage von Sprachlehrern, die seit mehr als fünfzehn Jahren für das Unternehmen arbeiten, sollen ausgehende Zahlungen zwei Monate und länger rausgezögert werden, während eingehende Zahlungen in kürzester Zeit reklamiert werden. Spesenabrechnungen von Mitarbeitern werden über Monate hinweg nicht beglichen.
Demnach existiert bei BAYER eine eigene Arbeitsgruppe, die sich mit der Verzögerung ausgehender Zahlungen beschäftigt. Consulting-Firmen sollen von BAYER angehalten werden, einer Bezahlung von Rechnungen erst nach 90 Tagen zuzustimmen. Durch die Maßnahmen würde BAYER jährlich mehrere hunderttausend Euro einsparen.
Philipp Mimkes von der Coordination gegen BAYER-Gefahren: „Das von den freien Mitarbeitern geschilderte Vorgehen ist nicht zu tolerieren. Ein hochprofitables Unternehmen wie BAYER muss Forderungen von Angestellten und Zulieferern umgehend begleichen. Wir verurteilen zudem das Klima der Angst, das bei BAYER augenscheinlich herrscht: Kritik darf nicht die Drohung eines Rausschmisses nach sich ziehen.“ Der Coordination gegen BAYER-Gefahren werden seit den 80er Jahren immer wieder Berichte über scheinselbständige Beschäftigungsverhältnisse und verspätete Zahlungen bei BAYER zugespielt. „Dieses System wurde in den letzten Jahren offenbar perfektioniert“, so Mimkes weiter.
Im folgenden veröffentlichen wir ein Interview, das die Coordination gegen BAYER-Gefahren mit zwei Sprachlehrern führte, die seit vielen Jahren bei Schering bzw. Bayer Schering beschäftigt sind. Die Namen wurden geändert.
Herr Fox, Herr Chirico, Sie arbeiten seit langem als Sprachlehrer, zunächst für Schering, nun für Bayer Schering. Hat sich das Betriebsklima durch die Übernahme sehr verändert?
Peter Fox: Bei Schering blies ein laues Lüftchen, bei Bayer weht einem die scharfe Brise mitten ins Gesicht. Für uns Trainer entwickelte sich die Zeit nach der Übernahme zu einer rasanten Achterbahn-Fahrt, die jetzt schon mehrere Jahre andauert. Immer stand die Frage im Raum: Werden wir abgewickelt oder bleiben wir als Abteilung erhalten? Immer öfter wird einem das Gefühl vermittelt, dass man als Mitarbeiter total austauschbar ist. Immer öfter und unverhohlener wird gedroht mit Arbeitskräften, die die gleiche Arbeit für weniger Geld erledigen. Bei ihrem Abschied sagten mir neulich Kollegen von Fremdfirmen, die entlassen wurden: „Die andere Firma war einfach noch billiger, als wir es schon sind!“
Und das Honorar?
Peter Fox: Tja, das Honorar… Kollegen, die schon sehr lange bei Schering/Bayer sind, erzählen, dass sie mit 60 Mark pro Unterrichtsstunde angefangen haben. Das war damals ein extrem hoher Stundensatz!
Jetzt, nach zwanzig Jahren fast ohne Honorarerhöhung, verdienen wir gerade mal 2 Euro mehr, – dies aber auch nur, weil sich verschiedene Kollegen vehement für eine Honorarerhöhung eingesetzt haben. Die Inflation hat diese 2 Euro aber schon längst wieder aufgefressen.
Von den 33 Euro gehen anteilig die Beiträge für die Einkommenssteuer, die Krankenkasse und die Rente/Lebensversicherung ab. Die Krankenkasse ist für uns sehr teuer, weil wir natürlich als Selbständige keinen Arbeitgeberanteil bekommen und alleine für die ganze Summe aufkommen. Dies gilt auch für die Rente bzw. Lebensversicherung.
Anders als in der Sprachschule können wir Trainer auch kein „Standardprogramm“ anbieten; der Unterricht soll optimal auf die Kursteilnehmer zugeschnitten sein. Das erfordert oft eine extrem hohe Vorbereitungszeit, die uns aber nicht extra vergütet wird. Einmalig pro Kurs von 30 Stunden bekommt man zwar eine Kurspauschale von 80 Euro, die aber für die Dokumentation der Kursinhalte bestimmt ist.
Auch lange Wege innerhalb der Firma von einem Büro zum anderen werden nicht bezahlt; längere Anfahrtswege zu anderen Werken oder zu Kursteilnehmern nach Hause werden maximal mit 2 oder 3 Euro pro Fahrt vergütet. Man ist dann manchmal zwei Stunden unterwegs, um 90 Minuten Unterricht zu halten. Hinzufügen möchte ich noch, dass Schering und auch Bayer großen Wert auf gut ausgebildete Trainer legt, d.h. wir haben alle ein Universitätsstudium absolviert. Das alles hat zur Folge, dass sehr beliebte und erfahrene Trainer resignieren und entweder die Firma ganz verlassen, oder nur noch wenige Kurse übernehmen.
Man gewinnt immer mehr den Eindruck, dass es Bayer nicht darum geht, beliebte Trainer zu halten, sondern nur noch darum, dass das Personal möglichst „unauffällig“ und billig seiner Arbeit nachgeht.
Wir wissen von Ihnen, dass es jetzt ein Problem mit der Überweisung des Honorars gab…
Sergio Chirico: Ja, das stimmt! Wir mussten acht Wochen lang auf unser Honorar für den Juli warten. Das war für uns völlig unvorhersehbar und hat uns eiskalt erwischt. Auf das Geld für den August haben wir sechs Wochen gewartet. Mal sehen, wo und ob es sich einpendelt. Exakte Informationen zu diesem Thema haben wir seit Ende Juli bis jetzt nicht bekommen.
Dass wir auf das Juli-Geld so lange warten mussten, kam vielleicht dadurch zustande, dass wir ein besonderes Schreiben von der Einkaufsabteilung bekommen haben. Jeder Trainer wird „eingekauft“, bekommt eine Rahmenbestellnummer und man bestellt uns wie aus einem Katalog. In dem Brief wurde uns unsere Bestellnummer mitgeteilt und am Ende des Briefes stand ein für uns ganz neuer Passus zum Thema „Zahlung“. Für die Chefs unserer Abteilung war der Passus offensichtlich auch ganz neu.
Was genau stand in dem Schreiben, das Sie bekommen haben?
Sergio Chirico: „Zahlung bei Rechnungseingang bis zum 15. des Monats bis zum 16. des Folgemonats ohne Abzug bei Rechnungseingang bis zum Ende des Monats bis zum 2. in 2 Monaten ohne Abzug“.
Ja, an diesem Satz kann man sich echt die Zähne ausbeißen! Wir haben lange darüber gerätselt, was dies bedeuten könnte… und keiner kann es uns bis heute erklären, sagt man uns jedenfalls. Diese acht Wochen Verzögerung waren eine harte Zeit und für viele die reine Verzweiflung: Kollegen mussten ihre Sparkonten auflösen, wenn sie überhaupt welche hatten; Kollegen, die einen Kredit aufgenommen hatten, konnten den Kredit nicht mehr tilgen; zwei Kollegen haben bei einem Kredithai ein Darlehen beantragt, das sie jetzt 19% Zinsen kostet.
Bayer soll durch die verspäteten Überweisungen unserer Honorare rund 800.000 Euro im Jahr einsparen, erzählt man sich.
Gibt es Anzeichen dafür, dass Bayer die Zahlungen systematisch verzögert?
Peter Fox: Ja, die gibt es. Von mehreren Mitarbeitern/Schülern und Kollegen habe ich gehört, dass es bei Bayer eine spezielle Arbeitsgruppe geben soll, die sich nur damit beschäftigt, wie lange Bayer Zahlungen hinausschieben kann und wie schnell Bayer Einnahmen verlangen kann: hinausschieben bis zwei Monate und verlangen in zehn Tagen. Kapital muss schließlich arbeiten.
Es ist auch bekannt, dass neuerdings manche Consulting-Firmen einen Vertrag unterschreiben sollen, in dem sie zustimmen, dass eine Rechnung ihrer Firma erst nach 90 Tagen bezahlt wird.
Bekannt ist auch, dass viele Firmen gar nicht mehr für Bayer tätig werden oder liefern wollen, weil Bayer die Rechnungen viel zu spät bezahlt und kleinere Betriebe um ihre Existenz fürchten müssen oder schon ruiniert sind. Es soll wohl auch Firmen geben, die mittlerweile Vorkasse verlangen.
Mehrere Studenten aus ganz unterschiedlichen Abteilungen erzählen mir immer wieder, dass sie von Fremdfirmen angerufen werden, die auf ihr Geld warten und die sie dann weiter vertrösten müssen.
Haben Festangestellte ähnliche Probleme?
Peter Fox: Ja, der Zahlungstermin für die Gehälter wurde umgestellt, deshalb bekommen die Festangestellten ihre Gehälter später als noch zu Schering-Zeiten. Wenn Mitarbeiter auf Geschäftsreise gehen, müssen sie die Bayer-Kreditkarte benutzen und damit die anfallenden Rechnungen für Hotel, Restaurant etc. bezahlen. Die Mitarbeiter strecken die Ausgaben dann privat vor; Bayer bucht das Kreditkartenminus einmal pro Monat vom Privatkonto ab. Wirklich erstattet werden die Spesen dann oft erst nach acht Wochen. Das ärgert viele Leute sehr.
Hatten Sie auch früher schon Probleme mit den Überweisungen?
Sergio Chirico: (lacht)… ja, die gab es allerdings! Das kann man einfach so zusammenfassen: Ich bin 15 Jahre lang fast Monat für Monat meinem Geld hinterhergerannt. Wie ein Sisyphos! Fünfzehn Jahre: Was das heißt, das kann sich kein Mensch vorstellen! Das zermürbt auf Dauer. Das macht dich fix und fertig.
Es interessiert niemanden, ob ich pünktlich bezahlt werde oder nicht. Wenn es jemanden wirklich interessiert hätte, hätte er schon lange etwas dagegen unternommen.
Ich habe deswegen schon mehrere (!) Urlaube stornieren müssen und an Weihnachten wussten schon alle Freunde und Familienmitglieder, dass die Geschenke für sie erst später kommen würden. Das Geld für den Dezember war zwar immer für kurz vor Weihnachten versprochen, kam aber bestimmt zehn Jahre lang erst im Januar.
In der meisten Zeit fühle ich mich wie ein Bettler: betteln bei Bayer, dann betteln bei der Bank, dass sie dringende Überweisungen noch ausführt, und dann betteln bei den Freunden, dass sie mir noch Geld leihen. Wie demütigend das ist, kann man nur schwer in Worte fassen.
Die Visa-Karte wurde schon vor Jahren eingezogen, meine EC-Karte ist Anfang September gesperrt worden, weil so viele Wochen kein Geld eingegangen ist. Die Kosten von 10 Euro für die Sperrung muss natürlich ich übernehmen, Bayer nimmt das alles nur billigend in Kauf.
Normalerweise gehen wir selbst dann noch zur Arbeit, wenn wir schon den Kopf unter dem Arm tragen. Aber wenn Kollegen einmal richtig schwer krank werden und ein paar Monate ausfallen, dann sammeln wir Trainer untereinander für eine Karte ins Krankenhaus und einen Blumenstrauß. Wir haben auch schon Geld gesammelt, um eine Kollegin wenigstens ein bisschen finanziell unterstützen zu können. Bayer schickt in solchen Fällen keinen Blumenstrauß.
Gibt es Solidarität unter den Kollegen?
Sergio Chirico: Fast gar nicht. Es gibt kaum ein koordiniertes Vorgehen gegen diese Zustände. Wir haben keinen Betriebsrat, der sich für uns einsetzt, weil wir Selbständige sind. Und wir haben keine Gewerkschaft, an die wir uns wenden könnten.
Dadurch haben wir keinerlei Druckmittel. Wenn wir etwas fordern oder uns beschweren, ist das eine große Gratwanderung und natürlich auch sehr gefährlich und mit einem hohen Risiko verbunden. Wenn ich dieses Risiko näher beschreiben sollte, würde ich das Wort „Rausschmiss“ wählen.
Außerdem haben wir Trainer auch einen unterschiedlichen finanziellen Hintergrund: Ein paar von uns sind nicht so sehr auf das Geld und eine pünktliche Bezahlung angewiesen, weil die Partner feste Jobs haben und gut verdienen. Die große Mehrheit aber lebt von der Arbeit als Trainer.
Wir alle arbeiten übrigens nicht ausschließlich für Bayer, sondern auch für andere Sprachschulen, Firmen und Universitäten. Für viele ist Bayer aber die Haupteinnahmequelle. Vom Volumen her richten wir uns da nach dem Gesetz der „Scheinselbständigkeit“.
Wollen Sie mich aber jetzt nach diesem Interview nicht mal fragen, warum ich eigentlich immer noch für Bayer arbeite?
Warum arbeiten Sie eigentlich noch für Bayer?
Sergio Chirico: Der Job ist sehr interessant, abwechslungsreich, ist immer eine persönliche Bereicherung, bietet inhaltlich viele Freiheiten. Ich mag die Studenten sehr!
Die Fragen stellte Philipp Mimkes (Coordination gegen BAYER-Gefahren)