Interview-Abdruck verhindert
BAYER & die Pressefreiheit
Ende letzten Jahres hat die Süddeutsche Zeitung ein Interview mit zwei Vertretern der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) geführt. BAYER war damit gar nicht einverstanden. Also zeigte der Leverkusener Multi den Jungs in München mal, wer im Lande das Sagen hat, und sorgte für ein Verschwinden des Textes im Archiv. Und das war kein Einzelfall. Zur Pressefreiheit hatte der Konzern immer schon ein gestörtes Verhältnis.
Von Jan Pehrke
Der 30. Geburtstag der CBG im letzten Jahr bot für den Journalisten Caspar Dohmen von der Süddeutschen Zeitung den Anlass dafür, ein Gespräch mit zwei Vorstandsmitgliedern über die konzern-kritische Arbeit zu führen. Es hatte unter anderem die Entstehung der CBG und die Möglichkeiten der Einflussnahme auf große Konzerne zum Gegenstand. Als konkrete Beispiele dienten Störfälle in BAYER-Werken, die umstrittene Kohlenmonoxid-Pipeline quer durch NRW sowie die Verbrennung von Giftmüll. Auch der Leverkusener Chemie-Multi war von dem SZ-Redakteur um eine Stellungnahme gebeten worden. Statt einer Antwort intervenierte ein Vertreter des Konzerns bei der Zeitung. Was er genau vortrug, ist unbekannt. Klar sind nur die Abläufe – und das Ergebnis. Dohmen tat alles, um den Text retten und bat um Belege zu den getätigten Aussagen. Zwar konnte keine Passage inhaltlich beanstandet werden, dennoch erreichte der Global Player sein Ziel: Das Interview verschwand in der Schublade.
Axel Köhler-Schnura vom Vorstand der CBG erklärte dazu: „Dies ist eine nicht hinnehmbare Einflussnahme von BAYER auf die Medien. Leider kein Einzelfall, sondern Steuerung der Medien im Interesse der Sicherung der Konzern-Profite. Mit einer Politik von Zuckerbrot in Form von Anzeigenetats in dreistelliger Millionenhöhe und Peitsche in Form von Zensur wird eine freundliche Berichterstattung erzwungen. Im Nebeneffekt werden dabei auch Demokratie und freie Berichterstattung zu Grunde gerichtet.“ Die CBG hat Beschwerde beim Presserat eingelegt, der sich des Falls auch angenommen hat.
An der Person des bei der Süddeutschen Zeitung etatmäßig für BAYER zuständigen Redakteurs, Stefan Weber, lässt sich das ungute Zusammenspiel von Medien und Multis exemplarisch illustrieren: Weber hat persönlichen Zugang zu den Verantwortlichen im Konzern und erhält häufig Exklusiv-Meldungen – die härteste Währung im Mediengeschäft. Wenn BAYER eine neue Anlage in China einweiht, fährt Weber (vermutlich auf Firmenkosten) mit nach Shanghai. Im Gegenzug verzichtet der Wirtschaftsredakteur seit Jahren auf jegliche kritische Berichterstattung. Anders als KollegInnen aus anderen SZ-Redaktionen griff Weber beispielsweise nicht ein einziges Mal eine Meldung der CBG auf. Und es gibt genug willige Wirtschaftsjournalisten wie Weber, die sich BAYERs Pflege der Presselandschaft gern angedeihen lassen.
Die Coordination dokumentiert seit vielen Jahren den unlauteren Umgang des Unternehmens mit den Medien, der seit Gründung des Unternehmens im Jahr 1863 zum Kerngeschäft gehört. Einen Großteil der „kurzen Dienstwege“ ist der Konzern dabei wohl unerkannt gegangen, aber schon die bekannt gewordenen reichen, um das Ausmaß der BAYER-Pressearbeit zu dokumentieren. So mussten die Magazine Spiegel und Stern nach kritischen Berichten von 1982 bis 1995 auf Anzeigen aus Leverkusen verzichten. O-Ton aus der Zentrale des Chemie-Multis: „Damit die Jungs in Hamburg mal lernen, wer hier das Sagen hat“. Das lernten auch „Die Jungs aus Köln“. Ein im Express schon fest eingeplanter Bericht über die BAYER-Hauptversammlung und Gegen-Aktivitäten verschwand nach einem kurzen Anruf aus Leverkusen aus dem Blatt. Die Düsseldorfer Stadtillustrierte Überblick musste hingegen ein Artikel über Störfallrisiken teuer bezahlen. Kurz nach dem Erscheinen stornierte BAYER eine regelmäßig erscheinende ASPIRIN-Anzeige. In den USA gelangte kürzlich nach einem Störfall in einem BAYER-Werk ein Strategiepapier des Konzerns in die Öffentlichkeit, in dem empfohlen wird, kritische Medien zu „marginalisieren“. Ein derartiges Vorgehen hat der Agro-Riese systematisiert. So erteilte er seinen leitenden Öffentlichkeitsarbeitern einst eine Weisung, missliebige JournalistInnen dem Leverkusener „Hauptquartier“ zu melden: Dort hätte man die Mittel, negative Berichterstattung zu unterbinden.
In jüngster Zeit häufen sich Abmahnungen gegen Blogs und Internet-Zeitungen. So erhielt die Redaktion von Lifegen.de eine Klageandrohung, weil sie eine Meldung der CBG zu Nebenwirkungen von Verhütungsmitteln nachgedruckt hatte. Zwar blieb Lifegen ebenso wie der ebenfalls vom Global Player inkriminierte Blog duckhome standhaft und wäre juristisch auch nicht zu belangen gewesen, aber andere Betreiber im Internet knicken angesichts massiver Drohungen („strafrechtliche und zivilrechtliche Konsequenzen, weitere Ansprüche bleiben vorbehalten“) oft ein.
Ein besonderer Dorn im Auge ist dem Konzern die Berichterstattung des WDR. Regelmäßig versucht er, kritische TV-Berichte des Senders zu verhindern, kürzlich z. B. den Film „Unter tödlichem Verdacht“, der die von BAYER verschwiegenen Risiken der Arznei TRASYLOL enthüllte (wenige Tage nach der Ausstrahlung musste das Präparat vom Markt verschwinden). Auch eine Dokumentation des Journalisten Frans van der Meulen über Vergiftungen durch Holzschutzmittel wollte der Multi kippen. Bei einem Monitor-Beitrag über die mit Hilfe eines BAYER-Patents entwickelten Chemie-Waffen VX und VE gelang ihm das 1984. Eine Interview-Anfrage zu dem Thema reichte, um die Rechtsabteilung ein- und den Film auszuschalten. Redakteur Gerd Ruge teilte den Autoren Peter Kleinert und Jörg Heimbrecht mit, der Beitrag könne „leider nicht gesendet werden“, weil BAYER „im Hause interveniert“ hätte und er sich dem beugen müsse.
Besonderen Anstoß erregte 1990 eine „Montagsreportage“. Darin gab der damalige Werksleiter des Leverkusener BAYER-Werkes, Dietrich Rosahl, zu, von der Umweltverschmutzung durch die Dhünnauer Altlast-Deponie gewusst zu haben. Da dieses Geständnis zu einem Strafverfahren führte, intervenierte der Pharma-Riese umgehend beim WDR-Fernsehdirektor Günter Struve.
Die Sendung „Vor Ort“ war zum letzten Mal live vor Ort, als sie über einen Gusathion-GAU in Dormagen berichtete. Die dort ausgestrahlten Orginaltöne waren für den Konzern zu schwer zu ertragen. Seither kamen die Lokaltermine aus der Konserve. Nach einem anderen unliebsamen Fernsehbeitrag verteilten die PropagandistInnen um den kürzlich in Rente gegangenen BAYER-Pressechef Heiner Springer gar Tausende von Flugblättern mit der Überschrift: „WDR – Da hilft nur noch abschalten“. Den damaligen WDR-Intendanten Friedrich Nowottny wollte BAYER über den Rundfunkbeirat stürzen, da er den Wünschen des Konzerns nicht vollständig nachkam.
Aber auch andernorts kümmerte sich der Gen-Gigant um „saubere Leinwände“. So verklagte er 1988 den SWF nach einem Report-Beitrag über das BAYER-Ackergift NEMACUR, das die JournalistInnen Dr. Imre Kerner und Dagni Kerner-Radek für schwerwiegende Gesundheitsstörungen im Raum Tübingen verantwortlich gemacht hatten. Besonders skandalös dabei: Der in den Bodenproben nachgewiesene NEMACUR-Wirkstoff Fenamiphos besaß in der Bundesrepublik gar keine Zulassung. BAYER leitete juristische Schritte ein, und das dem Konzern immer schon recht wohlgeneigte Kölner Landgericht gab der Klage nach Richtigstellung und Unterlassung statt.
Nicht einmal die Sport-Berichterstattung ist vor dem Pillen-Produzenten sicher, gilt es doch, die als „Plastik-Club“ verschriene Fußball-Abteilung vor Anfeindungen zu schützen. Dem ZDF-Sportstudio warf der Konzern dereinst in dieser Sache „unterlassene Hilfeleistung“ vor, denn es strahlte das dem Sportclub bei einem Pokalspiel entgegenschallende Pfeifkonzert ohne redaktionellen Eingriff aus. „Wir haben uns immer noch mit einer sehr unangebrachten öffentlich-rechtlichen Arroganz auseinanderzusetzen“, tobte der ehemalige Sport-Direktor Jürgen von Einem, „So geht man nicht mit Kunden um“. Ein verräterischer Satz: Als Kunde mit Anspruch auf Dienstleistungen definiert BAYER in aller Offenheit sein Verhältnis zu den Medien. Und als ein solcher verlangte der Konzern bei einem TV-Film über einen vertuschten Störfall auch Drehbuch-Einsicht. Das ZDF verbat sich das und bekam umgehend Schwierigkeiten bei der Motivsuche. BAYER und andere Chemie-Multis erteilten auf ihren Firmen-Arealen keine Drehgenehmigung. Der Film „Unser täglich Gift gib uns heute“ von Frederico Füllgraf über den Pestizid-Einsatz in Brasilien hielt für den Agro-Riesen alles, was der Titel versprach. Also übte er Druck auf die Evangelische Kirche als Verleiher aus und sorgte für ein Verschwinden des Werkes aus dem Programm.
Interviews mit der Coordination stören den Global Player auch schon länger. Als die Eröffnung einer Produktionsanlage in Bitterfeld einen bitteren Beigeschmack zu bekommen drohte, weil ein CBGler im Radio Mephisto über die ökologischen Nebenwirkungen des Werkes und BAYERs Einflussnahme bei der Treuhand plauderte, rief BAYERs Presse-Chef direkt aus London bei der Radiostation an und forderte Sendeplatz ein – den er natürlich auch prompt bekam.
Selbst eine Buchveröffentlichung hintertrieb der Pharma-Riese bereits. Gegen das Werk „Der Dormagener Störfall“ von Klas Ewert Everwyn, inspiriert von einem Gusathion-GAU bei BAYER, zog er Anfang der 80er Jahre vor Gericht. „Es ist doch etwas anderes, ob man sich mit der Kritik an gegenwärtigen Zuständen auseinanderzusetzen hat, oder ob ein Schriftsteller BAYER einfach diffamiert“, meinte der Konzern. Er drohte mit einer Prozesslawine und erreichte in einem Vergleich die Streichung des Namens „BAYER“ aus dem Text. Jegliche Ähnlichkeit des im „Dormagener Störfall“ erwähnten Unternehmens mit einem tatsächlich existierenden hatte der Autor als zufällig darzustellen. „Da es sich um ein Auftragswerk der Stadt Dormagen handelt, war es für mich zwingend, das dort ansässige große Chemiewerk für meine Legende heranzuholen. Ich will weder das Werk noch seine Menschen diffamieren“, lautete die am Anfang des Oeuvres abzudruckende Erklärung (ein Artikel zu der Kontroverse erschien im SPIEGEL).
Für das Buch „Es war einmal ein Fluss“ hieß es dank BAYER auch selbst bald „Es war einmal“: Nach einer kleinen Intervention aus Leverkusen verschwand die Chronik des langsamen Verschwinden eines Wasserlaufs durch eine Überdosis Chemie vom Markt.
Bei so einer energischen Pressearbeit konnte der Konzern die Coordination natürlich nicht schonen. 1990 mahnte er ein Titelbild von Stichwort BAYER ab, und 2001 untersagte er die Nutzung eines bestimmten Domain-Namens. An der CBG war es dann auch, in einem Aufruf unter der Überschrift „Gefahren für die Demokratie“ die von BAYER ausgehenden Risiken und Nebenwirkungen zu benennen, was die Demokratie dann noch mehr in Gefahr brachte. Der Leverkusener Multi ging 1987 nämlich gerichtlich gegen die folgende Passage vor: „In seiner grenzenlosen Sucht nach Gewinnen und Profiten verletzt BAYER demokratische Prinzipien, Menschenrechte und politische Fairness. Missliebige Kritiker werden bespitzelt und unter Druck gesetzt, rechte und willfährige Politiker werden unterstützt und finanziert“. In den ersten Instanzen bekam das Unternehmen Recht. Die Coordination musste bis vor das Bundesverfassungsgericht ziehen und ein erhebliches finanzielles Wagnis eingehen, um dem Recht auf Meinungsfreiheit fünf Jahre nach Beginn des Verfahrens wieder Geltung zu verschaffen. Aber gebrochen ist die Multi-Macht auf Medien immer noch nicht, wie nicht zuletzt das auf dem Müllhaufen der Presse-Geschichte gelandete CBG-Interview beweist.