Die Zeit 35/2007
Volles Rohr
Von Jutta Hoffritz
In aller Stille hat das Land Nordrhein-Westfalen den Bau einer Giftgasleitung durch Wohngebiete genehmigt. Nun protestieren die Bürger.
Das Rohr hat den Durchmesser eines Esstellers, es soll eineinhalb Meter unter der Erde verlaufen und völlig unsichtbar sein – aber es sorgt für Aufregung in Nordrhein-Westfalen. Der Umweltausschuss des Landtages hat es gerade erörtert, eine Bürgerinitiative sammelt Unterschriften; Ende des Monats befasst sich das Verwaltungsgericht Düsseldorf mit dem Thema. Der Chemiekonzern Bayer plant den Bau eines 70 Kilometer langen Rohres, durch das ab Jahresende das giftige Gas Kohlenmonoxid aus einem Werk in Dormagen zur Weiterverarbeitung nach Uerdingen fließen soll.
Normalerweise wird Kohlenmonoxid nicht zwischen unterschiedlichen Produktionsstätten transportiert, sondern dort hergestellt, wo es benötigt wird. Doch für Bayer ist die Rohrleitung die billigere Alternative zum Ausbau von Produktionskapazitäten. Ziemlich lautlos haben Land und Bezirk das Projekt vor über einem Jahr genehmigt. Erst jetzt, da die Bagger anrücken und überall Rohrstücke bereitliegen, wird vielen Bürgern klar, dass die Leitung mit dem hochexplosiven Atemgift künftig direkt vor ihrer Haustür verläuft. Die Pipeline soll dicht besiedelte Wohngebiete der Gemeinden Monheim, Hilden, Langenfeld, Erkrath und Ratingen durchkreuzen. „Die Leute schauen in ihren Garten und fürchten sich vor dem tödlichen Gas“, sagt Dieter Donner von der Bürgerinitiative „Bau-Stopp der Bayer-Pipeline“.
Donner ärgert sich gleichermaßen über den Konzern wie über die Politik; sie habe die Brisanz des Themas unterschätzt und „wichtige Dinge in nichtöffentlichen Anhörungen“ verhandelt. Selbst die Feuerwehr werde jetzt erst einbezogen, um sich mit Bayer über Rettungsszenarien abzustimmen. „Ein Skandal“, findet Donner.
Würde die Gasleitung je undicht, wären einem Gutachten des betroffenen Kreises zufolge 500 Menschen in ernster Gefahr, bei einem Bruch des Rohres sogar etwa 140000 Menschen. Ein weiterer Gutachter, den die Stadt Monheim anheuerte, kritisiert besonders die Mängel bei der Erkennung von Lecks und den hohen Druck, für den die Pipeline genehmigt ist.
Bei Bayer lässt man diese Bedenken nicht gelten. Zugelassen seien die Rohre zwar für bis zu 40 Bar, entgegnet Konzernsprecher Christian Hartel. Im Normalfall fließe das Gas aber nur mit einem Druck von 13,5 Bar durch die Leitung. Und was mögliche Lecks angehe, sagt Hartel, so werde die Pipeline regelmäßig von Experten „mit Gasspürgeräten abgegangen“. Darüber hinaus überwache Bayer die ein- und ausströmenden Gasmengen.
Der Streit um die Sicherheit der Giftgasleitung kommt reichlich spät. Das dem Pipelinebau zugrunde liegende Gesetz wurde schon im Februar 2006 verabschiedet – mit Unterstützung aller Parteien. Damals ging es freilich vor allem um eine Rohrleitung, die den Transport des Gases Propylen von Amsterdam nach Deutschland per Lkw überflüssig machen sollte. „Dass Bayer die Trasse auf einem kurzen Stück für ein ganz anderes Produkt mitbenutzen wollte, haben wir nicht genügend berücksichtigt“, gesteht reumütig der umweltpolitische Sprecher der Grünen, Johannes Remmel.
Das ist umso ärgerlicher, als die Propylenleitung nun aus Kostengründen doch nicht gebaut wird. Aus heutiger Sicht würde der Bayer-Konzern seine beiden linksrheinischen Standorte also wohl besser direkt verbinden, als mit der Gasleitung zweimal den Fluss zu kreuzen und einen langen Umweg durch fünf Wohngemeinden zu nehmen. Doch bei Bayer denkt man gar nicht an eine Verkürzung und verweist auf die „Genehmigung, die nur für die geplante Streckenführung gilt“. Vermutlich ahnt man in Leverkusen, dass die Pipeline bei einem neuen Anlauf nicht mehr durchzusetzen wäre.
Doch auch so könnte das Projekt noch ins Wanken geraten. Thomas Dünchheim, Bürgermeister der Stadt Monheim und Experte für Öffentliches Recht mit Lehrauftrag an der Düsseldorfer Universität, hält das Pipeline-Gesetz für verfassungswidrig. Einerseits lasse es die Enteignung von Grundstücken zu, argumentiert Dünchheim – andererseits bleibe offen, inwiefern die Bayer-Pipeline „das Allgemeinwohl fördert“. Dass er mit seiner Klage einem örtlichen Arbeitgeber mit fast 2000 Angestellten in die Quere kommt, kümmert den Bürgermeister wenig. Er habe sich durch seinen „Amtseid verpflichtet, Schaden von den Bürgern abzuwenden“, sagt Dünchheim. Notfalls will er bis vor das Bundesverfassungsgericht ziehen.