Immer mehr Kontrazeptiva-Klagen
BAYER unter Druck
Über 13.500 Verfahren haben Geschädigte von BAYER-Verhütungsmitteln in den USA bereits angestrengt. In Europa beschäftigten die Gerichte sich hingegen bisher kaum mit den Risiken und Nebenwirkungen von YASMIN & Co. Dies könnte sich jetzt jedoch ändern. Die Klage einer jungen Französin hat in dem Land nämlich viele Nachahmerinnen gefunden und auch die Behörden schon zu Maßnahmen veranlasst.
Von Jan Pehrke
Bereits seit dem Jahr 2009 warnt die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) in einer Kampagne vor den Gefahren neuerer BAYER-Verhütungsmittel. Was der Leverkusener Multi in der Werbung als deren „Beauty-Effekt“ preist – die Reduzierung von Wasser-Einlagerungen – erweist sich nämlich als gesundheitsgefährdend, denn die Flüssigkeitsausschwemmungen machen das Blut zähflüssiger. Darum liegt diversen Studien zufolge das Risiko, unter solchen Kontrazeptiva eine Thrombo-Embolie zu erleiden, um das 2-3fache höher als bei anderen Präparaten. In den USA haben solche und andere Nebenwirkungen deshalb schon 190 Frauen das Leben gekostet, in der Bundesrepublik verzeichnet das „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte“ (BfArM) bislang 18 Todesfälle.
Die CBG hat den Skandal in die Öffentlichkeit gebracht und Kontakt zu Betroffenen hergestellt. Im Jahr 2010 haben Geschädigte der drospirenon-haltigen Pillen YASMIN und YASMINELLE das Thema dann erstmals auf die Agenda der BAYER-Hauptversammlung gesetzt – von der es seither nicht mehr verschwunden ist. Und 2011 hat Felicitas Rohrer schließlich eine Klage gegen den Konzern eingereicht, nachdem dies vorher schon eine junge Schweizerin getan hatte. Aber allzu viele MitstreiterInnen fanden die beiden nicht. Während sich der Leverkusener Multi in den USA mit 13.500 Verfahren konfrontiert sieht und schon 700 Millionen Euro an Entschädigungen zahlen musste, brauchte sich die Justiz auf dem Kontinent bisher kaum mit YASMIN & Co. zu beschäftigen.
Doch das ändert sich jetzt. In Frankreich hat Marion Larat Ende 2012 einen Prozess gegen den Pharma-Riesen angestrengt. „Weil sie eine Verhütungspille genommen hat, wurde ihr Alltag zu einem Alptraum“, sagt der Vater der 25-Jährigen. Die BAYER-Pille MELIANE (Wirkstoffe: Gestoden und Ethinylestradiol) hatte bei seiner Tochter 2006 einen Gehirnschlag ausgelöst. Neun Operationen musste die Frau seither über sich ergehen lassen; immer wieder erleidet sie epileptische Anfälle. „Ich empfinde Hass gegen BAYER, ich empfinde Hass gegen den Staat“, bekennt die Französin.
Ihr Vorgehen hat im Nachbarland ein großes Medien-Echo ausgelöst. Sie hat nicht nur Dutzende von Briefen und Anrufen erhalten, sondern auch Nachahmer gefunden. 80 Klagen haben die Gerichte bis Mitte Februar registriert, darunter mehr als die Hälfte gegen BAYER. Und es dürften noch mehr werden: Über 650 Berichte von pillen-geschädigten Frauen haben die Anwälte von Marion Larat mittlerweile erhalten. Zudem prozessiert die schweizer Krankenkasse CSS gegen den Global Player und fordert die Rückerstattung der Ausgaben für die Behandlung der Pillen-Patientinnen.
„Die jüngsten Entwicklungen in den USA, Frankreich und der Schweiz zeigen, dass BAYER mit dem Rücken zur Wand steht. Von einem angeblichen ‚positiven Nutzen/Risiko-Profil’ der Präparate kann längst nicht mehr gesprochen werden. Es ist für uns nicht hinnehmbar, dass BAYER amerikanische Opfer mit enormen Summen entschädigt, sich aber in Europa weiterhin weigert, Verantwortung für exakt dieselben Pillen zu übernehmen“, kommentiert Felicitas Rohrer die Meldungen.
Und tatsächlich erhöht sich der Druck auf den Konzern – auch außerhalb der Gerichtssäle. Nachdem die französischen Krankenkassen die Kosten-Übernahmen für MELIANE und andere Verhütungspillen der 3. und 4. Generation wegen ihres Risiko-Profils erst im Sommer 2012 auf 35 Prozent des Preises reduziert hatten, entschieden sie nun, diese Mittel ganz aus ihrer Liste zu streichen. Darüber hinaus zog die staatliche Arznei-Aufsicht ANSM nach dem Bekanntwerden von vier Todesfällen BAYERs DIANE 35 mit den Wirkstoffen Ethinylestradiol und Cyproteronacetat aus dem Verkehr. Parallel dazu forderte die ANSM die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA auf, sich mit der Sicherheit dieser Pharmazeutika zu beschäftigen.
Der Leverkusener Multi, der im Geschäftsjahr 2011 allein mit den Produkten aus der YASMIN-Familie 1,1 Milliarden Euro umsetzte und diese als „die weltweit am häufigsten verschriebenen Präparaten zur oralen Empfängnisverhütung“ preist, sieht jedoch erwartungsgemäß keinen Handlungsbedarf. „Unverständlich“ nennt das Unternehmen das Verbot der DIANE-Pille, die MedizinerInnen hierzulande nicht zum Verhindern von Schwangerschaften verschreiben dürfen. „Uns sind keine neuen Erkenntnisse dahingehend bekannt, die das positive Nutzen/Risiko-Profil in Frage stellen“, erklärt BAYER. Und zu „MELIANE“ lässt die Aktien-Gesellschaft verlauten: „Wir werden etwaige Behauptungen – sobald sie uns vorliegen – prüfen und danach über unsere nächsten Schritte entscheiden.“
Herr der Handlung ist der Global Player jedoch nicht. „Ob es eine Neubewertung dieser Mittel geben muss“, darüber befindet einem Sprecher des „Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte“ (BfArM) zufolge die EMA auf einer Sitzung, an der auch ein BfArM-Vertreter teilnimmt. Bisherige Verlautbarungen der EMA lassen jedoch eher kein negatives Votum erwarten. So bezeichnete die Behörde das Thrombose-Risiko nach dem Gebrauch von Verhütungsmitteln der dritten und vierten Generation als „sehr gering“ und wollte „überhaupt keinen Grund“ dafür erkennen, zu einer Absetzung zu raten.
Die von BAYER unter anderem bei ihren Kongressen unterstützte „Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe“ (DGGG), die sich schon bis zum bitteren Ende zu den krebsfördernden Hormon-Therapien bei Wechseljahresbeschwerden bekannt hatte, verharmlost die durch Gestagen-Hormone wie Drospirenon ausgelösten Gefahren ebenfalls. „Man kann nicht einfach sagen: Das Gestagen allein ist für die Thrombose verantwortlich, hier gibt es eine Vielzahl von Einfluss-Faktoren“, behauptet das DGGG-Vorstandsmitglied Bettina Toth und verweist unter anderem auf Bewegungsmangel, Übergewicht, Rauchen und erbliche Vorbelastungen. Zu allem Überfluss spricht die Gynäkologin DIANE dann auch noch von dem Vorwurf frei, lediglich ein Lifestyle-Präparat zur Akne-Behandlung zu sein. Um handfeste medizinische Probleme bei extrem belasteten Frauen gehe es stattdessen, so Toth.
Das BfArM rät indessen ebenso wie die „Arzneimittel-Kommission der deutschen Ärzteschaft“ und das industrie-unabhängige Fachmagazin arzneimittel-telegramm von Pillen der dritten und vierten Generation ab. Ob die neuerliche, nun auch Europa erreichende Klage-Welle ihre Position stärken und die zuständigen Stellen zu Konsequenzen zwingen wird, die über eine nochmalige Änderung des Beipackzettels hinausgehen, oder ob es in Sachen „YASMIN & Co.“ bei einem Alleingang Frankreichs bleibt – das dürfte sich in nächster Zukunft entscheiden.