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Yasmin

CBG Redaktion

Der Berliner „Tagesspiegel“ berichtet 2x über die Proteste zur BAYER-Hauptversammlung gegen risikoreiche Antibaby-Pillen von BAYER. alle Infos zur Kampagne

Noch mehr Ärger mit der Pille

Die Aktionäre von Bayer machen sich Sorgen

28. April — Die Zukunft von Bayer, sie scheint in Berlin zu liegen. In der Hauptstadt sitzt die Pharmatochter des Leverkusener Dax-Unternehmens, und auf ihr ruhen Milliardenhoffnungen. Denn der Umsatz- und Gewinnzuwachs, den der Pharma- und Chemiekonzern für 2013 in Aussicht gestellt hat, soll besonders durch neue Medikamente gelingen. „Dabei ist vor allem die optimale Vermarktung unserer fortgeschrittenen Produktentwicklungen bei Pharma entscheidend“, bekräftigte Konzernchef Marijn Dekkers am Freitag auf der Hauptversammlung in Köln.
Nach mehreren Jahren mit geringem Wachstum in der Pharmasparte sollen vier neue Präparate künftig mehr als fünf Milliarden Euro Umsatz jährlich einbringen. Allein dem Schlaganfallmittel Xarelto, das vor kurzem auf den Markt kam, traut der Konzern Erlöse von mehr als zwei Milliarden Euro pro Jahr zu.
Doch der Erfolg der Pharma-Sparte, die Bayer 2006 durch den Zukauf von Schering massiv stärkte, wird von fast 12 000 Klagen gegen den Konzern in den USA getrübt. Die Betroffenen beklagen Gesundheitsschäden wegen der Antibabypillen der Produktfamilie Yasmin, deren neuartiger Wirkstoff Drospirenon im Verdacht steht, ein höheres Risiko für Thrombosen zu bergen als andere Pillen. Mit 651 Klägerinnen habe sich Bayer auf Vergleiche in Höhe von 107 Millionen Euro geeinigt, sagte Dekkers. Bayer habe nur Vergleichen zugestimmt, bei denen Ansprüche wegen venöser Blutgerinnsel – etwa Lungenembolien – erhoben worden seien. Eine solche Erkrankung werde aber in weniger als der Hälfte der Klagen behauptet. Der Konzern habe „industrieüblichen Versicherungsschutz“, könne aber nicht ausschließen, „dass dieser zur Deckung sämtlicher Kosten nicht ausreichen wird“, sagte Dekkers. Man habe aber „angemessene bilanzielle Rückstellungen“ gebildet.
Aktionärsschützer zeigten sich besorgt. „Das ist kein Gerinnsel, das ist ein Risiko“, sagte Hans-Martin Buhlmann von der Vereinigung Institutionelle Privatanleger (VIP) auf der Hauptversammlung mit rund 3000 Aktionären. „Ist das Lipobay 2?“, fragte auch Marc Tüngler von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). Den Cholesterinsenker hatte Bayer nach etlichen Todesfällen 2001 vom Markt genommen. „Verlässliche Schätzungen zur weiteren Entwicklung der Klagen bei Yasmin und Yaz sind uns nicht möglich“, antwortete Dekkers. Martin Jensch, Anwalt der deutschen Klägerin Felicitas Rohrer, wies erneut auf Studien hin, die den Pillen mit Drospirenon ein bis zu dreifach erhöhtes Thromboserisiko bescheinigen. Diese Studien seien in den Beipackzetteln der Pillen berücksichtigt, sagte Dekkers.
Die jüngsten Spekulationen um ein Interesse von Bayer an der Tiermedizin- Sparte von Pfizer wollte der Konzernchef nicht bestätigen. „Unser Fokus liegt primär auf internem Wachstum.“ Zukäufe im Gesundheitsbereich seien aber nicht ausgeschlossen.
Die Hauptversammlung war die letzte des Aufsichtsratschefs Manfred Schneider. Der 73-Jährige, der seit 46 Jahren für Bayer arbeitet, verlässt Ende September den Konzern. Ihm soll dann an der Spitze des Aufsichtsrats der ehemalige Bayer-Chef Werner Wenning (65) folgen. Das Kontrollgremium wurde am Freitag für fünf Jahre neu gewählt. Dekkers und das Aufsichtsratsmitglied Paul Achleitner dankten Schneider für seine Verdienste. Der Konzernumbau, an dem der Aufsichtsratschef beteiligt war, sei eine „Herkulesaufgabe“ gewesen, sagte Achleitner, die „höchst erfolgreich bewältigt“ wurde. Die aktuellen Zahlen seien dafür der beste Beweis. Jahel Mielke

Die Risiko-Frage

Bayer drohen wegen der Klagen um die Antibaby-Pille hohe Kosten und Protest auf der Hauptversammlung

23. April 2012 – Zwanzig Minuten lang war Felicitas Rohrer klinisch tot – ihr Herz hatte nach einer Lungenembolie versagt. Viereinhalb Stunden operierten die Ärzte und retteten schließlich das Leben der 25-Jährigen. Rohrer hatte keine bekannten Vorerkrankungen, kein Risiko in der Familie. Warum sie so schwer krank wurde, ist für die junge Frau klar. „Bayer hat mein Leben zerstört“, sagt sie. „Dass ich überlebt habe, ist ein Wunder.“
Von Oktober 2008 bis Juli 2009 nahm die junge Frau die Antibaby-Pille Yasminelle des Leverkusener Chemie- und Pharmakonzerns. Mit der Produktfamilie, zu der das Präparat gehört, macht die Berliner Pharmatochter von Bayer einen Umsatz von mehr als einer Milliarde Euro im Jahr. Zugleich brachten die Mittel dem Konzern in den USA bisher mehr als 11 300 Klagen wegen Gesundheitsschäden ein. Denn wegen des neuartigen Wirkstoffs Drospirenon, der in Yasmin, Yaz und Yasminelle steckt, stehen sie imVerdacht, ein höheres Risiko für Thrombosen zu bergen als andere Antibaby-Pillen. Thrombosen sind Blutgerinnsel, die in den Venen entstehen und zu Schlaganfällen und Embolien führen können. Auf der Hauptversammlung von Bayer am Freitag soll es erneut Protest gegen die Präparate geben.
Felicitas Rohrer bekam Anfang 2009 schlechter Luft, fühlte sich schlapp, hatte Schmerzen im Bein. „Ich dachte, das ist der Stress“, sagt sie. Sechs Monate später brach sie zusammen. Heute, knapp drei Jahre später, kämpft sie noch immer mit den Folgen dieses Tages. Vor dem Zusammenbruch hatte Rohrer ihr Studium zur Tierärztin abgeschlossen, nun kann sie ihren Beruf nicht mehr ausüben. Um ihr Leben zu retten, mussten die Ärzte ihr Brustbein durchtrennen. „Ich darf nichts Schweres mehr heben, kann nicht lange stehen“, sagt Rohrer. Dass sie täglich blutverdünnende Mittel einnehmen muss, ist weit mehr als lästig. „Kinder werde ich, solange ich die Mittel schlucke, nicht bekommen können“, sagt sie.
Im vergangenen Jahr entschied die heute 27-Jährige, Bayer zu verklagen. Sie war die erste, die das hierzulande tat. Denn anders als in den USA sind in Deutschland keine Sammelklagen möglich, das Risiko für die Betroffenen ist viel höher. Schmerzensgeld und Schadenersatz will Rohrer, und mittlerweile ist sie nicht mehr die einzige. Als sie 2011 mit ihrem Fall an die Öffentlichkeit ging, lernte sie drei weitere Betroffene kennen, mit ihnen gründete sie eine Selbsthilfegruppe. Eine der Frauen, Kathrin Weigele, geht nun ebenfalls gerichtlich gegen Bayer vor.
Rohrers Anwalt verweist auf die „schädlichen Wirkungen“ von Yasminelle, „die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen“. Drospirenon, so konstatiert der Anwalt, führe im Vergleich zu Pillen der vorherigen Generation zu einem „bis zu doppelten Thromboserisiko“. Bayer verneint dies. „Alle kombinierten oralen Kontrazeptiva von Bayer, auch die mit Drospirenon, haben ein positives Nutzen-Risiko-Profil, wenn sie gemäß ihrer Indikation eingenommen werden“, teilte eine Bayer-Sprecherin auf Anfrage mit. Es gebe keine einheitliche wissenschaftliche Meinung dazu, ob das Risiko bei Drospirenon-Pillen höher sei als bei anderen. Zu Felicitas Rohrers Fall wollte Bayer sich mit Hinweis auf das laufende Verfahren nicht äußern. „Wir bedauern, was Frau Rohrer widerfahren ist“, sagte die Sprecherin.
In den USA gerät Bayer wegen der Klagen nun zunehmend unter Druck. Die Verfahren sind derzeit offiziell ausgesetzt, die Mediation, die der Richter Ende 2011 angeordnet hatte, läuft aber nur noch bis zum 30. April. Mit 170 Klägern hat Bayer nach eigenen Angaben bereits einen Vergleich in unbekannter Höhe geschlossen – ohne Anerkennung einer Haftung. Die Nachrichtenagentur Bloomberg berichtete unter Berufung auf Insider jüngst, dass der Konzern sich mit 500 Klägern auf eine Summe von mindestens 110 Millionen Dollar geeinigt habe – pro Fall wären das 220 000 Dollar. „Neben einem Schmerzensgeld steht den Klägern auch ein materieller Schadenersatz zu, wegen Verdienstausfällen, Haushaltsführungsschäden, Fahrt- oder Beerdigungskosten“, sagte Tobias Kiwitt, Rechtsanwalt in der Kanzlei Ciper & Coll.
Bayer bestätigte die Zahlen nicht, einige Analysten reagierten aber alarmiert. Die bisherige Schätzung der Belastung des Konzerns sei zu niedrig, schrieben Experten der Investmentbank JP Morgan. Sie schätzten die Gesamtkosten zur Beilegung aller 11 300 Fälle damit auf über zwei Milliarden Euro. Bayer teilte dazu mit, dass der Konzern „von Fall zu Fall“weiter „die Möglichkeit eines Vergleichs einzelner Rechtsstreitigkeiten in den USA in Betracht ziehen“ werde. Mit zusätzlichen Verfahren sei zu rechnen. Der Konzern sei in „industrieüblichem Umfang gegen Produkthaftungsrisiken versichert“. Abhängig vom weiteren Verlauf der Yasmin- und Yaz-Klagen sei es allerdings möglich, dass der bestehende Versicherungsschutz nicht ausreichen könnte, um sämtliche Verteidigungskosten und etwaige Schadenersatzleistungen vollständig abzudecken, hieß bei Bayer in Berlin.
Die Chancen der Kläger könnten zudem durch die jüngste Verschärfung der Warnhinweise für die drospirenonhaltigen Pillen in den USA gestiegen sein. Vor etwa zwei Wochen passte Bayer den Beipackzettel auf Drängen der US-Gesundheitsbehörde FDA an, nun wird davor gewarnt, dass das Thromboserisiko bei diesen Pillen im Vergleich zu anderen Verhütungsmitteln höher sein könnte. In der EU waren die Warnhinweise für Yaz, Yasminelle und Yasmin, die seit 2001 auf dem Markt sind, schon im vergangenen Jahr verschärft worden.
Wann die Verfahren in den USA wieder aufgenommen werden, ist offen. Auch Felicitas Rohrer wartet auf ihren Prozess. Sie hatte versucht, sich mit Bayer außergerichtlich zu einigen, war damit aber gescheitert. „Ich will Gerechtigkeit“, sagt sie, „und dass Bayer Verantwortung für seine Produkte übernimmt.“ Zwei Mal hat sie bereits auf der Hauptversammlung des Konzerns gesprochen, dieses Mal, am Freitag, wird nur ihr Anwalt auftreten. Rohrer will sich auf ihren Neuanfang konzentrieren, gerade macht sie eine Ausbildung zur Journalistin. „Nochmal auf der Hauptversammlung zu sprechen, dafür fehlt mir gerade die Kraft“, sagt sie. von Jahel Mielke