BAYER vs. Nelson Mandela
Wie die WM 2006 nach Deutschland kam
Eigentlich galt das gerade der Apartheidspolitik entkommene Südafrika als Favorit in der Wahl des Gastgeber-Landes der WM 2006. Das war im Weltfußball mehr oder weniger beschlossene Sache – wer sollte es schon mit dem Sympathie-Träger Nelson Mandela aufnehmen können? Offiziell ließ sich das wunderbar als Anerkennung des afrikanischen Fußballs verkaufen, und trotzdem hätte die Vermarktung angesichts der kapitalistischen Infrastruktur in Südafrika kaum gelitten.
Doch bekanntermaßen wurde daraus nichts. Als es galt, um die Simmen der Länder-VertreterInnen zu werben, setzte sich gegen die weichen Standortfaktoren doch die harte Wirtschaftsmacht von BAYER & Co. durch.
Ein strahlender Franz Beckenbauer an der Spitze des deutschen Bewerbungskomitees konnte nach der Abstimmung in seiner bekannten Art in die Mikrofone stammeln, wie überwältigt und überrascht vom 12:11-Abstimmungssieg Deutschlands über Südafrika er sei. Der Öffentlichkeit wurde darüber hinaus verkauft, dass die Stimm-Enthaltung des damals 79-jährigen Charles Dempsey aus Neuseeland den Ausschlag gegeben habe. Dempsey war vom neuseeländischen Verband eigentlich mit der Stimmabgabe für Südafrika beauftragt worden.
Dempsey hat nach eigenen Aussagen noch nie soviel telefoniert wie in der Nacht vor der Abstimmung, der prominenteste Anrufer sei Nelson Mandela gewesen. Doch Dempsey hat nie preisgegeben, was er mit wem besprochen hat. Nach der Abstimmung setzte eine gewaltige Presse-Kampagne gegen Dempsey ein. In Südafrika wurde ein Haftbefehl gegen ihn ausgestellt, Tony Blair persönlich begründete, warum die englische Regierung einen Asylantrag Dempseys abgelehnt hatte. Und als der alte Mann schließlich doch nach Neuseeland reiste, wurde er noch auf dem Flughafen tatsächlich vorübergehend verhaftet.
Doch Charles Dempseys Abstimmungsverhalten war nur eine Petitesse in einem anderen Spiel, das sich hinter der weltweiten Aufgeregtheit um den Neuseeländer trefflich verbergen ließ. Um die eigentlich feststehende Entscheidung für Südafrika zu kippen, war mehr nötig als der (angebliche) Charme von Franz B. oder die Mucken eines Greises. Dahinter steckte das, was
die Werbeoffensive von Bundesregierung und des BDI zur WM 2006 ursprünglich als 1.FC Deutschland präsentieren wollte – die großen Konzerne nämlich.
Besonders BAYER und DAIMLERCHRYLSER wurden unmittelbar vor der WM-Standortbestimmung aktiv. Der Leverkusener Chemie-Multi hoffte, mit der BayArena als Spielort zugleich auch den Firmen-Namen per TV-Übertragungen um die ganze Welt tragen zu können. So wurden im Verbund mit der Bundesregierung milliardenschwere Asien-Geschäfte dort angekurbelt, wo Stimmen bzw. Unterstützung für die deutschen Bewerber zu holen waren – in Katar, Saudi-Arabien, Südkorea und Thailand. Diese vier Länder wurden im Hauruck-Verfahren auf Deutschland als WM-Ausrichter eingeschworen.
Wie? Zum Beispiel so. Ende Juni 2000 hatte die BAYER AG den südkoreanischen Kunststoff-Hersteller SEWON ENTERPRISES erworben, der 40 Prozent des heimischen Markt-Segments hielt. Zudem kündigte der Konzern die Eröffnung einer Firma zur Herstellung von Pestiziden an. Zugleich wurden Thailand Großinvestitionen in Aussicht gestellt: Im Werk Map Ta Phut, hieß es Anfang Juli, solle die Polycarbonat-Produktion verdreifacht werden. Die BAYER AG, die in ihren weltweiten Filialen gern Fifa-Offizielle bewirtet, gab eine Woche vor der Wahl zudem bekannt, einen Großstandort in China aufzubauen.
Zeitgleich wurde DAIMLERCHRYSLER aktiv: Der Konzern schloss seine Allianz mit dem südkoreanischen Autobauer HYUNDAI, und von Thailands Fifa-Vertreter Worawi Makudi wurde bekannt, dass dessen Frau mit MERCEDES-Autos handelte. Daneben entfaltete die Politik Aktivitäten. Am 28. Juni 2000 stimmte der Bundessicherheitsrat unter Kanzler Schröder der Lieferung von 1.200 Panzerfäusten an Saudi-Arabien zu. Auch BASF kündigte für Thailand eine 800 Millionen-Mark-Investition an. Was war dagegen ein Anruf von Nelson Mandela?
Natürlich bleibt es Spekulation, wenn nun vermutet werden kann, dass die Entscheidung für Deutschland als WM-Ausrichter 2006 gekauft wurde, aber es braucht schon die Lebenserfahrung eines Mönches mit Schweigegelübde, um zu glauben, dass alle 12 Stimmen für die Deutschland AG aus freien Stücken und unbeeinflusst abgegeben wurden. Trotzdem hat sich das Engagement für den Leverkusener Chemie-Multi nicht gelohnt. „Sein“ Bundestrainer entpuppte sich bei der EM nämlich als Niete in den drei ADIDAS-Streifen und verlor den Job. Sein Nachfolger Jürgen Klinsmann erkannte sogleich, wie ungeeignet die BayArena als Trainingsstätte der Nationalelf ist und wählte einen anderen Ort. Nicht einmal mit dem Verweis darauf, welche „Verdienste“ BAYER doch im Verlauf der WM-Bewerbung erworben hatte, ließ der neue Mann sich umstimmen.
Von Siggi Emmerich