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[Williams] Bayer HV 2012

CBG Redaktion

Rede bei der Bayer Hauptversammlung 2012 von Valerie Williams

Übersetzt und vorgetragen von Karin Riedhammer

Guten Tag meine Damen und Herren.

Mein Name ist Valerie Williams. Einige werden sich an meine Rede von 2009 erinnern.

Seitdem habe ich in den Archiven der Britischen Regierung geforscht und verschiedene Dokumente gefunden. Dokumente, die die Angelegenheit, über die ich heute spreche betreffen.

Ich spreche als Gründungsmitglied der Vereinigung für Kinder, die durch den Hormon-Schwangerschaftstest PRIMODOS geschädigt wurden. Dieser Schwangerschaftstest wurde von Schering, heute Bayer Schering hergestellt und vertrieben. In Deutschland unter dem Namen Duogynon.

Mein Sohn Daniel wurde mit mehrfachen Behinderungen geboren, nachdem ich diesen Schwangerschaftstest 1974 eingenommen hatte.

Als ich Primodos 1975 noch einmal wegen Menstruationsstörungen verschrieben bekam, war der Packung nun eine Warnung beigefügt. Eine Warnung, das Medikament dürfe wegen möglicher Schädigung des ungeborenen Kindes während einer Schwangerschaft nicht eingenommen werden.

Seitdem kämpfe ich um Gerechtigkeit für die Primodos-Opfer. Ich werde nicht aufhören, bis Bayer für das Geschehene Verantwortung übernimmt.

Ich wünsche mir, dass Bayer die Fehler eingesteht und sich entschuldigt. Entschuldigt bei all den Müttern, Vätern und Kindern, die leiden mussten. Bei den Menschen, die immer noch an den Schäden leiden, die ihnen im Mutterleib zugefügt wurden.

Primodos ist ein Beispiel dafür, was passieren kann, wenn dem Profit Vorrang gegeben wird, und nicht der Menschlichkeit.
Medizin wird zur Heilung verwendet, wenn sie aber falsch verwendet wird oder Schäden verursacht bis hin zu Krankheit, Missbildungen und Tod, dann ist sie keine Medizin, sondern Gift.

Das Hormon Norethisteron (wie es in Primodos enthalten war) ist eine Arznei, die verschiedene nützliche Eigenschaften besitzt. Es wird heute weit verbreitet und völlig legitim eingesetzt, zum Beispiel in Anti-Baby-Pillen, wenn es auch hier einige Bedenken gibt. Die Dosis von Norethisteron war in Primodos aber um ein vielfaches höher als in herkömmlichen Anti-Baby-Pillen. Ich bin keine Wissenschaftlerin, aber ich finde es war ein Wahnsinn, solch hohe Dosen in einem so frühen Stadium des Lebens zu verabreichen.

Wir, die Frauen die Primodos einnahmen – auf Verordnung von Ärzten, denen wir vertrauten – taten dies nicht wegen einer Krankheit oder weil wir abtreiben wollten. Wir nahmen das Medikament, weil man uns versicherte, es sei ein sicherer Schwangerschaftstest.

Es gab zu dieser Zeit bereits sichere Schwangerschaftstests, zum Beispiel den Urin-Test. Aber unsere Ärzte informierten uns nicht darüber. Anstatt dessen verordneten sie uns Primodos.

Es war nicht notwendig, dass wir dieses gefährliche Präparat einnahmen. Unser Leben und das Leben unsere Kinder wurde ohne jeden Grund geschädigt.

Stimmen Sie nicht zu, dass es ein Fehler war, dieses Medikament als Schwangerschaftstest einzusetzen?

Schon viele Jahre bevor Primodos als Schwangerschaftstest vermarktet wurde, stellten viele Mediziner die Sicherheit der Anwendung solcher Hormonpräparate in Frage.

1958 schrieb Dr. J. Edwards von der Universität Birmingham, dass hohe Hormondosen während der frühen Schwangerschaft fötale Missbildungen hervorrufen was tätlichen Verletzungen gleichkomme.

1969 schrieb Schering, heute Bayer Schering, dem Britischen Ausschuss für Sicherheit und Medizin, dass Primodos wegen der hohen Rate von Fehlgeburten bei einer Studie mit Ratten zurückgezogen würde. Warum wurde das Präparat trotzdem noch bis 1975 hergestellt und als sicherer Schwangerschaftstest vertrieben?

Warum ignorierte Schering den Ratschlag von Dr. Briggs, dem Medizinischen Direktor ihrer eigenen britischen Abteilung, der das Mutterhaus in Deutschland drängte, das Präparat aus Sicherheitsgründen vom Markt zu nehmen?

Welche Gründe hatten Sie, Primodos weiter herzustellen? Während einer Zeit, in der bereits viele Fragen zur Sicherheit des Präparates aufkamen? Wie konnte so etwas passieren? Wieso war man einverstanden, dass es passierte?

Ab 1975 wurde jeder Packung Primodos eine Warnung beigegeben, das Präparat sei wegen möglicher Geburtsschäden nicht während der Schwangerschaft einzunehmen. Das war zu spät für tausende von ungeborenen Kindern, die schon im Mutterleib geschädigt worden waren

Nicht einmal die Packungen, die ohne Warnhinweis in den Vertrieb gegangen waren, wurden zu diesem Zeitpunkt zurückgerufen. Es gab auch keine Ärzteschulungen, um die neuen Sicherheitshinweise bekannt zu machen.

Im Vergleich hierzu verhielt sich das französische Pharmaunternehmen Roussel ehrenhaft und nahm 1969 seinen hormonbasierten Schwangerschaftstest wegen schädlicher Nebenwirkungen vom Markt.

Primodos wurde in England schließlich 1975 und dann noch einmal 1978 verboten.

Die schwerwiegenden Folgen, das Medikament nicht sofort, als Alarmglocken läuteten, vom Markt zu nehmen, wirken sich heute noch auf Familien aus. Die Interessen dieser Menschen wurden auf dem Altar der Profitgier geopfert.

Schwere Schicksale hätten vermieden werden können. Sollte ein Unternehmensgewissen, wenn es so etwas gibt, nicht beinhalten, das Unternehmen die Verantwortung für die Folgen ihrer Entscheidungen übernehmen müssen? Entscheidungen, die diejenigen betreffen, denen das Unternehmen doch dienen will, nämlich den Mitgliedern der Allgemeinheit?

Auch die Britische Regierung muss den Konsequenzen ihrer Fehler ins Auge sehen, weil sie nicht schnell genug handelte, als die potentielle Gefahr von Primodos bekannt wurde.

Eine Kultur der Halbwahrheiten, Lügen und Verschleierung hat diese Angelegenheit 40 Jahre lang umgeben. Auch unsere Regierung muss die Fehler der Vergangenheit einsehen und von ihnen lernen.

Wir bitten Bayer endlich die Verantwortung für unser Unglück und unser Leiden zu übernehmen.

Ich bitte Sie Aktionäre, denken Sie an die Liebe und Fürsorge, die Sie Ihren eigenen Kindern entgegenbringen. Wären Sie gegen uns, wenn Ihr Leben genauso wie unseres betroffen wäre? Denken Sie an all die Eltern, denen es nie möglich war, ihre Kinder zu sehen, zu hören, zu berühren, zu riechen oder sie in die Arme zu nehmen. Wie würden Sie sich fühlen, wenn Sie an unserer Stelle wären? Unsere Kinder wurden von einer giftigen Dosis Chemikalien niedergestreckt. Chemikalien, die von Schering hergestellt und vertrieben wurden. Wo ist ihre Menschlichkeit, wenn Sie uns nicht helfen?

BAYER, die Opfer Ihrer Fehler müssen für die Jahre des Leidens entschädigt werden.

Kürzlich ist die Abgeordnete des britischen Unterhauses, Yasmin Querishi, unserer Kampagne beigetreten, nachdem sie sich mit dem Fall ihrer Wählerin Nicola Walton beschäftigt hat.

Yasmin hat bereits einen Antrag ins Parlament eingebracht, um die Unterstützung von weiteren Abgeordneten zu erreichen und eine öffentliche Anhörung dieser komplexen und tragischen Geschichte auf den Weg zu bringen. Wir hoffen, dass diese Debatte im House of Westminster bald stattfindet. Ich werde natürlich an dieser Debatte teilnehmen und die Presse darüber informieren.

Wir Primodos-Opfer fordern von Bayer, die volle Wahrheit über Primodos zu veröffentlichen, einschließlich der Hinweise auf Probleme, die Ihre eigenen Forschungen ans Licht brachten.

Mein letzter Besuch bei der Bayer-Hauptversammlung 2009 brachte mir keine Antworten auf meine Fragen.

Ich habe heute einige meiner Fragen widerholt und hoffe, dass ich heute eine bessere und angemessenere Erwiderung erhalten werde.

Sowohl unsere Zukunft als auch Ihre Zukunft liegt in Ihren Händen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.