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[Väter und Söhne] STICHWORT BAYER 01/2010

CBG Redaktion

Die IG-FARBEN-Saga auf DVD

„Es kann keinen Schlussstrich geben“

Mitte der 80er Jahre hat der Filmemacher Bernhard Sinkel ein düsteres Kapitel deutscher Industrie-Geschichte aufgeschlagen und sich in einem TV-Mehrteiler dem von BAYER mitgegründeten Mörder-Konzern IG FARBEN gewidmet. Nun ist das Werk auf DVD erschienen.

Von Burkhard Ilschner

Der 65. Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz Ende Januar war vielen Medien ein Anlass für Rückschauen auf die brutale Vernichtungsmaschinerie des Hitlerfaschismus. Aber nur selten fand dabei Erwähnung, dass dieses KZ nicht nur ein „Produkt“ des Naziregimes, sondern ganz wesentlich auch der IG FARBEN gewesen ist. Eigens für diesen gigantischen Chemie-Konzern war ab 1940 das Lager Auschwitz III (Monowitz) errichtet worden, hier wurden synthetischer Kautschuk (Buna) und synthetisches Benzin produziert, was Hitler den Krieg verlängern half.

Wenige Tage vor dem Gedenktag zur Auschwitz-Befreiung ist eine DVD-Kollektion erschienen, die in packender und bewegender Form an dieses dunkle Kapitel deutscher Industriegeschichte erinnert: Fast 25 Jahre ist es her, dass sich der soeben 70 Jahre alt gewordene Autor und Regisseur Bernhard Sinkel filmisch mit der Geschichte der IG FARBEN auseinandergesetzt hat. „Väter und Söhne“ hieß der 1986 erstmals ausgestrahlte vierteilige Fernsehfilm, der anlässlich Sinkels Geburtstag jetzt – endlich – auf DVD erschienen ist. „Es kann keinen Schlussstrich geben“, so gibt Sinkel in einem aktuellen Interview seinen Antrieb wieder, Mitte der achtziger Jahre dieses Projekt anzugehen.

Thema der ungewöhnlichen „Familien-Saga“ ist ein Stück deutscher Industrie- und Zeitgeschichte, dargestellt anhand eines fiktiven Chemiefabrikanten-Clans zwischen Beginn und Mitte des 20. Jahrhunderts. Unternehmer Carl Julius Deutz (Burt Lancaster) dirigiert seine Firma und seine Familie patriarchalisch durch Kaiserreich und Ersten Weltkrieg und verdient gut dabei. Zum einen mindert die so genannte Ammoniak-Synthese die Abhängigkeit des Reichs von Salpeter-Importen, die für Sprengstoff- und Munitionsproduktion unerlässlich sind; das offiziell nach seinen Erfindern Fritz Haber und Carl Bosch benannte Verfahren wird im Film von Deutz-Schwiegersohn Heinrich Beck (Bruno Ganz) entwickelt. Zum anderen zeigt Sinkel eindringlich, aber auch mit einer Portion gesunden Zynismus‘, wie im Deutz-Konzern die Giftgas-Entwicklung vorangetrieben und getestet wird. Sohn Friedrich Deutz (Dieter Laser) überlebt zwar einen heldenhaften Selbstversuch nur knapp, das hindert ihn aber später nicht an den entsprechenden Geschäften. Lange wehrt sich der eigensinnige Patriarch gegen die von Sohn Friedrich und Schwiegersohn Heinrich betriebene vaterländische Kooperation mit der Konkurrenz und die angestrebte Fusion zur IG FARBEN (in der Wirklichkeit ganz wesentlich initiiert durch den damaligen BAYER-Chef Carl Duisberg). Vergeblich: Nach dem Tode des alten Deutz steuern die beiden Erben als IG-Führer den Mammut-Konzern mal gierig-begeistert, mal zaudernd direkt in die Zusammenarbeit mit den Nazis, in weitere Kriegsgeschäfte und vor allem in die Vernichtungsmaschine „IG Auschwitz“.

Der Film endet mit dem Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozess gegen die IG-Führung 1947 – und lässt keinen Zweifel daran, dass die verbrecherischen Manager dabei mit (zu) glimpflichen Strafen davon kamen. Sinkel präsentiert diesen brisanten Stoff als eine typische Fernseh-Miniserie – mit Herzschmerz und Eifersucht, Seitensprung und Intrigen, Trauer und überbordender Freude. Es ist diese Dramaturgie, die den Film so beeindruckend macht: Der Zuschauer sieht Männer, die für Profit und Macht buchstäblich über Leichen gehen, als Menschen mit Stärken und Schwächen; er sieht, wie andere in ihrem Umfeld sie kritisieren oder sich abkehren – ohne dass dies an ihrer Gier und ihrer Skrupellosigkeit letztlich etwas änderte. „Väter und Söhne“ war und ist ein in Besetzung wie Kulisse opulentes Werk. Es ist ein aufrüttelndes, aber auch widersprüchliches Manifest. Es ist ein fulminantes Kultur- und Sittengemälde, aber auch eine knapp neun Stunden währende Schmonzette, die sich wechselseitig immer wieder selbst erfindet und ad absurdum führt. Und es ist eine Anklage, die so entschlossen und so Zweifel weckend zugleich daherkommt, dass sie den interessierten ZuschauerInnen eine weitergehende Auseinandersetzung mit der Geschichte der IG FARBEN geradezu aufzwingt: Unterhaltungsfernsehen als Initiator politischen Interesses und Engagements. All dies macht „Väter und Söhne“ zu einem wichtigen und eigentlich heute viel zu wenig beachteten Werk. Zwar liefen die vier Folgen 1986 im ersten ARD-Programm, zwar haben ARD, 3sat und WDR die Serie zwischen 1990 und 2000 je einmal wiederholt – aber das war auch schon alles. Knapp zehn Jahre lang hat es im sonst so wiederholungsträchtigen öffentlich-rechtlichen Fernsehen keine weitere Ausstrahlung gegeben. Das hat prompt zu Spekulationen geführt. Schon 2006 erschien in einem Internet-Forum die Vermutung, die „immer noch existierende Firma IG FARBEN … (könne) ihren Einfluss geltend gemacht und … eine Wiederholung verhindert“ haben. Nährboden fanden solche Gerüchte in Veröffentlichungen wie der des ehemaligen Grimme-Direktors Lutz Hachmeister. Der hatte 1993 in einer Bilanz angedeutet, die Aufführung des Sinkel-Vierteilers im Grimme-Institut 1987 habe Sponsoren wie die damaligen CHEMISCHEN WERKE HÜLS AG in Marl, eines der Unternehmen aus der von den Alliierten vorgenommenen Zerschlagung des IG-FARBEN-Konzerns, verärgert. Während Hachmeister auf diesbezügliche Nachfragen des Autors nicht reagierte, hat Sinkel selbst, auf derartige Vermutungen angesprochen, dergleichen als „schwer zu beweisen“ abgewehrt und setzt dem eine profanere These entgegen. Im aktuellen Interview, das als DVD-Bonus mitgeliefert wird, bedankt er sich nachdrücklich beim WDR der achtziger Jahre, der ihm damals alle Freiheiten gelassen habe – und kritisiert, dass heutige Programmgestaltung so sendezeit-aufwändige Filme wie „Väter und Söhne“ jenseits aller Qualitätserwägungen zu blockieren scheine.

Apropos Qualität: „Väter und Söhne“ glänzt dank hervorragender Besetzung durch viele szenische Highlights, die wiederholtes Anschauen unverzichtbar machen. Da gibt es leidenschaftliche Höhen und Tiefen im Familienleben des Deutz-Clans wie etwa die Auseinandersetzung des Patriarchen mit seinem abtrünnigen Enkel Georg (Herbert Grönemeyer) oder die Liebesaffäre von Georgs Mutter Charlotte (Julie Christie) mit dem Freund des Sohnes, Max Bernheim (Hannes Jaenicke). Nicht weniger beeindruckend sind etliche Szenen des politischen Geschehens, beispielsweise die patriotischen Bekenntnisse des jüdischen Konzern-Bankiers Bernheim (Martin Benrath als Vater von Max), der die Verfolgung durch die Nazis erst zu verdrängen sucht („der Pöbel regt sich auf, der Pöbel beruhigt sich wieder“), ihr dann mit Stolz entgegentritt („ich wünsche, über die Vordertreppe hinausgeworfen zu werden“) – und schließlich doch ihr Opfer wird.

Aufrüttelnd wirkt auch die akribische Darstellung der Verflechtung zwischen deutscher IG FARBEN und US-amerikanischer STANDARD OIL, die nach 1945 maßgeblich Nürnberger Prozess und Struktur der Chemieindustrie beeinflusste. Packend zeichnet Sinkel den genialen, aber auch zerrissenen Chemiker Heinrich Beck: Der ergeht sich in kindlicher Freude über wissenschaftliche Erfolge oder den Nobelpreis, ist bezüglich der Kooperation mit den Nazis hin- und hergerissen, demonstriert zynisch entschlossene Mittäterschaft ebenso glaubwürdig wie dumpfe, alkoholisierte Verzweiflung – die Rolle, der 1986 in etlichen Kritiken Charakter-Elemente von Carl Bosch und Fritz Haber nachgesagt wurden, wäre in ihrer Intensität ohne ihren nicht minder genialen Darsteller Bruno Ganz schwer denkbar.

Aus heutiger Sicht gehört es übrigens zu den herausragenden Skurrilitäten dieses Films, Beck in jener historisch verbrieften Auseinandersetzung mit Adolf Hitler zu erleben, in der der IG-FARBEN-Manager um die Sicherheit der jüdischen Wissenschaftler bettelte, worauf der Führer ihn aus der Reichskanzlei werfen ließ. In der Wirklichkeit hat dieser Streit zwischen Hitler und Carl Bosch stattgefunden – im Film trifft Hans Brenner als Hitler auf jenen Bruno Ganz (als Beck), der 18 Jahre später in Bernd Eichingers Film „Der Untergang“ selbst den Führer spielen sollte. Zusammengefasst kann man Sinkels jetzt endlich wieder verfügbares Werk als eine Abrechnung der ungewöhnlichen Art bezeichnen: Die Familien-Saga als Verpackung ist eine geschickte Täuschung, lässt sie doch gelegentlich den Eindruck einer Verharmlosung entstehen – nur um diesen sogleich durch die brutale Offenheit in der Darstellung der Verbrechen der IG FARBEN zu zerstören. Am Ende bleibt die Abrechnung – historisch und politisch bedingt – unsaldiert. Sinkel weist nicht nur auf die Nürnberger Urteile hin, sondern auch auf die Tatsache, dass viele IG-FARBEN-Führer wichtigen Anteil haben durften am wirtschaftlichen Aufbau der BRD. Er betont die aktuelle Macht von Konzernen wie BAYER, BASF oder HOECHST (heute SANOFI-AVENTIS) als ehemalige IG-FARBEN-Teile. Und die Bonus-Dokumentation über die IG FARBEN stellt heraus, dass dieser Konzern als „AG in Abwicklung“ (AG i. A.) bis heute nicht endgültig liquidiert, sondern nach wie börsennotiert ist. Unerwähnt bleibt, dass diese andauernde Existenz der IG FARBEN jahrzehntelang zur Blockade durchgreifender Entschädigungen für die ZwangsarbeiterInnen beigetragen hat. Unerwähnt bleiben auch die aktuellen (auf den alten IG-FARBEN-Profiten aufgebauten) Geschäfte von BAYER und anderen Nachfolgern – beispielsweise in Agrochemie, Gentechnik oder im Pharmasektor – und deren soziale wie ökologische Folgen. Es darf noch keinen Schlussstrich geben.

Sinkel, Bernhard: „Väter und Söhne – eine deutsche Tragödie“; mit Bruno Ganz, Dieter Laser, Martin Benrath, Burt Lancaster, Julie Christie u. v. a.; Copyright 1986 Bavaria Atelier GmbH für den WDR; herausgegeben von der Studio Hamburg GmbH, 2010, in der ARD-Video-Serie „Große Geschichten„ (Teil 27); vier DVDs mit 20-seitigem Booklet und Bonus-Material (Dokumentarfilm über das IG-FARBEN-Haus, Interview mit Bernhard Sinkel).

Der vorstehende Artikel stammt aus der Zeitschrift Waterkant – Umwelt + Mensch + Arbeit in der Nordseeregion (ISSN 1611-1583, www.waterkant.info), Jahrgang 25, Heft 1 (März 2010)