H.C. Starck finanziert Rebellengruppen
Die Hügel um die Stadt Mumba im Osten des Kongo sind mit Stollen und kleinen Bergwerken übersäht. Beim Untergang der Sonne klettern Minenarbeiter aus den schlecht befestigten Gräben, einige umklammern Plastiktüten mit schwarzem Sand. Die Arbeit ist hart und gefährlich – hunderte von Arbeitern wurden in den vergangenen Jahren in einstürzenden Stollen begraben. Zweimal wöchentlich kommen schwer bewaffnete Soldaten in die Region 50 km nordwestlich von Goma und kaufen den bröckeligen Sand für zehn bis zwanzig Dollar pro Kilo an – ein Vermögen in diesem Teil der Welt.
Coltan – die Abkürzung von Colombo-Tantalit – enthält das seltene Metall Tantal. Das extrem hitze- und säureresistente und einfach zu verarbeitende Edelmetall wird für die Produktion von Handys, Flugzeugmotoren, Airbags, Nachtsichtgeräten und hochmodernen Kondensatoren verwendet. Das Pentagon stuft Tantal als strategischen Rohstoff ein. Die wichtigsten Reserven liegen in Australien, Brasilien und Zentralafrika – in keinem Land der Welt aber spielt Tantal eine so große ökonomische Rolle wie in der Demokratischen Republik Kongo.
Als Coltan vor zwei Jahren im Verlauf des Handy-Booms knapp wurde, schoss der Preis in die Höhe. An der Londoner Metallbörse stieg der Tantalpreis zwischen Februar 2000 und Januar 2001 von 75 auf knapp 400 Dollar pro Kilo. Die steigenden Preise führten zu einem Konzentrationsprozess, bei dem nur die zahlungskräftigsten Firmen noch zum Zuge kamen. Die Aussichten auf fette Profite riefen zahlreiche Kleinhändler auf den Plan, die sich nach unkonventionellen neuen Bezugsquellen wie dem Kongo umsahen. Viele kongolesische Goldgräber wechselten das Fach und schürften nun nach dem unscheinbaren Mineral.
Rohstoffe finanzieren Waffenkäufe
Der kongolesische Reichtum an Gold, Diamanten, Mineralien und Kupfer weckt seit jeher Begehrlichkeiten. Auf Seiten der kongolesischen Regierung ist die Übertragung von Schürfrechten an militärische Verbündete gut dokumentiert: Ölförderlizenzen gingen an Angola, Diamanten- und Kobaltminen an Simbabwe, Abbaurechte für Diamanten an Namibia. Die Rebellenarmeen, die rund die Hälfte des Staatsgebietes kontrollieren, verkaufen Holz, Kaffee, Diamanten und Gold. So verzehnfachte das mit den Aufständischen verbündete Uganda im Laufe des Krieges seine Goldexporte.
Die von Ruanda unterstützte Rebellengruppe RCD (Kongolesische Sammlung für Demokratie), die den Osten des Kongos beherrscht, finanziert sich hauptsächlich durch Coltan. Die RCD kontrolliert den Export, erhebt pro Tonne bis zu 10.000 Dollar Steuern und finanziert damit Waffenkäufe und Sold. Wir befinden uns schließlich im Krieg, erklärte ihr Kommandant Adolphe Onusumba Anfang 2001, wir müssen unsere Soldaten ausrüsten und bezahlen. Der Coltan-Verkauf bringt in einem guten Monat eine Million Dollar . Der Export läuft über die ruandische Hauptstadt Kigali, russische Antonov-Flugzeuge liefern den Rohstoff nach Europa und bringen auf dem Rückflug Waffen mit.
Neben dem Anheizen des Bürgerkriegs bewirkt der ungeregelten Abbau von Coltan auch die Zerstörung des Lebensraumes einer der letzten großen Menschenaffen-Populationen. Teile des Nationalparks Kahuzi-Biega, in dem einige Tausend Elefanten und Flachlandgorillas lebten, sind von den Minenarbeitern zerstört worden. Hauptnahrungsquelle im Dschungel ist das sogenannte „Bushmeat“ – Affen, Elefanten, Vögel und Krokodile.
Zwei bis drei Millionen Opfer
Der Belgier Erik Kennes, der die Auswirkungen von Bürgerkrieg und Rohstoffabbau für die Zivilbevölkerung untersucht, fasst die Situation wie folgt zusammen: „Die Bevölkerung arbeitet bis zur Entkräftung, um die Armeen zu ernähren, die sie ausbeuten.“ Das in Goma ansässige Pole-Institut schreibt in einer Studie über die sozialen Auswirkungen des Coltanbooms, dass Bauern ihre Felder brachliegen lassen oder in ihnen nach Coltan graben, statt Lebensmittel anzupflanzen. „Folgen wie Jugendkriminalität, Rückgang der Einschulungsquote, Zunahme von Gewalt und Prostitution oder der Umstand, dass Männer mit Taschen voller leicht verdienten Geldes ihre Familien verlassen, belasten das bereits durch den Krieg betroffene soziale Gefüge.“
Nach Angaben der UNO hat der Bürgerkrieg im Kongo seit 1998 2-3 Millionen Opfer gefordert, zum größten Teil durch Vertreibungen, Hunger und Krankheiten. Der Krieg im Kongo ist somit weltweit der verlustträchtigste Konflikt der vergangenen Jahre.
UN fordern Embargo
Die Hintergründe des Krieges beleuchtet ein Untersuchungsbericht der Vereinten Nationen, der vor allem die Lage im Osten des Kongo beleuchtet. Demnach dreht sich „der Konflikt in der Demokratischen Republik Kongo hauptsächlich um Zugang zu, Kontrolle von und Handel mit fünf mineralischen Ressourcen: Coltan, Diamanten, Kupfer, Kobalt und Gold.“ Weiter heißt es: „Die Folgen der illegalen Ausbeutung führen zu massiver Verfügbarkeit finanzieller Ressourcen für Ruandas Armee.“
Ruanda ist seit Beginn des Krieges die wichtigste militärische Kraft im Kongo, wobei lange Zeit unklar blieb, wie das winzige und vom eigenen Bürgerkrieg gezeichnete Land die enormen Kosten eines Kampfes an einer 1000 Kilometer langen Frontlinie finanzieren konnte. Der offizielle Militärhaushalt von Ruanda reicht kaum für den Sold der eigenen Armee. Ruandas Armee hat am Handel mit Coltan „über einen Zeitraum von 18 Monaten mindestens 250 Millionen Dollar verdient“, schätzt der UN-Bericht. „Dies reicht, um den Krieg zu finanzieren. Hierin liegt der Teufelskreis des Krieges. Coltan hat der ruandischen Armee die Fortdauer ihrer Präsenz in der Demokratischen Republik Kongo ermöglicht.“
Die UNO scheut sich nicht, auch die Verantwortlichen in den Ländern des Nordens zu nennen: Die Verbindung zwischen der Fortsetzung des Konflikts und der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen wäre nicht möglich gewesen, wenn nicht einige, die nicht zu den Konflikt-Parteien zählen, eine Schlüsselrolle gespielt hätten, willentlich oder nicht. Genannt werden die Firmen H. C. Starck, Cabot und Ningxia. Der Bericht empfiehlt ein temporäres Embargo für Mineralienexporte. Der UN Sicherheitsrat folgte diesem Votum auf Druck der USA allerdings nicht und beschloss lediglich, weitere Untersuchungen durchzuführen.
Bayer-Tochter verheddert sich in Widersprüche
Die in der UNO-Untersuchung genannte Firma H.C. Starck ist eine hundertprozentige Tochter des Leverkusener Bayer-Konzerns. Nach Recherchen der Washington Post wurde bis ins vergangene Jahr etwa die Hälfte des kongolesischen Tantalits von Starck weiter verarbeitet. Auch RCD-Sprecher Kin-Kiey Mulumba bestätigt: „Es gibt viele Deutsche, die Coltan kaufen“.
Die Firma gehört weltweit zu den wichtigsten Käufern seltener Metalle und ist Weltmarktführer bei der Tantal-Verarbeitung. Zu den wichtigsten Kunden von Starck gehört die Siemens-Tochter Epcos, die auf die Produktion von Chips spezialisiert ist.
Hauptsächlich durch den Tantal-Boom stieg der Umsatz der Firma im Jahr 2000 allein um über 50%. Im Bayer-Geschäftsbericht heißt es denn auch euphorisch: „Tantal heißt das Metall, ohne das heutzutage kein elektronisches Gerät mehr auskommt. Als feines Pulver dient es zur Herstellung leistungsstarker Elektrolyt-Kondensatoren, die in Handys, Personal-Computern oder CD-Spielern eingesetzt werden. Die Bayer-Tochtergesellschaft H. C. Starck produziert einen großen Teil des Weltbedarfs an diesem Spezialpulver – und ist damit sehr erfolgreich.“
H.C. Starck weist auf Anfrage jegliche Verantwortung von sich, verheddert sich dabei aber in Widersprüche. Ein Brief der Coordination gegen BAYER-Gefahren vom Dezember 2000 (sechs Monate vor Veröffentlichung des UN Berichts), in dem sich der Verein nach den Partnern im Kongo und der Höhe der Aufwendungen erkundigte und in dem die Gefahr einer Finanzierung des Bürgerkriegs ausgesprochen wurde, wurde lapidar beantwortet – aus Wettbewerbsgründen könnten die gewünschten Auskünfte nicht erteilt werden. Wenige Monate später erklärte Firmensprecher Manfred Bütefisch, in der Praxis ist nur schwer nachvollziehbar, ob Rohstoffe aus der Krisenregion oder anderen Teilen Afrikas stammen. Auch dass Händler, die in Deutschland Tantal anbieten, sich aus dem Kongo versorgen, könne man „nicht ausschließen“. Einen Monat später erfolgt die Rolle rückwärts: H.C. Starck bezieht keine Rohstoffe aus der Krisenregion. Einen Nachweis blieb die Firma aber schuldig, da sie ihre Zulieferer nicht nennen will.
Nachdem Recherchen verschiedener Medien eine Verbindung zwischen der Bayer-Tochter und den Händlern im Osten des Kongo nachwiesen, ruderte das Unternehmen erneut zurück: Im Oktober 2001 gab Unternehmenssprecher Bütefisch in einem Interview zu, wir beziehen unser Material direkt aus der Stadt Goma von einem uns bekannten Händler. Nach allen Informationen, die uns vorliegen, ist es absolut sauber. Bütefisch gab sich weiterhin „fest davon überzeugt, dass von dem Geld für Coltan-Lieferungen weder Rebellen unterstützt noch Entwicklungen begünstigt würden, die eine Verletzung des angrenzenden Nationalparks zur Folge hätten“. Es bleibt Bütefischs Geheimnis, wie das Unternehmen Rohstoffe aus dem Ost-Kongo beziehen will, ohne die Rebellen zu unterstützen – da die RCD Steuern auf Coltan-Ausfuhren erhebt, liefe die Argumentation des Unternehmens auf Schmuggel hinaus.
Gegenüber der Financial Times war sich H. C. Starck auch nicht zu schade, dreist zu lügen: Wir sind erst durch den Bericht der Vereinten Nationen Mitte April 2001, der Verf. auf die besondere Situation in dieser Region aufmerksam geworden – also sechs Monate nach der abschlägig beschiedenen Anfrage der Coordination gegen BAYER-Gefahren. Zudem lasse sich das Unternehmen die Seriösität ihrer Geschäftspartner durch das Auswärtige Amt bestätigen. Das AA hingegen weist auf Nachfrage darauf hin, dass es grundsätzlich keine amtlichen Stellungnahmen pauschaler Art über die Seriösität einzelner ausländischer Firmen abgebe .
Recherche nach „Wallraff-Methode“
Auch gegenüber dem Journalisten Klaus Werner, Autor des „Schwarzbuch Markenfirmen“, verweigerte das Unternehmen mit Verweis auf interne Daten jegliche Auskunft. Ob die Firma das wertvolle Pulver auch aus dem Kongo bezieht, gab Sprecher Bütefisch auch nach beharrlichem Insistieren nicht preis: Ich werde weder das eine noch das andere sagen. Um der Wahrheit auf die Spur zu kommen, sah sich Klaus Werner deshalb gezwungen, die Wallraff-Methode anzuwenden. Er schlüpfte in die Haut eines Tantalit-Händlers aus dem Kongo, legte sich die Internet-Identität Robert Mbaye Leman, Wohnort: Arusha, Tansania, Beruf: Rohstoffhändler zu und mailte H. C. Starck ein Angebot. Die Antwort kam postwendend: Wir sind generell interessiert am Kauf allen Tantalit-Rohmaterials. Lassen sie uns bitte eine Analyse, eine Probe und ihre Preis-Vorstellung zukommen. Nachdem wir diese Informationen bekommen haben, werden sie schnell unsere Antwort erhalten. Um der möglichen Aufmerksamkeit der deutschen Öffentlichkeit zu entgehen, trat H. C. Starck/Thailand als Kauf-Interessent auf – wozu ist man schließlich ein Welt-Konzern!
Die schmutzige Quelle Kongo schmälerte das Interesse an dem Tantalit ebenso wenig wie das Bekenntnis Lemans/Werners, er beziehe die Ware über die SOMIGL. Diese Firma wurde von der RCD gegründet und handelt nicht nur mit Bodenschätzen, sondern auch mit Waffen und nimmt es dabei mit den Zoll-Bestimmungen nicht immer genau. Geschäft ist Geschäft – darauf können sich eben alle Beteiligten an der Kriegswirtschaft jederzeit einigen.
Die Lügen und das Geschäft gehen weiter
Nach der Veröffentlichung eines weiteren UN Berichts im Sommer diesen Jahres kam von Starck eine letzte Kehrtwendung: „Seit August 2001 kauft H.C. Starck kein Material aus Zentralafrika mehr.“ Erneut behauptet das Unternehmen, in der Vergangenheit keine Abgaben an Rebellengruppen geleistet zu haben. Wenige Monate später entpuppte sich jedoch auch diese Aussage als Lüge: in einem weiteren Untersuchungsbericht wies die UNO nach, dass H.C. STARCK von der in Bukavu/Kongo ansässigen Firma EAGLE WING weiterhin Coltan bezieht. Zudem bezog die thailändische Niederlassung von STARCK falsch deklariertes Coltan, das ebenfalls aus dem Kongo stammte – nach Angaben der UNO war STARCK die Herkunft des Materials bekannt. Auch die Aussage der Firma, in der Vergangenheit lediglich mit Partnern kooperiert zu haben, die „keine Abgaben an Rebellenorganisationen leisten oder geleistet haben oder in anderer Form mit diesen kooperieren“ wird als unwahr bezeichnet. Nach Meinung der UNO verstoße die Firma somit gegen die Richtlinien der OECD für multinationale Konzerne.
Eine weitere Spur führt nach Angaben der UNO aus dem Kongo nach Kasachstan: Große Teile des in Zentralafrika geschürften Coltans werden an die Atomfabrik Ulba Metallurgical Plant geliefert. H.C. STARCK hat in der Vergangenheit bei der Entsorgung von Giftstoffen eng mit der kasachischen Atomindustrie kooperiert, ob STARCK auch über den Umweg nach Kasachstan Coltan bezieht, wollte die Firma auf Anfrage erwartungsgemäß nicht beantworten.
Wer die Coltan-Minen in Zukunft kontrolliert, ist zur Zeit unklar. Durch den Abzug der ruandischen Regierungstruppen im Herbst 2002 wurde die RCD stark geschwächt, so dass andere Gruppen den Handel mit Rohstoffen übernehmen könnten. Eine andere Entwicklung indes ist absehbar: der Handel mit dem Element Niob wird an Bedeutung gewinnen. In einer Verlautbarung der Siemens-Tochter Epcos heißt es: „Mit Niob-Kondensatoren werden Werte erreichbar sein, die höchstkapazitative Tantal-Kondensatoren um den Faktor 2 bis 3 übertreffen“. Den Kongo braucht das nicht zu stören. Denn Niobium, auch Colombium genannt, ist der andere Bestandteil von Coltan.