AKTION & KRITIK
SchülerInnen fragen, CBG antwortet
Im Rahmen eines Projektes beschäftigten sich SchülerInnen des Henfling-Gymnasiums in Meiningen mit den Medikamenten-Versuchen, die BAYER während des Faschismus an KZ-Häftlingen vorgenommen hatte. Bei den Recherchen stießen sie auch auf die vielen Veröffentlichungen der Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) zu diesem Thema und nahmen Kontakt auf. CBG-Vorstand Jan Pehrke stellte sich ihren Fragen und berichtete von den zahlreichen grausamen Experimenten ohne medizinischen Nutzen, die viele ZwangsprobandInnen das Leben kosteten. Auch informierte er über die finanzielle Unterstützung, die der Leverkusener Multi dem berühmt-berüchtigten Dr. Josef Mengele für seine abstruse Zwillingsforschung angedeihen ließ. Und schließlich zitierte Pehrke aus dem Briefwechsel zwischen dem Konzern und dem Auschwitz-Lagerkommandanten Rudolf Höß, um die ganze Menschenverachtung der Aktiengesellschaft zu dokumentieren. Sie „bestellt“ in dem Schriftstück für die Erprobung eines Schlafmittels 150 weibliche KZ-Gefangene, will dafür aber nicht das verlangte Geld zahlen. „Wir erhielten Ihre Antwort, jedoch erscheint uns der Preis von 200 RM pro Frau zu hoch. Wir schlagen vor, nicht mehr als 170 RM pro Kopf zu zahlen“, heißt es in dem Schreiben. Und nach Abschluss der Test-Reihen meldete sich der Pharma-Riese wieder: „Die Versuche wurden gemacht. Alle Personen starben. Wir werden uns bezüglich einer neuen Sendung bald mit Ihnen in Verbindung setzen.“ So konnte die Coordination den SchülerInnen für ihr Vorhaben schockierendes Anschauungsmaterial zu einer Profitjagd, die über Leichen geht, liefern.
CBG beim Stadtgespräch
Im September 2021 hatte der Rundfunk-Sender WDR 5 sein Stadtgespräch der Explosion im Leverkusener Chemie„park“ der CURRENTA gewidmet, bei der sieben Menschen umkamen. Ein Jahr später kehrte die Sendung in die Stadt zurück, um im Scala-Club mit dem CURRENTA-Geschäftsführer Hans Gennen, Horst Büther von der Bezirksregierung Köln und Manfred Santen von GREENPEACE eine erste Bestandsaufnahme zu versuchen: „Was wurde aus der Katastrophe gelernt? Was läuft heute anders? Wie sicher können wir uns fühlen?“ Die Bilanz fiel ebenso ernüchternd aus wie der Publikumszuspruch. Büther beharrte darauf, alles richtig gemacht zu haben. Einen Anteil der Bezirksregierung an dem Desaster wegen der äußerst lückenhaften Kontrollen? „Nein, den sehe ich überhaupt nicht“, so der Behörden-Vertreter, es habe ja keine technischen Mängel, sondern organisatorische Mängel gegeben. Die Anlage war ihm zufolge in Ordnung, die Prüfungen an den Tanks sind ordnungsgemäß durchgeführt worden und haben nichts Besorgniserregendes zu Tage gefördert, der Abfall war erlaubt, ein technisches Problem hat es nicht gegeben – „aber der Abfall hat sich nicht so verhalten, wie es vorgesehen war“. Diesen Befund präsentierte er, was großes Gelächter im Saal hervorrief. Hans Gennen gab auch nichts Erhellenderes zu Protokoll. Die Frage, ob er solche Ereignisse wie das vom 27. Juli 2021 in Zukunft ausschließen könne, beantwortete Gennen auch nach mehrmaligem Nachhaken des Moderators Ralph Erdenberger nicht. „Wir setzen alles daran, dass Katastrophen ausgeschlossen werden“, war sein letztes Wort. Ansonsten blieb es bei Lippenbekenntnissen: „Sicherheit ist für uns das höchste Gebot.“ Zu heiklen Punkten wie dem, dass den Beschäftigen am Tag des Unglücks keine Angaben über die Gefährlichkeit der gelagerten Stoffe vorlagen, verweigerte Gennen mit Verweis auf die laufenden Ermittlungen der Kölner Staatsanwaltschaft die Aussage. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN wollte von dem CURRENTA-Geschäftsführer wissen, ob das Unternehmen die Empfehlungen aus dem Gutachten schon umgesetzt habe. Konkret sprach sie eine verbesserte Kommunikation mit den ArbeiterInnen von Fremdfirmen, eine stärkere Präsenz von Führungskräften im Entsorgungszentrum sowie Maßnahmen zur Verhinderung einer Kettenreaktion im Falle eines Störfalls an. Gennen beantwortete nur die erste Frage, zu den beiden anderen schwieg er. Für die CURRENTA bestehe gar kein Unterschied zwischen Stammbelegschaft und externem Personal, hob der Manager an, um dann auf bessere, verständlichere Unterweisungen und einen „Sicherheitsdialog“ mit den Fremdfirmen zu verweisen. „Dialog“ war sowieso das Stichwort: Eine Ausstellung, ein BürgerInnen-Büro, einen Begleitkreis und eine Extra-Website brachte Gennen hier in Stellung. Was er an dem Abend nicht erwähnte: Der Entsorgungskonzern unterhält nicht nur ein Krisenkommunikationsteam, er hat nach Informationen von AKTION GEGEN ARBEITSUNRECHT zusätzlich sogar noch das ATELIER FÜR MEDIENGESTALTUNG angeheuert, um „das Vertrauen in das Unternehmen und dessen Akzeptanz zu sichern“. Die CURRENTA will nämlich so schnell wie möglich wieder alle Kapazitäten nutzen, denn nur so lassen sich Profite erwirtschaften. Das sagte der gute Mann natürlich nicht, sondern: „Unsere Kunden brauchen die Anlage im Vollbetrieb.“
CBG bei den NATURFREUNDEN
Im Rahmen ihrer Ausstellung „Pestizide – Gefahr für Mensch und Umwelt“ hatte die Bochumer Ortsgruppe der NATURFREUNDE DEUTSCHLANDS die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) am 27. Oktober 2022 zu einem Vortrag über BAYERs Ackergifte eingeladen. Und so referierte CBG-Vorstand Jan Pehrke über die lange unheilvolle Tradition, auf die der Leverkusener Multi in diesem Bereich zurückblicken kann. Dabei spannte er einen weiten Bogen vom Jahr 1892, in dem der Konzern mit ANTINONNIN das erste Antiinsekten-Mittel auf chemischer Basis herausbrachte, bis zur Gegenwart – aus gegebenem Anlass unter besonderer Berücksichtigung von Glyphosat und dessen Risiken und Nebenwirkungen. Aber auch der Pflege der politischen Landschaft des Agro-Riesen zum Gedeih seiner Pestizid-Profite sowie der Ökonomie dieses Geschäfts widmete Pehrke sich. Das alles lieferte anregenden Stoff für die nachfolgende Diskussion.
CBG bei Friedensdemo
„Schluss mit dem Krieg – Sofortiger Waffenstillstand – Verhandeln statt schießen – Keinen Euro für Krieg und Zerstörung, sondern Milliarden für eine weltweite soziale, gerechte und ökologische Friedenspolitik! – unter dieser Losung fanden sich am 1. Oktober in Köln rund 350 Menschen zu einer Friedensdemonstration zusammen. Ein breiter Kreis hatte sich auf dem Heumarkt versammelt: GewerkschaftlerInnen ergriffen ebenso das Wort wie Mitglieder der DEUTSCHEN FRIEDENSGESELLSCHAFT – VEREINIGTE KRIEGDIENSTGEGNERINNEN, AktivistInnen der christlichen Friedensbewegung und Mitglieder der SDAJ. Und auch die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) ging an diesem Tag wieder mit auf die Straße, denn der BAYER-Konzern rückte nicht davon ab, seine Profit-Interessen auch in Kriegszeiten unverdrossen weiterzuverfolgen. So begleitete BAYER-Chef Werner Baumann Wirtschaftsminister Robert Habeck bei seinen Shopping-Touren in Sachen „Energie“ und reiste mit nach Kanada und nach Katar. Und beim China-Trip von Bundeskanzler Olaf Scholz war der Vorstandsvorsitzende ebenfalls mit von der Partie. Zudem beschert die aktuelle Lage vor allem der Agro-Sparte gute Umsätze. Nahrungsmittel-Krise? Der Konzern nennt das anders, von „einem anhaltend positiven Marktumfeld“ spricht er. Die LandwirtInnen machen nämlich gute Geschäfte und ordern deshalb mehr Pestizide und Saatgut. Und damit nicht genug, nutzt der Agro-Riese die Knappheiten auch noch, um die Werbetrommel für die Gentechnik zu rühren.
CBG beim Klimastreik
Im Sommer 2022 zeigte sich der Klimawandel in all seinen Facetten: Überschwemmungen in Pakistan mit über 1.000 Toten: dazu Dürren, Waldbrände, Hurrikans, Taifune und dahinschmelzende Gletscher in den verschiedensten Regionen unseres Planeten. Der BAYER-Konzern trug mit einem Treibhausgas-Ausstoß von zuletzt 3,17 Millionen Tonnen viel zu der beängstigenden Lage bei. Darum beteiligte sich die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) auch am 23. September 2022 wieder am Klimastreik. Die CBG-AktivistInnen gingen an dem Tag in Köln auf die Straße.
CBG in ZDF-Doku
„Das Glyphosat-Debakel“ heißt ein vom ZDF produzierter Dokumentarfilm über die gesundheitlichen, rechtlichen und ökonomischen Nebenwirkungen des umstrittenen Herbizids, der nicht ohne die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) auskam. Die MacherInnen zeigen die Coordination bei den Vorbereitungen der Aktionen zur letzten BAYER-Hauptversammlung und lassen CBG-Vorstand Axel Köhler-Schnura zu Wort kommen: „BAYER hält an diesem Gift fest, obwohl weltweit Proteste dagegen existieren. Das wird im Zentrum unserer Kritik stehen.“ Seine Rede vor der Leverkusener Zentrale des Agro-Riesen sowie Bilder von der Demonstration und dem Prozessionszug von EXSTINCTION REBELLION fanden ebenfalls Aufnahme in das Werk.
Vandana-Shiva-Film mit der CBG
Im Dezember 2022 kam der Film „Vandana Shiva – Ein Leben für die Erde“ in die Kinos. Er zeigt die frühen Jahre der bekannten indischen Kämpferin für eine Agrar-Wende, widmet sich den Wurzeln ihres Engagements und begleitet sie bei ihren jüngsten Aktivitäten rund um den Globus. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) durfte auf der Kölner Vorpremiere im Odeon-Kino die ZuschauerInnen begrüßen und einleitende Worte sprechen. Zudem konnte sie einige ihrer Mitglieder als Gäste mitbringen. Und auch zur Diskussion mit der Regisseurin Camilla Becket im Anschluss an die Vorführung wurde CBG-Geschäftsführer Marius Stelzmann wieder auf die Bühne gebeten, um Input aus der Sicht von AktivistInnen zu geben. Die Wege von Vandana Shiva und der Coordination haben sich nämlich so manches Mal gekreuzt, seit BAYER mit der Übernahme von MONSANTO zu einem der mächtigsten Vertreter des „Poison Cartels“ avancierte.
Offener Brief an Stella Kyriakides
Am 15. Dezember 2022 lief die Glyphosat-Genehmigung aus. Aber die Europäische Union schaffte es nicht, die für eine erneute Zulassung nötigen Risiko-Bewertungen fristgerecht vorzunehmen. Deshalb ließ sie das BAYER-Pestizid trotz nicht abgeschlossener Sicherheitsprüfung noch einmal eine einjährige Ehrenrunde drehen. Eine „Technische Verlängerung“ war das Mittel der Wahl. Dieser Verstoß gegen den Leitsatz des vorbeugenden VerbraucherInnenschutzes löste eine Welle des Protests aus. So forderte das „Ban-Glyphosate“-Bündnis die EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides in einem Offenen Brief auf, das Herbizid wegen seiner umfassend belegten Risiken und Nebenwirkungen für Mensch, Tier und Umwelt sofort aus dem Verkehr zu ziehen. „Die Frist um ein Jahr zu verlängern und Farm-ArbeiterInnen, in der Nähe der Felder lebende Menschen, EU-BürgerInnen und die Umwelt diesem gefährlichen Pestizid entsprechend länger auszusetzen, ist der Zivilgesellschaft unbegreiflich“, hieß es in dem Schreiben, zu dessen 28 Unterzeichner-Organisationen auch die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN gehörte.
BAYER-Antiwerbung
Eine darnieder gestreckte Biene Maja und dazu der Slogan „Tschüss Biene – danke BAYER“ – ein solches Werbe-Plakat der etwas anderen Art platzierten die SYSTEMSPRENGERINNEN in der Bonner Innenstadt, um damit gegen das vom Leverkusener Multi mitverursachte Insektensterben zu protestieren.
Chemie-Waffen in Nord- und Ostsee
1,6 Millionen Tonnen Munition, Bomben, Minen und chemische Kampfstoffe aus zwei Weltkriegen lagern auf dem Grund allein der zu Deutschland gehörenden Teile von Nord- und Ostsee, darunter auch die einst von BAYER entwickelten Substanzen Lost, Tabun und Sarin. Da die Metall-Umhüllung der Chemie-Waffen mittlerweile korrodiert, treten die Gifte aus. Das stellt nicht nur für aquatische Lebewesen, sondern auch für Menschen eine große Gefahr dar. Der Meeresbiologe Dr. Stefan Nehring hat die Vorfälle von Kriegsende 1945 bis Dezember 2015 genauer untersucht und bezifferte die Zahl der Toten auf 418 und die der Verletzten auf 720. Trotz dieses alarmierenden Befundes hat die Politik lange Zeit keinen Handlungsbedarf gesehen, nun aber reagiert sie. Die Ampelkoalition will für ein dreijähriges Sofort-Programm zur Bergung von Lost & Co. rund 100 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Aber SPD, Grüne und FDP streben aus Kosten-Gründen keine komplette Sicherung des maritimen Waffenarsenals an. „Nach Auffassung der Bundesregierung ist eine flächenhafte Beräumung und Vernichtung aller versenkten Munition nicht umsetzbar“, erklären die Regierungsparteien in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Partei „Die Linke“. Wegen der großen Gefahr, die von den Mitteln für Mensch, Tier und Umwelt ausgeht, fordert die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) jedoch eine solche Komplett-Räumung – und hält diese auch für finanzierbar. „Wenn dem Staat das Geld fehlt, alle chemischen Zeitbomben aus dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg unschädlich zu machen, dann müssen BAYER und all die anderen Firmen einen Beitrag leisten, die mit diesen Minen, Kampfstoffen und Bomben einst die Waffenarsenale der Militärs füllten“, hieß es in der Presseerklärung der Coordination.
Gegen doppelte Pestizid-Standards
Über 300 Initiativen aus Europa, Afrika, Asien, Nord- und Südamerika haben die Europäische Union am 1. Dezember 2022 aufgefordert, keine Exporte von solchen Pestiziden mehr zuzulassen, die innerhalb der EU wegen ihres Sicherheitsprofils keine Zulassung (mehr) haben. Besonders für den Globalen Süden stellt diese Praxis der doppelten Standards nach Ansicht der Organisationen eine große Bedrohung dar. „In diesen Staaten können die gefährlichen, in der EU verbotenen Pestizide nicht sicher verwendet werden, was verheerende Auswirkungen sowohl auf die menschliche Gesundheit als auch auf die Umwelt hat“, heißt es in dem gemeinsamen Statement. Neben dem SYNGENTA-Ackergift Paraquat nennen die Gruppen, zu denen auch die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) gehört, als Beispiel für die inkriminierten Erzeugnisse das BAYER-Produkt Acetochlor, das die EU unter anderem wegen seines Gefährdungspotenzials für Chromosomen aus dem Verkehr gezogen hat. In ihrer Presseerklärung zur Veröffentlichung des „Joint Statement“ drang die CBG auf eine sofortige Reaktion der Europäischen Union. „Jedes Jahr kommt es zu 385 Millionen akuten Pestizid-Vergiftungen. Es besteht also dringender Handlungsbedarf. Trotzdem hat die EU das Thema „Export-Stopp“ aus ihrem Arbeitsprogramm für das Jahr 2023 genommen. Das ist völlig unverständlich. Die Ukraine-Krieg darf nicht als Vorwand dafür dienen, den Schutz von Mensch, Tier und Umwelt vor den Risiken und Nebenwirkungen der industriellen Landwirtschaft zurückzufahren“, hielt die Coordination fest.
Kritik am Mercosur-Vertrag
Bereits im Juni 2019 gaben die EU und die MERCOSUR-Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay den Abschluss ihrer Verhandlungen um ein Freihandelsabkommen bekannt (siehe auch NORD & SÜD). Der Regenwald-Kahlschlag während der Präsidentschaft von Jair Bolsonaro bewog die Europäische Union jedoch dazu, vorerst keine weiteren Schritte zur Implementierung einzuleiten. Mit der Wahl Luiz Inácio Lula da Silva kommt jetzt allerdings wieder Bewegung in den Prozess. Darum veranstaltete die Grünen-Fraktion im Europa-Parlament zusammen mit FRIENDS OF THE EARTH EUROPE am 8. November in Brüssel die Konferenz „Pesticides and Ingenious Rights in Brazil – How the EU-Mercosur Trade Agreement would put Profit over People and Planet“. Dort warnten KritikerInnen vor einer Hauptfolge des Deals: einer nochmaligen Forcierung des agro-industriellen Modells. Der IndigenInnen-Vertreter Kretã Kaingang bezeichnete den Vertrag als „tödliche Übereinkunft“ und schilderte das Schicksal von 300 IndigenInnen, die bei den vom Agro-Business initiierten Vertreibungen zur Erschließung neuer Anbau-Flächen für ihre „cash crops“ das Leben verloren. Die brasilianische Geografie-Professorin Larissa Bombardi, die auf Einladung der Coordination gegen BAYER-Gefahren im April 2022 an den Protesten rund um die BAYER-Hauptversammlung teilgenommen hatte, ergänzte, dass bei diesen Landnahmen oftmals auch aus der Luft versprühte Pestizide als Chemie-Waffen zum Einsatz kämen. Zudem führte sie aus, wie stark ihre Landsleute schon jetzt unter Glyphosat & Co. leiden. Von zahllosen Vergiftungsfällen durch die Mittel, welche die Konzerne wegen deren Gefährlichkeit innerhalb der EU teilweise gar nicht mehr vermarkten dürfen, berichtete Lombardi und nannte das einen Angriff „auf das Recht zu leben“. Graciela Almeida von der Landlosen-Bewegung MST klagte über die Pestizid-Kontaminationen, unter denen kleine Öko-LandwirtInnen leiden und forderte, BAYER & Co. dafür zur Verantwortung zu ziehen. Paul De Clerck von FRIENDS OF THE EARTH EUROPE stellte die umfangreichen Lobby-Aktivitäten der Agro-Branche zum Push des Abkommens dar, die nicht ohne Wirkung blieben. So gelang es ihr, die EU-Kommission davon zu überzeugen, das Image des Handelsvertrags zu verbessern. Der EU-Handelskommissar Valdis Dombrovski übernahm dankbar den dafür gelieferten Textbaustein und sprach fortan von der Notwendigkeit, „zum Abkommen ein positiveres Narrativ zu entwickeln“. Den von BAYER zu diesem Behufe engagierten Thinktank „Ecipe“, der aus den brasilianischen Soja-Baronen und -Baronessen nach der Devise „small is beautiful“ so etwas wie bessere SchrebergärtnerInnen machen will, ließ De Clerck dabei nicht unerwähnt. Am Ende waren sich die AktivistInnen einig: Den verstärkten Anstrengungen der EU, das Mercosur-Abkommen unter Dach und Fach zu bringen, gilt es Widerstand entgegenzusetzen.
Kritik am Mercosur-Splitting
Die Europäische Union will das Handelsabkommen mit den MERCOSUR-Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay (s. o.), das während der Amtzeit von Jair Bolsonaro wegen dessen forcierten Regenwald-Rodungen auf Eis lag, mit seinem Nachfolger Luiz Inácio Lula da Silva nun möglichst schnell unter Dach und Fach bringen. Aus diesem Grund plant die EU ein beschleunigtes Verfahren (siehe auch NORD & SÜD). Sie will den Handelsteil des Vertragswerks, der nicht der Zustimmung der nationalen Parlamente bedarf, abkoppeln und unabhängig von den umstrittenen sozialen und ökologischen Fragen schon einmal zur Anwendung bringen. Gegen dieses perfide Manöver erhebt sich jedoch massiver Protest. So forderte ein breites Bündnis von Initiativen aus Europa und Lateinamerika Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck auf, sich auf dem Treffen der EU-HandelsministerInnen am 25 November 2022 gegen ein solches Splitting auszusprechen. „Der Schritt der Europäischen Kommission ist ein zynischer technischer Weg, um sicherzustellen, dass die von ihr ausgehandelten Handelsabkommen trotz ihrer Kontroversen über Abholzung, Klimawandel und Menschenrechtsverletzungen schnell in Kraft treten“, heißt es in der auch von der Coordination gegen BAYER-Gefahren unterzeichneten Erklärung.
NORD & SÜD
MERCOSUR-Comeback
Der BAYER-Konzern erhofft sich viel von dem Handelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den MERCOSUR-Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay. Brüssel gewährt den Agrar-Gütern dieser Länder nämlich einen erleichterten Zugang zum EU-Markt und erhält dafür im Gegenzug Einfuhrzoll-Senkungen unter anderem für Autos, Chemikalien und Pharmazeutika, die mit rund vier Milliarden Euro zu Buche schlagen. Der Leverkusener Multi profitiert von beidem, denn er exportiert viele Arzneien und Ackergifte nach Lateinamerika und kann obendrein noch mit einem gesteigerten Absatz von Glyphosat & Co. rechnen, wenn die brasilianische und argentinische Landwirtschaft besseren Geschäften auf dem alten Kontinent entgegensieht. Den Verlust durch die Forcierung des agro-industriellen Modells haben dagegen andere zu tragen: Die in der Nähe der Felder lebenden Menschen, deren Bedrohung durch Pestizid-Vergiftungen zunimmt, die Indigenen, die infolge der Ausweitung der Anbau-Flächen mit noch mehr Vertreibungen rechnen müssen und der Regenwald, der den Profit-Interessen zum Opfer fällt. Die zunehmenden Abholzungen in der Amtszeit des Präsidenten Jair Bolsonaro waren es dann auch, die das eigentlich schon ausverhandelte Übereinkommen erst einmal auf Eis legten. Die Abwahl des rechtsextremen Politikers bringt den Kontrakt jetzt jedoch wieder auf die Tagesordnung zurück. Der neue Präsident Luiz Inácio Lula da Silva hat schon die Bereitschaft signaliert, die Gespräche wieder aufzunehmen. Allerdings verlangt er Korrekturen. „Wir wollen einen gerechteren internationalen Handel. Wir wollen unsere Partnerschaften mit den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union zu neuen Bedingungen wieder aufnehmen. Wir sind nicht an Handelsabkommen interessiert, die unser Land zur ewigen Rolle des Exporteurs von Rohstoffen verdammen“, sagte er in der Ansprache nach seinem Sieg. Die EU lehnt es bisher allerdings ab, das Paket wieder aufzuschnüren. Sie beabsichtigt, es bei einem Zusatz-Protokoll bewenden zu lassen. Neuverhandlungen würden die ganze komplexe Tektonik des Vertragswerks zum Einsturz bringen, sagte John Bazill von der Generaldirektion Handel der EU bei einer Konferenz in Brüssel. Wenn die EU mehr Umwelt-Regelungen im Abkommen haben wolle, müsse sie im Gegenzug der Agrar-Industrie der Mercosur-Staaten bessere Angebote machen, gab er zu bedenken. Brüssel strebt aber sogar eine Beschleunigung des ganzen Prozesses an greift deshalb zu einem taktischen Trick. Die Kommission plant, den Handelsteil des Vertragswerks, der nicht der Zustimmung der nationalen Parlamente bedarf, abzukoppeln und unabhängig von den umstrittenen sozialen und ökologischen Fragen schon einmal zur Anwendung zu bringen (siehe AKTION & KRITIK). Umwelt-AktivistInnen, VertreterInnen von indigenen Gruppen und WissenschaftlerInnen warnten bei der Veranstaltung massiv vor den Risiken und Nebenwirkungen des Abkommens (siehe AKTION & KRITIK). Trotzdem dürften die ersten Meetings in der Sache bald stattfinden – und BAYER & Co. mit einem entsprechenden Lobby-Einsatz am Start sein.
Neuer Deal mit Bill Gates
„Verhütungsmittel können mit am besten zur Armutsbekämpfung beitragen“ konstatierte Melinda Gates einst in einem Beitrag für Die Welt. Weniger Menschen = weniger Armut, so lautete ihre Rechnung ganz nach der Devise des früheren US-Präsidenten Lyndon B. Johnson: „Fünf gegen das Wachstum der Bevölkerung investierte Dollar sind wirksamer als hundert für das Wirtschaftswachstum investierte Dollar.“ Dementsprechend ignorant zeigt sich die „Bill & Melinda Gates Foundation“ den ökonomischen Ursachen von Hunger und Mangelernährung gegenüber. Stattdessen sieht sie es als Entwicklungshilfe an, im Globalen Süden Kontrazeptiva an die Frau zu bringen. Gerne arbeitet die Stiftung dabei mit dem BAYER-Konzern zusammen, der aus nicht ganz uneigennützigen Motiven derselben Ansicht ist und zudem über viel Erfahrung in diesem Bereich verfügt. „BAYER unterstützt seit mehr als 50 Jahren Initiativen, die dazu beitragen, dass Frauen in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen Zugang zu Familienplanung erhalten“, heißt es aus Leverkusen. Aus diesen Gründen arbeitet die „Bill & Melinda Gates Foundation“ seit Jahr und Tag auch mit der Pharma-Sparte des Global Players zusammen und kauft etwa große Stückzahlen des – nicht eben nebenwirkungsarmen und im reichen Norden überhaupt nicht erhältlichen – Langzeit-Kontrazeptivums JADELLE zu Sonderkonditionen auf. Und nun zeigt sich das Familienplanungsprogramm der Foundation an einem ohne Hormone auskommenden Verhütungsmittel interessiert, das der Leverkusener Multi entwickeln will. Die entsprechenden Forschungen sponsert die „Bill & Melinda Gates Foundation“ mit zwölf Millionen Dollar
POLITIK & EINFLUSS
Lobby-Europameister BAYER
Mit einem Etat von 6,5 bis 7 Millionen Euro versuchte der BAYER-Konzern im Jahr 2021, auf Entscheidungen der Europäischen Union Einfluss zu nehmen. Nur noch APPLE pflegte die politische Landschaft in Brüssel ähnlich intensiv. Das ergab eine Recherche der beiden Initiativen CORPORATE EUROPE OBSERVATORY und LOBBYCONTROL im EU-Transparenzregister. 74 LobbyistInnen beschäftigt der Leverkusener Multi in seinem Brüsseler „Verbindungsbüro“ (siehe auch SWB 2/22). 15 von ihnen haben Zutritt zum Europäischen Parlament. Gemeinsam brachten sie es auf nicht weniger als 41 Treffen mit ranghohen VertreterInnen der EU-Kommission bzw. den KommissarInnen selbst. Einen Schwerpunkt der Aktivitäten bildete dabei das umstrittene Herbizid Glyphosat, denn die EU prüft gerade BAYERs Antrag auf eine Verlängerung der Zulassung. Zu den weiteren Einsatzgebieten gehörten die Pestizid-Regulierung im Allgemeinen, die geplante neue Trinkwasser-Richtlinie, der Aktionsplan der EU für eine Reform des Patentrechts und derjenige für eine Reduzierung der Verschmutzung von Wasser, Luft und Boden. Darüber hinaus bemühte sich das Unternehmen, die Chemikalien-Richtlinie REACH, den Umgang mit hormon-ähnlich wirkenden Substanzen, die Pharma-Strategie, die Biodiversitätsstrategie sowie die Agrarstrategie „From Farm to Fork“ in seinem Sinne zu gestalten. Damit nicht genug, intervenierte es ebenfalls in Sachen „Klimaschutz- und Agrarpolitik“, „Green Deal“ und „EU/Mercosur-Abkommen“. „Bei allen wichtigen Themen, welche die Europäischen Union verhandelt, redet der BAYER-Konzern mit, ohne ein demokratisch legitimiertes Mandat zu haben, nur weil seine wirtschaftliche Macht ihn dazu in die Lage versetzt. Das ist ein Skandal“, kritisierte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN das Gebaren des Global Players in einer Presseerklärung.
Deutschland verfehlt Klima-Ziele
Der ExpertInnen-Rat der Bundesregierung sieht das Ziel Deutschlands, die Treibhausgas-Emissionen bis zum Jahr 2030 um 65 Prozent zu senken, in weiter Ferne. Darum forderte das Gremium kurz vor der Welt-Klimakonferenz in Sharm el-Scheikh, die Vorgaben des Klimaschutz-Gesetzes nachzuschärfen. „Im Industrie-Sektor wäre eine 10-fache und beim Verkehr sogar eine 14-fache Erhöhung der durchschnittlichen Minderungsmenge notwendig“, konstatiert Ratsmitglied Thomas Heimer. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) nahm in einer Presseerklärung zu dem Befund Stellung. „Die Politik hat es nicht gewagt, Druck auf die großen Unternehmen wie BAYER, BASF, VW und BMW auszuüben. Sie nahm es stattdessen sogar auf sich, im Rahmen des Emissionshandels der EU elf Millionen CO2-Verschmutzungszertifikate zu erwerben, um das überzogene Klima-Konto auszugleichen. Jetzt aber führt kein Weg daran vorbei, die Firmen zu drastischen Reduzierungsmaßnahmen zu verpflichten. Darum muss die Ampelkoalition die Empfehlungen des ExpertInnen-Rates schnell umsetzen“, hieß es darin.
DRUGS & PILLS
Asundexian enttäuscht
Der BAYER-Konzern sucht einen Nachfolger für seinen Gerinnungshemmer XARELTO, läuft doch das Patent des Milliarden-Sellers bald aus. Er setzt dabei – ebenso wie seine Mitbewerber – große Hoffnungen auf die sogenannten Faktor-XI-Blocker, weil das Blutungsrisiko bei diesen Mitteln geringer ist als bei XARELTO. Die klinischen Tests der Phase 2 mit Asundexian enttäuschten allerdings. Der Wirkstoff erreichte die primären Endpunkte der Studie nicht. Er konnte weder die Zahl der Hirninfarkte noch die der ischämischen, also durch verstopfte Hirn-Arterien ausgelöste Schlaganfälle verringern. Trotzdem bricht der Pharma-Riese die Versuche nicht ab. Er kündigte an, mit der Substanz in die Phase 3 zu gehen.
AGRO & CHEMIE
Doppelte Standards: neue Studie
BAYER & Co. exportieren massenweise Ackergifte, die innerhalb der EU keine Zulassung (mehr) haben, in Drittländer. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) und andere Gruppen kritisieren diese Geschäftspraxis der doppelten Standards seit Langem. Die Politik hat – endlich – auch Handlungsbedarf erkannt. „Es geht nicht an, dass wir nach wie vor Pestizide produzieren und exportieren, die wir bei uns im Hinblick auf die Gesundheit der Menschen zurecht verboten haben“, sagte Landwirtschaftsminister Cem Özdemir im September 2022 und kündigte eine Verordnung gemäß Paragraf 25 des Pflanzenschutzgesetzes an. Allerdings gilt dieser Vorstoß nur Pestizid-Produkten, nicht aber den reinen Wirkstoffen. Diese aber machen den Löwen-Anteil der Ausfuhren aus, wie eine neue Untersuchung von PAN GERMANY, Heinrich-Böll-Stiftung und Rosa-Luxemburg-Stiftung zeigt. So lieferten BAYER & Co. 2021 37.525 Tonnen reine Substanzen in Länder aus, die nicht der EU angehören, Pestizid-Produkte aber „nur“ in einem Umfang von 8.499 Tonnen. Da sich bei dem Export-Verbot in der geplanten Form somit große Schutzlücken auftun, fordern die Studien-AutorInnen, das Pflanzenschutzgesetz zu ändern, um wirklich alle gefährlichen Stoffe zu erfassen. Das brächte dann auch den BAYER-Konzern stärker in die Bedrouille. Er exportiert nämlich ebenfalls mehr Wirkstoffe wie z. B. Probineb oder Imidacloprid als Produkte auf Basis dieser Stoffe.
Glyphosat-Absatz steigt
In Deutschland legt der Glyphosat-Absatz weiter zu. Während im Jahr 2019 „nur“ 3.059 Tonnen auf den Feldern landeten, waren es 2020 3.773 Tonnen und 2021 sogar 4.100 Tonnen, obwohl am 8. September jenes Jahres Restriktionen in Kraft traten. So verbot das Insektenschutz-Gesetz ab diesem Zeitpunkt die Anwendung des Mittels im Haus- und Gartenbereich und auf öffentlichen Grünflächen. Und auch für den Einsatz in der Landwirtschaft gab es Einschränkungen. Die Bauern und Bäuerinnen dürfen das Breitband-Herbizid nicht mehr direkt vor der Ernte versprühen und ansonsten nur, „wenn es keine alternativen Möglichkeiten gibt“, wie die Bundesregierung erklärte.
Freifahrtschein für 135 Pestizide
Am 15. Dezember 2022 lief die Glyphosat-Genehmigung aus. Doch die Europäische Union schaffte es nicht, die für eine erneute Autorisierung nötigen Risiko-Bewertungen fristgerecht vorzunehmen. So sprach sie einfach eine sogenannte technische Verlängerung aus – eine gängige Praxis. Nach Recherchen von FOODWATCH haben 135 der 455 in der EU vermarkteten Pestizide einen solchen Freifahrtschein bekommen, ohne nach ihrer einstmals erfolgten Zulassung jemals wieder den Beweis erbracht zu haben, dem jeweils neuesten Stand der Wissenschaft in Sachen „Unbedenklichkeit“ zu genügen. Unter den inkriminierten Ackergiften befinden sich nicht wenig Wirkstoffe, die auch in BAYER-Produkten enthalten sind, wie etwa Deltametrin, Flufenacet und Mecoprop. FOODWATCH forderte die EU auf, aus der Untersuchung Konsequenzen zu ziehen und alle ungeprüften Mittel sofort zu verbieten.
WASSER, BODEN & LUFT
Kampfstoffe im Meer: neue Gefahren
1,6 Millionen Tonnen Munition, Bomben, Minen und chemische Kampfstoffe aus zwei Weltkriegen lagern auf dem Grund allein der zu Deutschland gehörenden Teile von Nord- und Ostsee, darunter auch die einst von BAYER entwickelten Substanzen Lost, Tabun und Sarin. Da die Metall-Umhüllung der Chemie-Waffen mittlerweile durchrostet, treten die Gifte aus. Das stellt nicht nur für aquatische Lebewesen, sondern auch für Menschen eine große Gefahr dar (siehe auch AKTION & KRITIK). Und im Zuge des Ukraine-Kriegs erhöht sich das Gefährdungspotenzial noch einmal. So warnte die Wissenschaftszeitschrift Nature vor den Folgen der Sprengungen an der Nordstream-Pipeline, die durch die Ostsee verläuft. „Die Nordstream-Explosionen lösen Besorgnis über Chemiewaffen-Vergiftung aus“, schrieb das Blatt. Eine der drei Detonationen ereignete sich nämlich in der Nähe eines Areals mit vielen dieser Kriegshinterlassenschaften und führte zu einem Aufstieben giftiger Sedimente. Noch mehr als einen Monat nach dem Vorfall hat der dänische Toxikologe Hans Sanderson die Wolke sehen können, weil die Wasser-Schichtungen in der Ostsee eine extreme Stabilität aufweisen. „Was einmal aufgewirbelt wurde, braucht sehr lange, bis es wieder absinkt“, so der Wissenschaftler. Er fürchtet nun ein Weiterziehen des toxischen Gemisches und infolgedessen eine Ausweitung des Sperrgebietes für die Fischerei. Die Errichtung von Flüssiggas-Terminals an Ostsee-Häfen erschwert das submarine Waffenlager ebenfalls. So musste in Lubmin vor Beginn der Arbeiten extra ein Minensuch-Boot der Bundeswehr in See stechen, um den Baugrund zu explorieren und gegebenenfalls Kampfstoffe zu bergen.
Indien: BAYER muss Fabriken schließen
BAYER CROPSCIENCE muss die Pestizid-Produktion am indischen Standort Himatnagar auf Anweisung einer Behörde des Bundesstaates Gujarat vorerst stoppen. Das „Gujarat Pollution Control Board“ hatte bei einer Umwelt-Inspektion gravierende Mängel festgestellt und einen Weiterbetrieb der fünf Fertigungsstätten des Standortes bis auf Weiteres untersagt.
UNFÄLLE & KATASTROPHEN
CURRENTA will wieder Gift mischen
Bereits ein Jahr nach der Leverkusener Explosionskatastrophe vom 27. Juli 2021, die sieben Menschen das Leben kostete, lief der Betrieb im „Entsorgungszentrum“ des Chemie„park“-Betreibers CURRENTA wieder an. Dabei hat die Staatsanwaltschaft Köln ihre Ermittlungen wegen des Verdachts auf fahrlässige Tötung und auf fahrlässige Herbeiführung eines Sprengstoff-Unglücks noch gar nicht abgeschlossen. Auch liegen viele Gutachten wie etwa das zur Sicherheitskultur bei der CURRENTA noch nicht in einer finalen Fassung vor. Aber die Service-Gesellschaft gab bei Prof. Dr. Christian Jochum ein Gutachten in Auftrag, das eruierte, „unter welchen Bedingungen es verantwortet werden kann, die Sonderabfall-Verbrennungsanlage schrittweise wieder in Betrieb zu nehmen“. Die Expertise empfahl, in Leverkusen vorerst keine wärme-empfindlichen und andere besonders gefährliche Stoffe mehr zu entsorgen und sich auf Müll aus den CURRENTA-Chem„parks“ und dem regionalen Umfeld zu beschränken. Die Bezirksregierung segnete das ab und gab für das Anfahren von einer der vier Verbrennungslinien grünes Licht. 46 Substanzen darf die CURRENTA inzwischen wieder annehmen. Aber ihr reicht das nicht. Peu à peu will sie zum Status quo ante zurück und wieder alle Hinterlassenschaften von BAYER & Co. entsorgen. So möchte das Unternehmen unbedingt den Tank 8 in Betrieb nehmen. Dieser soll den Brennstoff für die Klärschlamm-Verbrennungsanlage liefern, damit das Unternehmen nicht zu dem teureren Heizöl greifen muss. Und zu diesem Behufe beabsichtigen die Abfall-ManagerInnen entgegen früherer Beteuerungen, in dem Tank auch wieder unterschiedliche Stoffe zusammenzuführen, obwohl dies das Risiko unbeabsichtigter chemischer Reaktionen erhöht.
STANDORTE & PRODUKTION
Verkauf der BeamtInnen-Kolonie
An vielen seiner Standorte unterhielt der Leverkusener Multi einst nicht nur Produktionsstätten, sondern auch eine soziale Infrastruktur mit Schwimmbädern, Kaufhäusern, Bibliotheken, Breitensport-Vereinen, Werkskindergärten und Werkswohnungen. Diese Sozialpolitik sollte eine „BAYER-Familie“ begründen, die Beschäftigten an den Konzern binden und so davon abhalten, auf dumme, klassenkämpferische Gedanken zu kommen. Doch von dieser Strategie hat der Global Player sich schon lange abgewendet. Die Einrichtungen schloss er peu-à-peu, und auch seine Immobilien stieß er nach und nach ab. Im Jahr 2002 trennte die Aktien-Gesellschaft sich von ihren 9.600 Werkswohnungen, und jetzt vollzieht sie an ihrem Stammsitz den letzten Schritt. Der Agro-Riese veräußerte die BeamtInnen-Kolonie – die Siedlung für seine Besserverdienenden ganz in der Nähe der Konzern-Zentrale – an einen Investor. Die 149 Wohneinheiten sowie der alte Wiesdorfer Bahnhof, das alte Sparkassen-Gebäude und ein Hochbunker gingen an die Unternehmensgruppe EMIL’S aus Bergisch Gladbach. Wie immer in solchen Fällen betont BAYER, dass sich nichts ändere. „Der Verkauf erfolgt in enger Abstimmung mit der Stadt Leverkusen und sichert den derzeitigen Wohnungsmietern weitreichende Bestandsgarantien zu.“ Eine Umwandlung in Eigentumswohnungen sei vertraglich ausgeschlossen, und die Siedlung bliebe auch den Chem„park“-Beschäftigten vorbehalten, versichert Ulrich Waschke von BAYER CORPORATE REAL ESTATE. Die Rheinische Post ließ sich davon nur wenig beeindrucken und resümierte: „Mit dem Verkauf endet eine BAYER-Ära.“
POLITIK & ÖKONOMIE
BAYERs AktionärInnen-Struktur
Die Investment-Gesellschaft BLACKROCK hält mit 7,17 Prozent (Stand: Ende 2021) immer noch die meisten BAYER-Aktien. Danach folgen der Singapurer Staatsfonds TEMASEK mit 3,9 Prozent und HARRIS ASSOCIATES mit 3,02 Prozent. Rund 38 Prozent der Geschäftsanteile des Leverkusener Multis befinden sich in inländischem Besitz, 62 Prozent in ausländischem. Zum Vergleich: Im Jahr 2013 lag das Verhältnis bei 28 Prozent zu 72 Prozent.
Recht & Unbillig
Glyphosat-Klage von AURELIA
Am 15. Dezember 2022 lief die Glyphosat-Genehmigung aus. Aber die Europäische Union schaffte es nicht, die für eine erneute Zulassung nötigen Risiko-Bewertungen fristgerecht vorzunehmen. Das bedeutete jedoch keineswegs das vorläufige Aus für das umstrittene BAYER-Herbizid. Trotz nicht abgeschlossener Sicherheitsprüfung darf der Leverkusener Multi das Mittel vorerst ein Jahr lang weiter vermarkten. Die EU-Kommission sprach nämlich eine „technische Verlängerung“ aus (siehe SWB 1/23). Die AURELIA-Stiftung beschloss daraufhin, eine Klage gegen den Beschluss einzureichen, denn die EU lässt Pestizide mit fehlenden Unbedenklichkeitsnachweisen immer wieder Ehrenrunden drehen.
11.135 Euro für LASSO-Schäden
Der französische Landwirt Paul François hatte im Jahr 2004 durch das MONSANTO-Ackergift LASSO (Wirkstoff: Monochlorbenzol) massive gesundheitliche Beeinträchtigungen erlitten. „Mein Abwehrsystem ist so geschwächt, dass jede Infektion tödlich sein kann“, sagte er einmal in einem Interview. Dazu kamen noch neurologische Störungen, die zu Ohnmachtsanfällen, Gedächtnis-Verlusten und Kopfschmerzen führten. 2007 verklagte der Bauer das Unternehmen deshalb auf rund eine Million Euro Schadensersatz. Damit geriet er in einen langjährigen Rechtsstreit, dessen gegnerische Partei ab 2018 BAYER als neuer MONSANTO-Eigner wurde. Das Verfahren endete im Dezember 2022 mit einem Sieg von Paul François, der allerdings kleiner als erwartet ausfiel. Die RichterInnen setzten als Entschädigungssumme lediglich 50.000 Euro fest. Es habe sich nur um vorübergehende Beschwerden gehandelt, die sich nicht chronifizierten, argumentierten sie. Da François von der landwirtschaftlichen Sozialkasse und seiner Privatversicherung schon annähernd so viel erhalten hatte, musste BAYER nur noch die Differenz-Summe von 11.135 Euro als Strafe zahlen. Der Landwirt zeigte sich enttäuscht: „11.000 Euro für so viele Opfer.“ Aber immerhin hat er eine klare Verurteilung des Agro-Riesen erwirkt, was in juristischen Auseinandersetzungen dieser Art nicht allzu oft vorkommt. Meistens setzt ein Vergleich, der die Frage der Schuld offen lässt, den Schlusspunkt.
698 Millionen Dollar für PCB-Schäden
Polychlorierte Biphenyle (PCB) gehören zu den giftigsten Hervorbringungen der Chlorchemie. Die vor allem von BAYER und MONSANTO in Umlauf gebrachten gefährlichen „Alleskönner“ kamen bis zu ihrem vollständigen Verbot (1989 in Deutschland) in Elektrogeräten, Fugendichtungsmassen, Farben, Ölen, Lacken und Bodenbelägen zum Einsatz – und stellen wegen ihrer stabilen chemischen Struktur immer noch ein beträchtliches Gesundheits- und Umweltrisiko dar. Darum ist der BAYER-Konzern mit einer Vielzahl von Klagen konfrontiert. So erheben in den USA zahlreiche Kommunen und Bundesstaaten Schadensersatz-Ansprüche gegen die jetzige BAYER-Tochter MONSANTO. Diese gründen sich unter anderem auf firmen-eigene Dokumente von MONSANTO, die selbst von Risiken wie „systemischen toxischen Effekten“ sprechen. Einen Produktionsstopp haben die ManagerInnen damals jedoch trotzdem abgelehnt, da es um „zu viel MONSANTO-Gewinn“ ging. Die Kläger machen Gewässer-Verunreinigungen geltend, welche die Bestände von Fischen, anderen aquatischen Lebewesen und Vögeln bedrohen. Kadaver von Schwertwalen an den Küsten mussten die Behörden sogar schon als Giftmüll klassifizieren und in speziellen Anlagen entsorgen. Und über die Nahrungskette kann auch der Mensch in Kontakt mit dem PCB kommen. Mit dem Staat Oregon hat der Leverkusener Multi den Rechtsstreit Mitte Dezember 2022 beigelegt. Im Rahmen eines Vergleiches zahlt er 698 Millionen Dollar für die Sanierung der Seen und Flüsse. Ähnliche Verträge hatte der Konzern vorher schon mit New Mexico, Washington und dem Columbia-Destrict geschlossen.