Der Pharma-Markt hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. BAYER und andere große Unternehmen setzen mehr und mehr auf neue, patent-geschützte Pillen, da diese besonders viel Rendite versprechen. Bei ihrem nicht so viel Geld abwerfenden Alt-Sortiment rationalisieren die Konzerne hingegen nach Kräften. So beziehen sie Vor- und Zwischenprodukte zur Wirkstoff-Herstellung und manchmal auch die komplette Substanz zunehmend aus Schwellen- oder Entwicklungsländern wie Indien und China.
Dort konzentriert sich die Fabrikation auf immer weniger Anbieter. Und wenn da einmal Störungen im Betriebsablauf auftreten, stehen die PatientInnen auf dem Schlauch. Aktuell gibt es laut Datenbank des „Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte“ Lieferengpässe bei zwei BAYER-Präparaten, dem Antibiotikum CIPROBAY und dem Herz/Kreislaufmittel NIMOTOP S zur Behandlung hirn-organisch bedingter Leistungsstörungen.
AGRO & CHEMIE
Glyphosat im Sperma
Der langen Liste der Glyphosat-Risiken fügten französische WissenschaftlerInnen unlängst noch einen Eintrag zu. Eine Forscher-Innen-Gruppe um Claudine Vasseur untersuchte das Sperma französischer Männer und fand Glyphosat-Spuren. Dabei überstiegen die Rückstände diejenigen im Blut um den Faktor 4. „Zusammengefasst deuten unsere Ergebnisse auf einen negativen Einfluss von Glyphosat auf die reproduktive Gesundheit des Menschen und möglicherweise seiner Nachkommenschaft hin“, resümieren sie in der Fachzeitschrift Ecotoxicology and Environmental Safety. Deshalb fordern Vasseur & Co. die Politik eindringlich auf, zu reagieren und dem Vorsorgeprinzip Geltung zu verschaffen.
Glyphosat-Alternative Icafolin
Der BAYER-Konzern hat Icafolin als Glyphosat-Alternative angekündigt. Die Markteinführung plant er im Jahr 2028 zunächst für Soja-Kulturen in Brasilien (bestimmt gleich mit den passenden Gen-Pflanzen dazu). Die Wirksubstanz gehört zur Gruppe der Isoxazolin-Carboxamide. Angeblich passt der Stoff auf das Ziel-Protein eines Schadinsektes, Pilzes oder einer Wildpflanze „wie ein Schlüssel zu einem Schloss“, weshalb er dem Unternehmen zufolge für „Präzision, Sicherheit und Nachhaltigkeit“ steht. Angesichts gleichlautender BAYER-Ankündigungen zu anderen Gelegenheiten bleibt die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN skeptisch.
„Neues“ BAYER-Fungizid
Der BAYER-Konzern startet mit der Vermarktung des Fungizids Delaro Forte. Neu ist allerdings nur einer der drei Wirkstoffe: Trifloxystrobin. Bei Prothioconazol und Spiroxamin handelt es sich um alte Bekannte.
GENE & KLONE
BAYER vermarktet Gentech-Salat
Bei der Genom-Editierung kommen Gen-Scheren wie CRISPR/Cas zum Einsatz. Dieses Verfahren bedient sich eines Abwehr-Mechanismus’ von Bakterien zum Aufspüren von schädlichen Viren. CRISPR/Cas & Co. steuern bestimmte Gen-Abschnitte an und nutzen dann das Cas-Enzym zur Auftrennung der Genom-Sequenz. Anschließend setzen die „molekularen Skalpelle“ entweder mitgeführte neue Erbgut-Stränge ein, schalten bestimmte Gene ab oder bringen die Zellen dazu, per Mutagenese selbst Veränderungsprozesse einzuleiten. Die US-Firma PAIRWISE etwa hat 17 Gene in Senfsamen ausgeschaltet, um die Blätter zu entschärfen und so salattauglich zu machen. Ursprünglich hat sie die Laborfrüchte auch selbst vertrieben, die Lizenz dann aber an BAYER weiterverkauft. Im Zuge des Deals kündigte der Leverkusener Multi an, mit Hilfe externer Partner noch mehr Gentech-Lebensmittel zu produzieren. Was die Natur von sich aus bietet, hält er nämlich für suboptimal. „Gemeinsam wollen wir neue Obst- und Gemüsesorten entwickeln“, die einen höheren Nährstoff-Gehalt, positive Auswirkungen auf die Umwelt oder eine höhere Attraktivität für Verbraucher haben“, droht der Agro-Riese an.
Beschleunigtes Verfahren für AB-1002
Fast schon routinemäßig gewährt die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA Zell- und Gentherapien den Status eines beschleunigten Zulassungsverfahrens. Nun kam auch die Gentherapie von BAYERs Tochter-Gesellschaft ASKBIO in den Genuss der „Fast track“-Regelung. Dabei hat das Pharmazeutikum zur Behandlung von Herzinsuffizienz in den klinischen Tests der Phase I seine Verträglichkeit und Wirksamkeit an gerade einmal 90 bis 150 (gesunden) ProbandInnen demonstriert.
Dementsprechend gehen von solchen Entscheidungen viele Risiken aus. Das demonstriert zum Beispiel der Fall „Aliqopa“. Ebenfalls auf der Überholspur zur Genehmigung gekommen, zeigten sich bei dem BAYER-Pharmazeutikum mit dem Wirkstoff Copanlisib zur Therapie von PatientInnen mit dem Non-Hodgkin-Lymphom (NHL) – einer bestimmten Form des Lymphdrüsen-Krebses – bald schon die Nebenwirkungen. Wie eine Überprüfung mehrerer Zulassungsstudien durch die FDA ergab, haben ALIQOPA und andere Arzneien, die das Enzym P13K blockieren, zwar kurzfristig positive Effekte, führen bei den Test-Personen auf lange Sicht aber zu erhöhten Sterblichkeitsraten. Die Toxizität der Mittel akkumuliert sich nämlich. Der Leverkusener Multi musste das Präparat daraufhin vom Markt nehmen.
Zweifel an Gentherapien
BAYER setzt seit einiger Zeit sehr auf Gentherapeutika (siehe FORSCHUNG & LEHRE), denn hier locken üppige Gewinne. So verlangt der Hersteller von LENMELDY – ein Mittel zur Behandlung einer seltenen Nervenkrankheit von Kindern, das nur einmal verabreicht werden muss – nicht weniger als 4,25 Millionen Dollar.
Zugleich jedoch säen in jüngster Zeit einige Studien Zweifel an diesen Pharmazeutika. Eine Untersuchung etwa attestierte HEMGENIX, einer Gentherapie gegen eine erblich bedingte Blutgerinnungsstörung, eine abnehmende Wirksamkeit. Auch das gegen Muskelschwund zum Einsatz kommende ZOLGENSMA braucht zuweilen die Unterstützung durch andere Medikamente. Und bei CASGEVY gegen die Sichelzellenanämie droht ein erhöhtes Leukämie-Risiko. Einige Produkte haben die Pharma-Unternehmen inzwischen auch selbst wieder vom Markt genommen, weil diese die finanziellen und/oder therapeutischen Erwartungen nicht erfüllt haben. Die Goldgräber-Stimmung scheint erst einmal vorbei zu sein.
WASSER, BODEN & LUFT
Klärwerksarbeiten in Bergkamen
BAYER stellt in Bergkamen unter anderem Kontrastmittel und Wirkstoffe für seine Kontrazeptiva her. Das Klärwerk der Niederlassung ist sehr störanfällig und produziert auch im Normalbetrieb nicht gerade Wohlgerüche. Darum muss der Konzern immer wieder Hand anlegen. Im Moment steht die „Modernisierung der Vorklärung“ an. Im Zuge dessen will der Leverkusener Multi die Vorklär-Becken abdecken und die anfallende Abluft ableiten, damit der Gestank künftig nicht mehr nach außen dringt.
Unfälle & Katastrophen
Gefahrstoffaustritt bei BAYER?
Am 30. April 2024 musste die Feuerwehr zu einem Einsatz im Wuppertaler BAYER-Werk ausrücken. Der Grund: Im Zuge einer Tank-Reinigung kam es zu Geruchsbelästigungen. Ein Passant klagte über Atemwegsbeschwerden und wurde zur Abklärung in ein Krankenhaus gebracht. Eine BAYER-Sprecherin dementierte die Gerüchte eines Gefahrstoff-Austritts: Es sei normal, dass bei solchen Wartungsarbeiten schon mal übelriechende Luft entweiche. Die Wuppertaler Rundschau indessen berichtete von drei Leichtverletzten.
Brand im Chem„park“
Am 23. Mai 2024 kam es im Leverkusener Chem„park“ der CURRENTA zu einem Brand. Im Entsorgungszentrum, zu dessen größten Kunden der BAYER-Konzern zählt, ging ein Abfallbunker in Flammen auf. Mit Informationen hielt sich die CURRENTA zurück. Die Nachrichten-Lage ist dementsprechend dünn, doch viele fühlten sich an die deutlich größere Explosion im Sommer 2021 erinnert, die zum Tod von sieben Menschen und mehreren Dutzend Verletzten führte. Die Ermittlungen wg. des Verdachts der fahrlässigen Tötung dauern bis heute an. Im Januar 2024 hatte die Dortmunder „Zentralstelle für die Verfolgung der Umweltkriminalität in Nordrhein-Westfalen“ den Fall übernommen (siehe auch RECHT & UNBILLIG).
Standorte & Produktion
Abriss-Pläne: Neues Gutachten
Der BAYER-Konzern beabsichtigt im Berliner Stadtteil Wedding Wohnraum en masse zu vernichten. Nicht weniger als 18 Häuser in unmittelbarer Nähe seines Werksgeländes will er abreißen und damit nicht nur 140 Wohnungen, sondern auch noch eine Kindertagesstätte, KünstlerInnen-Ateliers, Gewerbebetriebe und Büroräume dem Erdboden gleichmachen. Dabei bleibt unklar, für was die Gebäude eigentlich weichen sollen.
Wegen „nichtwirtschaftlicher Verwertbarkeit“ der Immobilien stellte der Leverkusener Multi den MieterInnen des Mettmannkiezes die Kündigungen aus. „Die betroffenen Gebäude sind planungsrechtlich nicht mehr für Wohnzwecke ausgewiesen“, erklärte er und beantragte den Abriss. Das Bezirksamt Berlin-Mitte stimmte dem zu.
Aber jetzt gibt es wieder Hoffnung für die MieterInnen, die sich bereits seit Langem gegen den geplanten Kahlschlag wehren und auch schon Räumungsklagen erfolgreich trotzten. Die Partei „Die Linke“ legte ein Gutachten vor, wonach der Mettmannkiez „schützenswert“ im Sinne des Zweckentfremdungsverbot-Gesetzes sei. Auch die entsprechenden Bau-Genehmigungen aus den Jahren 1878 und 1884 lägen vor, so die Expertise. „Von daher wäre es treuwidrig, wenn BAYER sich jetzt auf den Standpunkt stellen würde, es handle sich rechtlich nicht um Wohnraum“, heißt es in dem Schreiben. Als Konsequenz daraus forderte die wohnungspolitische Sprecherin der Linken, Martha Kleedörfer: „Das Bezirksamt muss jetzt das Ruder rumreißen!
Imperium & Weltmarkt
BAYER nur noch die Nr. 2
Der BAYER-Konzern ist nicht mehr Deutschlands umsatzträchtigster Pharma-Riese. Er verlor diese Position an BOEHRINGER. Auch im Teilbereich der rezeptfreien Medikamente liegt der Leverkusener Multi nicht mehr vorn. Hier löste ihn STADA ab.
ÖKONOMIE & PROFIT
BAYERs Top-Seller
Auf der Hauptversammlung am 26. April 2024 benannte der Konzern auf Nachfrage seine Topseller. Platz 1 belegt der Gerinnungshemmer XARELTO mit einem Umsatz von 4,1 Milliarden Euro, Platz 2 das Augen-Präparat EYLEA mit 3,2 Milliarden und Platz 3 das Herbizid Glyphosat, für das der Agro-Riesen keine Zahlen angibt.
BAYERs Top-Investitionen
Gyphosat gehört zu den umsatzträchtigsten Produkten des BAYER-Konzerns (siehe oben). Dementsprechend viel Geld steckt er in die weitere Entwicklung der Geschäfte. So stellte die Erschließung einer Mine zur Gewinnung des Glyphosat-Vorprodukts Phosphorit im US-amerikanischen Bundesstaat Idaho die größte Investition des Global Players im Geschäftsjahr 2023 dar. Danach kamen der Bau einer Pharma-Anlage in Leverkusen und ein neues Gebäude für die Agrar-Forschung in Monheim.
BAYER spart Steuern
Auf der letzten Hauptversammlung stand auch ein Punkt zum Unternehmensrecht auf der Tagesordnung, und zwar der „Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag mit der BAYER CROP-SCIENCE AG (BCS AG)“. Juristische Vorkenntnisse waren jedoch nicht erforderlich, um zu verstehen, warum der Konzern das zur Abstimmung brachte. Es ging nur um profanes Steuersparen, wie Finanzvorstand Wolfgang Nickl in seiner Rede erläuterte: „Der Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag ermöglicht neben erheblichen administrativen und rechtlichen Vereinfachungen eine steueroptimale Berücksichtigung der Gewinne und Verluste der BCS AG im Rahmen der körperschaft- und gewerbesteuerlichen Organschaft. Es kann eine zusammengefasste Besteuerung der BAYER AG und der BCS AG erfolgen, die einen steuerlichen Gewinn- bzw. Verlustausgleich ermöglicht. Dadurch fällt nur bei der BAYER AG Körperschaftssteuer und Gewerbesteuer an.“ Das kam bei den AktionärInnen natürlich gut an.
RECHT & UNBILLIG
Winkeladvokat BAYER
Medien-Berichten zufolge prüft der BAYER-Konzern den Vorschlag seines Aufsichtsrats Jeffrey Ubben, sich den hohen Kosten in Sachen „Glyphosat-Schadensersatzklagen“ durch das Anmelden einer Teil-Insolvenz im Bundesstaat Texas zu entziehen. Das dortige Firmenrecht erlaubt nämlich eine solche, in Unternehmenskreisen unter „Texas Two-Step“ bekannte Operation. Auf der letzten Hauptversammlung verlangte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN dazu genauere Information, doch der Vorstand verweigerte die Aussage.
Noch 57.000 Glyphosat-Klagen
Die Schadensersatz-Klagen in Sachen „Glyphosat“ nehmen nicht ab. Dem neuesten Quartalsbericht BAYERs vom Mai 2024 zufolge beläuft sich die Zahl auf 57.000 (Stand: 23. April).
BAYER verliert XARELTO-Prozess
Der Gerinnungshemmer XARELTO (Wirkstoff: Rivaroxaban) ist das profitabelste Medikament des BAYER-Konzerns. Einen Umsatz von mehr als vier Milliarden Euro machte er im Geschäftsjahr 2023 mit der Arznei. Allerdings sind deren besten Jahre vorbei, weil das Patent abläuft. Den ManagerInnen bleiben dem Handelsblatt zufolge in solchen Fällen zwei Möglichkeiten: „Sie können neue, vielversprechende Medikamente auf den Markt bringen. Oder versuchen, die Markteinführung gleichwertiger Nachahmer-Medikamente durch die Konkurrenz über den Patent-Ablauf hinaus zu verzögern.“
Der Leverkusener Multi wählt vorzugsweise die Verzögerungstaktik, wobei er meistens bei der Dosierung oder der Darreichungsform ansetzt. So auch bei XARELTO. Da erhielt er für Versionen, die nicht wie das Original 2,5 mg Rivaroxaban, sondern 10, 15 oder 20 mg enthalten und deshalb nur einmal täglich eingenommen werden müssen, erneut Schutzrechte. „Dieses Patent wurde erfolgreich auf europäischer Ebene verteidigt, wird aber auf nationaler Ebene in einer Reihe von Ländern erneut angegriffen. Wir sind zuversichtlich, auch solche Angriffe abwehren zu können“, heißt es dazu im Geschäftsbericht. In den Niederlanden, Schweden und Belgien gelang das auch, in England aber trog diese Hoffnung. Ein Londoner Richter sprach dem alten XARELTO-Wein in neuen Schläuchen konsequenterweise den Innovationscharakter ab und entschied zu Gunsten von SANDOZ. Das Schweizer Unternehmen hatte einen Prozess gegen BAYER angestrengt, um den Weg für ein Rivaroxaban-Präparat aus eigenem Hause freizuklagen.
PCB in North Carolina
Im US-Bundestaat North Carolina meldeten sich 150 (ehemalige) StudentInnen beim Lokalsender WRAL, nachdem dieser über Bauschadstoffe in der State University berichtet hatte. Vor allem Polychlorierte Biphenyle (PCB) konnten in Teilen des Gebäude-Komplexes wie der Poe Hall nachgewiesen werden. Die 150 Personen hatten sich während ihres Studiums in diesen Räumen aufgehalten und waren allesamt an Krebs erkrankt.
1989 wurde die Industrie-Chemikalie wegen ihrer Gesundheitsschädlichkeit verboten. Bis dahin zählten der BAYER-Konzern und MONSANTO zu den Hauptproduzenten der Substanz, die hauptsächlich in Elektrogeräten, Fugendichtungsmassen, Farben, Ölen, Lacken und Bodenbelägen zum Einsatz kam.
Die Krebs-Kranken erwägen nun eine Klage gegen den Leverkusener Multi. Es wäre dies in den USA nicht die erste in Sachen „PCB“. In Washington und Los Angeles laufen bzw. liefen schon derartige Verfahren gegen BAYER, in Washington wurde das Unternehmen bereits zu 857 Millionen US-Dollar Schadenersatz verurteilt. Es weist aber jegliche Verantwortung von sich. Der Konzern spricht davon, dass es „keine ausreichenden Beweise“ für Zusammenhänge zwischen PCB und Erkrankungen gebe. Überdies verweist er darauf, dass die US-Schulverwaltungen die Sanierung der Gebäude zu lange aufgeschoben hätten und macht zudem „weitreichende Haftungsfreistellungen“ bei den Lieferungen geltend.
So oder so: die PCB-Prozesse gesellen sich den Glyphosat-Prozessen zu, und es bleibt abzuwarten, wie hoch der finanzielle Schaden für die Aktiengesellschaft ausfallen wird.
BAYER schmettert PCB-Klage ab
Der Wind hat sich gedreht in der US-amerikanischen Gerichtslandschaft: Ein Berufungsgericht im US-Staat Washington hob im Mai diesen Jahres ein Urteil von 2021 auf, demzufolge der BAYER-Konzern 185 Mio. US-Dollar Schadenersatz an PCB-Geschädigte hätte zahlen müssen. Die AktionärInnen freut´s, und die BAYER-Aktie konnte kurzzeitig ein Plus von 5 Prozent verbuchen – für den von Rechtsstreitigkeiten und wirtschaftlicher Misere geplagten Pharma-Riesen ein großer Erfolg, für die Opfer seiner Alt- und Neulasten ein herber Schlag ins Gesicht.
Nach Glyphosat sind die polychlorierten Biphenyle (PCB) wohl der zweithäufigste Gegenstand von gegen den Leverkusener Multi gerichteten Klagen, und das aus gutem Grund: Schließlich kann der in Dichtungsmassen, Kondensatoren, Kunststoffen und vielem mehr verbaute und seit den 70er Jahren in den USA verbotene Stoff Gesundheitsschäden der verschiedensten Art bewirken. So wird er mit Nervenkrankheiten, Krebsrisiko und vielem mehr in Verbindung gebracht.
Die RichterInnen hoben das erstinstanzliche Urteil auf, weil das Recht des US-Bundestaats Washington angeblich falsch angewandt worden sei. Dem Gericht zufolge hätten Gutachten über den Zusammenhang zwischen den Krankheiten der KlägerInnen und PCB als Beweismittel nicht zugelassen werden dürfen. Zudem sei der Leverkusener Multi daran gehindert worden, entlastende Argumente vorzutragen, so der Washingtoner Court of Appeals.
Der Global Player schöpft jetzt Hoffnung. „Das ist ein wichtiger Erfolg, weil er möglicherweise Auswirkungen über den Fall hinaus hat. Schließlich sind die Fehler, die das Berufungsgericht identifiziert hat, auch für alle anderen Fälle relevant, die zu dieser Schule, dem Sky Valley Education Center, anhängig sind“, erklärte BAYER-Chef Bill Anderson im Mai 2024 bei der Vorstellung der Geschäftsbilanz für das erste Quartal. Der Konzern glaubt auch, die dritte Instanz zu überstehen. „Die Klägerseite wird gegen die Entscheidung Rechtsmittel einlegen. Wir sind jedoch der festen Überzeugung, dass das Urteil des Berufungsgerichts in diesen beiden Punkten im Einklang mit dem geltenden Recht steht“, so BAYER-Chef Anderson bei der Präsentation der Geschäftszahlen für das erste Quartal 2024.
Kartell-Klage gegen BAYER
In den Vereinigten Staaten hat die Firma Tevra Brands eine Kartell-Klage gegen den BAYER-Konzern eingereicht. Sie betrifft Vorgänge in dessen – inzwischen verkaufter – Veterinärsparte. Der Betrieb aus Omaha wirft dem Global Player vor, Großhändler mit Vergünstigungen dazu verleitet zu haben, bestimmte Tevra-Produkte nicht in ihr Sortiment aufzunehmen. Das Unternehmen hatte Nachahmer-Versionen der vom Leverkusener Multi entwickelten Anti-Zecken-Mittel ADVANTAGE und ADVANTIX herausgebracht, fand dafür jedoch trotz eines weit niedrigeren Preises keinen Vertrieb. „BAYER ist hier Wiederholungstäter. Der Konzern fällt immer wieder durch solche Delikte auf. Das „Business as usual“ allein kann seine Profitgier offenbar nicht stillen. Es müssen immer auch ein paar Kapitalverbrechen her“, hieß es dazu in der Presse-Erklärung der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG).
Dortmund übernimmt Ermittlungen
Am 27. Juli 2021 ereignete sich auf dem Gelände des Leverkusener Chem„parks“ (ehemals BAYER, seit 2019 CURRENTA) eine Explosion. Der Störfall im Tanklager des Entsorgungszentrums (siehe SWB 4/21) forderte sieben Todesopfer. 31 Menschen trugen zum Teil schwere Verletzungen davon. Abermals zeigte die Katastrophe die lebensgefährlichen Risiken einer dem Profit-Prinzip folgenden Wirtschaftsweise auf.
Die bürgerliche Justiz aber muss Schuld individualisieren. Bereits am ersten Tag nach der Detonation leitete die Staatsanwaltschaft Köln Ermittlungen gegen unbekannt wegen des Verdachts auf fahrlässige Tötung und auf fahrlässige Herbeiführung einer Sprengstoff-Explosion ein. Im Oktober 2021 gab sie dann bekannt, sich dabei konkret auf drei Personen zu fokussieren.
Dann geschah erst einmal lange nichts. Und Anfang 2024 übernahm die Staatsanwaltschaft Dortmund – bzw. deren neu eingerichtete „Zentralstelle für die Verfolgung der Umweltkriminalität in Nordrhein-Westfalen“ – den Fall. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) hat sich bei ihr nun nach dem Stand der Dinge erkundigt. Bis zum Redaktionsschluss des TICKER Ende Juni lag jedoch noch keine Antwort vor.
FORSCHUNG & LEHRE
BAYER forscht weniger
Im Geschäftsjahr 2023 gab der BAYER-Konzern weniger Geld für Forschung & Entwicklung aus als 2022. Der Etat schrumpfte von 6,168 Milliarden auf 5,835 Milliarden Euro.
EU-Subventionen für BAYER
Im Jahr 2023 erhielt der BAYER-Konzern von der EU im Rahmen von Programmen zur Förderung von Forschung und Innovation wie „Horizont 2020“ 359.000 Euro an Subventionen.
Startschuss für Gentherapie-Zentrum
Zell- und Gentherapien stellen einen Schwerpunkt von BAYERs Pharma-Sparte dar. In Deutschland kooperiert der Konzern dabei mit der Berliner Charité. Im Jahr 2022 gaben die beiden Partner bekannt, ein Zell- und Gentherapie-Zentrum aufbauen zu wollen, das auch Start-Ups und anderen Firmen offenstehen soll. Das Ziel der Gründung ist es, den Weg von der Forschung zur Produkt-Entwicklung zu beschleunigen. „Am Nordhafen finden Forscher und Verwerter zusammen“, so formuliert es die Berliner Morgenpost.
Der Bund unterstützt das Projekt mit 44 Millionen Euro und ähnliche Vorhaben mit noch einmal 76 Millionen. Er betrachtet nämlich Zell- und Gentherapien als „ein wesentliches Element für eine personalisierte Medizin, mit der Krankheiten zielgerichtet behandelt werden können“ und verfolgt mit den Geldspritzen die Absicht, „geeignete Plattformen für diese Zukunftstechnologie und die darauf aufbauende klinische Entwicklungen in Deutschland auszubauen“ sowie „den Biotechnologie-Standort Deutschland wirkungsvoll zu stärken“.
Allerdings taten sich BAYER und die Charité lange Zeit schwer, einen Investor und auch einen Betreiber für das „Translationszentrum“ aufzutreiben, denn weder der Leverkusener Multi noch das Klinikum mochten diesen Part übernehmen. Im Juni 2022 wurden sie jedoch fündig. IQ Spaces errichtet das „Berlin Center for Gene and Cell Therapies“ für 180 Millionen Euro; und für den Betrieb gründen die beiden Träger eine „gemeinschaftliche öffentlich-private, nicht gewinn-orientierte GmbH“. Zur Bekanntgabe der Pläne fand sich viel Polit-Prominenz ein. Sogar Bundeskanzler Olaf Scholz machte seine Aufwartung. „Mit dem Startschuss für das neue Translationszentrum feiern wir heute auch eine einzigartige Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Industrie und Politik“, sagte er und wünschte „viel Erfolg für dieses visionäre Projekt“.
Depressionen durch Verhütungsmittel?
Verhütungsmittel stehen im Verdacht, bei der Entstehung von Depressionen eine Rolle zu spielen. Um den Zusammenhang genauer zu ergründen, hat das „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte“ jetzt gemeinsam mit dem Institut für Biochemie der „Deutschen Sporthochschule Köln“ ein Forschungsprojekt gestartet.