Drugs & Pills
BAYERS Testosteron-Präparate
Jungbrunnen mit Nebenwirkungen
Eigentlich sollten die Pharma-Firmen Medikamente für bestimmte Krankheiten entwickeln. Manchmal gehen sie jedoch den umgekehrten Weg und entwickeln Krankheiten für bestimmte Medikamente. So hat BAYER die männlichen Wechseljahre erfunden, um einen größeren Markt für NEBIDO und andere Hormon-Präparate zu schaffen.
Von Dr. Jan Salzmann (MEZIS)
Leiden auch Männer unter Wechseljahren? Diese Frage bejahen mittlerweile nicht nur zahlreiche Arzneimittelhersteller, sondern auch diverse Urologen, BuchautorInnen, PsychologInnen und ApothekerInnen. Die „Andropause“ führe nicht nur zu Lustlosigkeit und Erektionsstörungen, sondern auch zu Haarausfall, Knochenschmerzen, Muskelschwund, Konzentrationsstörungen, Schlafstörungen, vermehrtem Schwitzen, Reizbarkeit und Sinnkrisen1,2, so das Urteil vermeintlicher ExpertInnen.
Im Internet kursieren „Selbsttests“ mit 15 bis 20 Items, die die typischen Symptome des „Climacterium virile“ abfragen. Begleitend finden sich jede Menge Werbung und Hinweise auf Heil-Möglichkeiten mit der Aussicht – einem Jungbrunnen gleich – aus dem lustlosen Trauerkloß einen allzeit aktiven und zu allem bereiten Hengst machen.
Trotz aller Emanzipation – als „Schwächling“ oder „Versager“ will wohl kaum ein Mann im Schlafzimmer auffallen. Die Bereitschaft, sich bei sexuellen Problemen diskrete Hilfe zu holen und hier auch jede Menge Geld zu investieren, ist hoch. Das wissen natürlich auch BAYER und die anderen Hersteller von Testosteron-Präparaten und machen flugs eine schlichte Gleichung auf: Sexuelle Probleme = Hormon-Mangel = Andropause/Wechseljahre des Mannes = Lösung durch Substitution, also eine Testosteronersatz-Therapie.
„Das Verkaufen von Medikamenten ist das Geschäft der Pharma-Firmen. Beim Testosteron aber wird die Krankheit gleich zum Produkt mitverkauft. Die hormon-produzierenden Firmen haben Meinungsforschungsinstitute, Werbeagenturen, PR-Unternehmen, Universitätsprofessoren und Journalisten in Gang gesetzt, um die Wechseljahre des Mannes als ernst zu nehmende und weit verbreitete Erkrankung bekannt zu machen“, so Jörg Blech in einem bemerkenswerten Buch zu „erfundenen Krankheiten“3.
„Disease mongering“ lautet der Fachausdruck für diese Übung. Sie ist ein lukratives Geschäft und wird seit Jahrzehnten mit Erfolg betrieben. Bevorzugte Fanggründe für die Pharma-Riesen sind die Tabuzonen der Gesellschaft: psychische Erkrankungen und sexuelle Störungen. Hier sprechen die Betroffenen nicht gerne drüber, auch mit dem Hausarzt oder der Hausärztin nicht, sondern schauen mal im Internet oder in populär-medizinischen Zeitschriften nach. Und da finden sie dann so etwas wie Serotonin-Wiederaufnahmehemmer zur Behandlung der Ejaculatio praecox und andere Wundermittel.
Dr. Christiane Fischer, Geschäftsführerin der ÄrztInnen-Initiative MEIN ESSEN ZAHL’ ICH SELBT (MEZIS), stieß 2015 im Internet etwa auf die Seite des Unternehmens CGC CRAMER-GESUNDHEITS-CONSULTING, das sich ganz offen damit brüstet, für NEBIDO, TESTOGEL und andere BAYER-Produkte mit Werbe-Tricks einen Markt geschaffen zu haben. „Das Hormontief des Mannes – Mit PR eine neue Indikation begründet“, lobt sich die Firma auf ihrer Webpage selber. „Das Hormon-Tief wird als ernstzunehmende behandlungsbedürftige Erkrankung dargestellt, und der Urologe als Spezialist für das Krankheitsbild positioniert. Empirische Meinungsforschung zeigt, dass die Botschaften innerhalb von drei Jahren über die Hälfte der betroffenen Altersgruppe sowie die Mehrzahl der Ärzte erreicht haben“, so bilanziert CGC den Erfolg der Kampagne. Nach einer Einladung zu einer Podiumsdiskussion des Deutschen Ethikrates verschwand die Seite dann ganz plötzlich aus dem Netz.
Das Geschäft mit dem Mythos der Andropause läuft für BAYER & Co. gut. Nach Angaben der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA ist der Markt für Testosteron in den USA von 2009 bis 2013 um 65 Prozent gewachsen, Die Zahl der Verordnungen stieg von 1,3 Millionen im Jahr 2010 auf 2,3 Millionen im Jahre 2013. Auch in Deutschland sind nach dem Arzneiverordnungsreport der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) in dem Zeitraum von 2008 bis 2012 die DDD (definierten tägliche Dosen) von 8,3 Millionen auf 13 Millionen gestiegen4.
Dass die Argumente für das neue Krankheitsbild medizinisch keineswegs zu halten sind, ist mittlerweile durch diverse Untersuchungen belegt. So stellten Wu et al. in einer Studie zum „Late-onset hypognadism in middle-ages and elderly men“ fest, dass viele unspezifische und spezifische Symptome (psychische und sexuelle) keine Korrelation zu den Testosteron-Spiegeln zeigen. Nach Ansicht der WissenschaftlerInnen ist ein substitutionspflichtiger Hypogonadismus (hormonelle Minderproduktion, die durch Hormon-Gabe behandelt werden muss) zudem sehr selten und nur mit einer definierten Kombination spezifischer sexueller und laborchemischer Befunde zu diagnostizieren5,6.
Auch die „Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie“ betonte noch 2015, dass die „Wechseljahre des Mannes“ ein Mythos seien7. Während die meisten Urologen, insbesondere die Mehrzahl der Klinikchefs, die Existenz der Andropause verneinen, gibt es eine Menge – vor allem niedergelassener – Kollegen, die sich der Behandlung dieses „Krankheitsbildes“ verpflichtet haben und das im Internet auch kräftig bewerben. Ob aus finanziellen Gründen, oder weil sie selber daran glauben, das wissen wir nicht.
Dabei erhöhen NEBIDO & Co. nicht nur den Umsatz der Urologen und Arzneimittelhersteller, sondern auch die Gesundheitsrisiken der Betroffenen. Testosteron-Substitution kann neben zahlreichen anderen unerwünschten Wirkungen das kardiovaskuläre Risiko steigern und das Wachstum von Prostata-Karzinomen fördern8,9,10. Somit kann der Einsatz von Testosteron-Präparaten dazu beitragen, die Lebenszeit zu verkürzen, statt die Jugendzeit zu verlängern. Mann sollte sich also besser mit den Tatsachen abfinden: Ab dem Alter von 40 Jahren sinkt der Testosteron-Spiegel aus physiologischen Gründen, und dass die Kräfte im Laufe des Lebens weniger werden, ist genauso normal wie seelische oder soziale Krisen.
Aber BAYER & Co. lassen nicht locker und sind gerade dabei, sich eine weitere Zielgruppe für ihre Testosteron-Arzneien zu erschließen: übergewichtige und zuckerkranke Männer. Aufgrund der Stoffwechsel-Lage kann es tatsächlich zur einer generellen Hormon-Verschiebung kommen, da das Bauchfettgewebe Vorstufen für diverse Hormone bildet, unter anderem ist ein Absinken des Testosteron-Spiegels möglich. Anstatt dies jedoch nebenwirkungsfrei mit Sport und gesunder Ernährung zu ändern, wird in medizinischen Zeitschriften für eine Hormon-Gabe geworben, die den Blutzuckerwert verbessern und die Gewichtsabnahme beschleunigen soll11. NEBIDO, TESTOGEL und andere Testosteron-Produkte dürften BAYER’s Kasse also noch so einige Zeit zum Klingeln bringen.
(1) http:www.psychotipps.com/wechseljahre-mann.html
(2) http:www.wechseljahre-des-mannes.de/wechseljahre/index.html
(3) Jörg Blech, Die Krankheitserfinder, Wie wir zu Patienten gemacht werden, Fischer-Verlag 2014
(4) http:www.medscapemedizin.de/artikel/4901903 Neue Kennzeichnung für Testosteron gefordert – doch Berater der Arzneimittelbehörden halten kardiovaskuläre Risiken für nicht bewiesen
(5) WU F. et al.: „Identification of Late-Onset Hypogonadism
in Middle-Aged and Elderly Men”, N Engl J Med 2010;363:123-35.
(6) http:www.sueddeutsche.de/wissen/medizin-die-wechseljahre-des-mannes-sind-ein-mythos-1.960516
(7) http:www.aerzteblatt.de/nachrichten/62177/Wechseljahre-des-Mannes-laut-Fachgesellschaft-ein-Mythos
(8) http:www.medscapemedizin.de/artikel/4901903 Neue Kennzeichnung für Testosteron gefordert – doch Berater der Arzneimittelbehörden halten kardiovaskuläre Risiken für nicht bewiesen
(9) arznei-telegramm 2/2004, 35, 17, Jungbrunnen Testosteron
10) arznei-telegramm 2/2015, 46, 25-26 EMA, FDA: Kardiovaskuläre Sicherheit von Testosteron nicht belegt
(11) F. Saad, Testosteron-Therapie 2015: Adipositas und Typ-2-Diabetes beim hypogonadalen Mann, Diabetes, Stoffwechsel und Herz, Band 24, 5/2015