BAYER & Co. zerfleddern Bidens Klima- und Sozialpaket
Die Schrumpfkur
Der Extrem-Lobbyismus von BAYER & Co. hat vom Gesetzes-Bündel der Biden-Administration zur Klima- und Sozialpolitik nicht mehr viel übrig gelassen. Von 3,5 Billionen auf 433 Milliarden Dollar schrumpfte der Etat.
Von Jan Pehrke
„Build back better“ – mit einem billionen-schweren Gesetzespaket dieses Namens wollte die Biden-Administration den Neustart der US-Ökonomie nach Corona einläuten. Nicht weniger als 3,5 Billionen Dollar plante sie für Sozial- und Klimaschutzprojekte ein. Unter anderem sah der „Build back better“-Act bessere Krankenversicherungsleistungen, mehr Kinderbetreuungsangebote, bezahlte Elternzeit, Steuerentlastungen für Familien, erleichterte Hochschul-Zugänge und eine Stärkung der Altenpflege vor. Die zweite Säule umfasste finanzielle Anreize für die Industrie zur Realisierung von Klimaschutz-Investitionen in Höhe von 555 Milliarden Dollar. Zur Gegenfinanzierung beabsichtigten Biden & Co. unter anderem, die von Donald Trump veranlasste drastische Unternehmenssteuer-Senkung wieder etwas zurückzufahren und die Arzneimittel-Preise zu senken. Das passte BAYER & Co. natürlich gar nicht. Also startete die Industrie eine Kampagne, die auch verfing. Am Ende blieben von den 3,5 Billionen Dollar gerade einmal 433 Milliarden übrig und viele Maßnahmen Makulatur.
Die Strategie der Industrie, die schließlich zum Erfolg führte, bestand darin, die hauchdünne Mehrheit der Demokraten im Senat zu unterminieren und Abgeordnete mittels üppiger „Wahlkampf-Hilfe“ aus der Fraktion herauszulösen. So erhielten Carolyn Bourdeaux, Ed Case, Jim Costa Henry Cuellar, Jared Golden, Vincente Gonzales, Josh Gottheimer, Joe Manchin, Stephanie Murphy Kurt Schrader, Kyrsten Sinema und Filemon Vela hunderttausende Dollar. Allein der Leverkusener Multi bedachte Gottheimer, Murphy und Schrader mit je 2.500 Dollar und Jim Costa mit 1.000 Dollar. Die konservativen Demokraten-Zirkel „Moderate Democrats“ und „Blue Dog Coalition“ erhielten noch mal je 5.000 Dollar vom Global Player. Andere DAX-Konzerne wie AIRBUS, BASF, SIEMENS, DEUTSCHE TELEKOM und das Familien-Unternehmen BOEHRINGER zeigten sich ebenfalls erkenntlich.
Das meiste Geld zum Rückbau von „Build back better“ stammte allerdings nicht von den einzelnen Firmen selbst, sondern von ihren Interessensverbänden wie dem „Business Roundtable“, dem „US Chamber of Commerce“ und den „Pharmaceutical Research & Manufacturers of America“ (PhRMA). Der „Business Roundtable“ stieß sich vor allem an Bidens Plan, den Unternehmenssteuersatz von 21 auf 28 Prozent zu erhöhen, während die PhRMA warnte, eine Kappung der Arznei-Preise würde „das gleiche innovative Ökosystem zerstören, aus dem lebensrettende Impfstoffe und Therapien zur Bekämpfung von COVID-19 erwuchsen“. Das „American Action Network“ bezeichnete das Vorhaben gleich als eine „sozialistische Übernahme des Medikamenten-Marktes“, und sogar eine eigene „Coalition Against Socialized Medicine“ brachten Bayer & Co. an den Start.
Der Etat schrumpft
Die Wirkung blieb nicht aus. In den Verhandlungsrunden schrumpfte der Etat mehr und mehr. Ende 2021 reduzierte er sich von 3,5 Billionen Dollar auf 1,75 Billionen. Trotzdem ließen sich die abtrünnigen Demokraten nicht erweichen und verhinderten die Verabschiedung des Paragrafen-Werks noch vor dem Jahres-Wechsel. „Mir ist klar, dass die Pharma-Industrie die Republikaner-Partei besitzt und dass kein Republikaner für ein solches Gesetz stimmt, aber es gibt keine Entschuldigung für einen Demokraten, es nicht zu unterstützen“, erboste sich Bernie Sanders damals über seine KollegInnen.
Ein paar Monate und Spar-Runden später blieb nicht einmal der Name übrig. Unter „Inflation Reduction Act of 2022“ firmiert „Build back better“ nun nicht ganz zu Unrecht, denn nach den ganzen Streichungen bleibt unterm Saldo ein Plus von 306 Milliarden Dollar übrig. Ausgaben von 433 Milliarden stehen erwartete Einnahmen von 739 Milliarden gegenüber. In der Schrumpf-Version ersetzt nun ein Mindeststeuer-Satz von lediglich 15 Prozent für Firmen mit einem Umsatz von mehr als einer Milliarde Dollar die Unternehmenssteuer-Reform. Private-Equity-ManagerInnen müssen nicht einmal die 15 Prozent zahlen und auch keine höheren Abzüge auf ihre Kapital-Erträge mehr fürchten. Eine Erbschafts- und eine MillionärInnensteuer finden sich in der endgültigen Fassung ebenfalls nicht mehr.
Jedoch erhebt der „Inflation Reduction Act“ nun eine Abgabe auf Aktien-Rückkäufe. Darüber hinaus beabsichtigt die Biden-Administration, Steuer-Schlupflöcher zu schließen und die Finanzämter besser auszustatten. Sie will diese mit einer Investition von 80 Milliarden Dollar wieder auf den Stand von 2011 bringen und damit die Kürzungsorgien der vergangenen Jahre rückgängig machen. Mit zusätzlichen 87.000 FinanzbeamtInnen erhofft sich die Regierung den Fiskus zu befähigen, mehr von den Steuern, die dem Staat eigentlich zustehen, einzutreiben. Bisher belaufen sich die nicht realisierten Steuer-Einnahmen nach Einschätzung von ExpertInnen auf rund drei Prozent des Bruttoinlandprodukts.Pharma-Sektor brauchen sich BAYER & Co. erst ab 2026 auf Arzneipreis-Verhandlungen mit Medicare, der staatlichen Krankenversicherung für ältere US-AmerikanerInnen, einzustellen. Überdies kommen dabei vorerst nur 60 Präparate auf den Tisch – und nicht einmal die neuen, oft besonders teuren Mittel. Des Weiteren sieht das Gesetz vor, die Arznei-Zuzahlungen von SeniorInnen auf 2.000 Dollar zu deckeln und die Preissteigerungen für Pillen auf die Inflationsrate zu begrenzen.
Klima-Ziele in weiter Ferne
369 der 433 Milliarden Dollar gehen in den Klimaschutz. Unter anderem enthält das Maßnahmen-Bündel Mittel zum Ausbau der Sonnen- und Windenergie, die nach Berechnungen der „American Clean Power Association“ für bis zu 550 Gigawatt zusätzlichen sauberen Strom sorgen. Überdies stellt es 27 Milliarden Dollar zur Gründung einer „grünen“ Bank und 1,5 Milliarden Dollar zur Reduktion von Methan-Emissionen bereit. Darüber hinaus sieht das Förder-Paket Zuschüsse für die energie-effiziente Umgestaltung von Wohnhäusern vor. Für Bio-Kraftstoffe stehen 200 Millionen Dollar zur Verfügung. Da es sich bei den dafür benötigten Ackerfrüchten zumeist um gentechnisch veränderte handelt, betrachtet die Initiative CENTER FOR FOOD SAFETY diese Gelder allerdings lediglich als „weitere Subventionen für die GVO-Technologie“.
Darüber hinaus gibt es Gelder zur Förderung der Batterie-Produktion und eine Steuergutschrift in Höhe von 7.500 Dollar für KäuferInnen von Elektro-Autos. Dafür muss allerdings ein bestimmter Anteil der Batterie-Komponenten aus heimischer Herstellung stammen, was sogleich Proteste der EU nach sich zog. „Die Europäische Union ist zutiefst besorgt über dieses neue potenzielle Handelshindernis“, erklärte eine Sprecherin der EU-Kommission und richtete einen Appell an die Biden-Administration: „Wir fordern die USA auf, diese diskriminierenden Elemente aus dem Gesetzes-Entwurf zu entfernen und sicherzustellen, dass er im Einklang mit der WHO steht.“
Mit diesem von 555 Milliarden auf 369 Milliarden heruntergekürzten Klima-Bud-get vermag die Biden-Administration nach Ansicht von Energie-Fachleuten ihr im April 2021 verkündetes Klima-Ziel, die Treibhausgas-Emissionen bezogen auf das Jahr 2005 um 50 bis 52 Prozent bis 2030 zu reduzieren, nicht zu erreichen. Es langt lediglich zu einer 40-prozentigen Absenkung. Zudem ist längst nicht alles im grünen Bereich, was das Paragrafen-Werk vorhält. Auf Drängen des vehementesten demokratischen Blockierers, Joe Manchin, erlaubt es Firmen, die vor den Küsten der USA Öl- oder Gasförderung betreiben wollen, die betreffenden Areale vom Staat zu pachten. Darüber hinaus erreichte der Bremser, der über das Unternehmen ENERSYSTEMS selbst Einkünfte aus dem Kohle-Business bezieht, den Weiterbau der „Mountain Valley“-Gaspipeline. Damit nicht genug, gewährt das Gesetz Atomkraftwerk-Betreibern eine Steuer-Gutschrift in Höhe von 30 Milliarden Dollar.
Aus dem Sozialprogramm fielen derweil die bezahlte Elternzeit, Steuerentlastungen für Familien, bezahlte Krankheits- und Familienurlaube, die Abschaffung von Hochschul-Gebühren, Zuschüsse für die Altenpflege, Wohnungsbau-Maßnahmen, Wohngeld und Ausweitung der Medicare-Leistungen auf Zahn-, Seh- und Hörhilfen weg.
„Das Verfahren hat alle möglichen Schwächen und Widerstände gegen Reformen in den USA enthüllt“, resümierte die taz und nannte dabei nicht zuletzt auch die fortwährenden Interventionen von BAYER & Co. „Und so haben einige der mächtigen Lobbys der Welt – darunter die Energie-Erzeuger und die Pharma-Konzerne – das gesetzgeberische Verfahren der gewählten Repräsentanten der USA nach Strich und Faden verzögert, behindert und beeinflusst“, schreibt die Zeitung und zeigt sich mit dem Ergebnis dennoch zufrieden. Ganz im Gegensatz zu den Unternehmen. Der Präsident des Pharma-Verbandes PhRMA, Stephen Ubl, sprach von einer „Litanei falscher Versprechungen“. Er machte einen „tragischen Verlust für die Patienten“ aus und prophezeite einen Rückgang der Innovationen. „[D]ieses Gesetz wird zu weniger neuen Heilmitteln und Behandlungsformen für Patienten führen, die gegen Krebs, Alzheimer und andere Krankheiten kämpfen“, so Ubl. Seine PhRMA-Kollegin Sarah Sutton schloss sogar rechtliche Schritte nicht aus.
Der Leverkusener Multi verstärkt derweil seine Lobby-Anstrengungen auf den Politik-Feldern „Arznei-Preise“ und „Medicare-Erstattungen“, um sich auf die neuen Gegebenheiten einzustellen. Zu diesem Behufe hat er das Unternehmen WILLIAMS & JENSEN engagiert, die ein Team aus sieben Personen nach Washington ins Rennen schickt, wo es dann die Arbeit der neun anderen in BAYER-Diensten stehenden Firmen sowie diejenige der konzern-eigenen AntichambriererInnen verstärkt.
Überdies haben einige BeobachterInnen schon Strategien ausgemacht, mit denen die Pillen-Riesen mögliche Einkommensverluste kompensieren könnten. Sie rechnen mit höheren Preisen für die nach wie vor unregulierten neuen Medikamente und mit höheren Belastungen für privat Versicherte. Zu geringeren Renditen dürfte es also wieder mal nicht kommen.