BAYER & Co. opponieren gegen die Klimapolitik der EU
Der Lobby-Tsunami
Brüssel will den Handel mit Kohlendioxid-Verschmutzungsrechten reformieren, um die Klimaschutz-Vorgaben des Green Deals erfüllen zu können. BAYER & Co. wehren sich dagegen nach Kräften.
Von Jan Pehrke
Im Jahr 2005 hat die Europäische Union den Emissionshandel mit Kohlendioxid-Verschmutzungsrechten eingeführt. Der sogenannte EU-EHS sieht vor, BAYER & Co. CO2-Emissionen nur in einem bestimmten Umfang zu gestatten. Alles, was über ein bestimmtes Limit hinausgeht, sollte die Konzerne teuer zu stehen kommen und sie zum Bau weniger klima-schädlicher Anlagen veranlassen.
Aber die disziplinarische Wirkung dieser Maßnahme hält sich in Grenzen, weil die Unternehmen damals durch Extrem-Lobbyismus das Schlimmste verhindert haben. So gewähren viele Regierungen einen Ausgleich für die Kosten, die durch die CO2-Preise entstehen. Auch fallen nur Kraft- und Heizwerke unter die Regelung, Fertigungsstätten bleiben indessen verschont. Darum braucht der Leverkusener Agro-Riese kaum Emissionshandel zu betreiben. Mit lediglich fünf Anlagen, die für noch nicht einmal zehn Prozent seines jährlichen CO2-Ausstoßes von zuletzt 3,17 Millionen Tonnen sorgen, beteiligte er sich im Geschäftsjahr 2021. In Deutschland waren dies der Supply Center in Bergkamen, das Berliner Energie-Zentrum und das Wuppertaler Heizhaus. Zudem erhalten die Firmen dank ihrer Drohung, ansonsten aus Europa abzuwandern, viel zu viele Zertifikate umsonst zugeteilt. Aus diesem Grund kommt es sie billiger, ihre Dreckschleudern am Netz zu halten, als sie zu ersetzen. „Der CO2-Preis liegt (…) sowohl im europäischen als auch nationalen Emissionshandel auf absehbare Zeit unter den Vermeidungskosten vieler CO2-armer Schlüsseltechnologien in der Industrie“, befindet eine Untersuchung, die Agora Energiewende und die Unternehmensberatung ROLAND BERGER in Tateinheit mit BAYER, BASF, BP, SIEMENS und anderen Firmen erstellt haben, und konstatiert „Investitionsattentismus“. Eine Studie der nordrhein-westfälischen Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen bestätigt den Befund: „[D]ie Industrien schieben Neuinvestitionen bereits seit mehr als einem Jahrzehnt auf.“ Lediglich eine Klima-Innovation kann der Global Player deshalb vorweisen: Die gerade im Bau befindliche Arznei-Fertigung am Standort Leverkusen wird durch ein Geothermie-Kraftwerk mit Erdwärme als Energieträger versorgt.
Der neue Klima-Deal
Trotz einiger Reformen des EU-EHS hat sich an dieser Situation nicht viel geändert. Darum entstand mit dem Green Deal von 2019, der auf dem Gebiet der Europäischen Union eine Reduktion der CO2-Emissionen um 55 Prozent im Vergleich zu 1990 bis zum Jahr 2030 vorsah, Handlungsbedarf.
Die EU-Kommission schlug vor, den Geltungsbereich des Emissionshandels auszuweiten sowie die Bestimmungen zu verschärfen und so den Kohlendioxid-Ausstoß in den einzelnen Sektoren um 61 Prozent bezogen auf den Stand von 2005 zu senken. Unter anderem trat sie dafür ein, den See-Verkehr einzubeziehen und ein eigenes System für Gebäude und Verkehr zu schaffen.
Überdies plädierten von der Leyen & Co. dafür, die kostenlose Zuteilung von Verschmutzungsrechten bis 2035 schrittweise zu beenden und die Schonung der eigenen Industrie stattdessen durch einen Grenzausgleich, eine Art von CO2-Einfuhrzöllen, zu bewerkstelligen. Zudem sprach sich die Kommission dafür aus, das Instrument der Marktstabilisierungsreserve zu stärken, das dem Handel Zertifikate entziehen kann, um einen Preisverfall zu stoppen. Dazu wollte sie eine Regelung schaffen, die es erlaubt, die Verschmutzungsrechte dauerhaft zu löschen, wenn sich davon mehr als 400 Millionen angesammelt haben. Der Rat der Mitgliedsländer schloss sich dem allen dann weitgehend an und konkretisierte die einzelnen Punkte lediglich.
Der Umweltausschuss des Europäischen Parlaments formulierte dagegen ehrgeizigere Ziele. Das Gremium sprach sich für eine Verringung der Emissionen um 67 Prozent aus. Es zog deshalb in seiner Vorlage das Ende der kostenlos ausgegebenen CO2-Zertifikate von 2035 auf 2030 vor und erweiterte überdies die Palette der Stoffe, die unter den CO2-Grenzschutz fallen um organische Chemikalien, Polymer-Kunststoffe und Wasserstoff. Nur so sah es der Ausschuss als realistisch an, die Erderwärmung gemäß dem Übereinkommen von Paris bis zum Ende des Jahrhunderts auf 1,5 Grad begrenzen zu können.
Das hatte vor dem Parlament allerdings keinen Bestand. Am 8. Juni 2022 gelangte stattdessen ein Kompromiss-Paket zur Abstimmung, das jedoch auch keine Mehrheit fand. Lediglich 63 Prozent weniger Kohlendioxid-Emissionen und Verschmutzungsrechte für lau bis 2034 – das war mit den Abgeordneten nicht zu machen. Die „Europäische Volkspartei“ mit ihrem Chef-Unterhändler Peter Liese von der CDU habe zusammen mit den Parteien vom rechten Rand versucht, den Kommissionsvorschlag „zu verwässern, wo es nur möglich war“, erboste sich Tiemo Wölken von der sozialdemokratischen Fraktion. Und auch die Grünen sagten nein zu dem, was ihr Parlamentarier Michael Bloss einen „von der fossilen Lobby und Allianz aufgeweichten Emissionshandel“ nannte.
So kam zwei Wochen später alles auf Wiedervorlage. Die 63 Prozent überstanden den Prozess unbeschadet. Dafür gingen die Abgeordneten bei den Maßnahmen zur Regulierung der Zertifikatspreise weiter. Sie traten für eine Löschung von insgesamt 120 Millionen CO2-Verschmutzungsrechten ein. Und kostenlose CO2-Zertifikate soll es meistenteils nur noch bis 2032 geben. Ob die Grenzabgabe als Alternativ-Instrumentarium auch für Chemikalien, Polymer-Kunststoffe und Wasserstoff zu zahlen ist, machten die EU-PolitikerInnen von genaueren Untersuchungen abhängig. Dafür schlossen sie sich der Forderung der Bundesregierung an, BAYER & Co. für die Ausfuhr von energie-intensiv produzierten Stoffen weiterhin Verschmutzungslizenzen zum Nulltarif zur Verfügung zu stellen. Damit setzten sie sich über Bedenken der EU-Kommission hinweg, die Zweifel hegt, ob eine solche Regelung im Einklang mit den Bestimmungen der Welthandelsorganisation steht.
Extremer Lobby-Druck
Bei dem Ganzen haben BAYER & Co. mehr als nur ein Wörtchen mitgeredet. „Von einem regelrechten ‚Lobby-Tsunami’ sprachen einige Abgeordnete“, meldete der Spiegel. Möglichst „wirtschaftsfreundlich“, „flexibel“ und „technologie-offen“ wollten BAYER & Co. den neuen Emissionshandel haben. Nachdem der Umweltausschuss des EU-Parlaments Mitte Mai seine Vorschläge veröffentlicht hatte, schlug der „Verband der Chemischen Industrie“ Alarm. „Sollte die Position des Parlaments unverändert in die finale EU-Richtlinie eingehen, droht statt einer klima-neutralen europäischen Industrie ein klima-neutrales Europa ohne Industrie“, warnte VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup. Mit den verschärften Reduktionszielen und ohne die verschenkten Verschmutzungszertifikate könne die Industrie die Transformation nicht schaffen, erklärte er. Selbstredend ergriff Große Entrup, der lange Zeit in Diensten BAYERs stand, auch die unpassende Gelegenheit, den Ukraine-Krieg für die Sache der Multis zu instrumentalisieren. Der Umweltausschuss blende die unsichere geopolitische Lage und die massiv gestiegenen Energie-Kosten für die Unternehmen komplett aus“, empörte sich der gelernte Agrar-Ingenieur.
Und das Urteil über den Vorschlag, auf den sich die EU-ParlamentarierInnen am 22. Juni letztlich einigten, fiel nicht eben besser aus. Der Verband sieht überhaupt keinen Reform-Bedarf. „Das bisher im Emissionshandel etablierte und funktionierende System der Zuteilung von Zertifikaten verhindert Verlagerungen von Treibhausgas-Emissionen in andere Weltregionen“, behauptete er. Der an die Stelle der unentgeltlichen Verschmutzungsrechte tretende Grenzausgleich-Mechanismus ist für BAYER & Co. schlichtweg ein „Bürokratie-Monster“. Nach Einschätzung der Konzerne kostet die Kohlendioxid-Produktion jetzt schon viel zu viel: „Wenn die Preise für CO2-Zertifikate weiter so zulegen wie in den letzten Monaten, fliegt uns das ganze System um die Ohren. Dann brauchen wir im Wettbewerb mit anderen Weltregionen gar nicht mehr anzutreten“, sagt Jörg Rothermel, der Leiter der VCI-Abteilung „Energie, Klimaschutz und Rohstoffe“.
Im weiteren Verlauf des Prozesses hat die Position der Unternehmen gute Chancen, weiter an Boden zu gewinnen, denn aus den nun anstehenden Trilog-Verhandlungen zwischen der EU-Kommission, dem MinisterInnen-Rat und dem Parlament drohen die Vorstellungen, die sich noch am ambitioniertesten ausnehmen – denjenigen der EU-Abgeordneten – nicht unbeschadet herauszukommen. Und einige Ländern wie Polen fordern wegen der infolge des Ukraine-Krieges immens gestiegenen Strom-Kosten bereits, den Emissionshandel ganz auszusetzen oder zumindest preis-mindernd mehr Zertifikate auszugeben.
Dabei genügen nach Meinung vieler ExpertInnen nicht einmal die, um das Ziel von 1,5-Grad zu erreichen. Dem WWF zufolge müsste dafür der vom Emissionshandel erfasste Kohlendioxid-Ausstoß um 70 Prozent sinken. Darüber hinaus hält der Verband es für nötig, den Grundstock der zur Verteilung kommenden Verschmutzungslizenzen nicht nur um 120 Millionen zu minimieren, wie es dem Parlament vorschwebt, sondern um 350 Millionen. „Überdies bedarf es der Einführung eines Mindestpreises als Sicherheitsnetz, um einen neuen CO2-Preisabsturz zu vermeiden und um die Investitionssicherheit in Bezug auf klima-freundliche Erzeugungsformen zu stärken“, so der WWF. Und das Freiburger Öko-Institut fordert darüber hinaus, die Marktstabilisierungsreserve nicht als Zwischenlager für die dem Markt entzogenen Zertifikate zu nutzen, sondern diese nach spätestens fünf Jahren zu löschen. Aber all dies dürfte Zukunftsmusik bleiben.