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SWB 04/2022 – BAYER, Brasilien, Bolsonaro

CBG Redaktion

Politische Landschaftspflege

BAYER, Brasilien, Bolsonaro

Die Studie „Giftige Profite – Die Lobbyarbeit der EU-Pestizidhersteller in Brasilien“ legt dezidiert dar, welch massiven Einfluss BAYER & Co. auf die Politik des Landes haben.

Von Jan Pehrke

Brasilien zählt neben den USA, China und Argentinien zu den weltweit größten Absatzmärkten für Pestizide. Schier endlos erstrecken sich die Felder, auf denen zumeist die Cashcrops Soja, Mais und Zuckerrohr wachsen. Und die Monokulturen fressen sich immer weiter in den Regenwald hinein, was verheerende Auswirkungen auf das Klima und die Artenvielfalt hat. Auf 1,883 Milliarden Hektar landwirtschaftlich genutzer Flächen kam das Land im Jahr 2021. 2020 waren es „nur“ 1,679 Milliarden und 2017 1,378 Milliarden.

Demensprechend steigt der Agrochemie-Bedarf. Die Regierung von Jair Bolsonaro stellt deshalb neue Genehmigungen am Fließband aus. Von Anfang 2019 bis April 2022 ließ sie nicht weniger als 1.880 neue Mittel zu. Damit nicht genug, dulden die staatlichen Stellen auch Produkte, welche die Konzerne in der Europäischen Union wegen ihrer Gefährlichkeit nicht (mehr) verkaufen dürfen. 15 solcher Ultragifte vertreibt BAYER in Brasilien, BASF gar 17.

Aber solch paradiesische Verwertungsbedingungen entstehen nicht von allein. BAYER & Co. haben kräftig politische Landschaftspflege betrieben. Das ganze Ausmaß der Einflussnahmen legt die Studie „Giftige Profite – Die Lobbyarbeit der EU-Pestizid-Hersteller in Brasilien“ von Larissa Mies Bombardi und Audrey Changoe offen.

Den AutorInnen zufolge bedient sich der Leverkusener Multi dabei bespielsweise Unternehmensverbänden wie SINDIVEG, ABAG und „CropLife Brasil“, dem der ehemalige BAYER-Manager Christian Lohbauer vorsteht. Überdies arbeiten Denkfabriken wie das „Instituto Pensar Agro“ und PR-Plattformen wie Agrosaber für ihn. Das Wichtigste aber regelt der Konzern persönlich. So trafen sich der Vorstandsvorsitzende Werner Baumann und der Leiter der „Public and Governmental Affairs“ der Aktiengesellschaft, der ehemalige Grünen-Politiker Matthias Berninger, im Jahr 2019 mit dem brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro. Dessen ehemaliger Umweltminister Ricardo Salles machte sogar schon Hausbesuche am bundesdeutschen Stammsitz des Agro-Riesen.

Und als Malu Nachreiner bei BAYER/Brasil den Vorsitz von Marc Reichardt übernahm, dauerte es nicht lange, bis sie sich bei Landwirtschaftsministerin Tereza Cristina vorstellte. Mit deren Nachfolger Marcos Montes fand indes bisher noch keine Zusammenkunft statt. Da Montes schon in Diensten des Global Player stand und auch ansonsten über viel Berufserfahrung in der Branche verfügt, scheint sich der Gesprächsbedarf in Grenzen zu halten. Ansonsten herrscht jedoch ein lebhafter Austausch zwischen dem Ministerium und dem Multi, wie die auf der Webpage des „Ministério da Agricultura“ – vorbildlicherweise – zugänglich gemachten Terminkalender der MitarbeiterInnen belegen. Landes- und Lateinamerika-Chefs, Ackergift-Fachleute, ExpertInnen für Fragen der Pestizid-Regulierungen sowie Zuständige für „Public Affairs“ und andere Angelegenheiten gehen im Ministério ein und aus. Sie erörterten dort z. B. den Stand der Dinge beim Glyphosat-Wiederzulassungsverfahren der Europäischen Union. Auch zu den Problem-Pestiziden Dicamba und Imidacloprid gab es Meetings. Die China-Geschäfte des Leverkusener Multis und die von der EU beschlossene Reform der „Gemeinsamen Agrar-Politik“ zählten ebenfalls zu den Themen. Und über „die Nachhaltigkeit der brasilianischen Landwirtschaft und die Vision des europäischen Unternehmenssektors“ konferierte der Nachreiner-Vorgänger Marc Reichardt im Juli 2021 mit Fernando Sardenberg Zelner Gonçalves, im Ministerium als Sonderberater für strategische Angelegenheiten tätig.

Mercosur-Lobbying

Die große Rolle, welche die EU bei den Gesprächen spielt, dürfte nicht zuletzt mit dem Handelsabkommen zusammenhängen, das Brüssel mit den Mercosur-Mitgliedern Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay abschließen will. Laut der Studie von Larissa Mies Bombardi und Audrey Changoe bildet dieser ausverhandelte, aber noch nicht ratifizierte Vertrag einen Hauptschwerpunkt der Einflussarbeit der Konzerne. Die getroffenen Vereinbarungen stellen nämlich steigende Profite in Aussicht. „Das Handelsabkommen (…) schafft die Zölle für 90 Prozent der Chemikalien-Exporte ab, für die derzeit Einfuhr-Zölle von bis zu 18 Prozent gelten“, frohlockt etwa der europäische Chemie-Verband CEFIC. Parallel dazu rechnet der EU-Forschungsdienst durch die dem Mercosur gewährten Handelserleichterungen mit mehr Einfuhren von Soja, Mais und anderen Ackerfrüchten in die Europäische Union. Eine Steigerung der Marktanteile an den Nahrungsmittel-Importen der EU von derzeit 17 auf 25 Prozent bis zum Jahr 2025 prognostiziert er, was nicht unerhebliche Auswirkungen auf den Pestizid-Absatz von BAYER in den vier Staaten haben dürfte.

Die Lobbystrategie der Unternehmen spielt dabei über Bande und versucht, das Bild der lateinamerikanischen Agro-Industrie in den Augen der EuropäerInnen positiver zu gestalten. Die Herausforderung besteht vor allem darin, dem Cashcrops-Ödland einen grünen Anstrich zu verleihen. Der Leverkusener Multi hat zu diesem Behufe den Brüsseler Thinktank ECIPE verpflichtet. Das sogenannte EU-Mercosur-Projekt liegt dabei in den Händen von Emily Rees, die einige Berufsjahre als EU-Beauftragte von APEX, der brasilianischen Agentur für Export- und Investitionsförderung, in der belgischen Hauptstadt verbracht hat. Sie legt den Soja- und Mais-BaronInnen ans Herz, sich kleinzumachen. „Die Europäer legen Wert auf Produkte aus kleinen, regionalen Erzeugerbetrieben“, sagte sie bei der Vorstellung einer von APEX lancierten PR-Kampagne. Und „CropLife Brasil“ gibt sich klima-bewusst und buhlt um die Gunst Greta Thunbergs. „Wir wollen Greta zeigen, dass wir keine Schurken sind“, so Christian Lohbauer.

Die beiden „Giftige Profite“-Autorinnen befürchten durch den Abschluss des Mercosur-Deals eine nochmalige Forcierung des agro-industriellen Modells mit all seinen Risiken und Nebenwirkungen. Darüber hinaus steht die Übereinkunft ihrer Meinung nach in einer kolonialen Tradition. „Seit dem späten 15. Jahrhundert haben Europäer in der Region Rohstoffe abgebaut und natürliche Ressourcen und landwirtschaftliche Erzeugnisse aus Monokulturen nach Europa exportiert. Dieses Muster ist in den heutigen europäischen Handelsbeziehungen mit den Mercosur-Staaten nach wie vor deutlich erkennbar“, schreiben Bombardi und Changoe. Bei rund 84 Prozent der EU-Exporte in Mercosur-Staaten handele es sich um Dienstleistungen und hochwertige Industrieprodukte, wohingegen sich rund drei Viertel der Mercosur-Exporte nach Europa aus landwirtschaftlichen Erzeugnissen und Bodenschätzen zusammensetzten, führen die beiden aus und halten fest: „Die im EU-Mercosur-Abkommen vorgesehene Handelsliberalisierung wird diese neokoloniale Beziehung zementieren.“

Das Pestizid-Gesetz

Ein weiteres Herzstück der Lobby-Anstrengungen von BAYER und den anderen Agro-Riesen ist das von der Bolsonaro-Regierung geplante neue Pestizid-Gesetz, das Glyphosat & Co. den Weg noch ein bisschen freier machen will. Das von KritikerInnen folgerichtig als „Poison Package“ bezeichnete Maßnahmen-Bündel hebelt unter anderem das Vorsorge-Prinzip aus und sieht Verbote von Agro-Chemikalien nur noch bei „inakzeptablen Risiken“ vor. Zudem schwächt das PL 6299/2002 die Stellung von Umweltbehörde und Gesundheitsbehörde in den Zulassungsverfahren zugunsten derjenigen des Landwirtschaftsministeriums und beschleunigt den Genehmigungsprozess generell. Beste Aussichten also für die Branche. Dementsprechend engagiert antichambriert sie für das Paragrafen-Werk. Mit Erfolg: Im Februar 2022 nahm es die erste parlamentarische Hürde. Nun muss dem Gesetz, das nach der Annahme durch den Kongress die neue Laufnummer PL 1459/2022 erhielt, nur noch der Senat zustimmen.

„Wird die Gesetzesvorlage verabschiedet, wäre mit einem Anstieg von Registrierungen, Zulassungen und Einsatz von Pestiziden ohne eine angemessene Abschätzung der sozio-ökologischen Folgen zu rechnen“, warnen Larissa Mies Bombardi und Audrey Changoe. Dabei reicht bereits, was die Mittel bisher in dem Land angerichtet haben. So stirbt dort jeden zweiten Tag ein Mensch an einer Pestizid-Vergiftung. „Du hast einen bitteren Geschmack in deinem Mund. Du möchtest kein Gift mehr einatmen. Du möchtest eine andere Art von Luft einatmen – aber es gibt keine. Dann fühlst Du dich schwach, Du kannst nicht aufstehen (…)“, mit diesen Worten beschrieb der Indigene Jakaira der Initiative HUMAN RIGHTS WATCH den Verlauf seiner Intoxikation. Besonders im Bundesstaat Mato Grosso mit seinen immensen Soja-, Zuckerrohr- und Mais-Monokulturen leiden die Menschen unter dem Dauereinsatz der Chemie-Cocktails, wie WissenschaftlerInnen von der Bundesuniversität in Cuiabá 2016 in einer Studie darlegten. 1.442 an Magen-, Speiseröhren- oder Bauchspeicheldrüsen-Krebs Leidende machten die ForscherInnen in Mato Grosso aus, während es in Bundesstaaten ohne Landwirtschaft im Großmaßstab bloß 53 Betroffene waren.

Durch das Pestizid-Gesetz dürften sich diese Fälle noch häufen. Darum kritisiert das brasilianische GREENPEACE-Büro das Vorhaben vehement. „Das Giftpaket passt nicht zu dem Weg, den wir einschlagen müssen, um die sozio-ökologischen Krisen, insbesondere die Ernährungs- und Klimakrise, zu entschärfen und das Wohlergehen künftiger Generationen zu gewährleisten. Der agrarökologische Wandel ist dringender denn je“, konstatiert Sprecherin Marina Lacôrte. Die Jugendorganisation der Landlosen-Bewegung MST beließ es hingegen nicht bei Worten. Sie besetzte am 10. Juni 2022 die BAYER-Niederlassung in Jacareí. „Dieser Gesetzentwurf bringt gravierende Änderungen der geltenden Rechtsvorschriften mit sich, die den Verkauf und die Verwendung von für Mensch und Natur hochgiftigen Stoffen erleichtern“, erklärten die Jugendlichen.
Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) protestierte ebenfalls gegen die Operationen des Konzerns in dem lateinamerikanischen Staat. „BAYERs Pestizide hinterlassen in Brasilien eine Spur der Verwüstung. Und jetzt tut der Konzern durch sein Extrem-Lobbying für das Giftpaket auch noch alles dafür, sie noch ein bisschen breiter werden zu lassen, um seine Profite zu erhöhen“, hieß es in der Presseerklärung der Coordination.

Sogar die Vereinten Nationen schalteten sich ein. Dr. Marcos Orellana, der UN-Sonderberichterstatter für die Auswirkungen giftiger Substanzen und Abfälle auf die Menschenrechte, und andere SonderberichterstatterInnen appellierten in einem Brief eindringlich an die Regierung Bolsonaro, das „Poison Package“ zurückzuziehen. Sie sehen durch die Deregulierungen ernste Gesundheitsgefahren auf das lateinamerikanische Land zukommen und warnen vor einem „monumentalen Rückschlag für die Menschenrechte in dem Staat“. „Ohne weitere Maßnahmen, die sicherstellen, dass Unternehmen die Menschenrechte und die Umwelt respektieren, werden die Missbräuche weiter zunehmen, wenn dieser Gesetzesentwurf angenommen wird“, prophezeien die UN-MitarbeiterInnen. „Brasilien sollte daran arbeiten, das Regelwerk zu stärken statt zu schwächen“, legten sie den PolitikerInnen ans Herz. Dass die Regierung Bolsonaro jedoch Maßnahmen auf den Weg bringt, die BAYER & Co. zur Respektierung der Menschenrechte und zum Schutz der Umwelt zwingen, steht nicht zu erwarten. So dürfte die Agro-Lobby ungerührt weiter Druck auf Menschen wie Larissa Bombardi ausüben. Die Geografie-Professorin konnte diesem irgendwann nicht mehr widerstehen. „Ich habe sehr viele schlaflose Nächte verbracht“, schilderte sie ihre Situation auf der Diskussionsveranstaltung der CBG am Vortag der Hauptversammlung. Darum entschied sie sich schlussendlich – nicht zuletzt aus Sorge um ihre Kinder – das Land zu verlassen und nach Europa ins Exil zu gehen.

Die Coordination stellte BAYER auf der letzten Hauptversammlung Ende April 2022 zum Fall „Bombardi zur Rede. Der Frage „Pestizid-KritikerInnen sind in Brasilien vielen Bedrohungen ausgesetzt. Die Wissenschaftlerin Larrissa Bombardi hat sich deshalb entschließen müssen, das Land zu verlassen. Wie beurteilt BAYER den Umgang der brasilianischen Agrar-Lobby mit UmweltschützerInnen? Setzt sich der Konzern innerhalb der Industrie-Verbände für ein zivilisiertes Vorgehen ein?“ wich der Vorstandsvorsitzende Werner Baumann jedoch aus. Seine Nicht-Antwort lautete: „BAYER bekennt sich uneingeschränkt zur Wahrung der Menschenrechte und steht für Vielfalt, Toleranz, Respekt und Dialog (…) Wir verpflichten uns, die Menschenrechte zu achten, zu fördern und transparent darüber zu berichten, und das gilt für jedes Land auf dieser Erde, in dem BAYER aktiv ist.“

Der Leverkusener Multi rechtfertigt auch den Umgang des Staates mit den Agro-Chemikalien. Brasilien besäße „eines der strengsten Regulierungssysteme der Welt“, verlautbarte er im Jahr 2021. Und für die Praxis, Produkten die Genehmigung zu erteilen, die innerhalb der EU nicht (mehr) erlaubt sind, findet das Unternehmen ebenfalls eine Erklärung. „Allein die Tatsache, dass ein Pflanzenschutzmittel nicht in der EU zugelassen ist, sagt nichts über seine Sicherheit aus. Auch viele andere Zulassungsbehörden aus der ganzen Welt verfügen über eine sehr robuste und hochentwickelte Regulierungssystematik zum Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt. Ihre Bewertungen spiegeln die jeweiligen spezifischen agronomischen Bedingungen der jeweiligen Länder wider und stellen mitnichten einen sogenannten Doppelstandard dar“, so Baumann am 29. April.

Dazu wird er sich auf der nächsten Hauptversammlung am 28. April 2023 erneut äußern müssen. Die Coordination stellt das Thema nämlich auf Wiedervorlage. Und auch zu den frischen Lobbyismus-Verfehlungen des Leverkusener Multis in Brasilien erwartet sie dann Antworten.