Indigene leiden stark unter dem Einsatz von Glyphosat & Co.
Bayer: Big in Brazil
Brasilien hat ein Pestizidproblem. Auf riesigen Agrarflächen werden massenhaft Agro-Chemikalien gegen Insekten, unerwünschte Pflanzen oder Pilze eingesetzt. Neben Kleinbauern und -bäuerinnen und LandarbeiterInnen leiden besonders indigene Gemeinschaften unter der Ausbringung der Gifte, denn sie leben oftmals in unmittelbarer Nähe der Anbau-Gebiete. Viele der Mittel hat BAYER produziert und exportiert. Wir sagen, Verantwortung fängt beim Export an.
Von Eliane Fernandes und Regina Sonk (Gesellschaft für bedrohte Völker)
„Jede Woche werden neue Pestizide registriert. Abgesehen davon, dass sie unseren Boden und unser Grundwasser verunreinigen und sich negativ auf unsere kollektive Gesundheit auswirken, ist es absurd, dass die brasilianische Regierung ausländischen Unternehmen erlaubt, Produkte zu verkaufen, die Chemikalien enthalten, die auf ihren heimischen Märkten verboten sind“, Sônia Guajajara, Ministerin für Indigene Angelegenheiten und ehemalige Sprecherin des indigenen Dachverbands APIB.
In unserer Arbeit zur Verteidigung der Rechte von indigenen Völkern weltweit erleben wir, wie diese weltweit unter den verantwortungslosen Handlungen von Unternehmen wie der BAYER AG leiden. Häufig missachten Konzerne die Rechte von Menschen weltweit, indem sie Profit über das Recht auf Leben und auf Gesundheit stellen. So sehen sich in Brasilien Indigene seit Jahrzehnten mit dem Dauer-Einsatz von Pestiziden in unmittelbarer Nähe ihrer Territorien konfrontiert, ausgebracht auf den riesigen Feldern mit Soja, Mais und Zuckerrohr.
Diese Pestizide vergiften alles, was diese indigenen Gemeinschaften zum Leben haben, das wenige, was sie noch zur Verfügung haben. Ihre Kinder kommen teilweise mit Fehlbildungen zur Welt und leiden oft unter Allergien und Atempro-blemen. Die einzigen Landstriche mit der für sie so wichtigen Lebensader Wasser, die ihnen geblieben sind, werden durch hochschädliche Substanzen vergiftet. Und BAYER ist durch den Export und die Produktion dieser Stoffe aktiv an diesem Ökozid beteiligt.
Schutzlos ausgeliefert
Die Konstitution von 1988 hat Brasiliens Indigene durch fest verankerte Rechte theoretisch gut abgesichert. In der Realität sieht die Situation aber ganz anders aus. Die etwa 300 indigenen Völker Brasiliens, die auf der gesamten Staatsfläche leben, bilden nach Jahrhunderten der Marginalisierung eine Minderheit im eigenen Land. Tiefgreifender Alltagsrassismus, institutionell wie versteckt, bestimmt ihren Alltag. Besonders in rohstoffreichen Regionen wie dem Amazonas-Gebiet hat der staatliche Wille zur Ausbeutung der Vorkommen Vorrang vor der Sicherung ihrer Rechte. Schnell werden so eigentlich durch die Verfassung garantierte Landrechte zur Makulatur – und bei noch offenen Landfragen kommen die Indigenen sowieso kaum gegen die GroßgrundbesitzerInnen an. Die sich stetig ausbreitende Agrarindustrie, Abholzung und illegaler Goldabbau tragen so gewaltvolle Konflikte in ihre Regionen. Und der Staat kommt seiner Pflicht nicht nach, Indigene hier genug zu schützen.
Im Kontext der Agrarindustrie ist das besonders sichtbar: Indigene sind hier mehrfach betroffen. Mit stetig wachsender Nachfrage wachsen auch die Anbaugebiete und damit die Konflikte um indigene Territorien. Die Indigenen werden aus ihren Gebieten verdrängt oder gewaltsam vertrieben. Zudem leben sie meist in unmittelbarer Nähe zu den Feldern und den Pestiziden. Sie werden häufig ohne Mindestabstand zu den Ansiedlungen einzuhalten versprüht, und manchmal gehen sie auch nicht nur aus Versehen auf die Gebiete nieder. In den meisten Fällen lässt der Staat die Unternehmen einfach gewähren.
Untersuchungen zeigen, dass Trinkwasser in Brasilien bereits ernsthaft belastet ist – nicht nur auf dem Land, sondern auch in vielen Großstädten. Offizielle Daten, ausgewertet von Repórter Brasil, ergaben, dass sich in São Paulo, Rio de Janeiro und über 1.300 anderen Städten und Gemeinden giftige Rückstände im Wasser des Versorgungsnetzes befinden. Auf dem Land ist das Wasser in Gebieten mit Sojaanbau nachweislich höher belastet.
Durch die fehlende Infrastruktur haben viele indigene Gemeinschaften keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Sie sind auf die verschmutzten Flüsse als Reservoirs angewiesen. Das hat gesundheitliche Folgen. Sie reichen von Durchfall und Hautausschlag über Magenbeschwerden und Erkältungen bis hin zu Langzeitschäden wie Krebs, Unfruchtbarkeit oder Fehlbildungen bei Neugeborenen. Zudem fehlt es meist an einer lokalen Gesundheitsversorgung, denn viele indigene Gemeinschaften leben kilometerweit entfernt von einem Krankenhaus oder einer Gesundheitsstation.
Sojaanbau weitet sich aus
Ein Großteil von Brasiliens Soja wird im Bundesstaat Mato Grosso produziert. Doch seit dem Bau der Bundesstraße BR-163, die mitten durch den Amazonas-Urwald verläuft, weitet sich der Anbau immer weiter nach Norden bis in den Bundesstaat Pará aus. Leidtragende sind auch hier die Indigenen wie beispielsweise diejenigen, die zur Gemeinschaft Açaizal gehören. Die Sojaplantagen sind von diesem Dorf der indigenen Munduruku nämlich nur zehn Meter entfernt! Laut Gesetz müsste ein Mindestabstand von 500 Metern zu solchen Siedlungen eingehalten werden. Viele Agrarunternehmen halten sich jedoch nicht daran. So stellen die ausgebrachten Pestizide für die BewohnerInnen eine ständige Belastung dar. „Wenn es zu regnen beginnt, fangen sie an, Gift auszubringen. Sie wollen das Unkraut töten. Jede Woche tragen sie Gift auf die Sojapflanzen auf“, berichtet der 57-jährige Munduruku Paulo Bezerra. Die Folge: Viele Indigene leiden unter Übelkeit, Hautausschlag, Kurzatmigkeit und Schwindelgefühl. „Jeden Tag sterben wir Stück für Stück in unserem Dorf“, fährt Bezerra fort. Die Chemikalien seien bereits in den Flüssen und im Grundwasser, und auch die Anbauflächen der Indigenen würden verseucht, sagt der Anführer des Dorfes, Josenildo Munduruku. „Unsere Leute werden jeden Tag kränker, unsere Tiere und die Wildtiere im Wald verschwinden durch den Einsatz von Pestiziden. Sie können uns mit dem Gift töten“, konstatiert er.
Die Munduruku haben Anzeige gegen die Verantwortlichen erstattet, aber die lokalen Behörden reagierten nicht darauf. „Hier begünstigt die Regierung die Familie des Plantagenbesitzers und nicht unsere mehr als 60 Munduruku-Familien vom Volk Munduruku“, klagt Josenildo Munduruku.
BAYER trägt Verantwortung
Gerade was Länder wie Brasilien betrifft, braucht es Unternehmen, die aus eigenen Stücken für ihr Handeln Sorge tragen und sich am Maßstab der Menschenrechte orientieren. Darum nahm die GESELLSCHAFT FÜR BEDROHTE VÖLKER (GfbV) schon die Jahreshauptversammlung der BAYER AG im April 2022 zum Anlass, in Sachen „Pestizide“ Druck auf den Konzern zu machen. Und zur Bestärkung der Forderung wollte die GfbV dem Leverkusener Multi 3.000 Postkarten gegen den Export von hochschädlichen Agro-Chemikalien, die von GfbV-MitgliederInnen unterschrieben wurden, aushändigen. Jedoch nahmen die Verantwortlichen die Postkarten nicht entgegen. Daraufhin gingen sie dem Unternehmen per Post zu mit der Bitte um ein Gespräch, um über die Verletzungen der Rechte von indigenen Völkern in Brasilien zu sprechen.
Wir sagen, Verantwortung fängt beim Export an. BAYER exportiert einen Großteil der Wirkstoffe, die auch HHPs – hochschädliche Pestizide – genannt werden, und viele davon sind in der EU nicht zugelassen. Das Geschäft mit der Chemie folgt dabei einer Logik der Doppelstandards: Pestizide, die zum Teil innerhalb der Europäischen Union verboten sind, werden in Deutschland produziert und in Länder wie Brasilien exportiert. Dort finden sie vor allem Anwendung im Anbau von Soja, Mais, Zucker, Baumwolle – alles Exportprodukte, die anschließend wieder Europa erreichen. Mit diesem Geschäftsgebaren ist also eine Verlagerung menschenrechtsverletzender und umweltverschmutzender Praktiken in Drittländer verbunden.
Über all das hat die GfbV Anfang Februar mit BAYER-Beschäftigten online gesprochen. Das Gespräch war offen, erbrachte jedoch keinen nennenswerten Mehrwert. Es wurde gesagt, von Konzernseite gebe es keinen Nachholbedarf, die Wirkstoffe in den Pflanzenschutzmitteln erfüllten die höchsten Sicherheitsstandards und würden sicher ausgebracht. Gerade hier verwies der Konzern auf zahlreiche Trainings für LandwirtInnen, die er finanziere und so den sicheren Umgang mit den eigenen Produkten garantiere. Auf Nachfrage, wie denn Pestizid-Sprühen per Flugzeug überhaupt kontrollierbar sein könne, gab es keine eindeutige Antwort. Nur die Bemerkung, dass diese Anwendungsart bereits in vielen Ländern verboten sei.
Fakt ist: Niemand kann die Sicherheit von Pestizid-Anwendungen garantieren, wenn sie großflächig und massenhaft, wöchentlich und per Flugzeug erfolgt. Kein Unternehmen vermag zu verhindern, dass die Wirkstoffe durch Wind und Wetter unkalkulierbar weit verbreitet werden. Leittragende sind lokale und oftmals indigene Gemeinschaften, die den Pestiziden schutzlos ausgesetzt sind. Zum Schluss informierte die GfbV über konkrete Fälle von Pestizidvergiftungen. Der Konzern versprach, diesen Fällen nachzugehen und sich wieder zu melden Bisher blieb eine Antwort jedoch aus.
Piyãko klagt an
Als wir unseren indigenen Freund, den Ashaninka-Vertreter Benki Piyãko, fragten, was er von den Handlungen der BAYER AG hält, sagte er: „Was sind das für WissenschaftlerInnen, die chemische Produkte entwickeln, um die Erde und somit das Leben und die Nahrung zu vergiften, die wir konsumieren? In unserer Kultur brauchen wir keine künstlichen oder giftige Mittel, um unsere Plantagen anzulegen oder zu pflegen. Wer möchte schon Gift auf dem eigenen Teller haben?“ „Und wie ist das mit Ihnen, MitarbeiterInnen von BAYER? Möchten Sie die Welt retten, indem Sie Gift auf der Erde verstreuen? Wo ist Ihr Herz?, fragte Benki Piyãko.
Die indigenen Völker sehen in Erde, Wasser und Boden wirklich Mutter Natur verkörpert. Die Erde gibt ihnen Nahrung in natürlicher Form, und die Gewässer erhalten sie und ihre Wälder und das gesamtes Habitat am Leben. Es ist nun Zeit, dass die BAYER AG anerkennt, dass wenigstens die bereits in der EU verbotenen hochschädliche Pestizide nicht mehr in andere Länder ausgeführt oder dort produziert werden dürfen. Das Leben und die Gesundheit von uns Menschen sollten und müssen an erster Stelle stehen. Als wir Benki Piyãko schließlich fragten, was er BAYER gerne sagen würde, wenn er es könnte, antwortete er: „BAYER soll endlich damit aufhören!“