EU unter Einfluss
Lobby-Europameister BAYER
Der BAYER-Konzern lässt sich den Versuch, Entscheidungen der Europäischen Union in seinem Sinne zu beeinflussen, viel kosten. Rund sieben Millionen Euro wendete er im Jahr 2021 für Lobby-Aktivitäten in Brüssel auf. Kein anderes Unternehmen der Welt investierte mehr Geld in die Pflege dieser politischen Landschaft.
Von Jan Pehrke
Mit einem Etat von 6,5 bis 7 Millionen Euro versuchte der BAYER-Konzern im Jahr 2021, auf Entscheidungen der Europäischen Union Einfluss zu nehmen. Damit steigerte der Global Player seine Ausgaben gegenüber 2020, als er rund 4,4 Millionen Euro investierte, noch einmal beträchtlich. Kein Unternehmen der Welt betrieb die Pflege der politischen Landschaft in Brüssel mit einem höheren finanziellen Aufwand, wie eine Recherche der beiden Initiativen CORPORATE EUROPE OBSERVATORY und LOBBYCONTROL im EU-Transparenzregister ergab. Der Leverkusener Multi kann sich also mit Fug und Recht Lobby-Europameister nennen. In Deutschland hingegen reichte es mit einem Aufwand von bis zu 1,99 Millionen Euro nicht zu einem Platz unter den ersten Zehn.
In Brüssel steuert die Aktien-Gesellschaft die Aktivitäten von ihrem „Verbindungsbüro“ in der Rue Belliard aus. „Die Wirtschaft hat nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, sich in den politischen Entscheidungsprozess einzubringen“, sagte der der damalige BAYER-Chef Manfred Schneider bei der Eröffnung im Jahr 2000. 74 LobbyistInnen beschäftigt der Agro-Riese dort mittlerweile. 15 von ihnen haben exklusiven Zutritt zum Europäischen Parlament. Treffen mit den Abgeordneten oder ranghohen VertreterInnen der EU-Kommission bzw. den KommissarInnen selbst stehen deshalb ganz oben auf der Prioritäten-Liste. Aber auch Events für die „Brüsseler stakeholder“, das Verfassen von Eingaben, die Beteiligung an den Konsultationsprozessen im Rahmen neuer EU-Vorhaben, das Presse-Sponsoring, die (Co-)Finanzierung von Studien und das Engagieren von PR-Agenturen für Spezialaufgaben gehören zum Aufgaben-Gebiet der AntichambriererInnen. Ein Übriges tun dann die Industrie-Verbände Business Europe, Croplife Europe, Copa-Cogeca oder CEFIC, der Verband der Europäischen Chemischen Industrie.
Allein im Jahr 2021 beackerten die Konzern-LobbyistInnen Themenfelder wie den Green Deal, die EU-Agrarstrategie, die Aktionspläne für eine Reform des Patentrechts und für eine Reduzierung der Verschmutzung von Wasser, Luft und Boden. Auch die Gentechnik-Regulierung, die Pestizid-Regulierung im Allgemeinen und die von Glyphosat im Besonderen sowie die Revision der Regulierung von Arzneien für seltene Krankheiten standen auf ihrer Agenda. Zudem brachten die Einfluss-ArbeiterInnen den BAYER-Standpunkt in Sachen „Wasserrahmen-Richtlinie“, „Trinkwasser-Richtlinie“ und „Chemikalien-Richtlinie“ zu Gehör. Und die Klima-Politik der EU sowie das geplante Abkommen mit den Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay gehörten ebenfalls zu ihren Einsatz-Gebieten.
Kein Nein-Sager
Als bloßer Nein-Sager betätigt sich das Unternehmen dabei nicht. Die Strategie besteht vielmehr immer darin, zuvörderst ein vollmundiges Bekenntnis zu den EU-Plänen abzulegen, um anschließend mit konkreten Vorschlägen zur Erreichung der Ziele aufzuwarten, was die Anmutung eines konstruktiven Beitrages hat, sich bei näherer Betrachtung aber als nett verpackte Obstruktionspolitik entpuppt. Ein Beispiel dafür ist der vom CORPORATE EUROPE OBSERVATORY (CEO) öffentlich gemachte Brief, den BAYERs damaliger Cropscience-Chef Liam Condon im Juli 2020 an den Kommissions-Vizepräsidenten Frans Timmermans schrieb. Während der Konzern in dem breit über die EU-Politik berichtenden Portal Politico, das er ebenso großzügig wie sein Pendant Euroactiv sponsert, Panikmeldungen zum Green Deal absetzte und vor einem Rückgang der Nahrungsmittel-Produktion in Europa und steigenden Weltmarkt-Preisen für landwirtschaftliche Güter warnte, hört sich dies in dem Schreiben ganz anders an. Dort dankt Condon dem Holländer bereits im ersten Satz überschwenglich für seine Pionier-Arbeit bei der Entwicklung des Green Deals und ruft ihm dann die letzten virtuellen Tête-à-Têtes in Erinnerung, die im Rahmen des Davoser „World Economic Forums“ stattgefunden haben. Anschließend präsentiert er das grüne Glaubensbekenntnis des Leverkusener Multis. „BAYER sieht sich in der Pflicht, neue Nachhaltigkeitsstandards für die Landwirtschaft und die Gesundheitsbranche zu setzen, und teilt die Ziele der Europäischen Kommission in Bezug auf Klimaneutralität, ein nachhaltigeres und resilenteres Ernährungssystem und die dringende Notwendigkeit, den Prozess des Biodiversitätsverlustes weltweit zu verlangsamen und – bald schon – umzukehren“, tut Condon kund. Dann kommt jedoch das „Aber“: „Wir sind allerdings auch der festen Überzeugung, dass der neue Green Deal nur dann erfolgreich sein wird, wenn dem Bedarf nach mehr Innovation zur Gewährleistung eines höheren Levels an Nachhaltigkeit Rechnung getragen wird.“ Und als eine solche Innovation sieht Condon die Gensoja-Pflanze mit der Laufnummer MON87708 x MON 89788 x A5547-127 an, aber leider warte BAYER bereits „länger, als es die gute Verwaltungspraxis gebietet“ auf die Import-Genehmigung der EU. Dabei kann die Laborfrucht in seinen Augen Regenwald retten, weil sie höhere Erträge pro Hektar verspricht und so dem Flächenverbrauch Einhalt gebietet. Dass die Markt-Einführung der Gen-Gewächse in Lateinamerika die Kahlschläge massiv befördert haben, lässt er dabei geflissentlich außer Acht. Auch als probates Mittel, um die durch die Corona-Pandemie angeblich gefährdete Nahrungsmittel-Sicherheit zu garantieren, bringt der Ire das Gen-Konstrukt ins Spiel. Darum bittet er den Vize-Präsidenten der EU-Kommission, bei der Import-Zulassung, die der Konzern 2016 beantragt hat, doch ein wenig auf die Tube zu drücken. Und siehe da: Noch nicht einmal drei Monate später gab es das Ja-Wort aus Brüssel zu dem Soja.
Nach einem ähnlichen Muster verliefen die Interventionen zur Agrar-Strategie des Green Deals. Nach Ansicht der EU gibt diese „eine umfassende Antwort auf die Herausforderungen nachhaltiger Lebensmittel-Systeme und erkennt an, dass gesunde Menschen, gesunde Gesellschaften und ein gesunder Planet untrennbar miteinander verbunden sind“. Auf der „Vom Hof auf den Tisch“-Agenda steht unter anderem eine Verringerung des Pestizid-Einsatzes bis 2030 um 50 Prozent. BAYER-Chef Werner Baumann kritisierte das der FAZ gegenüber vehement. „Es wäre illusorisch zu glauben, wir könnten ohne Pflanzenschutzmittel die bald acht Milliarden Menschen auf der Erde ernähren, die Biodiversität schützen und zugleich keine weiteren Flächen für die Landwirtschaft erschließen“, sagte er in dem Interview. Bei einer Anhörung der Europäischen Union zu diesem Thema zeigte sich das Unternehmen hingegen dialogbereiter. „Anstatt über die Verringerung der Mengen zu sprechen, müssen wir uns auf die Verringerung der Umwelt-Auswirkungen konzentrieren“, forderte der Konzern in einer öffentlichen Anhörung. Und in einem Meeting mit der Generaldirektion Gesundheit bot er sich dann an, die schädlichen Effekte um 30 Prozent zu senken. Bei der Frage, wie der Konzern das genau erreichen will, mussten die UnternehmensvertreterInnen allerdings passen. „Das ist noch nicht klar“, lautete die Antwort.
Für ein spezielles Pestizid legten sich die BAYER-LobbyistInnen besonders ins Zeug: Glyphosat, das profitträchtigste Ackergift des Konzerns. So mischten sie sich etwa in den Prozess der Überprüfung der bestehenden Grenzwerte für das Herbizid ein. Die größte Aufmerksamkeit widmete das Verbindungsbüro allerdings dem Bemühen, eine Zulassungsverlängerung zu erwirken. Dabei versicherte sich der Agro-Multi auch externer Zuarbeit und engagierte für schlappe 1,3 Millionen die RUD PEDERSEN GROUP, um in Brüssel gut Wetter für das umstrittene Mittel zu machen.
Krieg als Vorwand
Hatte die Branche schon die Corona-Pandemie instrumentalisiert und wegen der dadurch angeblich gefährdeten Lebensmittel-Versorgung gegen Regulierungspläne gewettert und ihre neuen Risiko-Technologien als Problemlöser beworben, wie nicht nur der Condon-Brief an Timmermans zeigt, so wiederholte sich das Ganze beim Ukraine-Krieg. Auch den nahmen BAYER & Co. zum Anlass, gegen den Green Deal und dessen Pläne zur Pestizid-Reduktion zu opponieren und freie Fahrt für die Gentechnik 2.0 zu verlangen, ganz so, als ob dadurch mehr Weizen aus Russland und der Ukraine in den Globalen Süden gelangen würde.
„Business Europe“, der Interessensverband der Multis auf europäischer Ebene, mahnte beispielsweise, neue Vorschriften nur zu erlassen, „wenn dies unbedingt erforderlich ist“. Der LandwirtInnen-Verband „COPA COGECA“ stimmte da nach Informationen des CORPORATE EUROPE OBSERVATORY mit ein. Bei einem Treffen mit Mihail Dumitru und Pierre Bascou von der Generaldirektion Gesundheit warnte ein Vertreter der Lobby-Organisation: „Der Landwirtschaftssektor kann keine neuen Schocks mehr verkraften.“ Als einen dieser Schocks, den die Bauern und Bäuerinnen nicht mehr verarbeiten könnten, nannte er dann die „Sustainable Use of Pesticides Regulation“ (SUR), mit der die EU das Ziel, den Gebrauch von Ackergiften bis zum Jahr 2030 um 50 Prozent zu senken, amtlich machen will.
Kommissionsvize Timmermans zeigte sich erbost über diese Operationen. „Den Krieg in der Ukraine zu nutzen, um Vorschläge zu verwässern und den Europäern Angst zu machen, dass Nachhaltigkeit weniger Lebensmittel bedeutet, ist offen gesagt ziemlich unverantwortlich. Denn die Krise des Klimas und der biologischen Vielfalt springt uns ins Auge (…) Das ist es, was unsere langfristige Ernährungssicherheit bedroht“, stellte er klar. Und auf die Frage, warum verbindliche Ziele zur Senkung des Pestizid-Einsatzes nötig sind, sagte der Niederländer: „Nun, wir brauchen verbindliche Ziele, weil wir es bereits mit unverbindlichen Zielen versucht haben, die uns nicht weitergebracht haben.“ Damit spielte er auf die Richtlinie 1107/2009 an, nach der die Europäische Union bestimmte Pestizide als besonders gefährlich klassifizierte und die Mitgliedsstaaten anhielt, 53 besonders giftige möglichst schnell durch harmlosere zu ersetzen, was allerdings in keinem einzigen Fall geschah. Darum verteidigte der EU-Politiker das Vorgehen Brüssels: „Verbindliche Ziele geben der Industrie und dem Agrarsektor Sicherheit. Und außerdem drängen uns die Bürger dazu, dies zu tun. Die Einsicht, dass der Ökozid eine unmittelbare Bedrohung für uns ist, ist groß und wächst.“
EU beugt sich
Aber es half alles nichts. Schlussendlich musste die EU sich dem Druck von BAYER & Co. beugen. Kurz vor Weihnachten 2022 schickte sie den Plan, den Pestizid-Gebrauch bis zum Jahr 2030 um die Hälfte zu senken, in die endlosen Weiten einer erneuten Folge-Abschätzung, weil die alte „auf Daten beruht, die vor dem Ausbruch des russischen Krieges in der Ukraine erhoben und analysiert wurden“ und deshalb nach Meinung der Mitgliedsländer dessen „langfristigen Auswirkungen auf die Ernährungssicherheit und die Wettbewerbsfähigkeit des EU-Agrarsektors nicht berücksichtigt“. Auch verschwand das Vorhaben, die Ausfuhr von innerhalb der EU nicht zugelassenen Ackergiften in Drittländer zu verbieten, von der Agenda für das Jahr 2023. Darüber hinaus setzte die EU-Kommission einige Beschlüsse der „Gemeinsamen Agrarpolitik“ (GAP) aus. So erlaubte sie bei der Fruchtfolgen-Regelung Ausnahmen und setzte die Auflagen zur Flächenstilllegung aus, die dem Artenschutz dienen sollten. Andere umweltpolitische Maßnahmen wie eine schärfere Chemikalien-Regulierung mussten vorerst ebenfalls dran glauben oder deutliche Aufweichungen hinnehmen wie die Methan-Verordnung.
Getreu der alten Maxime von Winston Churchill „Lass niemals eine Krise ungenutzt verstreichen“ gelang es den Konzernen also wieder einmal, die Brüsseler Politik in Schach zu halten. BAYERs Lobby-Millionen erwiesen sich deshalb als gut angelegtes Geld. Und 2023 könnte es sogar noch das eine oder andere Milliönchen mehr werden, denn da stehen für den Konzern gleich zwei wichtige Dinge auf der EU-Agenda: Die Entscheidung über die Regulierung von CRISPR/Cas und anderen neuen Gentechniken sowie diejenige über die Glyphosat-Zulassungsverlängerung.