Ein Buch über die Gesundheitsherrschaft von BAYER & Co.
Heile und Herrsche!
Der Chirurg Bernd Hontschik beschreibt in „Heile und Herrsche! – Eine gesundheitspolitische Tragödie“ detailliert das zum Profitsystem degenerierte Gesundheitssystem.
Von Hans See
Bernd Hontschik, Chirurg, Buchautor und Kolumnist der Frankfurter Rundschau, gehört unter den KritikerInnen des Gesundheitswesens zur seltenen Spezies derer, die es – noch oder wieder? – wagen, im Kontext ihrer Analysen an den genialen Karl Marx zu erinnern, der das bis heute intellektuell und politisch realistischste und somit auch wirksamste Instrumentarium systematischer Kapitalismuskritik geschaffen hat. Das Gesundheitswesen, das nach Hontschik längst zur Gesundheitswirtschaft verkommen ist, ist nun einmal ein zentraler Bestandteil des kapitalistischen Wirtschaftssystems.
Doch Hontschik ist zu klug, um in seinen kritischen Schriften die rituellen Versatzstücke der einstigen Klassenkampfrhetorik zu bemühen, ohne die mensch in den 1970er Jahren, die im Zeichen der sozialliberalen Reformpolitik standen, gar nicht zur Kenntnis genommen worden wäre. Er macht, was schon der junge Marx machte: Er beschreibt präzise und analysiert knallhart die herrschenden Verhältnisse, ganz im Sinne der Marx-Losung: „Man muss diese versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen, dass man ihnen ihre eigne Melodie vorsingt!“
Das ist auch die Methode Hontschik: In glasklarer Sprache, für die „NormalbürgerInnen“ leicht verständlich, schildert er, was in den vergangenen Jahrzehnten unter Lösungen wie Privatisierung und Digitalisierung aus dem Gesundheitswesen gemacht worden ist: eine Gelddruckmaschine für Investoren, eine standardisierte und kapitaldominierte Gesundheitswirtschaft, die völlig aus dem Ruder läuft, weil deren Entwicklung fast nur noch von ShareholderInnen, Benchmark-Systemen und Aktienkursen vorgegeben wird.
Maßgeblich beteiligt an dieser Entwicklung war und ist die Pharmaindustrie. Über diese schreibt Hontschik: „Es gibt kein Verbrechen, dessen sich die Pharmaindustrie noch nicht schuldig gemacht hat. Manipulation oder Unterdrückung von Studiendaten, gekaufte Wissenschaftler, Erpressung, Verleumdung und Menschenversuche mit katastrophalem Ausgang – alles ist längst bekannt“ (S.73). Die Liste ist viel länger. Er geht noch einmal – nahezu lexikonartig – die größten dieser Verbrechen durch. Er erinnert uns an Contergan, Glyphosat, Babypuder, usw. usw. Am Ende lässt er auch die Impfstoffproduzenten nicht aus, die auf die Politik einen juristisch noch nicht aufgearbeiteten, aber längst als zumindest illegitim durchschauten Einfluss nahmen.
Hontschik spricht von Korruption und Interessenkonflikten, von „lukrativen Geschäftverbindungen zwischen Virologen, Testherstellern und Impfstoffproduzenten“. Und wer erinnerte sich nicht an die illegalen Geschäfte mit den Masken, die Hontschik gar nicht mal erwähnt. Die ImpflobbyistInnen – ich, der viermal Geimpfte und dann doch noch Erkrankte, nannte sie von Anfang an „Impferialisten“ – kassierten unfassbare Summen an Staatsgeldern, befreiten sich vertraglich von jeglicher Haftung und verhängten Pa-tentblockaden zu Lasten der armen Länder des globalen Südens. Hontschik diagnostiziert, dass die Corona-Pandemie etwas sichtbar gemacht hat, was er als Weiterentwicklung der Gesundheitswirtschaft deutet: Die Gesundheitsherrschaft. Was ist Gesundheitsherrschaft? Nach Hontschik entwickelt sich aus dem Missbrauch der Medizin die Gesundheitsherrschaft, welche die Grenzen des vertretbaren Eingriffs und der Grundrechte weit überschreitet. Und aus dieser entsteht dann nahezu unbemerkt ein die kapitalistische Demokratie selbst gefährdendes Herrschaftsinstrument. Die Wurzel allen Übels im Gesundheitswesen erkennt Hontschik darin, dass „eine Gesellschaft ihren Reichtum nicht mehr für das Funktionieren ihrer Sozialsysteme, sondern die Sozialsysteme in Quellen neuen Reichtums für Kapitalgesellschaften verwandelt…“ (S. 116).
Diese Fehlentwicklung ist aber nichts als die logische Konsequenz der gesamten kapitalistischen Entwicklung, die nun einmal alles kapitalisiert, was kapitalisierbar ist, um die Renditen zu sichern und zu erhöhen. Was ist aber – neben dem lukrativen Friedensversprechen der Rüstungswirtschaft – renditeträchtiger als das Gesundheitsversprechen, das die Medizin ja nicht nur den PatientInnen, sondern auch dem gesunden Menschen, der gesund bleiben, sogar möglichst gesund sterben möchte, hauptsächlich in Form von Medikamenten nun einmal gibt. Für ihre Gesundheit geben die Menschen, falls sie eines haben, ihr ganzes Vermögen aus.
Einen Abschnitt seines Buches nutzt der Autor, um seine Philosophie zu erläutern, seinen Standort in diesem System und sein Verhältnis zur Wissenschaft zu bestimmen. Hierbei rekurriert er auf den Arzt und Denker Thure von Uexküll (nicht zu verwechseln mit dem Stifter des Alternativen Nobelpreises Jakob von Uexküll), der für eine „inte-grierte Medizin“ steht und damit für ein Gesundheitswesen, in dem Medizin als „empathische Humanwissenschaft“ verstanden wird. Mit dieser Darlegung seines eigenen Grundverständnisses der Medizin richtet Bernd Hontschik auch einen Appell an die MedizinerInnen, die Gesellschaft, die Politik, die Wirtschaft und die Medien, leider – aber verständlicherweise – nicht an die Gewerkschaften, die die GesundheitsreformerInnen, zu denen auch ich gehörte, Anfang der 1970er Jahre noch mit Stolz als ihre engsten Verbündeten betrachten durften.
Ein Buch, das alle, vor allem jedoch diejenigen, die jetzt die versprochenen Reformen des Gesundheitsministers Karl Lauterbach (SPD) kritisch begleiten, auch die gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten der Gesundheitswirtschaft, lesen sollten, damit Proteste und Resultate nicht – wie schon so oft – zu Rohrkrepierern werden.
Bernd Hontschik, Heile und Herrsche!
Eine gesundheitspolitische Tragödie,
Westend Verlag, 144 Seiten, 18 Euro