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SWB 02/2023 – BAYERs Lieferengpässe

CBG Redaktion

Immer mehr Medikamente nicht erhältlich

BAYERs Lieferengpässe

Die Globalisierung der Wertschöpfungsketten im Pharma-Bereich gefährdet die Arzneimittel-Versorgung. Die Anzahl der Lieferengpässe steigt kontinuierlich. Auch BAYER-Medikamente fehlen den Apotheken immer wieder.

Von Jan Pehrke

„BAYER stellt in der Arzneimittel-Herstellung hohe Anforderungen an die Verfügbarkeit und unumstrittene Qualität seiner pharmazeutischen Produkte. Den ununterbrochenen Zugang von Patienten und Kunden zu unseren Produkten aufrechtzuerhalten, hat für uns oberste Priorität. Unser weltweites Produktionsnetzwerk ist hier nachweisbar sehr erfolgreich“, erklärte der Leverkusener Multi im Herbst letzten Jahres und ließ gleich ein „Aber“ folgen. „Dennoch können in einzelnen Fällen aus unterschiedlichen Gründen Lieferengpässe auftreten. Insbesondere im Rahmen der weltweiten Pandemie ergeben sich besondere Herausforderungen in der Beschaffung und Versorgung mit Roh- oder Hilfsstoffen sowie Personalmangel in der Produktion oder bei der Aufrechterhaltung von Lieferketten“, erklärte der Pharma-Riese. Auch eine erhöhte Nachfrage nach bestimmten Pharmazeutika und die aktuellen „politischen und wirtschaftlichen Spannungen“ nennt er als Gründe für „die angespannte Liefer-Situation“.
2023 betraf diese bisher ASPIRIN in den unterschiedlichen Darreichungsformen, das Herz/Kreislauf-Präparat NIMOTOP, das Magenmittel IBEROGAST und einige Kosmetika-Produkte. In den vergangenen Jahren standen der Gerinnungshemmer XARELTO, die Salben BEPANTHEN und ADVATAN, das Schmerz-Medikament ALKA SELTZER, die Malaria-Arznei RESOCHIN, das Krebs-Therapeutikum XOFIGO, das Kontrazeptivum YASMINELLE, das Bluthochdruck-Pharmazeutikum BAYOTENSIN sowie das pflanzliche Produkt LAIF zur Behandlung leichter bis mittelschwerer Depressionen zeitweise nicht mehr zur Verfügung.

Bei den anderen Herstellern sieht es ähnlich aus. Über 400 Lieferengpässe meldete das „Bundesinstitut für Arzneien und Medizinprodukte“ im März 2023. „Wir haben eigentlich gar keine Medikamente mehr für Kinder“, schlug eine Apothekern kurz vor Weihnachten in der Rheinischen Post angesichts fehlender Fiebersäfte und Zäpfchen Alarm. Und die Präsidentin der „Bundesvereinigung deutscher Apothekerverbände“, Gabriele Regina Overwiening, bestätigte den Befund: „Lieferengpässe von lebenswichtigen Medikamenten – ob Blutdrucksenker, Magensäure-Blocker, Antibiotika oder Schmerzmittel – gehören leider seit Jahren zu den größten Ärgernissen und Herausforderungen im Apotheken-Alltag.“ Von den 100 Millionen Rezepten, welche Apotheken in Nordrhein-Westfalen jährlich erhalten, ist mittlerweile jedes zweite von einem Engpass betroffen, so Thomas Preis vom Apotheken-Verband Nordrhein. Vor „große Probleme“ stellt das nach den Worten von Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhaus-Gesellschaft, auch die Hospitäler. Ihnen mangelte es vor allem an Notfall-Medikamenten, Antibiotika und Krebspräparaten. Von einem „Armutszeugnis“ sprach angesichts dieser Lage der Präsident des Berufsverbands der Kinder- und JugendärztInnen, Thomas Fischbach. Und die Rheinische Post resümierte in einem Kommentar: „Krankes Gesundheitssystem“.

Pharma-Globalisierung

„Derzeit sehen wir, was geschieht, wenn unsere Daseinsvorsorge globalisiert wird und in der Hand multinationaler Konzerne liegt“, konstatiert der Arzt Dr. med. Bernd Hontschik (siehe auch S. 6-7) in einem Kommentar für die taz. Dieser Prozess setzte 1994 mit der Gründung der Welthandelsorganisation (WTO) ein. Schon ein Jahr später trat Indien bei und warb um die Pharma-Branche. BAYER erhörte den Ruf 1999. Als erster großer Pharmazeutika-Produzent schloss der Konzern in jenem Jahr mit einem indischen Unternehmen einen Vertrag ab. RANBAXY schaffte es, das Interesse des Leverkusener Multis für dessen eigenen – und wegen seiner zahlreichen Nebenwirkungen alles andere als unumstrittenen – Antibiotikum-Inhaltsstoff Ciprofloxacin in einer neuen Formulierung zu wecken. Ein Ciprofloxacin, von dem die PatientInnen nur einmal täglich eine Tablette zu nehmen brauchten – das war dem bundesdeutschen Konzern viel Geld wert. Für die weltweiten Vermarktungsrechte über einen Zeitraum von 20 Jahren zahlte er RANBAXY 65 Millionen Dollar. Und im selben Jahr kaufte die Firma seinem neuen Partner auch die BASICS GmbH, eine Tochter-Gesellschaft für Nachahmer-Produkte ab, um einen Brückenkopf nach Europa zu haben. Allerdings gelang der inzwischen von SUN PHARMACEUTICAL geschluckten Gesellschaft ein solcher Coup wie mit Ciprofloxacin seither nicht mehr. Darum musste sie sich weitgehend auf die Funktion des Zulieferers für Pharma-Konzerne aus den Industrie-Ländern beschränken, was auch für die anderen indischen Hersteller gilt. Zusammen mit Firmen aus China, das seit dem WTO-Beitritt im Jahr 2001 ebenfalls eine große Arznei-Fertigung aufgebaut hat, bilden sie die ersten Glieder in der globalen Wertschöpfungskette von Big Pharma. Mit Slogans wie „Maximale Förderung – minimale Kontrolle“ buhlten sie um Ansiedlungen und hatten Erfolg: Mittlerweile stammen 60 Prozent aller Hilfs- und Wirkstoffe von dort. Europäische Hersteller konnten dem Kostendruck oftmals nicht standhalten und schlossen reihenweise ihre Produktionen. BAYER beispielsweise besitzt nur noch fünf eigene Fabriken zur Herstellung von Arznei-Zwischenstoffen, drei in Deutschland, eine in Spanien und eine in Mexiko.

Aber die konkurrenzlos billige Fertigung hat ihren Preis. Zahlen tun den Mensch, Tier und Umwelt. Besonders die Einleitung von antibiotika-haltigen Abwässern in die Flüsse und Seen entfaltet eine fatale Wirkung. Durch die permanente Zufuhr der Substanzen gewöhnen sich die Krankheitserreger nämlich an diese und bilden Resistenzen heraus. Solche „Superbugs“ verbreiten sich nirgendwo auf der Welt so stark wie in Indien. Allein im Jahr 2013 starben dort 58.000 Babys, weil sie sich mit Keimen infiziert hatten, gegen die kein Kraut mehr gewachsen war. Das höchste Risiko stellt dabei einer Untersuchung zufolge, die das Fachjournal The Lancet Planetary Health veröffentlichte, das von BAYER entwickelte Ciprofloxacin dar.

Nicht nur das jedoch, was von den Fabriken nach außen dringt, stellt eine Bedrohung dar, auch das, was innen drin geschieht, gibt nicht selten Anlass zur Besorgnis. Immer wieder nämlich fallen die Fertigungsstätten durch fehlerhafte Produkte auf. So lieferte das Unternehmen ZHEJIANG HUAHAI 2018 Chargen des blutdruck-senkenden Wirkstoffs Valsartan aus, die mit der krebserregenden Sub-stanz Nitrosamin verunreinigt waren. Ursache der Kontamination: Die Umstellung auf ein kostengünstigeres, aber fehleranfälligeres Herstellungsverfahren, das die EU-Behörden abgesegnet hatten. In den letzten Monaten gerieten vor allem Husten- und Erkältungssäfte ins Zentrum der Aufmerksamkeit. In Indonesien starben 200 Kinder, in Gambia 70 und in Usbekistan 20 Mädchen und Jungen an akutem Nierenversagen, weil die von indischen oder indonesischen Herstellern stammenden Präparate giftiges Diethylenglykol und Ethylenglykol enthielten.
Die Firmen mussten die Fertigung vorerst einstellen, was sofort Probleme nach sich zog. ZHEJIANG HUAHAI zum Beispiel belieferte allein in Deutschland 16 Unternehmen mit Valsartan, und andere Konzerne, die hätten einspringen können, existierten kaum. Bei anderen Medikamenten verhält es sich in solchen Situationen oder bei Produktionsstörungen ähnlich, denn die Globalisierung frisst auch ihre asiatischen Kinder und dünnt die Zahl der Anbieter immer weiter aus. So gab es bereits 2015 für 23 Antibiotika-Wirkstoffe nur noch einen einzigen Fabrikanten. Aber auch in Europa lichtete sich der Markt. Von den elf Herstellern etwa, die in Deutschland 2010 den Bedarf an Hustensäften auf Paracetamol-Basis deckten, blieb bis heute nur noch ein einziger übrig.
Corona ließ die Warenströme dann noch mehr stocken, nicht nur weil die Produktion in chinesischen Werken länger stillstand. Sowohl das Reich der Mitte als auch Indien verhängten nämlich zeitweilig Export-Verbote, um die Arzneimittel-Versorgung ihrer eigenen Bevölkerung zu sichern.
Die Unternehmen, die diese nicht patent-geschützten Standard-Medikamente – die sogenannten Nachahmer-Präparate oder Generika – vertreiben, machen die Rabattverträge der Krankenkassen für die Lage verantwortlich. Diese förderten einen ruinösen Wettbewerb entlang der gesamten Lieferkette, den immer mehr Firmen nicht mehr bestehen könnten, so das Lamento. „Die aktuellen Engpässe sind Folge eines jahrelangen Drucks auf Preise und Herstellungskosten bei Generika“, hält der Verband „Pro Generika“ fest. Allerdings klagt er auf hohem Niveau. STADA etwa konnte den Umsatz mit diesen Mitteln im Geschäftsjahr 2022 um acht Prozent auf 1,4 Milliarden Euro erhöhen. Angesichts dessen teilt auch die BUKO PHARMA-KAMPAGNE die Einschätzung der Lobby-Organisation nicht. Die Lieferengpässe beträfen längst nicht nur die Nachahmer-Arzneien, schon allein deshalb verfange der Vorwurf Richtung Krankenkassen nicht, so der BUKO. Zudem garantierten die langfristigen Vereinbarungen mit AOK & Co. den Herstellern kontinuierliche Einnahmen. „Trotzdem wird eher bei Generika als bei patentgeschützten Medikamenten an der Kostenschraube gedreht“, räumt der BUKO ein: „Mit neuen patentgeschützten Medikamenten lässt sich extrem viel Geld verdienen.“

BAYERs Strategiewechsel

So verlangt BAYER in den USA für die Behandlung mit dem Krebsmittel VITRAKVI die Kleinigkeit von 32.800 Dollar im Monat – zum Vergleich: Der Paracetamol-Fiebersaft für Kinder trägt den Produzenten gerade einmal 1,32 Euro ein. In der Branche hat sich eine veritable Zwei-Klassen-Medizin herausgebildet. Auf der einen Seite stehen die Anbieter der gängigen Pharmazeutika, welche 80 Prozent der Grundversorgung leisten, dafür von den Krankenversicherungen aus ihrem Pillen-Etat aber nur sieben Prozent der Mittel erhalten, und auf der anderen Seite die Pillen-Riesen, die mit ihren – allzu oft nicht gerade Wundermittel-Eigenschaften aufweisenden – Erzeugnissen die restlichen 93 Prozent des Budgets auffressen.

Wegen dieser Rendite-Aussichten konzentrieren sich BAYER & Co. mehr und mehr auf die besonders teuren Medikamente. SANOFI hat es sogar schon geschafft, die „Spezialmedizin“ zum umsatzstärksten Bereich des Unternehmens zu machen. Apotheke der Welt wollen die Pillen-Riesen schon lange nicht mehr sein. Einige von ihnen haben ihre Generika-Abteilungen bereits ganz abgestoßen. Auch an der Suche nach den so dringend benötigten neuen Antibiotika-Wirkstoffen haben die Konzerne kein gesteigertes Interesse. „Wir müssen Geld verdienen mit unseren Produkten. Das führt dazu, dass nicht alle Medikamente entwickelt werden, die wir brauchen“, mit diesen Worten umriss der ehemalige BAYER-Vorstandsvorsitzende Marijn Dekkers einmal die politische Ökonomie des Medikamenten-Geschäfts.
Der Leverkusener Multi vollzog diesen Strategie-Wechsel hin zu den lukrativen „High priority“-Projekten Anfang der 2000er Jahre. Damals begann er, sich peu à peu von Gebieten wie Atemwegs- und Infektionskrankheiten, Asthma und Urologie zu trennen. Stattdessen legte das Unternehmen den Fokus auf Arzneien gegen Krebs oder seltene Krankheiten und behält den Kurs bis heute bei. „[T]endenziell werden sich die Prioritäten in Richtung hochspezialisierter Therapien verschieben“, sagte Pharma-Chef Stefan Oelrich 2022 dem Handelsblatt. Zu diesem Behufe baut der Global Player etwa in Berlin mit der Charité als Partner und Subventionen in Millionen-Höhe ein Zentrum für Gen- und Zelltherapie auf, das Bundeskanzler Olaf Scholz bei einem Besuch im Februar 2023 dann auch noch als Beleg dafür feierte, dass Deutschland in Sachen „Technologie und Wissenschaft“ immer vorne mit dabei ist.

Die Industrie sieht in diesem Rückzug erwartungsgemäß kein Problem. Sie befürchtet jedoch eine Umverteilungsdiskussion innerhalb der Branche. Sie geht deshalb in die Offensive und versucht krampfhaft, eine Verbindung zwischen den fehlenden Hustensäften und den Hightech-Präparaten zu stiften. Der von BAYER gegründete „Verband der forschenden Arzneimittel-Hersteller“ (VFA) erdreistet sich sogar, noch mehr staatliche Unterstützung für Rendite-Projekte wie BAYERs Zentrum für Gen- und Zelltherapie zu fordern. „Innovationskraft am Standort halten und ausbauen“ ist dem VFA zufolge das Gebot der Stunde. „Arzneimittel-Engpässe werden nur dauerhaft vermieden, wenn die Dynamik des Innovationskreislaufs in der Arzneimittel-Entwicklung besser als bisher genutzt wird. Denn: Was bei der Neuentwicklung und Produktion von innovativen Arzneimitteln und Therapien fehlt, wird nie der Regelversorgung mit Generika ankommen“, heißt es in dem 5-Punkte-Plan des Verbands. Und eine Rückabwicklung der globalisierten Pillen-Herstellung kommt für die Firmen auch nicht in Frage. „Vor einer Nationalisierung der Lieferketten kann ich nur warnen“, sagte BAYERs Vorstandsvorsitzender Werner Baumann in einem FAZ-Interview. Dem VFA schwebt eine andere Lösung vor. Es könnte „für Krisenfälle ein Mechanismus zur Bereitstellung von Reserve-Produktion etabliert werden“, deren Kosten natürlich die Bundesregierung trägt. Auch er rät dringend vom Aufbau einer Produktion in Deutschland für alle versorgungsrelevanten Wirkstoffe ab. Allenfalls auf EU-Ebene käme so etwas für die Lobby-Organisation in Frage.

Und die Politik?

Die Lieferengpässe legen die ganze Disfunktionalität des Pharma-Marktes offen. Aber die Politik reagiert hilflos und will der Branche das Leben noch ein wenig leichter machen, obwohl das Arzneimittel-Gesetz den Pillen-Herstellern die Pflicht auferlegt, für „eine angemessene und kontinuierliche Bereitstellung“ ihrer Pharmazeutika zu sorgen.

Das 2019 von dem damaligen Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) auf den Weg gebrachte „Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittel-Versorgung“ sah nur ein paar mehr Inspektionen vor Ort in Asien und strengere Transparenz-Regeln vor, was kaum einen Effekt hatte. Sein Nachfolger Karl Lauterbach (SPD) startete deshalb einen neuen Versuch, das Problem in den Griff zu bekommen. Mitte Februar präsentierte er den ReferentInnen-Entwurf eines Paragrafen-Werks „zur Bekämpfung von Liefer-Engpässen bei patentfreien Arzneimitteln und zur Verbesserung der Versorgung mit Kinder-Arzneimitteln“. Dieses nimmt Medikamente für Jungen und Mädchen von den Festbetragsregelungen aus. Bei anderen Präparaten gestattet der Gesetzgeber den pharmazeutischen Unternehmen, um bis zu 50 Prozent über den Festbetrag hinauszugehen. „[E]in beeindruckendes Weihnachtsgeschenk für die Pharma-Unternehmen“ nannte das der „Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung“, als die Pläne im letzten Dezember bekannt wurden.
Dafür zahlen müssen die ärmeren Länder. Nach Ansicht des Gesundheitsökonomen Wolfgang Greiner droht diese Regelung nämlich einen „internationalen Überbietungswettbewerb“ loszutreten, aus dem Staaten mit weniger finanziellen Ressourcen schon frühzeitig aussteigen müssen. „Da wäre eine europäische Abstimmung gut gewesen“, sagt er deshalb. Derzeit leidet besonders Belgien unter dem Medikamenten-Mangel. So spricht Olivier Delaere vom Arznei-Großhändler FEBELCO von einer „künstlichen Verknappung“, weil die Hersteller bei ihren Lieferungen Nationen mit fetteren Pillen-Budgets bevorzugen würden.
Mit weiteren Präsenten will die Ampelkoalition BAYER & Co. auch dazu bewegen, verstärkt nach den so dringend benötigten neuen Antibiotika zu forschen. Sie stellt ihnen in Aussicht, bei der Einführung dieser Mittel länger als sonst üblich Mondpreise verlangen zu dürfen. Und zur Gewährleistung von mehr Liefersicherheit bei den gängigen Substanzen wie Ciprofloxacin lockt der ReferentInnen-Entwurf bei einer Produktion in Europa mit Rabatten. Gleiches gilt für Krebs-Therapeutika. Zur Begründung führt das Schriftstück nicht mehr länger nur die Anfälligkeiten der sich über den halben Globus erstreckenden Wertschöpfungsketten an, sondern auch geopolitische Überlegungen. Von „strategischen Abhängigkeiten“ ist nun die Rede, die es abzubauen gelte. Etwas verklausuliert heißt es dazu: „Aufgrund globaler Krisen ist ein Umdenken, gerade auch im vergabe-rechtlichen Bereich unerlässlich, um eine Widerstandsfähigkeit der Arzneimittel-Versorgung mit lebensnotwendigen Arzneimitteln gegen solche Ereignisse herzustellen. So ist die Neuregelung mit Bezug zu solchen Staaten erforderlich, mit denen mehr als bloße wirtschaftliche Abkommen bestehen.“ Nämlich politische. Eine Vertiefung der Wirtschaftsbeziehungen zu Partner-Nationen proklamiert das Dokument – „Friendshoring“ lautet der Fachbegriff. Ansonsten bleibt es bei Vorschriften zu einer längeren Lagerhaltung, einer Vereinfachung des Medikamenten-Austausches zwischen den einzelnen Apotheken und der Etablierung eines besseren Frühwarn-Systems. An das Grundproblem eines dysfunktionalen Pharma-Markts wagt sich Gesundheitsministerin Karl Lauterbach (SPD) nicht heran. Im Gegenteil: Er belohnt BAYER & Co. sogar noch für ihre Versäumnisse und macht Millionen-Subventionen locker. Allein die Kosten für die neuen Regelungen zu den Kinder-Arzneien beziffert der Gesetzes-Vorschlag mit rund 160 Millionen Euro. Und zu allem Überfluss ist es auch noch mehr als fraglich, ob das viele Geld helfen kann, die Pharmazeutika-Grundversorgung in Zukunft sicherzustellen.