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SWB 02/2023 – BAYERs grüner Ablasshandel

CBG Redaktion

Biete CO2, suche Wald

BAYERs grüner Ablasshandel

Den Kohlendioxid-Ausstoß zu kompensieren, statt ihn zu reduzieren – das ist für die Konzerne seit einiger Zeit das Mittel der Wahl. So will BAYER im Jahr 2022 durch Investments in Waldschutz- und Wiederaufforstungsprojekte 450.000 Tonnen CO2-Emissionen „wiedergutgemacht“ haben. An der Belastbarkeit dieser Zahl bestehen allerdings erhebliche Zweifel.

Von Jan Pehrke

„BAYER will alle eigenen Standorte bis 2030 klimaneutral stellen“, bekundet der Leverkusener Multi seit einigen Jahren in seinen Nachhaltigkeitsberichten. „Aha“, denken da die arglosen LeserInnen, der Konzern will also bald keine Treibhaus-Gase mehr in die Luft zu blasen. Aber weit gefehlt! So ist das nicht gemeint. Die wahre Bedeutung der Ankündigung erschließt sich erst nach der Lektüre des Duden-Eintrages zum Wort „neutralisieren“: „eine Wirkung von etwas durch etwas anderes aufheben.“ Genau dieses strebt der Global Player in Sachen „Klima“ an, er gedenkt die klima-schädlichen Wirkungen seiner Kohlendioxid-Emissionen durch die Unterstützung von klima-freundlichen Vorhaben an anderer Stelle „aufzuheben“. „Unsere eigenen Emissionen (…), die nach der Reduktion durch technische Maßnahmen noch verbleiben und nicht vermeidbar sind (u. a. Treibhausgas-Emissionen aus chemischen Prozessen oder von Geschäftsreisen) werden durch den Kauf von Zertifikaten aus Klimaschutz-Projekten mit anerkannten Qualitätsstandards kompensiert“, schreibt die Aktien-Gesellschaft im Nachhaltigkeitsbericht. 58 Prozent des CO2-Ausstoßes möchte der Global Player auf diese Weise „neutralisieren“. Im Jahr 2022 kamen schon einmal 450.000 Tonnen zusammen, „indem wir beispielsweise in Brasilien, Guatemala, Indonesien, Nicaragua, Peru, Sambia und Simbabwe Projekte zur Wiederaufforstung und zum Waldschutz finanziert haben“. Nur 42 Prozent des Kohlendioxid-Aufkommens plant der Agro-Riese hingegen wirklich zu reduzieren, etwa durch Investitionen in die Sanierung von Produktionsanlagen.

Bei dem, was der Spiegel „grüner Ablasshandel“ nennt, werden die Klima-Sünden sofort vergolten, während die Sühne-Leistungen auf sich warten lassen können. Die Bäume wachsen halt nicht in den Himmel. Um eine Tonne Kohlendioxid zu binden, brauchen sie Jahrzehnte. Und es darf auch nichts dazwischenkommen, was in Zeiten des Klimawandels mit seinen die Brandgefahr erhöhenden Trockenheitsperioden alles andere als sicher ist. So fielen in Kalifornien binnen zehn Jahren alle Wälder, welche dem Staat bei seinem Kompensationsprogramm als Reserveflächen dienen sollten, Feuern zum Opfer. Mit den CO2-Zertifikaten erwerben die Konzerne also nur ungedeckte Schecks auf die Zukunft. Zudem setzen die Transaktionen lediglich ein Nullsummenspiel in Gang. Was an einer Stelle der Welt an Treibhaus-Gasen in die Atmosphäre gelangt, neutralisieren an anderer Stelle – mit gehöriger Verspätung – Waldschutz-Projekte oder ähnliche Vorhaben. Ein Anreiz zur Reduktion der Emissionen entsteht so nicht. Im Gegenteil: Das reichhaltige Angebot auf dem Zertifikate-Markt verleitet sogar dazu, weniger Kohlendioxid als nötig einzusparen.
Schon im Normalbetrieb taugt dieses Mittel also kaum dazu, zum Stopp des Klimawandels beizutragen. Und selbst dieser Normalbetrieb scheint nach Recherchen von ZEIT, The Guardian und SourceMaterial reine Fiktion zu sein. Der Journalist-Innen-Verbund schaute sich 29 von 87 Waldschutz-Projekten des Unternehmens VERRA einmal genauer an, über das auch der Leverkusener Multi viele seiner Kompensationsgeschäfte abwickelt. Ergebnis: Von „Zertifikaten aus Klimaschutz-Projekten mit anerkannten Qualitätsstandards“, wie BAYERs Nachhaltigkeitsbericht behauptet, kann nicht die Rede sein. „Die Auslegung legt nahe, dass über 90 Prozent der Zertifikate daraus wertlos sind. Ein Haufen Schrott“, schreibt die ZEIT.

Auf 89 Millionen Tonnen CO2 belaufen sich die Fehlbuchungen der Zeitung zufolge. Entweder stehen die Wälder gar nicht mehr oder sie ständen auch noch, ohne in den Zertifikate-Handel einbezogen worden zu sein. Überdies hat die Firma VERRA das CO2-Speichervolumen so manches Mal zu hoch angesetzt oder von einem Jahr aufs nächste mal eben um ein paar Millionen Tonnen nach oben korrigiert. Überdies hat sie es mit dem verhinderten Kahlschlag oftmals maßlos übertrieben, indem sie als Vergleichsgebiete vorzugsweise Regionen auswählte, in denen sich wahre Kettensägen-Massaker abspielten. Das Bundeswirtschaftsministerium lehnt Kompensationsdeals dieser Art generell ab: „Waldschutz-Zertifikate sind grundsätzlich klimapolitisch fraglich. Sie repräsentieren keine zusätzlich erreichten Minderungsbeiträge, sondern spekulieren auf vermiedene Emissionen.“ Darum verzichtet die UN auch in dem von ihr 1997 im Rahmen des Kyoto-Protokolls etablierten Ausgleichsmechanismus auf solche Projekte.
Damit fanden sich BAYER & Co. aber nicht ab. Sie machten sich 2006 selbst ans Werk und kreierten gemeinsam mit dem Davoser Weltwirtschaftsforum, Industrie-Clubs wie dem „World Business Council for Sustainable Development“ und der „International Emissions Trading Association“ ihren eigenen Standard, der natürlich Waldschutz vorsah und schon bald – wen wundert’s – zum Marktführer avancierte.

An diesem Gemeinschaftswerk der Konzerne orientierte sich dann auch VERRA bei der Gründung im Jahr 2007. „Sie alle also schufen VERRA“, konstatiert die Zeit aus diesem Grund. Und dabei beließen es die Unternehmen nicht. So entstand etwa VERRAs Regelwerk VM0004 mit freundlicher Unterstützung von SHELL. Und es ist nicht einmal das beliebteste. Dieser Rang gebührt VM0007. Hier genügt schon die bloße Absicht von WaldbesitzerInnen, Rodungen durchzuführen, um die Zertifikatsdruckmaschine anzuwerfen, wenn sie es sich doch anders überlegen. Deshalb schreibt die Zeit zu den Regeln: „Sie sind das Produkt selbst. Ohne sie ist ein Wald nur ein Wald. Mit ihnen ist der Wald eine Zertifikate-Maschine, die all jene reich macht, die den angeblichen Klimaschutz an Konzerne verkaufen, die so ihre CO2-Bilanz kleinrechnen.“

Die Multis aber machen die Regeln nicht nur teilweise selbst, sie wachen auch noch über ihre Einhaltung. Abgesandte von ihnen bekleiden nämlich zahlreiche Posten in Beratungs- und Aufsichtsgremien des Unternehmens, das sich selbst als weltweit führend beim Setzen von Standards für Klimaschutz-Maßnahmen und nachhaltige Entwicklung bezeichnet. So sitzt etwa Jeffrey Seale von BAYER CROPSCIENCE in der „Agricultural Land Management Working Group“. Ein skandalträchtiges Gebaren, das dank des investigativen Journalismus von Zeit und anderen Organen ein breites Medien-Echo hervorgerufen hat. Das Aufdecken des großen Klimaschutz-Schwindels hat die Praxis von BAYER & Co. desavouriert, sich mittels windiger Projekte von der Last freizukaufen, wirkliche Kohlendioxid-Reduktionsmaßnahmen zu starten. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN fordert den Leverkusener Multi nun auf, sofort alle Geschäftsbeziehungen zu VERRA einzustellen, sich aus dem Kompensationsbusiness zurückzuziehen und eine korrigierte Klima-Bilanz für das Jahr 2022 vorzulegen.