Von BAYER ruinierter Erfinder gestorben
Die biologische Lösung
Im März 2015 ist Heinz Süllhöfer verstorben. Fast 50 Jahre seines Lebens kämpfte er gegen den Leverkusener Multi an, der sich widerrechtlich eine Erfindung von ihm angeeignet hatte. Doch BAYER brachte ihn nicht nur um die Früchte seiner Arbeit, sondern in den nachfolgenden Rechtsstreitigkeiten auch um sein ganzes Hab und Gut.
Im vergangenen März starb der Düsseldorfer Erfinder Heinz Süllhöfer. In seinem Leben gab es eine Zeit vor BAYER und eine Zeit nach BAYER. Nichts prägte ihn so, wie die Erfahrung, die er mit dem Konzern machen musste. „Ich schlafe seit 40 Jahren mit der Geschichte ein und wache am nächsten Morgen wieder damit auf“, sagte Heinz Süllhöfer 2008 in einem dpa-Interview.
Die Geschichte, das ist die Geschichte davon, wie ein Welt-Konzern einen jungen, aufstrebenden Erfinder um die Früchte seiner Arbeit und im nachfolgenden Rechtsstreit auch um sein ganzes Vermögen brachte. Sie begann 1965. In diesem Jahr meldete Süllhöfer eine Maschine zur Herstellung von Kunststoff-Platten zum Patent an. Anschließend nahm er Kontakt zum Leverkusener Multi auf und offerierte ihm die Neuheit. BAYERs Tochter-Firma HENNECKE vertrieb zu der Zeit zwar eine ähnliche Apparatur, aber sie konnte mit der von Süllhöfer nicht mithalten. Dementsprechend prüfte der Konzern die Offerte mit großem Interesse, um sie dann überraschenderweise aber doch abzulehnen. Wenig später sollte sich der Grund dafür herausstellen: Der Global Player hatte die Kreation des Diplom-Ingenieurs in der Zwischenzeit nachgebaut, reklamierte die Erfindung für sich und focht das Patent des Düsseldorfers an.
Und so nahm eine der längsten juristischen Auseinandersetzungen in der bundesdeutschen Rechtsgeschichte ihren Anfang. Der Leverkusener Multi arbeitete dabei mit allen Tricks, denn der eigentliche Rechtsweg erschien ihm nach Lage der Dinge nur wenig erfolgversprechend. „Gegen sein Patent können wir nichts unternehmen, denn wir stehen praktisch da mit patentrechtlich leeren Händen“, hieß es in einem geheimen Strategie-Papier. Der Konzern musste befürchten, dass „es bei der derzeitigen Rechtssprechung (…) durchaus möglich schien, dass Süllhöfer obsiegt, was genau das Gegenteil von dem bewirkt hätte, was wir beabsichtigen, nämlich Süllhöfer zum Schweigen zu bringen“ (siehe hier den internen Brief von BAYER).
Deshalb täuschte das Unternehmen bereits im ersten Verfahren. Es machte Süllhöfer mit Hilfe von fingierten Konstruktionszeichnungen sein geistiges Eigentum an der Kunststoffplatten-Maschine streitig und reklamierte auf diese Weise ein Vornutzungsrecht. Das Gericht stand dem Konzern dieses zu, und schon bald warf die Apparatur für die Aktiengesellschaft Millionen-Gewinne ab. Aber Süllhöfer ging gegen das Urteil vor und hatte Erfolg. Es kam zu einem Vergleich, nach dem der Konstrukteur die Nutzungsrechte für die Maschine offiziell an BAYER abtreten und im Gegenzug Lizenz-Zahlungen erhalten sollte.
Damit hätte die Geschichte eigentlich beendet sein können, aber da war der Leverkusener Multi vor. Er vergab Unterlizenzen an andere Firmen und brachte Süllhöfer auf diese Weise um sein Geld. Dem Erfinder blieb nichts anderes übrig, als erneut vor Gericht zu ziehen, um doch noch zu seinem Recht zu kommen. Immer neue Verfahren strengte Süllhöfer über die kommenden Jahrzehnte an, das letzte fand im Januar 2008 vor dem Düsseldorfer Landgericht statt. Er steckte sein ganzes Vermögen in den Rechtsstreit und verkaufte unter anderem sein 100-Betten-Hotel. Trotzdem reichte das alles nicht, um die immensen Gerichtskosten, die sich an dem Streitwert von 500 Millionen Euro bemaßen, zu decken. Auch deshalb blieb der Patentraub letztlich ungesühnt.
Den Hauptanteil daran hatte aber das perfide Vorgehen BAYERs. Da der Konzern das Vornutzungsrecht für „seine“ Kunststoffplatten-Apparatur nur mittels gefälschter Konstruktionszeichnungen erlangt hatte, besaß er gar keine Maschine, die dem Süllhöfer-Original entsprach. Deshalb machte das Unternehmen schnell eine passend. BAYERs Justiziar Joachim Strauss hegte allerdings so einige Zweifel, ob sich das als gerichtsfest erweisen würde. „Die informatorische Anhörung der ggf. als Zeugen zu benennenden HENNECKE-Mitarbeiter erweckt bei mir Zweifel, ob der Umbau der 63er DTG-Anlage wirklich entspr. der für mich nicht eindeutig zuordenbaren Werkstattzeichnungen erfolgt ist“, schreibt er in einem Memo mit „vertraulich“-Vermerk und schließt: „Die weitere Befragung/Vorbereitung unserer Zeugen auf Basis der Werkstatt-Zeichnungen halte ich für äußerst riskant“.
Aber der Jurist fand immer einen Weg für die Patent-Räuber. So ließ er beispielsweise seine Beziehungen spielen. Nach einem für Süllhöfer günstigen Urteil des Oberlandesgerichts – die Kammer hatte einen zwischen BAYER und dem Erfinder geschlossenen Vertrag wegen des Verstoßes gegen die Kartell-Bestimmungen des Artikel 85 des EWG-Vertrages für ungültig erklärt – aktivierte Joachim Strauss seine Kontakte bei der Europäischen Union, um den RichterInnen-Spruch über den Europäischen Gerichtshof zu Fall zu bringen. Zu diesem Zweck lud er in Brüssel einen Bekannten zum Essen ein, der wiederum den beim EuGH mit der Sache „Süllhöfer vs. BAYER“ betrauten Generalanwalt Johannes zu seinen Bekannten zählte. Während des Mahls überzeugte der Konzern-Justiziar seinen Intimus, dass „der Fall auch akademisch so interessant ist, dass man ihn durchaus mit einem Juristenfreund auf einer ‚Wanderung’ diskutieren kann“. Und so vertrat sich Strauss’ Spezi mit Johannes die Beine und akademisierte ein wenig. Ergebnis des Spaziergangs: Am Ende verwarf der EuGH die Sichtweise des Oberlandesgerichtes, und dem Bundesgerichtshof blieb im Folgenden kaum etwas anderes übrig, als sich diesem Votum anzuschließen. Damit nicht genug, profitierte BAYERs Advokat noch ein zweites Mal von seinem großen Freundeskreis. Zu diesem gehörte nämlich ebenso der gleichfalls mit dem Patentklau befasste Richter Gisbert Steinacker, der sich dann auch einem kleinen Freundschaftsdienst nicht verschließen mochte.
Solche Strippenziehereien und andere winkeladvokatische Züge erfüllten den Juristen mit Stolz. „Herr Strauss hat sich gegenüber seinen Kollegen in der Rechtsabteilung der BAYER AG damit gerühmt, wie überragend er in diesem Patentstreit agiert habe (…) Dies könnte ihm die Firma BAYER nie wieder gutmachen“, das berichtete ein BAYER-Beschäftigter Süllhöfers Anwalt kurz nach einer der vielen Urteilsverkündungen im Sinne des Kunststoff-Konzerns. Der Düsseldorfer Erfinder hat viele solcher Nachrichten aus dem Inneren des Unternehmens erhalten. Und dabei handelte es sich beileibe nicht nur um atmosphärische Schilderungen, sondern auch um handfestere Dinge. Immer wieder fand Heinz Süllhöfer in seinem Briefkasten anonyme Sendungen mit Dokumenten, die den Prozess-Betrug belegten und ihm so halfen, die juristische Auseinandersetzung fortzusetzen. Die Belegschaftsangehörigen der Rechtsabteilung bekamen nämlich ganz genau mit, was gespielt wurde, und empfanden das als Schurkerei. In den Begleitschreiben sprachen sie das deutlich aus. „Hoffentlich bekommen Sie endlich ihr Recht“, war da etwa zu lesen oder: „Ich habe gelesen, dass Sie wieder gegen BAYER prozessieren. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg, denn ich bin sicher, dass man Ihnen Unrecht getan hat.“
Auch die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN wusste Heinz Süllhöfer hinter sich. Jahrzehntelang stand sie ihm zur Seite. Die CBG machte im Vorfeld der Verfahren Pressearbeit, stellte den Kontakt zu JournalistInnen her und veröffentlichte die dem Erfinder zugespielten Unterlagen. Für „Stichwort BAYER“-Artikel besuchten Redakteure den Ingenieur öfters in Düsseldorf-Unterrath und wühlten sich gemeinsam mit ihm durch die Berge von Prozess-Unterlagen, die fast ein ganzes Zimmer in Beschlag nahmen. 2009 brachte der Erfinder mit Hilfe der Coordination sogar einen Gegenantrag auf der BAYER-Hauptversammlung ein. „Es ist (…) an der Zeit, dass der Vorstand Süllhöfer ein Vergleichsangebot unterbreitet. Solange dies nicht geschieht, soll dem Vorstand die Entlastung verweigert werden“, hieß es darin unter anderem. Der Chemie-Multi rührte sich jedoch nicht: „Der Vorstand hält den Gegenantrag für unbegründet und hält deshalb an seinem Beschluss-Vorschlag fest“, hielt die Manager-Riege fest.
Das letzte Zusammentreffen fand 2013 statt. Wieder hatte ein Anonymus dem Erfinder brisantes Material zugespielt, wieder wollte er damit vor Gericht ziehen. Aber das scheiterte; zum Verfahren Nr. 90 in der Sache kam es nicht mehr. Schlussendlich erreichte der Leverkusener Multi so mit der Strategie, auf eine „biologische Lösung“ der Prozesse zu setzen, sein Ziel. Gesundheitlich war Süllhöfer schon lange angeschlagen; der aufreibende Kampf um sein Recht hatte Spuren hinterlassen. „Ich hatte zwei Herzinfarkte, vier Operationen, unfassbaren Stress“, klagte er bereits 2008. Und im Jahr 2015 machte sein Körper endgültig nicht mehr mit. Just in dem Jahr, in dem der Leverkusener Multi die Trennung von seinem Kunststoff-Geschäft auf den Weg brachte, verschied er. Die Öffentlichkeit nahm vom Tod des Mannes, der als Erfinder 1984 die vom Deutschen Institut für Erfindungswesen verliehene Rudolf-Diesel-Medaille erhielt und in Düsseldorf einst zu den Honoratioren zählte, kaum Notiz. von Jan Pehrke