12. September 2008
zur heutigen Debatte „Chemieunfälle häufen sich – welche Konsequenz zieht die Landesregierung?“
Offener Brief an die Landesregierung NRW
Regelmäßig kommt es in der nordrhein-westfälischen Chemieindustrie zu schweren Unfällen. Die Leidtragenden sind in erster Linie die Mitarbeiter und Anwohner der Werke.
Das Risiko ist zum großen Teil hausgemacht: Die Belegschaften werden seit Jahren ausgedünnt, für viele Unfälle sind steigende Arbeitsbelastung und Sparmaßnahmen verantwortlich. Ausgerechnet in sicherheitsrelevanten Abteilungen werden Kosten reduziert: Meßwagen zum Aufspüren von austretenden Chemikalien werden abgeschafft, Sicherheitspersonal wird eingespart, in mehreren Werken wurde gar die Werksfeuerwehr geschlossen.
Nach Meinung des Umweltbundesamts besteht dringend Handlungsbedarf: eine bessere Wartung der Anlagen, intensivere Schulungen der Mitarbeiter sowie ausreichendes Personal könnten die Zahl der Störfälle und die damit verbundenen Schäden deutlich verringern.
Größtes Chemie-Unternehmen in NRW ist die BAYER AG. Immer wieder kommt es bei BAYER zu schweren Unfällen, über deren Auswirkungen die Öffentlichkeit im Unklaren gelassen wird. Jüngstes Beispiel: die Explosion im BAYER-Werk Institute (USA) am 29. August, bei der ein Arbeiter das Leben verlor. Die verheerende Explosion war in einem Umkreis von 15 km zu spüren, Tausende Anwohner durften ihre Häuser nicht verlassen. Obwohl in dem Werk große Mengen tödlicher Chemikalien wie Phosgen und MIC gelagert werden, erhielten die Rettungskräfte über Stunden hinweg keine Informationen über den Unfallhergang. Im Falle eines Austritts gefährlicher Gase wäre das Leben Tausender Anwohner gefährdet worden.
Von sich aus berichten Konzerne wie BAYER kaum oder gar nicht über Unfälle. Selbst nach großen Störfällen findet sich auf der BAYER-homepage kein Hinweis auf die Ursachen eines Störfalls oder auf die ausgetretenen Chemikalien. Es wird verheimlicht und vertuscht.
Es ist daher nicht hinzunehmen, dass sich Unternehmen der Chemie-Industrie selbst überwachen und prüfen – entweder über den von der Industrie gegründeten TÜV oder über „traditionelle“ Selbstüberwachungsrechte, wie sie BAYER besitzt. An die Stelle der Deregulierung muss die Re-Regulierung im Interesse des Schutzes der Bevölkerung treten.
Gefahrstoffe müssen dezentral hergestellt werden. Die CO-Pipeline zwischen den BAYER-Werken Dormagen und Krefeld würde einen Präzedenzfall darstellen. Die Pipeline dient nicht dem Allgemeinwohl, sondern lediglich betriebswirtschaftlichen Interessen.
Vor diesem Hintergrund fordert die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) von der Landesregierung:
=> Die Verwaltungsstrukturreformen der letzten Jahre haben zu einem Verlust von qualifiziertem Personal geführt. Das Land NRW muss mehr Personal für die Anlagen-Genehmigung und -Überwachung einstellen, um den Schutz vor schweren Unfällen sicher zu stellen.
=> Keine Betriebsgenehmigung für die Kohlenmonoxid-Pipeline von Dormagen nach Uerdingen.
=> Die gefährlichsten Industrie-Anlagen in NRW sind die Phosgenreaktoren in den BAYER-Werken Uerdingen und Leverkusen. BAYER unternimmt keine Anstrengungen, phosgenfreie Verfahren für die Kunststoff-Produktion zur Serienreife zu entwickeln. Die Chemie-Industrie muss notfalls gezwungen werden, risikoarme Produktionswege einzuschlagen. Das Land NRW darf keine Genehmigungen für Hochrisiko-Verfahren erteilen.
=> Die Öffentlichkeit trägt wesentlich dazu bei, die Anwohner von Chemieanlagen und die Umwelt zu schützen. Bürger und Umweltinitiativen müssen daher mehr Rechte erhalten. Die in den letzten Jahren eingeschränkten Informations- und Beteiligungsrechte müssen wieder hergestellt und ausgeweitet werden. Ein Höchstmaß an Transparenz hinsichtlich der Menge und der Gefährlichkeit der verwendeten Chemikalien, eine breite Beteiligung der Öffentlichkeit in allen Stadien von Genehmigungsverfahren, eine Offenlegung der Sicherheitskonzepte sowie ein umfassendes Klagerecht müssen Elemente einer verbesserten Partizipationsmöglichkeit werden.
=> gefährliche Anlagen müssen aus dichtbesiedelten Gebieten ausgelagert werden.
=> Opfer und Hinterbliebene von Unfällen müssen gerecht entschädigt werden.
Die Coordination gegen BAYER-Gefahren wurde vor 30 Jahren nach Groß-Unfällen in den BAYER-Werken Wuppertal und Dormagen gegründet. Der Verband legte vor wenigen Wochen eine Aufstellung von rund 80 Unfällen bei BAYER in den vergangenen 15 Jahren vor.
Informationen zum Störfall in Institute/USA