BAYERs Steuer-Oasen
Belgische Spezialitäten
Auf seinen Hauptversammlungen zeigt sich der Leverkusener Chemie-Multi nie besonders auskunftsfreudig. Zu seiner Steuerspar-Praxis gab er der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN am 27. Mai 2015 in der Kölner Messehalle jedoch einige Hinweise, die mehr Einblick in die Trick-Kiste ermöglichen. Gegenwärtig laufen zwar auf internationaler Ebene Bestrebungen, deren Arsenal ein wenig zu reduzieren, konkrete Resultate können die PolitikerInnen allerdings noch nicht vorweisen.
Auf der diesjährigen Hauptversammlung des Leverkusener Multis machte sich der Vorstandsvorsitzende Marijn Dekkers gar nicht erst die Mühe, die sinkenden Steuerzahlungen des Unternehmens abzustreiten, welche Städten mit BAYER-Niederlassungen das Leben so schwer macht. In seiner Entgegnung auf einen kritischen Rede-Beitrag der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) bekannte er mit bemerkenswerter Offenheit: „Die Strukturen des heutigen globalen Konzerns sind mit denen von BAYER aus den 80er und 90er Jahren nicht mehr vergleichbar.“ Wie unvergleichbar aber genau, mochte er lieber nicht beziffern. Die Frage, wieviel Gewerbesteuer der Stammsitz Leverkusen 2014 erhielt, beantwortete der Holländer nicht. Dafür gab der Chemiker einige Auskünfte über die steuer-mindernden „Strukturen des heutigen globalen Konzerns“.
Steueroase Belgien
Der Global Player verdankt seine Steuerersparnisse nämlich nicht nur den Abgabe-Senkungen, die sein ehemaliger Finanzchef Heribert Zitzelsberger ab 1999 als Staatssekretär im Finanzministerium auf den Weg brachte, sondern auch neuen Organisationsformen, die das konsequente Ausnutzen der sich einer großen, weitverzweigten Aktien-Gesellschaft in der großen, weiten Welt so bietenden Spar-Möglichkeiten gestatten.
Praktischerweise wurde BAYER dabei gleich in unmittelbarer Nachbarschaft fündig: in Belgien und in Holland. Die Flamen und Wallonen bringen es im Schattenfinanzplatz-Index des TAX JUSTICE NETWORK auf Platz 9, während die Niederlande dort Rang 15 belegen. Und Brüssel wirbt sogar ganz offen mit der dunklen Seite des Landes: „Verschiedene Steuer-Anreize im Bereich der Personen- und Unternehmenssteuer machen Belgien zu einem der attraktivsten Standorte für ein Unternehmen.“
Als „eine der innovativsten Maßnahmen“ preist das Finanzministerium dabei die „Notional Interest Deduction“ (NID) an. Sie erlaubt es, fiktive Zinsen steuerlich geltend zu machen. Was wie ein neues Kapitel aus dem neoliberalen Märchenbuch der wundersamen Geld-Vermehrung anmutet, begründet die Behörde ganz rational. Ein Unternehmen, das genug Eigenkapital besitzt, um seine Geschäfte zu tätigen, darf gegenüber einem Unternehmen, das sich dafür Geld leihen muss und die Zinszahlungen von der Steuer absetzen kann, nicht benachteiligt werden, meint sie. Der „Föderale Öffentliche Dienst Finanzen“ beruft sich dabei auf den von allen Staaten, die der „Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“ (OECD) angehören, akzeptierten Fremdvergleichsgrundsatz („arm’s length principle“), wonach für firmen-interne Transaktionen mit Waren, Dienstleistungen, Lizenzen oder Krediten dieselben Standards zu gelten haben wie für firmen-externe.
Also zieht der belgische Staat vom Gewinn vor Steuern die fiktiven Zinsen ab, die der Konzern für das Eigenkapital zahlen müsste, wenn es Fremdkapital wäre, und senkt so den Steuersatz von rund 34 Prozent auf bis zu 4,2 Prozent ab. Und auch, wenn Konzern-Mütter ihren Tochter-Gesellschaften Geld leihen und dafür – kaum minder fiktive – Zinsen berechnen, kommt die „Notional Interest Deduction“ zum Einsatz. Wie genau, das illustriert ein Rechenexempel: Ein Unternehmen hat einer Zweigstelle 100.000 Euro geliehen und dafür einen Zinssatz von 4 Prozent berechnet. Der Gewinn vor Steuern beträgt 4.000 Euro, und davon darf es jetzt 3.000 Euro fiktive Eigenkapital-Verzinsung nach dem NID-Faktor von drei Prozent abziehen und reduziert so den Steuersatz von 34 Prozent auf 8,5 Prozent. Den Sinn der NID-Übung nennt das Ministerium im Übrigen ganz offen: „Internationalen Unternehmen eröffnet es Möglichkeiten, Aktivitäten wie firmen-interne Finanzierung, das Beschaffungswesen oder das Factoring (das Zusammenführen von Außenständen, Anm. SWB) einer belgischen Tochter-Gesellschaft zu übertragen.“
Der Leverkusener Multi nahm die Einladung dankend an. 2011 verdoppelte er die Mittel seiner in Antwerpen ansässigen Niederlassung auf acht Milliarden Euro und konnte seinen Gewinn von 254,8 Millionen Euro fast komplett wieder mit nach Hause nehmen. Lediglich 10,8 Millionen Euro musste er dort lassen – das entspricht einer Steuerquote von 4,3 Prozent. „BAYER nutzt wie einige andere Unternehmen das günstige makrowirtschaftliche Klima in Belgien, das durch den Abzug für Risikokapital geschaffen wurde“, erklärte ein Unternehmenssprecher dazu und fand nichts Anstößiges daran: „Gegen den Vorwurf der Steuertrickserei verwahren wir uns ausdrücklich.“ Der Abzug von Eigenkapital-Zinsen in Belgien stelle kein Steuerschlupfloch dar, sondern trage dem Grundsatz der Steuer-Neutralität der Unternehmensfinanzierung Rechnung – führte der Öffentlichkeitsarbeiter laut Welt aus.
Auch das firmen-interne Bank-Wesen konzentrierte der Pharma-Riese in Belgien, um in den Genuss der Sonder-Konditionen zu kommen. In welchem immensen Umfang die Konzern-Kasse Geld verleiht, beantwortete Marijn Dekkers der CBG im Mai auf der Hauptversammlung: 2014 hat allein BAYER Antwerpen anderen Töchtern des Global Players Kredite in einem Volumen von 13,4 Milliarden Euro gewährt. Eine Win-win-Situation: Während Belgien kaum Abgaben auf die Gewinne aus den Finanz-Geschäften erhebt, stehen die 13,4 Milliarden bei den kredit-nehmenden BAYER-Gesellschaften als steuerminderndes Minus in den Büchern.
Darüber hinaus hält die vom Finanzministerium eifrig beworbene „belgische Steuer-Landschaft“ noch so manches andere Schmankerl bereit. Sie lädt explizit zu Steuer-Absprachen mit den Finanzämtern ein, erhebt gar keine Abgaben auf Dividenden-Einkünfte, kaum welche auf solche, die aus Zahlungen für die Nutzung von Patenten und Marken-Rechten erwachsen und verweist zudem noch auf beste Beziehungen zu Steuer-Oasen wie etwa Mauritius.
Im nachbarlichen Holland gibt es ebenfalls blühende Steuerlandschaften mit steuerfreien Dividenden-Einkünften, kaum belasteten Zins-, Markenrechts- und Patentlizenz-Einkünften, speziellen Angeboten für den konzern-internen Handel und der Möglichkeit von einvernehmlichen Abgabe-Agreements. Das alles sorgt für einen regen Geschäftsverkehr. Die 23.000 niederländischen Briefkasten-Firmen, die Unternehmen in dem Staat gegründet haben, brachten es allein 2011 auf Transaktionen im Wert von acht Billionen Euro. Natürlich darf BAYER da nicht fehlen. BAYER WORLD INVESTMENTS, BAYER GLOBAL INVESTMENTS und BAYER CAPITAL CORPORATION haben ihren Sitz in der Heimat des BAYER-Chefs. Zusammen mit ihren belgischen Pendants halten sie Anteile an rund einem Fünftel aller 350 Tochter-Gesellschaften des Multis und schaffen damit die Voraussetzung für die BAYER-internen Geschäfte.
Leverkusen darbt
Diese „Strukturen des heutigen globalen Konzerns“ sorgen zusammen mit den firmen-freundlichen Steuerstrukturen des heutigen neoliberalen Staats für ständig sinkende Unternehmenssteuer-Einnahmen. Auf diese Weise steigt der Pharma-Multi zur wertvollsten deutschen Aktien-Gesellschaft auf – und sein Stammsitz Leverkusen zum Armenhaus ab. Die Stadt befindet sich in der Haushaltssicherung und muss deshalb strenge Spar-Vorgaben des Landes Nordrhein-Westfalen erfüllen. Zudem gehört die Kommune dem „Stärkungspakt Stadtfinanzen“ an, der sie – wiederum gegen Auflagen – mit dringend benötigten finanziellen Mitteln versorgt. Diese Notlage trieb Leverkusener KommunalpolitikerInnen auch dazu, am 24. Februar 2015 nach Berlin zu fahren, um dort gemeinsam mit ihren KollegInnen aus Bochum, Gelsenkirchen und fast 30 weiteren Städten von den Spitzen-PolitikerInnen mehr Unterstützung zu verlangen. „Wird den notleidenden Kommunen nicht konkret geholfen, ist der soziale Frieden in Gefahr“, warnten die Oberbürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld (SPD) aus Oberhausen und Peter Jung (CDU) aus Wuppertal – ebenfalls eine darbende Stadt mit BAYER-Standort – laut Rheinischer Post, die ihren Artikel zum Thema mit „Bürgermeister betteln bei Gabriel“ überschrieb.
Im letzten Jahr forderte BAYER von der Kommune sogar noch 28 Millionen Euro Gewerbesteuer-Vorauszahlungen zurück. Der Global Player hatte zwischendurch nämlich für rund zehn Milliarden Euro eine Sparte des US-Unternehmens MERCK gekauft, und das lässt sich natürlich absetzen. Als Konsequenz daraus musste Stadtkämmerer Frank Stein seinen Haushaltsentwurf ebenso dem Schredder überantworten wie sein Entschuldungskonzept.
Dementsprechend geriet seine Haushaltsrede zur Trauerrede. „Die für Städte im Allgemeinen und die Stadt Leverkusen im Besonderen verhängnisvollen Defizite des Steuersystems sind Ergebnis einer seit gut 25 Jahren fortgesetzten verfehlten Steuergesetzgebung“, klagte Stein über das Wirken von Zitzelsberger & Co., bevor er ins Detail ging: „Die Gewerbesteuer ist durch den Gesetzgeber so verhunzt worden, das sie schon seit Langem kein praktikables Instrument für kommunale Finanzpolitik ist.“ Mit unter 30 Millionen Euro vermeldete der Kassenwart ein „Allzeittief“ bei diesem Einnahme-Posten und gab auch keine Aussicht auf Besserung. Eine „deutlich erkennbar nicht konjunkturell, sondern strukturell bedingte und damit nachhaltige Reduzierung“ machte er aus.
Diese Entwicklung treffe zwar alle Städte, hätte aber „spezifische Leverkusener Aspekte“, so Stein. In einem Exkurs zur kommunalen Wirtschaftsgeschichte ging er näher darauf ein. „Erst kam das Werk, dann kam die Stadt“, hob der Kassenwart an, unterstrich dann aber auch den Anteil, den die Kommune am Gedeihen des BAYER-Konzerns hatte, indem sie ihm einen Großteil der technischen, sozialen und kulturellen Infrastruktur bereitstellte. Es entstand „manches in privater Regie, aber letztlich das meiste in kommunaler Trägerschaft und Finanzierungsverantwortung“, rückte Frank Stein die Dimensionen zurecht. Und lange war dies auch ein Geschäft auf Gegenseitigkeit, das Leverkusen eine beachtliche Steuerstärke eintrug. Irgendwann jedoch profitierte nur noch einer. „Den industriellen Kern (…) gibt es nach wie vor, und er ist nach wie vor ein Ort großer Wertschöpfung. Aber aus betriebswirtschaftlichen und steuersystematischen Gründen, die im Einzelnen detailliert zu erörtern einen Verstoß gegen das Steuergeheimnis bedeuten würde, korrespondiert diese Wertschöpfung nicht mehr mit einer entsprechenden Steuerstärke der Stadt“, führte Stein aus und brachte damit das Dilemma Leverkusens auf den Punkt.
Dieses Missverhältnis empört – quer durch die Parteien – auch viele KommunalpolitikerInnen. Von einem CBG-Mitglied um einen Kommentar zu BAYERs Steuer-Enthaltsamkeit gebeten, antwortete der Christdemokrat Thomas Eimermacher: „Tatsache ist, dass unsere Stadt heutzutage nur noch einen Bruchteil der Gewerbesteuer-Einnahmen erzielt wie vor 20 Jahren und davor, bei deutlichst gestiegenen Kosten und breiterem Aufgaben-Spektrum. Diese Rechnung kann natürlich nicht aufgehen.“ Der sozialdemokratische Ratsherr Dr. Hans Klose stimmte in das Klagelied ein. „Ich halte die steuerliche Behandlung der Wirtschaft z. Z. für völlig verfehlt,“ konstatierte Klose. Und der sozialdemokratische Bürgermeister Uwe Richrath ging BAYER im Wahlkampf sogar frontal an. Die Weltfirma beteilige sich in Leverkusen „sehr wenig“ am lokalen Gewerbesteuer-Aufkommen, sagte er laut Leverkusener Anzeiger. Später ruderte der Sozialdemokrat allerdings zurück: „Ich wollte BAYER nicht angreifen.“ NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans, der Richrath begleitet hatte, sah hingegen keine Veranlassung, seine Kritik am Global Player zurückzunehmen. Dass eine Stadt wie Leverkusen „mit der Weltmarke BAYER aus dem Stärkungspakt gestützt werden muss – das glaubt erst mal keiner“, hatte Walter-Borjans bei dem Lokaltermin festgestellt und den Konzern in die Pflicht genommen: „Ich erwarte schon, dass ein Unternehmen sich seiner Standort-Verantwortung bewusst ist.“ Und in seinem Antwort-Schreiben an das CBG-Mitglied schlug der Minister noch deutlichere Töne an. „Erst recht in Zeiten schwieriger Haushaltslagen können wir es uns nicht leisten, dass sich Unternehmen systematisch davor drücken, ihren Anteil an der Finanzierung des Gemeinwesens zu leisten“, so der Sozialdemokrat. „Nordrhein-Westfalen ist nicht bereit, so ein Verhalten noch länger hinzunehmen“, hielt er fest und nannte als Beispiele Initiativen des Landes auf nationaler und internationaler Ebene zur Verhinderung von Steuerumgehung und zur Schaffung von mehr Transparenz.
Politische Reaktionen
Die Leverkusener SPD-Vorsitzende Eva Lux setzt in ihrem Brief an den CBG-Aktivisten auf die gemeinsame Initiative der OECD-Länder, die Steuervermeidungsstrategien von BAYER & Co. zu durchkreuzen. Daran arbeitet die OECD allerdings schon seit geraumer Zeit, ohne bisher konkrete Ergebnisse vorweisen zu können. Bereits im Juli 2013 hatte sie 15 zentrale Baustellen benannt wie etwa Maßnahmen gegen Steuertricks mit Krediten, Zinsen, Patenten, Markenrechten und firmen-internen Geschäften. Darüber hinaus nahm sie sich vor, gegen solche Doppelbesteuerungsabkommen vorzugehen, die zu einer doppelten Nichtbesteuerung führen statt lediglich eine doppelte Belastung zu unterbinden. Zudem will die Organisation strengere Transparenz-Vorschriften erlassen.
Bisher besteht unter den Staaten jedoch noch bei acht dieser 15 Punkte Diskussionsbedarf; zu einer Einigung über ein abgestimmtes Vorgehen kam es erst bei sieben. Beispielsweise gelang es noch nicht, zu einer Übereinkunft bezüglich der sogenannten Patent-Boxen zu kommen, zu deren Einrichtung manche Länder mit unschlagbar niedrigen Körperschaftssteuern auf Lizenz-Erträge locken. Deshalb zeichnet sich jetzt die umgekehrte Entwicklung ab: Immer mehr Nationen machen selbst ein solches unmoralisches Angebot. Zuletzt gaben die USA entsprechende Pläne bekannt. Überdies sperren sich die Vereinigten Staaten vehement gegen allzu umfassende steuerliche Offenlegungspflichten. Nachrichten wie diese sähen Zweifel am Gelingen des OECD-Vorhabens. Die Faz etwa mahnt: „Niemand sollte sich zu viel davon versprechen“. Allenfalls „die eine oder Ungereimtheit im internationalen Steuerrecht“ könnte der Zeitung zufolge am Ende des Tages auf dem Müllhaufen der Geschichte landen.
Auch die Europäische Union unternimmt Anstrengungen, BAYER & Co. an der kreativen Steuer-Gestaltung zu hindern. Wie die OECD hat sie sich vorgenommen, den Konzernen die firmen-internen Deals mit materiellen und immateriellen Gütern zu Lasten der Finanzämter zu erschweren und die Firmen zu mehr Transparenz in Sachen „Abgaben“ zu veranlassen. Zudem plant Brüssel, innerhalb der EU ein einheitliches System zur Körperschaftssteuer-Bemessung einzuführen. Allerdings laufen die entsprechenden Diskussionen und Verhandlungen schon ziemlich lange. Und während dabei schon so manches wie etwa verpflichtende Mindeststeuer-Sätze auf der Strecke geblieben ist, gibt es noch immer keine konkreten Resultate.
Ob solche bei einem Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker, der 18 Jahre lang der Steueroase Luxemburg als Premierminister vorstand, überhaupt zu erwarten sind, daran bestehen so einige Zweifel. Aber auch die Bundesregierung zeichnet sich nicht gerade durch konstruktive Mitarbeit aus. So wartete der Sonderausschuss des Europäischen Parlaments vergeblich auf Unterlagen zu den bundesdeutschen Steuer-Praktiken. Finanzminister Wolfgang Schäuble sah das Steuergeheimnis bedroht und wollte lediglich mündlich Rede und Antwort stehen. Darüber hinaus hat die Große Koalition dem Vorstoß der EU-ParlamentarierInnen, BAYER & Co. zu länder-spezifischen Steuer-Auskünften zu zwingen, um so dem auf die Spur zu kommen, was der Leverkusener Multi „tax planning“ nennt, im Ministerrat die Unterstützung verweigert.
Damit stellte sie sich unverhohlen in den Dienst des „Bundesverbandes der deutschen Industrie“ (BDI), der ein solches „country-by-country-reporting“ als „systemfremd“ ablehnt. Auch gegen eine einheitliche Körperschaftssteuer-Bemessungsgrundlage wendet sich der Verband. Das gehe „in die falsche Richtung“, erklärte der BDI. Die Lobby-Organisation warnte davor, „grenzüberschreitend tätige Unternehmen im internationalen Wettbewerb“ zu benachteiligen und das Augenmerk nur auf die Steuermissbrauchsvermeidung zu legen. Stattdessen plädiert der Bundesverband für den Erhalt der ruinösen Länder-Konkurrenz um die Multis bzw. für einen „fairen Steuerwettbewerb in der EU“.
In EU-Gremien versucht die Industrie ebenfalls, ihren Einfluss geltend zu machen. Der Leverkusener Multi hat etwa den Chef der Stelle für konzern-interne Verrechnungspreise, die sich natürlich in der Abteilung für „Global Tax Projects“ befindet, in das Beratungsgremium EU JOINT TRANSFER PRICING FORUM beordert. Dort widmet er sich gemeinsam mit seinen KollegInnen von PRICEWATERHOUSECOOPER, VOLVO und DELOITTE unter anderem der Aufgabe, Brüssel davon zu überzeugen, „Steuerhindernisse zu beseitigen, welche die ökonomischen Transaktionen zwischen EU-Ländern einschränken“.
Angesichts dieser Lobby-Aktivitäten und der Bereitschaft vieler Regierungen, den Bedenken der Multis Rechnung zu tragen, stehen die Chancen für das EU-Projekt nicht gut. Dabei müsste eigentlich noch viel Grundsätzlicheres auf den Verhandlungstisch kommen wie etwa das „arm’s length principle“ bzw. der Fremdvergleichsgrundsatz. Dieser generiert nämlich ein riesiges Potenzial an steuerlich absetzbaren Posten, indem er Transaktionen innerhalb großer Unternehmensverbünde mit Geschäften zwischen rechtlich eigenständigen Firmen gleichstellt. So können sich dann die Konzerne nach Lust und Laune steuersparend in Gläubiger und Schuldner, Käufer und Verkäufer, Lizenznehmer und Lizenzgeber aufspalten. Und diese Beschäftigung mit sich selbst erfreut sich zunehmender Beliebtheit. Nach Auskunft der Deutschen Bundesbank hatten bereits 1999 allein firmen-interne Kredite einen Anteil von 25 Prozent an allen bundesdeutschen Direktinvestitionen im Ausland.
Und hierzulande wäre eine Rückabwicklung der Unternehmenssteuer-„Reform“ vonnöten, die der BAYER-Mann Heribert Zitzelsberger eingefädelt hat mit ihrer Senkung des Körperschaftssteuersatzes von 40 auf 25 Prozent und der Streichung von Abgaben auf Gewinne aus dem Verkauf von Betriebsteilen. Nach DGB-Berechnungen bescherte dieses Paragrafen-Werk zusammen mit einigen danach erfolgten „Nachbesserungen“ dem Fiskus allein 2013 Mindereinnahmen in Höhe von 45 Milliarden Euro. Aber zu einer Reform der Reform wird es nicht kommen. Und so muss sich Leverkusens Kämmerer Frank Stein weiter Gedanken darum machen, wie er die steigenden Soziallasten und Personalkosten stemmt ohne einen völligen Kahlschlag bei kulturellen oder sozialen Einrichtungen vorzunehmen und in den Fatalismus zu verfallen, den er „die Vergeblichkeitsfalle“ nennt. Von Jan Pehrke