Auch die neue Bundesregierung pflegt die ökonomische Landschaft. Sie stellt die „Wettbewerbsfähigkeit unseres Wirtschaftsstandorts“ vor den Schutz von Mensch, Tier und Umwelt und räumt den Konzernen auch sonst den Weg zur gnadenlosen Profit-Jagd frei. Nicht umsonst halten die BAYER-ManagerInnen große Stücke auf Angela Merkel.
Von Jan Pehrke
„Frau Merkel macht seit vielen Jahren gute Arbeit“, das antwortete BAYER-Chef Werner Baumann der Bild-Zeitung auf die Frage, ob eine 4. Kanzlerschaft gut für die Wirtschaft wäre. Und der Aufsichtsratsvorsitzende Werner Wenning pflichtet ihm bei: „Ich sehe im Moment keine Alternative zu ihr.“ Warum sollten die beiden Manager auch mit der CDU-Politikerin hadern? Unter allen bisher von ihr geführten Regierungen hat der Leverkusener Multi schalten und walten können, wie er wollte – und glänzende Geschäfte gemacht.
Prima Klima für BAYER
Das neue Regierungsprogramm setzt diese Politik nicht nur fort, sondern hält zusätzlich noch einige Schmankerl für den Konzern bereit. So haben sich CDU und SPD von dem Ziel verabschiedet, die Kohlendioxid-Emissionen bis zum Jahr 2020 um 40 Prozent gegenüber dem Wert von 1990 zu senken, und damit den Offenbarungseid in der Klima-Politik geleistet. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) hatte vor dieser Entwicklung schon seit Längerem gewarnt und angemahnt, die Wirtschaft stärker in die Pflicht zu nehmen. „Die Bundesrepublik droht ihre selbstgesteckten Klimaschutz-Ziele zu verfehlen. Das liegt nicht zuletzt an der Industrie, die kaum einen Beitrag zur Kohlendioxid-Reduktion leistet“, hieß es 2017 in der Presseerklärung der Coordination zur Bonner Weltklima-Konferenz.
Eine große Rolle bei der Suspendierung der CO2-Minderung spielte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU). „Wir brauchen im Bund eine Politik, die auch den energie-intensiven Industrie-Sparten Stahl, Aluminium, Chemie, Glas und Papier einen zukunftssicheren Standort in Deutschland bietet“, hatte der getönt. Die Klagen von BAYER & Co. über angeblich zu hohe Strom-Preise fanden in ihm einen geeigneten Resonanzkörper. „Das Erneuerbare-Energien-Gesetz und die Subventionen für regenerative Energien sind heute für viele Unternehmen fast ein größeres Problem (sic) als die Personalkosten“, meinte der Christdemokrat. Am Ende hatte Laschet Erfolg mit der Panikmache. „Bei dem Herzensthema von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) gab es früh eine Einigung. Das nationale Klima-Ziel für 2020 wurde gekippt, nun gelten die im Pariser Abkommen genannten Ziele für 2030“, schrieb die Rheinische Post zu den Vereinbarungen im Koalitionsvertrag.
Die Große Koalition benötigt die zusätzlichen zehn Jahre, weil sie sich entschlossen hat, die Energiewende zu schaffen, „ohne die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Industrie-Standortes Deutschland zu gefährden“. Aus Rücksichtnahme auf die Befindlichkeiten der Industrie hat sie sich vorgenommen, bei der Weiterentwicklung der Rahmenbedingungen „Kos-ten-Effizienz und Verhältnismäßigkeit zu gewährleisten“. „Offenbar sind hier die Sondierer willens, die Realität anzuerkennen“, lobte der „Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) umgehend. Auch die Androhungen von BAYER & Co., wegen vermeintlich zu hoher Strom-Rechnungen zu Klimaschutz-Flüchtlingen zu werden und Produktionsstätten in andere Länder zu verlagern, haben bei CDU und SPD sichtlich verfangen. Es gelte, eine solche „Carbon Leakage“ zu verhindern, halten die Parteien fest. Darum fehlt in dem Koalitionsvertrag jede verbindliche Aussage zu einer Reform des EU-Emissionshandels, der in seiner jetzigen Form überhaupt nicht funktioniert. Weil die Lizenzen zum Ausstoß von Kohlendioxid zum Schnäppchen-Preis zu haben sind, fehlt den Unternehmen jeglicher Anreiz, ihre Emissionen zu drosseln. Aber trotzdem visiert die GroKo keine konkreten Maßnahmen an. „Den EU-Emissionshandel wollen wir als Leitinstrument weiter stärken“, heißt es lediglich. Und den Kohleausstieg schieben Merkel & Co. auch auf die lange Bank. Sie gründen erst einmal eine Kommission, die dazu Genaueres ausarbeiten soll. Folgerichtig verkündete der bisher im Wirtschaftsministerium für diesen Politik-Bereich zuständige Staatssekretär Rainer Baake seinen Rücktritt. Da die Koalitionsvereinbarung „in den Bereichen Energiewende und Klimaschutz eine herbe Enttäuschung“ sei, bat er um seine Entlassungspapiere.
Aber nicht nur um den Klimaschutz braucht sich der Leverkusener Multi bei seiner Rendite-Jagd nicht groß zu kümmern, auch den Schutz von Mensch, Tier und Umwelt kann er weiter außer Acht lassen. Die GroßkoalitionärInnen bekennen zwar: „Wir wollen für unsere Kinder und Enkelkinder eine intakte Natur bewahren“, konkrete Maßnahmen folgen dem jedoch kaum. Im Pestizid-Bereich etwa plant die neue Bundesregierung, sich bis zur Mitte der Legislatur-Periode Zeit zu lassen, um eine Ackerbau-Strategie „für u. a. umwelt- und naturverträgliche Anwendungen von Pflanzenschutzmitteln“ auszuarbeiten. Die Umsetzung erfolgt dann laut Koalitionsvertrag „gemeinsam mit der Landwirtschaft“ und ist von Förder-Maßnahmen zum Insektenschutz begleitet. „Dabei liegt uns der Schutz der Bienen besonders am Herzen“, erklären die PolitikerInnen. Aber selbst durch diesen kleinen Ausflug in ihre Gefühlswelt gewinnt ihre Agenda nicht an Überzeugungskraft. Konkret zeigt sich das am Beispiel von Glyphosat, dem von der Weltgesundheitsorganisation als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuften Ackergift-Wirkstoff. Statt einen Sofort-Ausstieg zu beschließen, einigte sich die Große Koalition auf eine „Minderungsstrategie“, die lediglich „so schnell wie möglich“ ohne das Mittel auskommen will. Darum steht zu befürchten, dass CDU und SPD Glyphosat hierzulande im Herbst 2018 erst einmal eine neue Zulassung erteilen. Und zu allem Überfluss nehmen sich Merkel & Co. auch noch einem alten BAYER-Wunsch an und beschleunigen die Genehmigungsverfahren für Pestizide, auf dass noch mehr ungenügend auf ihre Risiken und Nebenwirkungen untersuchte Produkte die Äcker heimsuchen.
Das Ziel, „Wasser und Böden besser zu schützen“, verfolgen Christ- und SozialdemokratInnen ähnlich ambitionslos: „Im Dialog mit der Landwirtschaft werden wir auf eine gewässer-schonende Bewirtschaftung hinwirken.“ Und in Sachen „Arzneimittelrückstände im Wasser“ soll es eine Öffentlichkeitskampagne richten. Die AnwenderInnen und Hersteller der wasser-belastenden Produkte an den Kosten für die Aufbereitung der lebenswichtigen Ressource zu beteiligen, schwebt den Parteien hingegen nicht (mehr) vor. Der entsprechende Passus flog wieder aus dem Koalitionsvertrag. Jetzt steht dort lediglich zu lesen: „Die Abwasserabgaben-Regelung wollen wir mit dem Ziel der Reduzierung von Gewässer-Verunreinigungen weiterentwickeln.“ Zu zahlen haben das dann die VerbraucherInnen, fürchtet der „Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft“ (BDEW). „Der jetzige Vorschlag wälzt die Kosten für eine vierte Reinigungsstufe auf die Verbraucherinnen und Verbraucher ab, obwohl sie nicht die Verursacher der Gewässer-Verunreinigungen sind“, erklärte der BDEW. „Ökonomie vor Ökologie“, so überschrieb Der Spiegel seinen Artikel über die avisierte Umweltpolitik der Großen Koalition passenderweise.
Spahns Spendierlaune
BAYERs Pharma-Sparte darf mit dem GroKo-Programm ebenfalls zufrieden sein. Eine Reduzierung der ständig steigenden Pillen-Preise nehmen sich CDU und SPD nämlich nicht vor, obwohl vor allem die Krankenkassen hier ein Einschreiten gefordert hatten. Besonders bei neu zugelassenen Arzneien sahen sie Handlungsbedarf, weil BAYER & Co. hier ein Jahr lang ihren Rendite-Phantasien freien Lauf lassen können, ehe die mit AOK & Co. ausgehandelten Preise greifen. Der frisch ins Amt gekommene Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der sich durch Lobby-Tätigkeiten im Pharma-Bereich für den Job qualifiziert hat, sieht sogar noch Luft nach oben. „Die Preise für neue Arzneimittel müssen so sein, dass es sich lohnt, für echte Innovationen, für wirklichen Fortschritt, etwa bei Demenz, zu forschen“, meint er.
Von rechtlicher Seite her droht den Pillen-Profiten auch kein Unbill. Sammelklagen wie in den USA, die den Leverkusener Multi dort schon zu Milliarden-Zahlungen an Geschädigte seiner Pharmazeutika LIPOBAY und YASMIN zwangen, finden keinen Eingang ins Bürgerliche Gesetzbuch. Dem BDI, der vor einem enorm hohen volkswirtschaftlichen Schaden durch dieses Rechtsinstitut gewarnt hatte und es mit großen Missbrauchsrisiken behaftet sieht, gelang es mal wieder, sich durchzusetzen. Lediglich eine Musterfeststellungsklage beabsichtigen Merkel & Co. einzuführen. Diese beschränkt die Klage-Befugnis wohlweislich auf bestimmte, nicht näher beschriebene Einrichtungen, „um eine ausufernde Klage-Industrie zu vermeiden“, denn: „Bewährte wirtschaftliche Strukturen sollen nicht zerschlagen werden.“
Von einem anderen juristischen Mittel bleibt BAYER ebenfalls verschont. Hatte es in dem Koalitionsvertrag von 2013 geheißen: „Wir prüfen ein Unternehmensstrafrecht für internationale Konzerne“, so liegt das Ergebnis fünf Jahre später nun vor. Die GroßkoalitionärInnen haben sich gegen ein solches Instrument entschieden. Ein bisschen ungemütlicher dürfte es für die Multis aber trotzdem werden. Die neue Bundesregierung will nämlich sicherstellen, „dass bei Wirtschaftskriminalität grundsätzlich auch die von Fehlverhalten von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern profitierenden Unternehmen stärker sanktioniert werden“, und eine solche Strafverfolgung nicht länger in das Ermessen der zuständigen Behörde stellen. Überdies haben CDU und SPD vor, die bisherige Bußgeld-Obergrenze von zehn Millionen Euro anzuheben.
An die Steuerspar-Modelle von BAYER & Co. traut sich die Regierungskoalition hingegen nicht heran. Nur die bisher nach unten offene Abgaben-Skala beabsichtigt sie, mit Mindest-Sätzen ein wenig zu begrenzen. Viel mehr Eigeninitiative entwickelt die Merkel-Riege jedoch nicht. Sie bekundet lediglich ihre Solidarität mit Vorhaben auf EU- und OECD-Ebene: „Wir unterstützen ausdrücklich alle Bemühungen für eine gerechte Besteuerung großer Konzerne.“ Derartigen Lippenbekenntnissen könnten jedoch schon bald Taten in die andere Richtung folgen. Die Bundesregierung gedenkt nämlich, „eine Antwort auf internationale Veränderungen und Herausforderungen, nicht zuletzt in den USA“, zu geben. Entsprechenden Druck hatte vorher der BDI ausgeübt und mit Blick auf Donald Trumps massive Senkungen der Tarife „strukturelle Steuerreformen“ angemahnt, um „wettbewerbsfähig zu bleiben“. Der CDUler Fritz Güntzler weiß diese Aufgabe bei Finanzminister Olaf Scholz in guten Händen, erinnerte er sich doch in einem Gespräch mit der Faz noch an die maßgeblich vom ehemaligen BAYER-Finanzchef Heribert Zitzelsberger gestaltete und den Multis Milliarden-Entlastungen eintragende Unternehmenssteuerreform des Jahres 2000. „Jetzt erkenne man den großen Plan, warum die Union das Finanzministerium an die SPD abgegeben habe, scherzte er“, so gibt die Zeitung seine Worte wieder.
Der BAYER-Stammsitz Leverkusen hat sich bis heute nicht von diesem Paragrafen-Werk erholt. Die Kommune musste dem „Stärkungspakt Stadtfinanzen“ beitreten und steht aktuell unter der Finanzaufsicht des Kölner Regierungspräsidenten. Der die Stadt im Bundestag vertretende Karl Lauterbach (SPD) verteidigte den Koalitionsvertrag trotzdem. Gerade für die Beschäftigten würde er durch Veränderungen auf dem Gebiet des Arbeitsrechts viel bringen. Besonders hob der Politiker dabei Erleichterungen für ArbeiterInnen und Angestellte hervor, die durch Kettenverträge gezwungen sind, sich bei einem Unternehmen von Befristung zu Befristung zu hangeln. „Das ist besonders bei den BAYER-Töchtern hier in Leverkusen der Fall“, meinte Lauterbach und kündigte ein Verbot dieser Praxis durch die Große Koalition an. Ob CDU und SPD da liefern und die Belegschaftsangehörigen des Multis davon wirklich profitieren, bleibt allerdings abzuwarten. Verpflichtet zeigt sich der Koalitionsvertrag im Wesentlichem nämlich nur einem: den Profit-Interessen von BAYER & Co. ⎜