Abgeordnete in Konzern-Diensten
Die Bayer AG und ihre Abgeordneten
von Jan Pehrke
Im Jahr 2003 berichteten die Zeitungen über einen Besuch des CDU-Landtagsabgeordneten Karl Kress beim Bayer-Konzern. Nach den Presse-Darstellungen beeindruckten den Politiker die Klagen des Unternehmens über das Chemikalien-Gesetz der EU so sehr, dass er sie unbedingt auch seinen Kollegen zu Gehör bringen wollte. Er stellte den Kontakt zu EU-ParlamentarierInnen her, die sich dann aus dem Munde des Bayer-Managers Dr. Wolfgang Große Entrup einen Vortrag zum Thema anhören konnten. Was die Journalisten nicht wussten: Karl Kress war per Arbeitsvertrag an den Chemie-Multi gebunden – das kam erst im Zuge des Skandals um Meyer, Arentz & Co heraus. So erschien es den LeserInnen damals, als ob sich ein nur seinem Gewissen verpflichteter CDU-Abgeordneter bei einem Zusammentreffen mit einem Industrievertreter eine Meinung gebildet und diese dann zur Grundlage seines politischen Handelns gemacht hätte. Und dieser Eindruck ist für Bayer Gold wert.
Karl Kress war Labor-Leiter bei der Bayer Faser GmbH und lässt sein Beschäftigungsverhältnis seit 2002 mit der passiven Phase der Altersteilzeit ausklingen. Der Doppelverdiener kommt so auf ein Monatssalär von 7.855 Euro brutto – 4805 Euro Diäten und 3050 Euro von Bayer. Im Landtag ist Kress anscheinend so eine Art Schläfer für den Pharma-Riesen. „Ein sonst eher schweigsamer Vertreter blühte auf, als es um die Interessen seines Arbeitgebers ging“, beschreibt die Financial Times Deutschland seine Arbeitsauffassung. Das war selbstverständlich beim Gesetz zum Emissionshandel der Fall. Die EU-Regelung, wonach Unternehmen für einen Schadstoff-Ausstoß über eine bestimmte Richtgröße hinaus zur Kasse gebeten werden, trieb den Hinterbänkler zum Redner-Pult. „Herr Minister Schartau hat Recht, wenn er sagt: Dieser Plan ist nicht akzeptabel und überfordert die Industrie“, hob er an und kritisierte im Folgenden die „unnötige Verschärfung der Reduktionsverpflichtungen“. Seiner Ansicht nach bürdet die Politik den Konzernen eh schon genug auf. „Die Unternehmen kommen doch heute kaum noch mit den staatlich verordneten Abgaben zurecht“, klagte Kress. Bei solchen oder anderen Gelegenheiten ist er um Beispiele für derartige Lasten selten verlegen. „Bayer allein muss eine Million Euro pro Jahr für die Einleitung von wiederaufbereitetem Kühlwasser in den Rhein zahlen, für BP sind es 600.000 Euro“, kritisierte der Landtagsabgeordnete etwa das Wasserentnahme-Entgeltgesetz.
Als Näheres über sein Arbeitsleben an die Öffentlichkeit drang, war Kress sich keiner Schuld bewusst. Er habe doch nur Fachwissen betreffs des Chemie-Standortes Dormagen in die politische Diskussion eingebracht„, bekundete er scheinheilig.
Dieses Fachwissen steuert auch Ursula Lietz bei, die 1972 als wissenschaftliche Assistentin in Bayers Wuppertaler Pharmaforschungszentrum anfing. Seit sie 1983 in die CDU eintrat, hatte sie die verschiedensten politischen Ämter inne. Sie saß im Wuppertaler Stadtrat und stand dort lange der CDU-Fraktion vor. Lietz gehört ebenfalls dem Kreisvorstand der CDU an und ist seit 1997 stellvertretene Vorsitzende des CDU-Bezirks “Bergisches Land„. 1998 zog sie in den Bundestag ein und erhielt eine Freistellung von Bayer. Aber die Bande rissen nicht ab, wie schon die gewählten Arbeitsschwerpunkte belegen. Neben Verteidigungs- und Frauenpolitik gibt Ursula Lietz als solche nämlich Bildung und Forschung sowie Gesundheit an. Daher ließ sie es sich nicht nehmen, bei den Debatten zur Gesundheits“reform„ gegen die Positivliste Position zu beziehen, mit der Rot/Grün ursprünglich beabsichtigte, die Erstattungspflicht der Krankenkassen für umstrittene Medikamente aufzuheben, was Bayers Pillen-Umsatz empfindlich getroffen hätte. Manchmal trieb das Heimweh die Politikerin auch direkt an die alte Wirkungsstätte zurück. Im Februar 2002 führte sie die “Arbeitsgruppe Frauen und Gesundheit„ durch das Bayer-Institut für klinische Pharmakologie und animierte eine Diskussion über Arzneimittel-Tests. Zwei Monate später schlug sie zwei Fliegen mit einer Klappe und heftete in ihrer Funktion als Mitglied der “Schutzgemeinschaft Deutscher Wald„ einem ehemaligen Bayer-Manager ein ökologisches Feigenblatt ans Revers: Sie zeichnete den Ex-Direktor Kremer mit der silbernen Ehrennadel des Vereins aus.
Als ihre ehemalige Kollegin Cornelia Yzer 1990 in den Bundestag kam, behielt diese ihren Posten in der Umweltabteilung des Konzerns. Da es sich bei diesem Job eher um einen PR-Gag handelte, dürfte ihr Arbeitsschwerpunkt aber in Bonn gelegen haben – bei doppelten Bezügen natürlich. Die vom Bundesverfassungsgericht 1975 in seinem Diäten-Urteil geforderten Vorkehrungen dagegen, dass Bundestagsabgeordnete Gehalt, “ohne die danach geschuldeten Dienste zu leisten, nur deshalb erhalten, weil von ihnen im Hinblick auf ihr Mandat erwartet wird, sie würden im Parlament die Interessen des zahlenden Arbeitgebers, Unternehmens oder der zahlenden Großorganisation vertreten„, hatte die Politik wohlweislich nicht getroffen. So zahlte sich die Investition in Yzer für den Chemie-Multi aus. Schon 1992 stieg sie zur Staatssekretärin auf. Dort empfahl Yzer sich derart als Sachwalterin der Pharma-Industrie, dass sie 1997 die Geschäftsführung des von Bayer gegründeten “Verbandes der Forschenden Arzneimittel-Hersteller übernahm. Nicht nur der Politikwissenschaftler Herbert von Arnim hielt das für unvereinbar mit einem Abgeordneten-Mandat. Arnim zufolge gebiete es die Verfassung, dass Abgeordnete unabhängig von Interessensgruppen sein müssen. Aber Cornelia Yzer focht das nicht an. Als Interessensvertreterin der Pharmaindustrie wurde sie schnell die berühmt-berüchtigste Lobbyistin der Republik.
An dem hohen Anteil der ParlamentarierInnen, die auf dem einen oder anderen Wege mit den Pillen-Produzenten verbandelt sind, dürfte sie auch nicht ganz unschuldig sein. Würde man die Politiker nicht nach Partei-, sondern nach Branchen-Zugehörigkeit sortieren, nähme die Pharma-Industrie gemeinsam mit der Versicherungswirtschaft die Spitzen-Position ein, fand der Stern heraus.
Nach einer Untersuchung der Universität Jena haben 37 Prozent der CDU-Bundestagsabgeordneten und 50 Prozent der FDP-Abgeordneten einen solchen Zweitjob bei der Industrie. Der Leverkusener Chemie-Multi verfügt neben seinen Getreuen in Bundestag und Landtag noch über eine ganze Reihe von „Außendienstlern“ in Stadträten, Ortsgruppen, Bezirksvertretungen, Kreistagen, Verbänden und Organisationen wie den Pressesprecher Hermann-Josef Baaken, seines Zeichens Schatzmeister der CDU-Neuss. Die BASF als das andere große bundesdeutsche Chemie-Unternehmen beschäftigt nach eigenen Angaben 235 PolitikerInnen, Bayer vermutlich kaum weniger. Der Öffentlichkeit gegenüber macht der Konzern darüber keine detaillierten Angaben, intern will er es aber ganz genau wissen. „Etwa einmal pro Jahr fragen wir bei unseren Mitarbeitern ab, in welchen Verbänden oder politischen Funktionen sie tätig sind“, erläutert Bayer-Sprecher Günter Forneck der Neuß-Grevenbroicher Zeitung. Angeblich hat die Umfrage nur den Zweck, Kalamitäten vom Schlage „Meyer“ oder „Arentz“ schon im Vorfeld zu verhindern. Die Erhebung dürfte dem Gen-Giganten allerdings vornehmlich dazu dienen, die Anzahl seiner „Außenpolitiker“ zu ermitteln. In früheren Zeiten hat die Chef-Etage die MandatsträgerInnen in regelmäßigen Abständen zusammengerufen, um mit ihnen die politische Agenda abzustimmen.
Aber nicht alle in Parteien aktive Belegschaftsangehörige trifft der Lobbyismus-Verdacht zurecht. Die im Bayer-Betriebsrat tätige Marianne Hürten beispielsweise, welche die Grünen im NRW-Landtag vertritt, geriet wegen ihres Engagements für Mitarbeiter-Rechte oftmals mit dem Management in Konflikt. Deshalb bestimmt die Devise „Was für Bayer gut ist, ist auch für mich gut“ wohl kaum ihre Landtagsarbeit. Leider trennen aber längst nicht alle Gewerkschaftler zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmer-Interessen. Der im Bayer-Aufsichtsrat sitzende IG BCE-Vorsitzende Hubertus Schmoldt macht da keinen Unterschied. Hemmungslos betätigt er sich als Treuhändler von Bayer & Co. Seinen spektakulärsten Coup landete er während der Auseinandersetzung um die Gesundheits„reform“. Die Regierungskoalition plante ursprünglich, den Herstellern zwei Jahre lang einen 4-prozentigen Preis-Abschlag auf patentgeschützte Medikamente abzuverlangen. Da nutzte Schmoldt die Kontakte zu seinem Duz-Freund Gerhard Schröder und fädelte einen Ablass-Handel ein. So kamen die Pillen-Produzenten gegen eine Einmal-Zahlung von 200 Millionen Euro um die Rabatt-Regelung herum.
Oft braucht der Leverkusener Chemie-Multi derartige Vermittlungsdienste gar nicht erst in Anspruch zu nehmen und geht den direkten Weg. „Wir nehmen das Angebot zu Gesprächen gerne an, um die Erfahrung von Bayer in die politische Diskussion einfließen zu lassen“, bekundete der Bundeskanzler bei der feierliche Eröffnung von Bayers Berliner „Verbindungsbüro“, wo die StrategInnen solche Angebote jetzt immer aushecken. Gesprächsbedarf gab es etwa bei dem EU-Chemikalien-Gesetz. Der damalige Konzern-Chef Manfred Schneider intervenierte bei Schröder, der flugs in Brüssel vorstellig wurde. Das hatte nicht nur ständige „Nachbesserungen“ an der Regelung zur Folge, sondern auch eine neue, noch konzernfreundlichere EU-Politik.
Die meiste Zeit herrscht allerdings stilles Einvernehmen zwischen Leverkusen und Berlin. So versteht sich Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement ganz offen als Anwalt von Konzern-Interessen. Die Wirtschaftspolitik „muss industrie-politische Belange fördern und sie bewusst gegen Forderungen aus anderen Politik-Bereichen wie der Umwelt- oder Verbraucher-Politik oder gegen wettbewerbsverzerrenden Maßnahmen anderer Staaten vertreten“, formulierte Clements Ministerium sein Selbstverständnis im 2004 erschienenen Wirtschaftsbericht.
Der Einfluss der Wirtschaft auf die Politik ist also nicht sporadischer Natur, er markiert keine Grenzüberschreitung, die große Aufregung rechtfertigte. Der Einfluss ist permanent – Business as usual – und gerade das macht den Skandal aus.