Wenning kanzelt KritikerInnen ab:
„Ein Sammelsurium subtiler Unterstellungen“
Die BAYER-Hauptversammlung in Großaufnahme: Was die KonzernkritikerInnen genau sagten und fragten und worauf sich die Antworten des Vorstandsvorsitzenden Werner Wenning im Einzelnen beschränkten. Alle Reden im vollen Wortlaut finden sich hier.
Die Ouvertüre zu der Art, wie BAYER-Chef Werner Wenning später mit den 15 KonzernkritikerInnen auf der Hauptversammlung umgehen sollte, erklang schon in seinen Statements zu den zahlreichen Gegenanträgen im Anschluss an seine Eingangsrede zur Lage des Konzerns. Den Vergleich der im August 2008 nur knapp an einer Katastrophe vorbeigeschlitterten Anlage in Institute mit der von Bhopal nannte er „völlig abwegig“ und den Vorwurf mangelhafter Sicherheitsvorkehrungen „nicht stichhaltig“. Falschaussagen von Konzern-Beschäftigten in den zahlreichen Patentraub-Verfahren, die der Erfinder Heinz Süllhöfer gegen den Leverkusener Multi schon angestrengte, hat es ebenfalls nicht gegeben. „Meineide weisen wir auf das Schärfste zurück“, so der Ober-BAYER. Und die umstrittene Kohlenmonoxid-Pipeline ist für ihn natürlich auch nicht unnötig und gefährlich, sondern „das beste Transportmittel für flüssige und gasförmige Stoffe“.
„Ein üblicher Vorgang“
Dem widersprach nicht nur Harald Jochums vom NIEDERRHEINISCHEN UMWELTVERBAND (NUV) heftig. „Die CO-Pipeline gefährdet potentiell das Leben von vielen Menschen, die von der eigenen Landesregierung und der BAYER AG gezwungen werden, an dieser Pipeline zu leben, darunter insbesondere unsere Kinder, führt die Trasse doch bisweilen direkt an den Gartenzäunen von Kindergärten und Schulen vorbei“, führte Jochums aus. Trotzdem hat BAYER beim Bau nochmal an der Sicherheit gespart. Der Konzern verwendete nämlich nicht wie ursprünglich vorgesehen 80cm breite Schutzgitter, sondern nur 60cm breite, verlegte teilweise dünnere Rohre als vorgesehen und änderte nach Gutdünken den Verlauf der Leitung. „So schaffen Sie kein Vertrauen, Herr Wenning“, hielt Rainer Kalbe von der Bürgerinitiative STOPP CO-PIPELINE dem BAYER-Chef vor. Und alles andere als eine vertrauensbildende Maßnahme ist für Marlis Elsen von der FAMILIENHEIMSIEDLUNG LEHMKUHLER WEG e. V. auch der Eilantrag des Chemie-Multis zu vorzeitigen Inbetriebnahme der Pipeline, mit welcher das Unternehmen die für die Genehmigung zuständigen RichterInnen vor vollendete Tatsachen stellen will. Sollte der durchkommen, so wäre das für sie ein Zeichen dafür, dass „die Wirtschaft endgültig die Diktatur in dem Land übernehmen“ würde.
Werner Wenning sah hingegen in dem – knapp zwei Wochen nach der Hauptversammlung abgelehnten – Eilantrag „ein gängiges rechtliches Mittel“, und auch die von Rainer Kalbe monierten Abweichungen von den Planvorgaben waren für ihn ein „bei komplexen Maßnahmen üblicher Vorgang“. Also kein Grund zur Beunruhigung. Und wenn wider Erwarten doch mal etwas passiert, dann gilt es nach Ansicht Wennings ruhig Blut zu bewahren: „Radio einschalten, Lautsprecheransagen hören und entsprechend reagieren“.
Sicherheit „top“
In Institute ist im letzten Sommer ein solcher Ernstfall eingetreten, und BAYER war denkbar schlecht gerüstet, wie Philipp Mimkes von der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN berichtete. „Schockwellen wie ein Erdbeben“ hat die Explosion in einer Pestizidproduktion Mimkes zufolge ausgelöst und zwei Beschäftigte das Leben gekostet. Ein Katastrophenplan existierte offenbar nicht. „Wir bekamen aus dem Werk nur dürftige Informationen. Das ist vollkommen wertlos“, zitierte der CBGler den Bezirkspräsident Kent Carper. Mimkes, der schon auf der letzten Hauptversammlung die mangelhafte Sicherheitslage in Institute kritisiert hatte, sah sich durch die Untersuchungsberichte zum Ereignis bestätigt. Diese hatten nämlich vorsätzlich deaktivierte Sicherheitssysteme und defekte Detektoren entdeckt. Wäre der hochgegangene Rückstandsbehälter auf seinem Weg der Zerstörung durch das BAYER-Gelände auf die nur 20 Meter vom Unglücksort entfernten Tanks mit der Bhopal-Chemikalie Methyl-Isocyanat (MIC) getroffen, so „hätte das Resultat eine Katastrophe schlimmer als das Bhopal-Unfall von 1984 sein können“, stellte das Waxman-Komitee bei einer Anhörung im US-Kongress zum Fall laut Mimkes fest. Dort gestand ein BAYER-Manager unter Eid auch, dass das Management Anti-Terrorgesetze nur vorgeschoben habe, um bestimmte Dokumente nicht herausgeben zu müssen, die für negative Schlagzeilen oder gar zur Forderung nach einem MIC-Produktionsstopp hätten führen können. Und diese zurückgehaltenen Dokumente hatten es wirklich in sich. Philipp Mimkes zitierte aus einer „Teile und Herrsche“-Strategie, welche die KritikerInnen spalten und gezielt Desinformationen verbreiten wollte, während der Konzern den Standort zur Besänftigung mit einer „Brot und Spiele“-Offensive zu beglücken trachtete.
Obwohl der CBG-Vorständler der Hauptversammlung das alles schwarz auf weiß präsentierte, sah Wenning die Vorwürfe als unberechtigt an: „Die Darstellung, BAYER habe versucht, den Behörden Informationen vorzuenthalten, ist falsch“. Ansonsten war für ihn alles halb so schlimm. Die Bevölkerung war seiner Meinung nach zu keinem Zeitpunkt gefährdet und zu Umweltbeeinträchtigungen ist es angeblich auch nicht gekommen. Trotz der zwei Toten besaß der BAYER-Boss sogar die Dreistigkeit, von einem „Top-Standard“ bei den Sicherheitsbedingungen zu sprechen. Für die Untersuchungen, die den Fall „Institute“ sogar vor den Kongress gebracht haben, hatte er auch eine nette Umschreibung übrig: Man sei „in Kontakt mit den zuständigen Behörden“.
„Verkettung unglücklicher Umstände“
Mit einem anderen Desaster beschäftigte sich Christoph Koch vom „Deutschen Berufs- und Erwerbsimkerbund“. „Als einer der betroffenen Berufsimker hier in Deutschland muss ich Sie hier heute mit der Frage konfrontieren, wie es möglich sein konnte, dass das legal zugelassene Beizmittel PONCHO bzw. PONCHO PRO dieses Konzerns allein in der BRD weit über 12.000 Bienenvölker nachweislich vergiften konnte“, so Koch. Ausreden wie „fehlerhafte Beize“, „fehlerhafte Sämaschinen“ und „Bienenkrankheiten“ wollte er dabei nicht gelten lassen. Genau mit diesen versuchte es Werner Wenning dann aber. Eine „Verkettung unglücklicher Umstände“ habe zu dem Bienensterben geführt, das er natürlich außerordentlich bedauerte, auch wenn es nur „ein lokales Ereignis“ war, sagte er und beruhigte: „Wir schließen eine Wiederholung aus“. Blanker Hohn angesichts des neuerlichen Bienensterbens in Österreich.
Genreis „sicher“
Ein anderes „höchst riskantes Geschäftsfeld“ setzte Philipp Strohm von GREENPEACE ÖSTERREICH auf die Agenda der Hauptversammlung: die Gentechnik. Im Jahr 2006 gelangte nicht zugelassener Gen-Reis von BAYER in handelsüblichen Supermarkt-Reis. Die Ursachen für den Gen-GAU sind noch immer unbekannt. Trotzdem strebt der Leverkusener Chemie-Multi gerade die weltweite Zulassung der Sorte LL62 an, der die Gen-WerkerInnen eine Immunität gegen den Pestizidwirkstoff Glufosinat eingebaut haben, eine laut Europäischer Lebensmittelbehörde das Fortpflanzungsvermögen beeinträchtigende und besonders für Kleinkinder gefährliche Substanz. „Und deshalb frage ich Sie heute, bevor es zu spät ist: Sehr geehrter Herr Wenning, wie können Sie es verantworten, ein gentechnisch verändertes Lebensmittel vermarkten zu wollen, von dem sie bereits jetzt wissen, dass es ein Gesundheitsrisiko birgt?“, pochte Strohm auf eine Erklärung. Seine Mängelliste war damit aber noch längst nicht abgearbeitet. Als Wundermittel gegen die Lebensmittelknappheit hat der jüngste Weltagrarbericht die Gentechnik Strohm zufolge gerade entzaubert, und die Erträge der manipulierten Pflanzen kämen auch nicht an die der konventionell gezüchteten Ackerfrüchte heran. Deshalb gab es für den Gentechnik-Gegner nur eine Lösung: Ausstieg aus der Risikotechnologie!
Dazu war Werner Wenning erwartungsgemäß nicht bereit. Der BAYER-Chef stand in Treue fest zu seiner „Zukunftstechnologie“, Auf diese „dürfen wir nicht aus ideologischen Gründen verzichten“, mahnte er. Nicht einmal der Genreis-GAU sprach für ihn gegen die „schöne, neue Gen-Welt“, denn: „Ein Fehlverhalten konnte nicht festgestellt werden“. Neuerliches Ungemach mit LL62, der „weltweit als sicher eingestuft“ ist, schloss er aus. Der Weltagrarbericht focht den Großen Vorsitzenden ebenfalls nicht an; er „verkennt die Möglichkeiten“ der Gentechnik bei der Lösung der Nahrungsmittel-Probleme in der „Dritten Welt“, so sein Urteil.
Patente „essenziell“
Wie wenig BAYER sich indessen um das Schicksal der Menschen in den armen Staaten schert, legte Oliver Moldenhauer von ÄRZTE OHNE GRENZEN dar. Der Pharma-Riese hat nämlich rechtliche Schritte gegen die indische Medikamenten-Zulassungsstelle eingeleitet, da diese dem einheimischen Unternehmen CIPLA die Genehmigung für ein Nachahmer-Präparat des BAYER-Krebsmittels NEXAVAR erteilt und damit angeblich Patentrechte des Leverkusener Multis verletzt hätte. Mit dieser Klage verhindert der Konzern nach Moldenhauers Meinung die Versorgung der Menschen in den „Entwicklungsländern“ mit erschwinglichen Arzneien. Er kritisierte die teure Pillen-Monopole schaffende Patent-Politik BAYERs im Allgemeinen und die „negative Vorreiterrolle“, die der Gen-Gigant dabei spielt, den indischen Herstellern von Generika-Produkten rechtliche Schwierigkeiten zu bereiten, im Besonderen. „Wir brauchen Generika aus Indien. Halb Afrika hängt davon ab“, mahnte er und appellierte an den Vorstand: „Hindern Sie unsere Ärzte nicht daran, Menschenleben zu retten“.
Aber der Vorstandsvorsitzende war nicht zu erweichen. Zu dem schwebenden Verfahren wollte er sich nicht äußern, deshalb blieb er beim Grundsätzlichen. Für BAYER ist „der Schutz des geistigen Eigentums essenziell“, erklärte er und sagte auch gleich, warum: Der Konzern mache „40 Prozent seines Umsatzes mit geschützten Verfahren“.
Kein Kommentar
Dieses „geistige Eigentum“ ist aber selber nur Frucht eines Aneignungsprozesses. So hat der Pharma-Riese mit der Universität Köln und über 800 anderen Hochschulen und Forschungseinrichtungen Kooperationsabkommen geschlossen, um sich „Zugang zu Wissen“ zu sichern. Der Verfasser dieser Zeilen verlangte in seiner Rede eine Offenlegung des Pharmaforschungsvertrages mit der Kölner Universitätsklinik und genaue Informationen zu den einzelnen Vereinbarungen. Aber Wenning mauerte. Er gab weder Auskünfte zur Regelung der Besitzansprüche an den Erfindungen oder zum Recht der Universität, auch über fehlgeschlagene Experimente zu berichten, noch überhaupt zum angestrebten Primat der Wirtschaft über die Wissenschaft. „Hier halten wir uns sowohl an die rechtlichen wie auch an die vertraglichen Vorgaben“, lautete die Begründung für das große Schweigen.
Keine „Kultur des Schweigens“
Von einer ganzen „Kultur des Schweigens“ bei BAYER sprach Guido Strack vom WHISTLEBLOWER NETZWERK e. V.. Der Leverkusener Multi hat sich zwar verpflichtet, Beschäftigte zu schützen, die als Whistleblower über Missstände im Unternehmen Bericht erstatten, aber was dieses Bekenntnis in der Realität wert ist, zeigt für Strack nicht nur der Fall des Pharma-Vertreters Alfredo Pequito, der wegen seiner Weigerung, MedizinerInnen zu bestechen, seinen Job verlor. Strack führte als weitere Beispiele gescheiterter Whistleblower Susan Blankett, die so frühzeitig wie vergeblich vor den Gefahren des Cholesterinsenkers LIPOBAY gewarnt hatte, und George Couto an, der den BAYER-Betrug an dem staatlichen Medikamenten-Hilfsprogramm für Bedürftige nicht mittragen wollte. Entsprechend niedrig ist die Zahl derjenigen, die es wagen, die konzern-internen Anlaufstellen aufzusuchen. Nur 50 bis 100 Whistleblower-Meldungen gingen dort laut Wenning im Geschäftsjahr 2008 ein – in anderen Großunternehmen sind es bedeutend mehr, wie Strack den AktionärInnen mitteilte. Trotzdem wies der BAYER-Chef dessen Vorwürfe zurück: „Sie sprachen von einer Kultur des Schweigens bei BAYER – dies ist falsch, das Gegenteil ist richtig“.
Keine Gehaltsgrenzen
Nach dem Umgang mit Whistleblowern fragte – mit ebenso geringem Erfolg – auch Antje Kleine-Wiskott vom DACHVERBAND DER KRITISCHEN AKTIONÄRINNEN UND AKTIONÄRE, denn dieser ist Bestandteil einer verantwortungsvollen Unternehmensführung, welche die Initiative in diesem Jahr zu ihrem Schwerpunkt-Thema gemacht hatte. Zu einer solchen verantwortungsvollen Unternehmensführung gehören für Kleine-Wiskott auch eine angemessene Berücksichtigung der Interessen der Belegschaft und der Kunden, eine sich im Rahmen haltende Gehaltsschere zwischen den einzelnen Ebenen im Konzern, eine persönliche Haftung der Vorstände und ein Verbot für diese, einen fliegenden Wechsel in den Aufsichtsrat vorzunehmen.
BAYERs Aufsichtsratsvorsitzender Manfred Schneider hatte da andere Ansichten. Zunächst sprach er sich gegen gesetzliche Vorschriften zu einer moralisch korrekten Geschäftspolitik aus: Er wäre prinzipiell eher für weniger rechtliche Regelungen als für mehr. Auch wollten sich seine Gehaltsvorstellungen nicht, wie von der Kritischen Aktionärin vorgeschlagen, auf das 20fache eines BAYER-Durchschnittslohns beschränken. Solche „statistischen Grenzen“ lehnte er genauso ab wie das Verbauen des Karriereweges vom Vorstandschef zum Aufsichtsratschef. Was sollte er als jemand, der gerade auf diese Weise zu seinem Posten gekommen ist, da auch anderes sagen als: „Je besser der Aufsichtsrat ein Unternehmen kennt, desto besser kann er seine Interessen wahrnehmen“.
„Ideologische Rundumschläge“
Eine Zusammenfassung von BAYERs unverantwortlicher Unternehmensführung lieferte Axel Köhler-Schnura, Vorständler der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN. Von A wie Arbeitsplatzvernichtung, der ab 1983 über 70.000 Stellen zum Opfer fielen, während sich gleichzeitig der Umsatz von 14 Milliarden Euro auf 33 Milliarden Euro mehr als verdoppelte, und C wie CO-Pipeline über G wie Gier und I wie Institute bis zu K wie Krefelder Kohlekraftwerk, das bei Inbetriebnahme jährlich 4,4 Millionen Tonnen Kohlendioxid ausstoßen würde, reichte seine die Unvereinbarkeit von Profit und Moral dokumentierende Panorama-Schau. Wenning tat diese als „Sammelsurium von subtilen Unterstellungen und ideologischen Rundumschlägen, um zu kritisieren, aber auch um kommunistisches Gedankengut zu verbreiten“ ab. Aber Köhler-Schnura hatte in seiner Rede mit einer solchen Replik schon gerechnet und Wennings Immun-Reaktion schon vorbeugend widersprochen. „Es mangelt nicht an der Stichhaltigkeit unserer Argumente, sondern es ist so, dass Herr Wenning hier eine sehr einseitige Wahrnehmung wiedergibt. Es sind nicht wir, die wir hier ohne Substanz argumentieren, es ist die Konzernleitung, die die Wahrheiten verdreht, Fakten unterschlägt und wahrheitswidrig berichtet“, stellte er richtig und sprach damit ohne Zweifel auch im Namen der anderen 14 Gegenredner, die BAYER an diesem Tag Paroli geboten hatten.
Von Jan Pehrke