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[Rede Santivanez] Hauptversammlung 2001

CBG Redaktion

Rede in der Bayer Aktionaersversammlung 2001

von Tania Santivañez, Stiftung und Universitaet Nuestra Señora d ela Paz, Bolivien

Ihnen allen ein guten Tag!

Ich bedanke mich, vor diesem werten Publikum reden zu koennen. Ich komme aus Bolivien, heisse Tania Santivañez Camacho, bin Chemikerin mit dme Spezialgebiet der Toxikologie. Ich forsche und unterrichte an der Universitaet Nuestra Señora de La Paz. Ich moechte ihnen heute von Ergebnissen von Laborversuchen wie auch von meiner praktischen Arbeit in laendlichen Gemeinden Boliviens berichten. Dabei gibt es eine direkte Beziehung auch zur ihrem Land und ihrem Unternehmen.

Bolivien liegt im Herzen Amerikas und verfuegt ueber einen grossen natuerlichen Reichtum und eine grosse Artenvielfalt, vor allem auf Land. Aber paradoxerweise sind die Reichtuemer ungleich verteilt. Ausgerechnet die laendlichen Regionen Boliviens weisen Armutsziffern wie im Sahel in Afrika auf. Auf dem Land hat die Mehrzahl der Familien kein Zugang zu sauberem Wasser, Kinder sterben fruehzeitig, die Mehrzahl der Erwachsenen kann nicht lesen und schreiben. Waehrend andere in den Stadten leben wie in Europa.

Dabei versorgen vor allem die Kleinbauern die Staedte mit Nahrungsmitteln. Ihre Anbaumethoden basieren jedoch auf Erfahrungswerten. Das Wissen ihrer Vorfahren vermischt sich mit den Produkten der Moderne, wie den Agrarchemikalien. Und das fuehrt oft zu mehr Problemen, als dass es hilft. Weil es die Umwelt verschmutzt, Krankheiten verursacht und weil die Kleinbauern eine korrekte Anwendung der modernen Agrartechnologie oft einfach nicht bezahlen koennen. Ich betone dass, weil die moderne Landwirtschaft ein technologisches Paket ist, das auch die entsprechende Ausbildung voraussetzt.

Schaedlingsbekaempfungsmitteln wurden in Bolivien in den 60er Jahren eingefuehrt. Die Produktion der Kleinbauern ist seitdem nicht wesentlich gestiegen, wohl aber die Zahl der resistenten Schaedlinge. Folge ist die Verwendung von immer hoeheren Dosierungen und neuen Kombinationspraeparaten, die nicht nur Schaedlinge vernichten, sondern auch die Gesundheit und die Umwelt beeintraechtigen.

Das Fehlen von Informationen ueber die Risiken, fuehrt dazu, dass die Kleinbauern taeglich in Kuechenutensilien ihre sogenannten Cocktails mischen. Mischungen von Pestiziden wie Ditane, Metmidafos, Monocrotofos, Metalaxil und Parathion, die sich bildhaft gesprochen in chemische Bomben verwandeln. Es kommt dazu, dass die Kleinbauern, die Mischungen dann auch noch auf der Zunge zergehen lassen, um zu pruefen, ob sie auch wirken. Viele bewahren die Chemikalien in ihren Schalfzimmern oder in der Kueche auf, damit sie ihnen nicht gestohlen werden. Und siw wissen nicht, dass sie damit das Leben ihrer Kinder gefaehrden.

Die Kleinbauern spritzen die Felder oft ueber Stunden. Und zum Beispiel die Tomaten werden bis zur Ernte 20 mit Pestiziden behandelt. In der Regel geschieht das ohne Schutzmassnahmen. Oft sind es Kinder, manchmal schon achtjaehrige, oder auch schwangere Frauen.

Wir ahben seit 1988 in Bolivien 44 Bayer-Chemikalien registriert, moeglicherweise ist dies jedoch ein kleiner Anteil im Vergleich zur Gesamtzahl der Produkte, die eingefuehrt werden. Aber selbst unter diesen 44 Produkten befinden sich einige Pestizide, die in anderen Laendern wegen ihrer Gefaehrlichkeit verboten sind. So das Methyl-Parathion, Ethyl-Parathion, das Oxidemeton O-Methyl, Carbofuran und andere.

Es gibt darunter auch andere Schaedlingsbekaempfungsmittel, die chronische Folgen haben, wie Giftablagerungen in der Leber, in der Niere, Verletzungen an Hoden und am Uterus, die die Gesundheit von Ungeborene beeintraechtigen, oder das zentrale Nervensystem schaedigen.

Nach Angaben des bolivianischen Agrarministeriums wird das Methyl- und Ethyl-Parathion seit 1995 legal nicht mehr importiert. Trotzdem sind es noch heute die am meisten verbreiteten Schaedlingsbekaempfungsmittel. Sie werden sowohl in regulaeren Agrarfachgeschaeften wie auf der Strasse verkauft. Man sieht stillende Frauen, die diese Chemikalien in kleinere unspezifische Verpackungen umfuellen und dann verkaufen. Ebenso Kinder, die ueberhaupt kein Problem darin sehen, die Chemikalien neben ihre Essenration zu stellen. Aber auch wenn diese Stoffe in der Originalverpackung verkauft werden, ist zu beruecksichtigen, dass die Menschen in vielen Gemeinden nicht lesen koennen. Und so auch die Warnhinweise nicht verstehen.

Ich moechte einen konkreten Fall nennen, auf den das psychiatrische Krankenhaus San Juan de Dios in Cochabamba aufmerksam gemacht hat. In der laendlichen Gemeinde Pocona, die 13.000 Einwohner zaehlt, hatten im Jahr 1986 ueber 4 Prozent der Bevolkerung, sprich mehrere Hundert Menschen, und im Jahr 1987 immer noch mehr als 1 Prozent der Bevolkerung, mit FOLIDOL das Leben genommen. Der Ortspfarrer war verzweifelt und verbot als Abschreckungsmassnahme die Beerdigung dieser Chemie-Selbstmoerder auf dem Gemeindefriedhof. Ein besonderer Friedhof wurde fuer die Selbstmoerder eingerichtet, denen angeblich der Weg in den Himmel versperrt sei. Experten untersuchten die Faelle und fuehrten die Ursache darauf zurueck, dass der permanente Kontakt mit FOLIDOL das zentrale Nervensystem vieler Menschen in Pocona geschaedigt habe. Dies habe auch das Sozialverhalten veraendert.

Zwei andere markante Faelle sind die Gemeinden Tiquipaya nahe der Stadt Cochabamba und das Departamento Tarija im Sueden Boliviens. In Tiquipaya wurden eine erhoehte Rate von Fehlgeburten und durch genetische Veraenderungen bedingte Missbildungen registriert, In Tarija wiederum erhoehte Ziffern von Leukamie (leucemia mieloide crónica) und Anaemie (anemia aplásicas), Krankheiten, die es frueher dort nicht gegeben hatte.
In Tiquipaya beraten wir jetzt mit Unterstuetzung von terre des hommes-Deutschland Kleinbauern, Blumenexportplantagen und die Gemeindeverwaltung, wie solche Gesundheitsschaeden durch eine Veraenderung der Produktionsformen und die Einfuehrung eines staedtischen Umweltprogramms verringert werden koennen. Doch Bolivien ist doppelt so gross wie Deutschland und unsere Mittel sind begrenzt.

Es sind ja nicht nur die Krankheiten. In den Baechen finden sich grosse Mengen an Chemiemuell. Dosen von Ethyl- oder Methyl-Partahion und andere Schaedlingsbekaempfungsmittel. Das fuehrt zur Vergiftung von Wasser, Boeden, Tieren und Pflanzen.
Ich erwaehne dass, um deutlich zu machen, dass eine reineVermarktungsstrategie, in Laendern wie Bolivien, insbesondere in der kleinbaeuerlichen Bevoelkerung irreversible Schaeden nach sich zieht.

Ich bin davon ueberzeugt, dass die Chemie eine wundervolle Wissenschaft ist, die uns die Moeglichkeit gibt, die Stofflichkeiten zu veraendern und damit Menschen das Leben zu erleichtern. In diesem Sinne moechte ich einen Glueckwunsch zu den 100 Jahren Aspirin aussprechen. Das Medikament ist nicht hilfreich, sondern dazu auch fuer arme Bevolkerungsgruppen erschwinglich. Sicher gibt es noch viele Produkte mehr dieser Art, die in Bayer-Laboren entwickelt wurden…

Im Gegensatz dazu produziert Bayer jedoch auch sehr giftige und gefaehrliche Substanzen wie die Schaedlingsbekaempfungsmittel. Ich moechte jedoch glauben, dass die Chemiker bei der Entwicklung dieser Chemikalien immer die Agrarproduzenten im Kopf hatten, die damit die Ernten verbessern und die Menschen mit den noetigen Lebensmitteln versorgen…

Ich sage das, weil das die Politik von Bayer ist, so wie ich es auf der Internetseite lesen konnte: Da steht: “Gesundheit, Umwelt und Sicherheit sind die drei Begriffe, die die Etnscheidungsfindung von Bayer bestimmen.” Und “An Orten, wo die noetigen gesetzlichen Regelungen nicht existieren, implementiert Bayer erantwortliche Praktiken und gibt Unterstuetzung und Beratung, um den sicheren Eisnatz seiner Produkte zu gewaehrleisten.”
Aufgrund dessen moechte ich Ihnen die folgenden Fragen stellen?

In welcher Form ueberprueft Bayer, inwieweit diese Leitlinien in Bolivien erfuellt werden. Und was waren die Ergebnisse?

Empfindet BAYER eine Art Mitverantwortung fuer den Einsatz seiner Agrarchemikalien in Bolivien?

Hat BAYER zu einem frueheren Zeitpunkt Kenntnis bekommen von den Massneselbstmorden in Pocona durch FOLIDOL. Welche Konsequenzen hat das Unternehmen daraus gezogen? Oder welche Konsequenzen denken Sie nun zu ziehen?

Sieht sich BAYER imstande, von seinen Vertretern in Bolivien staerke Kontrollen der Vertriebswege der Produkte zu verlangen. Sieht sich BAYER imstande, die Herkunft der illegal im Lande vertriebenen BAYER-Produkt, die nicht beim Agrarministerium registriert sind zu klaeren. Oder handelt es sich gar um eine Faelschungen des Markenzeichens von Bayer?

Teilt der BAYER-Aufsichtsrat meine Einschaetzung, dass in einem Staat wie Bolivien, wo es keine ausreichend ausgestatteten Instanzen fuer eine transparten und effiziente Kontrolle des Agrarchemiemarktes gibt, von einem sicheren Einsatz nicht die Rede sein kann?

Kann man ueberhaupt von einem “sicheren” Einsatz reden, wenn Restbestaende in Erde, Wasser oder Luft verbleiben?

Ist Bayer bereit, aus einem Anteil der Gewinne einen Fond einzurichten, aus dem
a) Vergiftungsopfer entschaedigt weden koennten
b) vorbeugende Massnahmen finanziert werden koennten

Waere BAYER bereit, gemeinsam mit dem bolivianischen Agrarministerium Aktivitaeten gegen die Kommerzialisierung extrem gefaehrlicher Agrarchemikalien durchzufuehren?

Ist BAYER bereit, einen kurzfristigen Aktionsplan zur Beseitigung von Agrarchemiemuell in Bolivien zu implementieren?

Ich haette noch mehr Fragen, denke aber, im Augenblick ist es am wichtigsten, Sie nach diesem kurzen Einblick in die Problematik um Ihre Unterstuetzung zu bitten. Denken Sie daran, was in meinem und in anderen Laendern derzeit geschieht. Denken Sie an ihre eigenen Kinder und lassen Sie uns gmeinsam Wege finden, die drei Schluessworte von BAYER “Gesundheit, Umwelt, Sicherheit” umzusetzen. Und stellen Sie uns die Mittel zur Verfuegung, um auch den anderen Kernsatz in Bolivien mit Leben zu erfuellen: “Wo es keine Gesetze und Umsetzungsbesitmmungen gibt, implementiert BAYER verantwortliche Massnahmen der Unterstuetzung und Beratung, um einen sicheren Einsatz der Produkte zu gewaehrleisten.

Ich bin davon ueberzeugt, dass jeder von uns moralisch verpflichtet ist, sich fuer die Harmonie von Mensch und Natur einzusetzen. In der Frage der Oplfanzenschutzmittel speziell benoetigen Strategien, die ein Gleichgewicht zwischen den Rechten und den Verantwortlichkeiten herstellen. Denn die Erfahrung wie auch die Wissenschaft zeigt uns, dass die Umweltverschmutzung keine Grenzen respektiert und dass das Bemuehen um Gesundheit, Umweltschutz und Sicherheit im Sueden auch dem Wohlstand im Norden dient.

Vielen Dank fuer Ihre Zeit.