Veraltete Chlor-Fertigung
Produktionsabfall Quecksilber
Chlor ist das Fundament der chemischen Industrie. Bei seiner Herstellung fällt allerdings viel giftiges Quecksilber an, wenn man noch wie BAYER auf Produktionsmethoden aus dem 19. Jahrhundert zurückgreift. Während viele mittelständische Betriebe schon länger auf das Membran-Verfahren setzen, ist die beste verfügbare Technik beim Leverkusener Multi immer noch nicht ganz angekommen.
Von Florian Noto (DEUTSCHER NATURSCHUTZRING)
Das Verfahren zur Herstellung von Chlor ist nicht sonderlich komplex: Durch Salzwasser wird Strom geleitet, dabei entstehen Chlorgas, Wasserstoff und Natriumhydroxid. Für diese sogenannte Chlor-Alkali-Elektrolyse gibt es im Wesentlichen drei Verfahren. In US-amerikanischen Anlagen wird die chemische Reaktion zumeist durch eine durchlässige Asbest-Wand ausgelöst, in Europa kommt häufig das Amalgam-Verfahren mit Quecksilber zur Anwendung. Beide Techniken stammen aus dem 19. Jahrhundert. In Japan dagegen ist fast nur noch die modernere Membran-Methode im Einsatz, die in den 1960er Jahren entwickelt wurde und heute als „beste verfügbare Technik“ gilt. Auch die EU empfiehlt die Umstellung alter Chlorwerke auf die Membran-Technologie, da so kein giftiges Quecksilber oder Asbest freigesetzt und weniger Energie benötigt wird, und bietet den Behörden und den Unternehmen umfangreiche Informationen zu dieser Elektrolyse-Art an.
Subventionspoker
Die Industrie erkennt ebenfalls die Vorteile des Membranverfahrens an. Der „Verband der Chemischen Industrie“ (VCI) schreibt in einem Positionspapier, dass das Membranverfahren 20 bis 30 Prozent weniger Energie benötigt als die veraltete Quecksilbertechnik. Da der hohe Energieverbrauch großen Einfluss auf die Produktionskosten hat, lohnt sich die Umstellung auf die beste verfügbare Technik also auch wirtschaftlich. Die mittelständischen Chlorhersteller haben in den letzten Jahren ihre Anlagen zukunftsfähig umgerüstet. Doch noch sind in Deutschland sechs alte Chlorwerke in Betrieb, die Energie verschwenden und die Umwelt mit jeweils über 100 Kilogramm Quecksilber pro Jahr vergiften – mehr von diesem Schwermetall wird in Deutschland nur noch bei der Kohleverbrennung emittiert. Die Betreiber der restlichen sechs Quecksilberschleudern sind multinationale Chemiekonzerne, die zu den größten der Branche gehören: BAYER hat ein Chlor-Alkali-Werk in Krefeld-Uerdingen, BASF eines in Ludwigshafen, EVONIK eines in Niederkassel-Lülsdorf, INEOS eines in Wilhelmshaven, und AKZO NOBEL hat an den Standorten Ibbenbüren und Frankfurt sogar zwei Anlagen laufen.
Die Konzerne können es sich offenbar leisten, Investitionen hinauszuzögern. Sie drohen mit Werksschließungen und fordern Subventionen für die Modernisierung der Anlagen. Statt den Energieverbrauch zu senken, betreibt die Chemiebranche massive Lobbyarbeit, um vom Handel mit Klima-Emissionsrechten ausgenommen zu werden. Die Verzögerungstaktik führt schließlich zu einem absehbaren Bruch von internationalen Vereinbarungen. Schon 1990 hatten die Anrainerstaaten der Nordsee und des Nordost-Atlantik entschieden, alle Chlorwerke mit dem Quecksilberverfahren so schnell wie möglich umzurüsten oder zu schließen. Spätestens im Jahr 2010 sollte keine dieser Anlage mehr laufen. Diese Vereinbarung ist heute nicht mehr einzuhalten. Sie wurde von den europäischen Chemiekonzernen schon dadurch bewusst umgangen, dass die Betreiber von Chlorfabriken sich selbst „verpflichtet“ haben, ihre Anlagen erst bis zum Jahr 2020 quecksilberfrei zu machen.
Streng vertraulich
Die OSPAR, eine staaten-übergreifende Organisation zum Schutz der nördlichen Meere, veröffentlicht jährlich die Quecksilber-Einleitungen aller Chlorwerke in den Nordost-Atlantik und die Nordsee. Die Daten erhält die Institution von Betreibern der Anlagen. BAYER machte allerdings falsche Angaben, vollständig auf die Membran-Technik umgestellt ist die Anlage in Uerdingen nämlich keineswegs. Der Leverkusener Multi fährt zweigleisig: Neben „dem bei BAYER seit vielen Jahren etablierten Diaphragma-Prozess“, wie es in einer Konzern-Veröffentlichung heißt, kommt auch die neuere genannte Sauerstoffverzehrkathoden-Technologie zur Anwendung.
Die Emissionswerte sind in dem Bericht für die OSPAR dennoch angegeben und lagen bei 88 kg Quecksilber im Jahr 2006. Im europäischen Schadstoff-Emissionsregister PRTR hat der Leverkusener Multi seine Daten gleich ganz schwärzen lassen. Dort sind 196 Betriebe in ganz Deutschland verzeichnet, die Quecksilber freisetzen. Nur bei einer einzigen Anlage sind die Daten als vertraulich eingestuft, und es werden weder der Betreiber noch die Betriebsart oder die genaue Schadstoffbezeichnung genannt. Durch die Kartenansicht erschließt sich aber, dass es sich hierbei um das Werk in Krefeld-Uerdingen handelt. Die Emissionen von einem nicht näher bezeichneten Schwermetall in die Luft sind hier mit 94,9 kg im Jahr 2007 angegeben, dabei handelt es sich vermutlich um Quecksilber. Die Emissionen in Wasser lassen sich nicht identifizieren. Hier sind sechs Schadstoffe jeweils mit dem Oberbegriff „Schwermetall“ bezeichnet, die ausgestoßene Menge variiert von 2,4 bis 490 Kilogramm.
Auch in ihrem Nachhaltigkeitsbericht von 2008 informiert der Global Player nicht über den tatsächlichen Schadstoff-Ausstoß. Bei den Emissionen in Wasser sind Quecksilber und andere Stoffe einfach unter dem Begriff „Schwermetalle“ subsummiert. Dabei macht es einen großen Unterschied, ob 8 bis 10 Tonnen Blei oder Quecksilber freigesetzt werden, denn Quecksilber ist für Menschen und Ökosysteme noch einmal viel giftiger als andere Schwermetalle. Im Wasser wird nämlich elementares Quecksilber von Mikroorganismen zu organischem Methylquecksilber umgewandelt, und dieses Methylquecksilber gelangt über die Nahrungskette in große Speisefische und landet so schließlich auf dem Teller.
Wegen dieser Gesundheitsgefahren haben sich die UN-Mitgliedsstaaten Anfang des Jahres auf ein Quecksilber-Verbot geeinigt. Allerdings gilt dieses nur für den Handel. Als Abfallprodukt bleibt es weiter unbehelligt. Und in Nordrhein-Westfalen noch ein wenig unbehelligter: BAYER sicherte der Landesregierung eine Verringerung der Quecksilber-Fracht zu und erhielt dafür eine Verlängerung der Einleitungsgenehmigung.
Ausstieg ist möglich
Immerhin gibt der Nachhaltigkeitsbericht von BAYER an, dass die Freisetzung von Schwermetallen seit 2006 jedes Jahr zunimmt! BAYER erklärt dies durch ein „umfassenderes Abwasserreporting“. Eine interessante Erkenntnis: Bis 2008 wurden offenbar viele Schadstoffe oder Schadstoffquellen nicht erfasst, und die Zahlen waren zu niedrig. Ob das jetzige Daten-Material der Wahrheit entspricht, weiß nur der Konzern selber.
BAYER muss die Chlorfabrik in Uerdingen auf eine moderne Technik umrüsten, bei der keine Energie mehr verschwendet und kein Quecksilber benötigt wird. Die Genehmigung hierfür hat BAYER bereits 2004 beantragt und erteilt bekommen – aber bis heute nicht umgesetzt. Seit 2007 wurden drei alte Chlorwerke in Deutschland von mittelständischen Unternehmen modernisiert. Nur noch die Konzerne wie BAYER hinken hinterher.