Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25. April 2007
Moratorium für Kohlekraftwerke
Von Bärbel Höhn
Die morgendliche Zeitungslektüre dürfte den Chefs der vier großen Energieversorger gehörig auf’s Gemüt schlagen. Auf keinem der drei Gebiete, denen die Zukunft der Energiepolitik im Zeichen des Klimawandels gehört, spielen Eon, RWE, Vattenfall und ENBW eine große Rolle: Die Erneuerbaren Energien sind fest in der Hand von Mittelständlern. Bei einer Fortschreibung der momentanen Entwicklung und der Instrumente wird Deutschland in 15 Jahren dreißig bis vierzig Prozent des Strombedarfes aus Erneuerbaren wie Wind, Sonne und Biomasse decken können. Gegenwärtig sind es zwölf Prozent. Der zweite Block – die Stromeinsparung – trifft den Absatz der Stromkonzerne noch stärker: Das wirtschaftlich erschließbare Einsparpotential wird auf dreißig bis fünfzig Prozent des gegenwärtigen Strombedarfs geschätzt.
In einer Übergangszeit werden wir auf Erdgas und Kohle noch nicht verzichten können. Als dritter Pfeiler einer wirksamen und ökonomisch ausgewogenen Klimapolitik kommen hier vor allem Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen (KWK) ins Spiel, die heute einen Anteil von zwölf Prozent an der deutschen Stromproduktion ausmachen. Sie produzieren Strom und speisen die Prozesswärme zum Heizen in Nah- oder Fernwärmenetze ein. So werden bei einem Erdgas-Blockheizkraftwerk nur 49 Gramm CO2 pro Kilowattstunde freigesetzt; in einem Braunkohle-Kraftwerk sind es rund 1150 Gramm.
Die Geschäftsgrundlage der großen Stromkonzerne erodiert. Nach und nach gehen die Atomreaktoren vom Netz. Ihr zweites Standbein, die großen Kohlekraftwerke, ist aus Gründen des Klimaschutzes mittel- bis langfristig nicht mehr tragfähig. Wie gehen die Stromkonzerne mit diesen Zukunftsaussichten für ihre börsennotierten Unternehmen um? Sie planen und bauen neue Kohlekraftwerke. Insgesamt sind rund 45 Kohlekraftwerke in Deutschland in Bau oder überwiegend in Planung. Davon der Löwenanteil in der Regie der großen Stromkonzerne. Addiert man den CO2 Ausstoß der Kraftwerke und berücksichtigt man eine durchschnittliche Laufzeit von vierzig Jahren – dann gäbe es im Jahr 2050 durch diese Anlagen noch eine CO2-Altlast von 170 Millionen Tonnen jährlich. Damit wären mehr als achtzig Prozent der angestrebten CO2 Emissionen in Deutschland schon vergeben. Haushalte, Verkehr, Industrie und die übrige Stromerzeugung müssten sich dann mit einem jährlichen Ausstoß von rund 30 Millionen Tonnen CO2 begnügen. Das ist illusorisch!
Aber wir arbeiten doch an „sauberen“ Kohlekraftwerken, sagen die Stromkonzerne. Mit der CCS-Technik werde das CO2 abgeschieden und in unterirdischen Speichern gelagert. Doch Leider ist nicht absehbar, ob diese Technik jemals Marktreife erlangen wird. Neben großen ungelösten Forschungsfragen bei der Endlagerung gibt es wirtschaftliche Bedenken. Alfred Tacke, der Chef des fünftgrößten Stromproduzenten STEAG, spricht deswegen auch von einer Alibi-Technik, die sich in keinem denkbaren Modell rechne. Einer der wenigen Rettungsringe für die Stromkonzerne, der ihren jetzigen Fortbestand unter den Bedingungen des Klimaschutzes rechtfertigen könnte, wird bei näherer Betrachtung immer löchriger.
Deswegen brauchen wir umgehend ein Moratorium für den Bau neuer Kohlekraftwerke, bis geklärt ist, ob die CCS-Technik einsatzfähig ist, was voraussichtlich nicht vor 2020 der Fall sein wird. Bis dahin wird man aber einen großen Teil der fossilen Kraftwerkskapazitäten aus Altersgründen ersetzen müssen. Hier bieten sich neben den Erneuerbaren Energien und der Energieeinsparung die oben beschriebenen effizienten Strom-Wärme-Anlagen an.
Heute kontrollieren die großen Konzerne achtzig bis neunzig Prozent der Stromerzeugung. De facto würde das Moratorium ein Auslaufen ihrer Marktmacht bedeuten. – Und das ist auch gut so! Denn ein ambitionierter Klimaschutz ist mit Eon, RWE, Vattenfall und ENBW schwer möglich. Ihre Gewinne machen sie mit dem Ausstoß von übermäßig viel CO2. Eine ihrer letzten Bastionen sind die großen und ineffizienten Kohlekraftwerke, die sie mit Zähnen und Klauen verteidigen.
Je früher ein Zeichen von der Politik kommt, dass die zentrale Kohleverstromung in Großanlagen aus klimapolitischen Gründen überholt ist, desto mehr Zeit haben die Unternehmen sich zu verändern. Ein entsprechendes Bau-Moratorium würde Eon, RWE & Co eine Verschnaufpause von 15 Jahre geben, um ihre Stromproduktion klimafreundlicher zu gestalten. Wenn die CCS-Technik dann einsatzbereit und sicher sein sollte, muss der Markt entscheiden, ob sich solche Kraftwerke rechnen.