missbrauchte Wissenschaft
„Kooperationen mit Industrie offenlegen“
Christian Kreiß, Autor des Buchs „Gekaufte Forschung – Wissenschaft im Dienst der Konzerne“, unterstützt die Klage der Coordination gegen BAYER-Gefahren auf Einsichtnahme in den Kooperationsvertrag zwischen der Uni Köln und BAYER. Der ehemalige Investmentbanker ist Professor für Finanzierung und Wirtschaftspolitik an der Hochschule Aalen.
Herr Prof. Kreiß, Ihr jüngst erschienenes Buch trägt den Untertitel „Irrweg Drittmittelforschung“. Warum?
Die Drittmittelfinanzierung deutscher Hochschulen hat sich allein von 2000 bis 2010 mehr als verdoppelt und steigt seitdem weiter an. Durch den zunehmenden Einfluss der Konzerne – sei es über direkte Zahlungen, sei es über industriefreundliche Gremienbesetzungen – wird die öffentliche Forschung immer stärker von handfesten Interessen geleitet. Letztlich stellt sich hier die Frage, ob die Wissenschaft dem Allgemeinwohl oder den Gewinninteressen einiger weniger dienen soll.
Welche Folgen hat das verstärkte Engagement der Unternehmen im Hochschulbereich?
Da können wir einige Beispiele aus der Vergangenheit betrachten. Beispielsweise bezahlte die Tabakindustrie jahrzehntelang renommierte Forscher dafür, dass sie behaupteten, Rauchen und Passivrauchen wären unschädlich. Interne Unterlagen zeigen, dass die Finanzierung der Wissenschaftler top secret war, um ihre Glaubwürdigkeit nicht zu gefährden. So gelang es über Jahrzehnte hinweg, raucherfeindliche Gesetze zu verhindern. Ähnlich verfuhr die Chemieindustrie: Durch gekaufte Gutachten verfälschte sie Studienergebnisse zu gesundheitsschädigenden Stoffen wie Polychlorierten Biphenylen (PCB) und konnte diese so jahrzehntelang weiterproduzieren. Das erhöhte die Gewinne der Unternehmen und schädigte die Gesundheit zahlloser Menschen.
Immerhin wurden diese Fälle im Nachhinein bekannt.
Ja, aber aus Konzernsicht war die Strategie gekaufter und gefälschter Forschung trotzdem lukrativ. Die Strafen in Gerichtsprozessen gegen Tabak-, Chemie- und Pharmakonzerne waren in fast allen verfolgten Fällen, gemessen an den durch die Lügen erreichten Gewinnzuwächsen, sehr gering.
Heutzutage ist das Problem der gelenkten Forschung auch weniger, dass plump gefälscht wird. Es besteht vielmehr darin, dass Teilwahrheiten zur einzigen oder Gesamtwahrheit erklärt und mit großer Kapitalkraft in der Öffentlichkeit kommuniziert werden. So setzen sich in den Medien und der Politik nicht die besseren Argumente durch, sondern der dickere Geldbeutel.
Wie sieht es im Pharmabereich aus?
In der Medikamentenforschung werden derzeit rund 90 Prozent aller veröffentlichten Studien durch die Industrie finanziert. Negative Studienergebnisse werden von den Unternehmen häufig nicht veröffentlicht. Der Nutzen neuer Medikamente wird dadurch aufgebauscht, die Schäden werden verharmlost. Dies führt oftmals zu falschen Therapie-Empfehlungen, was potenziell lebensbedrohliche Konsequenzen haben kann. Nach Schätzungen unabhängiger Fachleute ist die Einnahme von Medikamenten in den USA und Europa inzwischen die dritthäufigste Todesursache.
Aber sind die Mittel aus der Wirtschaft für staatliche Hochschulen nicht immer noch klein im Vergleich zu den staatlichen Aufwendungen?
Das stimmt. Aber das Industriegeld hat eine gewaltige Hebelwirkung. Zum einen werden öffentliche Zuschüsse oft an Drittmittel der Industrie gekoppelt. Außerdem wird ein großer Teil öffentlicher Forschungsmittel über industriedominierte Gremienbesetzungen in industriefreundliche Richtung kanalisiert. Und denken Sie an die Stiftungsprofessuren: Die Sponsoren finanzieren den Lehrstuhl meist nur die ersten fünf Jahre, können aber großen Einfluss auf die Ausrichtung nehmen. Und die von der Industrie ausgewählten Lehrstuhlinhaber bleiben bis zur Rente im Amt und bleiben dem Sponsor meistens treu. Also nur die direkten Geldmittel aus der Industrie an die Hochschulen als Indikator für Industrieeinfluss zu nehmen, greift viel zu kurz.
Wir arbeiten seit Jahren zur Universität Köln. Sind Sie bei Ihren Recherchen auch auf diese Hochschule gestoßen?
Ja. Das Energiewirtschaftliche Institut der Uni Köln wird von E.ON und RWE mitfinanziert. Ein Gutachten von 2010 zur Laufzeitverlängerung deutscher Atomkraftwerke, das das EWI miterstellt hat, kam zu dem Ergebnis, dass eine Verkürzung der Reaktorlaufzeiten teuer werde und nicht zu empfehlen sei. Bei der Erstellung des Gutachtens wurden laut Umweltministerium jedoch „haarsträubende Fehler“ gemacht, um zu diesem für die Betreiber und Mitfinanziers günstigen Ergebnis zu kommen.
Und wie bewerten Sie die Kooperation zwischen der Uni Köln und BAYER?
Ich kenne den Vertrag nicht, er wurde bis jetzt ja nicht offengelegt. Der Begriff „Kooperation“ wird in solchen Fällen aber häufig missbraucht. In Wirklichkeit geht es dabei meistens um Einflussnahme. Großkonzerne wie BAYER müssen die Rendite auf das eingesetzte Kapital maximieren, das sind doch keine Wohltätigkeitsvereine. Sie können es sich nicht leisten, Millionen Euro einfach so zu verschenken, da steckt immer Kalkül dahinter.
Wie sich solche Investments rentieren, ist hundertfach belegt: Die Studienergebnisse zu neuen Medikamenten müssen dazu führen, dass die neuen Pillen verkauft werden können und so das Geld wieder hereingespült wird. Das als „Kooperation“ zu bezeichnen, ist wirklich eine Verdrehung des Begriffes. Das ist Ausnützen von Finanzierungsengpässen und schädigt häufig die Allgemeinheit.
Was halten Sie von der Klage auf Einsichtnahme in den Vertrag?
Es ist das Mindeste, solche Kooperationsverträge offenzulegen. Ich würde aber einen Schritt weitergehen und direkte Zahlungen von Wirtschaftsunternehmen an öffentliche Hochschulen untersagen.
Der Vorsitzende des Kölner Hochschulrats ist ein ehemaliges Vorstandsmitglied von BAYER. Nicht anders sieht es in Mainz aus, wo der Vorsitzende vom größten Kooperationspartner, der Firma BOEHRINGER, kommt. Wie bewerten Sie diesen zusätzlichen Einfluss?
Aus Konzernsicht ist das doch ein kolossaler Erfolg! Da muss man nicht einmal mehr zahlen, um Einfluss nehmen zu können. Ein Blick in die Zusammensetzung der Hochschulräte zeigt, dass bei den nichtwissenschaftlichen Mitgliedern in den allermeisten Fällen ein enormes Ungleichgewicht zu Gunsten der Industrie vorliegt. Zivilgesellschaftliche Gruppierungen, die ein Gegengewicht zu den Geldinteressen darstellen könnten, sind fast nie vertreten. So hat die Geldseite leichtes Spiel und großen Einfluss. Das ist ein ganz neuer Trend. Vor 20 Jahren gab es das fast noch gar nicht.
Was erbrachten Ihre Bemühungen, Licht in die Zusammenarbeit von der Uni Mainz und BOEHRINGER zu bringen?
Im Rahmen einer von mir betreuten Masterarbeit hat eine Studentin Anfang 2015 einen scharfen Briefwechsel zwischen der Kanzlerin der Uni Mainz und dem Landesbeauftragten für Datenschutz Rheinland-Pfalz ausgelöst. Das Ergebnis: Die Universität Mainz und der Geldgeber, die Boehringer Ingelheim Stiftung, verweigern bis heute die Veröffentlichung der Verträge, obwohl eine Unkenntlichmachung wettbewerbsrelevanter Vertragsteile ausdrücklich zugestanden wurde.
Wie bewerten Sie die Informationsfreiheitsgesetze, die die meisten Bundesländer eingeführt haben?
Soweit ich weiß, hat der NRW-Beauftragte für Informationsfreiheit den Vertrag mit BAYER geprüft und keine Inhalte gefunden, die einer Einsichtnahme entgegenstehen. Auch in Rheinland Pfalz hat der Landesbeauftragte eine Offenlegung des Vertrags mit BOEHRINGER nachdrücklich gefordert. Dennoch wurde in beiden Fällen der Zugang verweigert. Die Gesetze sind daher ein Schritt in die richtige Richtung. Sie enthalten aber offensichtlich zu viele Ausnahmen und Ausweichmöglichkeiten. Zudem wäre es wohl gut, wenn die Voten der Landesbeauftragten bindende Wirkung bekommen würden.
Wie könnte man die Probleme aus Ihrer Sicht entschärfen?
Die Lösung dieser Missstände wäre ebenso einfach wie unkompliziert: Erstens sollten direkte Zahlungen der Industrie an öffentliche Hochschulen untersagt werden. Der Ausfall – wir reden hier von etwa 1,4 Mrd. Euro pro Jahr – wäre problemlos zu kompensieren, indem ein nur sehr kleiner Teil der milliardenschweren öffentlichen Forschungsgelder direkt den Hochschulen zur Verfügung gestellt würde, statt, wie heute üblich, über meist industriedominierte Gremien indirekt in die Forschung zu fließen. Vor allem sollten wir keinerlei direkte oder indirekte Geldflüsse von Pharmaunternehmen an Hochschulen, Hochschuleinrichtungen oder Unipersonal zulassen, insbesondere an Universitätskliniken und klinisch arbeitende Ärzte. Zweitens sollten die Gremien, die über die Verwendung öffentlicher Mittel entscheiden, nicht länger von Konzernen dominiert sein, sondern andere zivilgesellschaftliche Repräsentanten paritätisch mitberücksichtigen.
Die Fragen stellte Philipp Mimkes