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Public Relation

PR Magazin – das Magazin der Kommunikationsbranche, Nummer 10, Oktober 2003

Auf gute Nachbarschaft

Gerade für Unternehmen, die bei Störfällen zur Gefahr für die Umwelt werden können, gilt der gute und direkte Draht zur Nachbarschaft als „License to operate“. Gezielte PR-Maßnahmen sollen Brücken bauen und Vertrauen schaffen.

November 1986: Eine Lagerhalle der Chemiefirma Sandoz bei Basel brennt. Über das Löschwasser gelangen rund 30 Tonnen hoch giftiger Stoffe in den Rhein. Eine halbe Million Fische sterben und treiben den Fluss hinab. Die Trinkwasserversorgung für rund neun Millionen Rhein-Anwohner in Deutschland, Frankreich und den Niederlanden wird sofort unterbrochen. Unfälle mit solch katastrophalen Folgen hat es hierzulande seit vielen Jahren nicht gegeben. „Wir können aber nicht sagen, dass Störfälle in Deutschland insgesamt rückläufig sind – es gibt keine eindeutige Tendenz“, sagt Roland Fendler, beim Umweltbundesamt zuständig für Anlagensicherheit und Störfallvorsorge.(…)

Großen Wert legen die Unternehmen zunehmend auf den Dialog mit den Anwohnern. Über Nachbarschaftszeitungen, Internetangebote, Veranstaltungen, Infomobile oder Besucherzentren suchen die Firmen den direkten Kontakt. Gerade in der Risikokommunikation sei die PR-Arbeit von Chemie-Unternehmen wie Bayer sehr erfolgreich, meint Angela Franz-Balsen vom Institut für Umweltkommunikation an der Universität Lüneburg. „Die Menschen in Leverkusen fühlen sich sicher“, berichtet die Wissenschaftlerin. „Jeder hat einen Notfallplan in der Küche hängen – und ist überzeugt, alles sei unter Kontrolle.“ „Brücken bauen zwischen dem Unternehmen und der Nachbarschaft“ nennt Jürgen Gemke die Strategie. Er ist Leiter der Abteilung Kommunikation der Bayer Industry Services, dem Betreiber des Bayer-Chemieparks, zu dem die Werke in Leverkusen, Dormagen, Krefeld-Uerdingen und Brunsbüttel gehören. An allen vier Standorten ist der Konzern der größte Arbeitgeber. (…)

Nachbarschaftszeitungen, Werksführungen, Tage der Offenen Tür – „alles Jubelveranstaltungen“, meint dagegen Philipp Mimkes vom Verein Coordination gegen Bayer-Gefahren. Denn die wirklich relevanten Informationen bekommen die Nachbarn nicht, sagt der Sprecher des Vereins, der vor 25 Jahren aus einer Wuppertaler Anwohner-Initiative hervorging. „Welche Mengen gefährlicher Stoffe wie beispielsweise Phosgen hergestellt und gelagert werden oder wie hoch die Emisssionen in Wasser und Luft wirklich sind, erfahren wir nicht – aus vorgeblichen Konkurrenzgründen.“

Mimkes wundert es auch nicht, dass sich die Menschen in Leverkusen sicher fühlen. Sie hätten eine „eher unkritische Haltung gegenüber dem Unternehmen“, behauptet er. Schließlich würden die meisten von ihnen im Werk arbeiten oder seien in irgendeiner Weise damit verbunden.

Gerhard Timm, Bundesgeschäftsführer des BUND, sieht zumindest deutliche Unterschiede im Engagement der Unternehmen in Sachen Umweltkommunikation. „Einige machen das nur als PR-Aktionen ohne einen Anflug von Selbstzweifeln, bei anderen existiert in der Tat ein hohes Maß an Bemühen, Risikopotenziale aufzudecken und entsprechende Konsequenzen zu ziehen“, so Timm. Wie ernst Unternehmen das Thema Umwelt wirklich nehmen, zeige sich unter anderem an der Stellung des Umweltbeauftragten in der Unternehmenshierarchie oder daran, dass Umweltfragen nicht nur in der Kommunikations-Abteilung, sondern substanziell im Unternehmen verankert seien.

Allerdings – und das bestätigen auch Mimkes und Timm – ist im Unternehmensdialog mit der Local Community das Thema Umwelt inzwischen etwas in den Hinergrund geraten. Die Deutschen bewegen im Moment andere Problem. In einer Langzeitstudie der R+V Versicherung standen zuletzt die Furcht vor dem Anstieg der Lebenshaltungskosten und die Sorge um Wirtschaft und Arbeitsplätze ganz oben auf der „Hitliste der Ängste“ – die Umweltzerstörung belegte nur Platz 15. (…) Die Verschiebung der Interessen hat auch Bayer-Mann Jürgen Gemke beobachtet: „Vor zehn Jahren waren Sicherheit und Entsorgung noch heiße Themen. Heute stehen der Erhalt der Arbeitsplätze und das soziale Engagement des Unternehmens im lokalen Umfeld im Mittelpunkt – Fragen zum Umweltschutz interessieren weniger.“

Sebastian Klöppel