Westdeutsche Zeitung, 19. Dezember 2003
„Phosgen eine enorme Gefahr“
Vor drei Jahren erhielt das Uerdinger Bayerwerk zwei Genehmigungen des Landes zur Produktionsausweitung: Verbände halten sie für unrechtmäßig.
Eine Beschwerde bei der Europäischen Union gegen das „unrechtmäßige Genehmigungsverfahren zur Ausweitung der Phosgen-Produktion“ im Uerdinger Bayer-Werk bereiten der Landesverband des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und die „Coordination gegen Bayer-Gefahren“ vor.
Beide Verbände argumentieren in einer gemeinsamen Erklärung, dass die Genehmigungsbehörde (Landes-Umweltministerium) nach der Störfallverordnung eine Umweltverträglichkeitsprüfung hätte durchführen und Sicherheitsberichte der Öffentlichkeit und damit auch den Verbänden zugänglich machen müssen. So hätten gegen das Vorhaben der Produktionserweiterung keine Einwände erhoben werden können.
Hintergrund: Ende des Jahres 2000 wurde Bayer für den Desmodurbetrieb eine jährliche Produktionserhöhung um 20.000 auf 164.000 Tonnen MDI-Gemisch (Diphenylmethandiisocyanat) genehmigt – bei wesentlicher Änderung durch Modernisierung des Betriebes und Verbesserung des Sicherheitsstandards.
Fast gleichzeitig durfte Bayer im Makrolon-Betrieb die jährliche Produktion von Polycarbonaten von 200.000 auf 300.000 Tonnen erhöhen. Für die Kunststoff- und Lackproduktion ist das im Ersten Weltkrieg als Kampfgas eingesetzte Phosgen ein Zwischenprodukt, das – so das Ministerium – bei Bayer „ausschließlich zum sofortigen Verbrauch erzeugt“ wird, „nicht an externe Verbraucher verkauft und nicht zu Zielen außerhalb des Betriebsbereiches der Bayer AG transportiert“ wird. Die zur Aufrechterhaltung der Produktion nötige Menge an „freiem“ Phosgen wird mit 34 Tonnen angegeben.
Angelika Horster aus Krefeld, für den BUND Mitglied in der Störfallkommission, räumt zwar ein, dass die Menge von 34 Tonnen „freiem“ Phosgen eine Verbesserung gegenüber der früheren Situation sei, aber dennoch eine „enorme Gefahr darstelle, über die nach Gesetzeslage die Öffentlichkeit informiert werden muss.“ BUND und „Coordination gegen Bayer-Gefahren“ sprechen von einer Erhöhung der Phosgen-Produktion von 60.000 Tonnen im vergangenen Jahr.
Acht Monate Zeit ließ sich das Umweltministerium mit dem Antwortschreiben auf die Anfrage der beiden Umweltverbände. Unter anderem heißt es darin zur Sicherheit der Anlagen: „Sie sind nach… der Störfallverordnung so ausgelegt und ausgeführt, dass eine Reaktorzerstörung oder das Zerplatzen von Rohrleitungen als Gefahrenquelle vernünftigerweise auszuschließen sind.“
Der Flugverkehr als Gefahrenquelle bleibe außer acht, da das Werk 13 Kilometer vom Düsseldorfer Flughafen entfernt sei. Und: „Selbst wenn ein phosgenfreies Verfahren zur Zeit der jüngsten Genehmigungs-
verfahren zur Verfügung bestanden hätte, wäre seine Umsetzung mit einer vollständigen Anlagenumstellung verbunden gewesen.“ Die Forderung wäre wegen des Aufwandes unverhältnismäßig und deshalb nicht rechtssicher umsetzbar gewesen.
Eine Umweltverträglichkeitsprüfung, so das Ministerium in seiner Antwort, sei nur erforderlich, wenn durch Änderung oder Erweiterung eines Vorhabens nachteilige Umweltauswirkungen zu erwarten sind. Dies sei im Uerdinger Bayerwerk nicht der Fall.