WDR 5 „Westblick“, 27. März 2003
Phosgen-Einsatz bei Bayer Uerdingen wird überprüft
Ein Bericht von Andreas Vollmert und anschließend ein Gespräch mit Bärbel Höhn, Ministerin für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen
Meyer: Haben Sie schon einmal etwas von Phosgen gehört? Das ist ein farbloses Gas, das im Ersten Weltkrieg zu trauriger Berühmtheit gelangte, denn es ist extrem giftig und wurde deshalb auch als Kampfgas eingesetzt. Heute nun sorgt dieses Gas nicht für Angst und Schrecken, aber für Unmut bei den Umweltverbänden, denn es wird zum Beispiel bei der Herstellung von CD´s verwendet. Die Firma Bayer hat im Werk Krefeld-Uerdingen den Einsatz von Phosgen im vergangenen Jahr sogar erhöht. Und genau das, so hat Andreas Vollmert herausgefunden, geht den Umweltschützern nun doch zu weit.
Vollmert: Längst hat die Bayer AG den Betrieb in ihrer erweiterten Kunststoffproduktion aufgenommen. Bis zu 300.000 Tonnen Polycarbonat können im Werk Uerdingen nun hergestellt werden. Philipp Mimkes vom Verein Coordination gegen Bayer-Gefahren ist aufgebracht, weil die Produktionserweiterung still und heimlich abgelaufen ist.
Philipp Mimkes, Verein Coordination gegen Bayer-Gefahren:
Wir kritisieren, dass eine Anlage gebaut wird, die Risiken für die Bevölkerung beinhaltet, dass diese Anlage ohne Anhörung der Öffentlichkeit genehmigt wurde, dass die Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung nicht veröffentlicht worden sind und wir als Umweltverbände auch im Nachhinein keinerlei Informationen erhalten haben. Das darf bei so einer gefährlichen Anlage unserer Meinung nach nicht sein.
Vollmert: Und ob, sagt der Werksleiter des Chemiekonzerns Dr. Wolfgang Bieber.
Wolfgang Bieber, Werksleiter: Die Behörden wurden über alle notwendigen Details informiert und das neue Verfahren wurde von den Behörden genehmigt. Sowohl von diesen Behörden wie auch von Politikern wurde mehrfach der hohe Sicherheitsstandard von Bayer betont.
Vollmert: Die Aufklärung der Öffentlichkeit sei dabei völlig unproblematisch gewesen, vermittelt der Chef den Eindruck.
Bieber: In den vergangenen Jahren haben wir verschiedenste Anfragen von Bürgern, auch von Umweltverbänden beantwortet und auch Auskunft erteilt. Aufgrund der Sicherheitsbestimmungen, die wir haben, aber auch der aktuellen Sicherheitslage kann ich keine weiteren verfahrenstechnischen Details nennen.
Vollmert: Tatsache ist aber auch: Um die Erweiterung des Phosgen- Einsatzes schnell und ohne großen Protest durchführen zu können, hatte da Unternehmen ausdrücklich ein nicht öffentliches Genehmigungs- verfahren beantragt. Klaus Runte, Dezernatsleiter bei der zuständigen Bezirksregierung in Düsseldorf:
Klaus Runte, Bezirksregierung Düsseldorf: Und da hat Bayer dargelegt, begründet und uns auch im Genehmigungsverfahren davon überzeugt, dass das Risiko nach der Änderung geringer sein wird als vorher, weil einmal die Gesamtmenge an Phosgen, die drin ist, verringert wurde, weil zum anderen noch weitere zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen eingebaut wurden, werden sollten, genehmigt worden sind, wie doppelte Rohrleitungen, Verringerung von Flaschen, also Stellen, die möglicherweise undicht werden können.
Vollmert: Nach massivem Widerspruch erhielt der Bund für Umwelt und Naturschutz im vergangenen Herbst Einsicht in die Unterlagen. Konkrete Anlagen zum Phosgen-Einsatz konnte Angelika Horster, auch Mitglied der Bundesstörfallkommission, dort aber nicht finden, genauso wenig wie Aussagen zu Notfallplänen bei möglichen Störfällen.
Angelika Horster, Bundesstörfallkommission: Es hätte festgestellt werden müssen, ob die Entfernung zur Wohnbebauung überhaupt ausreichend ist, und nach der Seveso-2-Richtlinie hätte sie sicherlich nicht ausgereicht. Natürlich müssen auch Pläne vorgelegt werden, wohin die Leute eventuell evakuiert werden können, wo sie aufgenommen werden können und wie sich Kindergärten oder größere Menschenansammlungen zu verhalten haben.
Vollmert: Die Krefelder Krankenschwester glaubt außerdem, dass die Kliniken in der Umgebung bei einem denkbaren Giftgasunfall unzureichend informiert sind.
Horster: Die sind meines Erachtens gar nicht vorbereitet, weil sie gar nicht genügend Intensivbetten mit Beatmungsplätzen haben für eine größere Menge Vergifteter.
Vollmert: Einen verbesserten Notfallplan brauchte die Bayer AG aber nicht vorlegen, betont der Dezernatsleiter bei der Bezirksregierung.
Runte: In diesem konkreten Fall gab es dazu natürlich keinen Anlass, das weiterzuentwickeln, denn es gab kein zusätzliches Risiko.
Vollmert: Philipp Mimkes von der Coordination gegen Bayer-Gefahren sieht das anders. Er kritisiert die Erweiterung der Anlage, weil der Betrieb damit wenig innovativ gehandelt habe.
Mimkes: Es gibt Mitbewerber von Bayer, die stellen Polycarbonate und Isozyanate ohne Phosgen her. Bayer hält sogar selbst Patente auf solch alternative Produktionsmethoden. Und wir werfen dem Unternehmen vor, dass sie diese veralteten Produktionsmethoden einsetzen, und die Anlagen laufen ja 25, 30 Jahre, d.h., die Gefahren dieser Phosgen-Anlagen verfolgen uns die nächsten 25, 30 Jahre.
Meyer: Ein Bericht von Andreas Vollmert. Die Frage, die sich da jetzt aufgedrängt hat, lautet: Wieso wird denn so etwas überhaupt genehmigt? Bärbel Höhn, die Landesumweltministerin, sie war an dem Verfahren nicht beteiligt. Sie ist am Telefon. Frau Höhn, hätten Sie diese Produktion mit Phosgen genehmigt?
Höhn: Also, es ist erst einmal so, dass das Umweltministerium eine solche Genehmigung gar nicht erteilt. Wir haben jetzt aufgrund des Briefes des BUND einen Bericht der Bezirksregierung erbeten. Der wird Mitte April kommen. Da haben wir die Fristsetzung Mitte April gemacht, so dass wir uns jetzt genau angucken, unter welchen Bedingungen ist das passiert, mit welcher Begründung ist das gemacht worden? Dann können wir das beurteilen. Aber richtig ist, dass Phosgen ein hochgiftiger Stoff ist, und die meisten kennen ihn vielleicht ja noch, weil er im Ersten Weltkrieg eingesetzt worden isst als Nervengift.
Meyer: Dieses Genehmigungsverfahren, an dem Sie ja nicht beteiligt waren, dieses Verfahren war nicht öffentlich, haben wir gehört. Wieso geht das eigentlich, wenn doch offenbar die Anwohner gefährdet sind oder sich gefährdet fühlen?
Höhn: Das haben wir natürlich auch die Bezirksregierung gefragt, und deshalb haben wir diesen Bericht auch erbeten, weil, das war ja einer der Kritikpunkte de BUND. Und aufgrund des Briefes, den die uns geschrieben haben, gehen wir ja jetzt der Sache nach.
Meyer: Wir sprechen ja in diesem Land immer von Überregulierungen. Ich sage einmal, wenn ein Gastwirt fünf Tische mehr aufstellen will, dann muss das genehmigt werden. Wenn ein Chemiebetrieb die Kapazität erweitert, wie in diesem Fall, bedarf es offenbar keiner Änderung der Sicherheitsauflagen. Wie ist das zu erklären?
Höhn: Richtig ist, dass wir einen absoluten Bürokratieabbau, wenn man so will, im Umweltbereich erfahren haben in den letzten Jahren, damit, würde ich sagen, in vielen Bereichen auch einen Standardabbau und dass uns das in einigen Punkten mittlerweile auch bitter wieder aufstößt, weil in der Tat jetzt Fälle zum Tragen kommen, die teilweise sogar rechtlich in Ordnung sind, aber die die Leute nicht mehr verstehen. Also, unter Bürokratieabbau ist in den letzten Jahren auch oft Standardabbau – gerade auch im Umweltbereich – gelaufen.
Meyer: Nicht zu verstehen ist ja zum Beispiel, dass es offenbar Alternativstoffe zu Phosgen gibt, zur Herstellung von CD´s etwa. Warum wird dann dieses giftige Gas genehmigt und nicht die Behörden darauf drängen, dass man eben diesen Alternativstoff nimmt?
Höhn: Gut, das sind natürliche Fragen, die wir jetzt auch an unsere nachgeordnete Behörde stellen. Und, wie gesagt, den Bericht dazu bekommen wir Mitte April.
Meyer: Ich will jetzt nicht mit Ihnen spekulieren, aber kann es denn sein, dass, wenn Sie jetzt zu dem Ergebnis kommen bei dieser Prüfung, das ist alles so nicht in Ordnung, dass dann im Werk Bayer Uerdingen diese Phosgen-Produktion wieder eingestellt werden muss?
Höhn: Also, das muss man sehen, das ist wirklich jetzt Spekulation, weil, ich gehe einmal davon aus, dass die Behörde durchaus eine gute Begründung für ihr Handeln hat und er muss man natürlich auch nachgehen, d.h., welches Recht hat man überhaupt, auch als Behörde in einem bestimmten Bereich handeln zu können und zu dürfen?
Meyer: Die Bürger, die Anwohner werden natürlich jetzt trotzdem sagen, wir fühlen uns weiterhin unsicher. Was sagen Sie denen?
Höhn: Wir sind ja angeschrieben worden, weil ich einmal denke, dass der BUND, und in diesem Fall ist es ja auch die Coordination gegen Bayer-Gefahren, das sind ja Behörden, die sich genau um diesen Punkt kümmern, d.h., wir sind ja von Bürgern angeschrieben worden. Insofern gehen wir jetzt genau dieser Kritik nach. Also, das ist das, was wir auch als Ministerium machen können. Wir müssen natürlich unserer nachgeordneten Behörde die Zeit lassen, das auch sorgfältig zu begründen, wie sie gehandelt hat, deshalb eben auch diese Fristsetzung. Und wir müssen dann gucken: Was ist überhaupt möglich, und was ist noch machbar an diesem Punkt. Aber dass es hier eine Beschwerde gegeben hat und dass die Bürger sagen, das wollen wir so genau wissen, woran hat es gelegen und warum nicht so, wie wir das für sinnvoll halten, da haben sie ein Recht, auch eine ordentliche Antwort darauf zu bekommen.
Meyer: Der Phosgen-Einsatz beim Bayer-Werk in Uerdingen soll überprüft werden. Das hat Bärbel Höhn versprochen, die nordrhein-westfälische Umweltministerin.