Neues Deutschland, 30. Juni 2012
Wie man Resistenzen züchtet
Massentierhaltung und Antibiotikaeinsatz sind untrennbar verbunden – zum Nachteil von Tieren und Menschen
Mehr als die Hälfte aller Antibiotika landet im Stall. Immer mehr Krankheitserreger bilden daher Resistenzen. Gelangen die Keime über die Fleischverarbeitung in den menschlichen Organismus, so können sie unbehandelbare Infektionen verursachen. Eine mitunter tödliche Gefahr.
Der größte deutsche Pharma-Konzern, die Leverkusener Bayer AG, gehört auch im Bereich Tiermedizin zu den führenden Anbietern. Der Umsatz der Sparte liegt bei 1,2 Milliarden Euro und damit weltweit an vierter Stelle. Ein Kauf der Tiermedizin-Sparte des Marktführers Pfizer scheiterte vor wenigen Wochen. Pfizer will den Unternehmensteil stattdessen an die Börse bringen. Schon vor drei Jahren hatte Bayer vergeblich versucht, die Abteilung Tiermedizin von Schering-Plough zu erwerben und damit an die Spitze des Weltmarkts vorzustoßen.
Wieviel von den Bayer-Antibiotika in der Tierhaltung landen, erfuhr man erst auf Nachfrage Kritischer Aktionäre: 166 Millionen Euro habe Bayer im vergangenen Jahr mit dem Tier-Antibiotikum Baytril erlöst, davon 118 Millionen für Nutztiere. Im aktuellen Geschäftsbericht fehlen diese Verkaufszahlen aus »Wettbewerbsgründen«, erklärte der Vorstandsvorsitzende Marijn Dekkers in der jüngsten Hauptversammlung.
In Schweinemastanlagen drän&
- 6150;gen sich bis zu zwölf Tiere auf sechs bis acht Quadratmetern. Tageslicht fällt so gut wie nie in die Ställe. Auch Stroh oder Einstreu gibt es selten. Vier Monate bleiben ihnen bis zur Schlachtreife – vor 100 Jahren waren es noch zwölf. Zu allem Überfluss müssen sie in dieser kurzen Zeit viel mehr Gewicht zulegen als ihre Vorfahren.
Gesund ist das natürlich nicht. Als Abbauprodukt aus den Fäkalien entsteht giftiges Ammoniak, das zusammen mit der ständigen Feuchtigkeit zu Atemwegserkrankungen führt. Durch die Enge und Dunkelheit bedingt, regen sich die Tiere kaum, weshalb ihre inneren Organe Entwicklungsdefizite aufweisen. Mehr Auslauf wäre jedoch kontraproduktiv: »Diese Drangsal ist bewusst hergestellt. Bei genügender Bewegung würden die Schweine ja nicht so schnell zunehmen«, so der Tierarzt und ehemalige Veterinäramtsleiter Hermann Focke.
Wegen der drangvollen Enge leiden Schweine – aber auch Hühner, Rinder und Puten – unter zahlreichen Krankheiten. Und so landen in den Tierställen jährlich rund 1000 Tonnen Antibiotika. Kritische Tierärzte sprechen von einer ebenso hohen Dunkelziffer.
Wegen der Ansteckungsgefahr wird in der Regel gleich der ganze Bestand behandelt. In einer Produktinformation von Bayer heißt es zum Beispiel: »Unter den gegenwärtigen landwirtschaftlichen Bedingungen ist die Anzahl der Tiere pro Stall sehr hoch. Deshalb ist die Behandlung der gesamten Herde und nicht die individuelle Medikation das Mittel der Wahl, um den Infektionsdruck zu mildern und die Ansteckungsgefahr zu senken.«
Wie alltäglich der Einsatz der Mikrobenkiller ist, zeigt eine Untersuchung des niedersächsischen Landwirtschaftsministeriums: 76 Prozent der 18 Millionen überprüften Hühner erhielten Antibiotika – durchschnittlich knapp sieben Mal in ihrem kurzen Leben. Kälber und Puten erhielten gar zu 90 Prozent Antibiotika.
Der regelmäßige Einsatz in der Massentierhaltung verursacht ernsthafte Probleme. Die Krankheitserreger gewöhnen sich an die Mittel und bilden trotz ständig erhöhter Dosen Resistenzen aus. Über das Fleisch können die Keime in den menschlichen Organismus gelangen und dort unbehandelbare Erkrankungen auslösen. In Deutschland erliegen nach Angaben des Berliner Max-Planck-Instituts für Infektionsbiologie jährlich rund 15 000 Personen solchen nicht-behandelbaren Infektionen.
Da die Antibiotika seit Jahren nur aus wenigen Substanzgruppen mit ähnlichen Wirkmechanismen bestehen, ist der Einsatz in der Tierhaltung besonders heikel. So bietet etwa Bayer Antibiotika sowohl für die Veterinär- als auch für die Humanmedizin an. Und sowohl die Humanantibiotika Ciprobay und Avalox als auch das genannte Baytril gehören zur Wirkstoffklasse der Fluorchinolone. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) fordert seit Jahren ein Verbot des massenhaften Einsatzes von Antibiotika in der Tierzucht. Insbesondere die Fluorchinolone betrachtet die WHO als unverzichtbar für die Humanmedizin.
Geändert hat sich wenig. Zwar hat die EU vor einigen Jahren den Einsatz von Antibiotika als Wachstumsförderer verboten, doch die Verkaufsmengen nahmen trotzdem weiter zu. Kritische Tierärzte fordern daher eine lückenlose Dokumentation aller Antibiotika-Anwendungen, flächendeckende Kontrollen, Einkaufspreise ohne Rabatte für Großverbraucher sowie ein Verbot der routinemäßigen Behandlung ganzer Tierbestände. Ziel müsse eine antibiotikafreie Tierzucht sein.
Letztlich ist dies nur möglich, wenn das System der quälerischen Massentierhaltung, die den exzessiven Einsatz von Bakteriziden erst notwendig macht, durch eine bäuerliche und ökologische Landwirtschaft ersetzt wird. Solange der Einfluss der Agrar-Lobby auf die Politik nicht gebrochen wird und solange die Verbraucher Billigfleisch kaufen, dürfte sich jedoch wenig ändern.
Von Jan Pehrke, Coordination gegen BAYER-Gefahren