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Konzernkritiker

DIE ZEIT, Nr. 37/2000

Totentanz und Tortenwurf

Die Macht der Multis provoziert Widerstand. Besuche bei Konzerngegnern

Von Thomas Fischermann

McSpotlight entstand, weil 1986 die mächtige McDonald‚s-Corporation einen ehemaligen Londoner Postboten und seine Bekannte verklagte – die beiden hatten ein unfreundliches Flugblatt verteilt. Der Prozeß endete erst 1997 nach 313 Tagen Verhandlungsmarathon, und zwar mit einem gewaltigen Imageschaden für den Burger-Multi. McSpotlight.Org – erstellt von Freiwilligen in 22 Ländern, die sich zum Großteil gar nicht persönlich kennen – begleitete das Verfahren und feiert bis heute seine Helden. Doch längst ist der Website auch zum Debattenplatz für Konzerngegner und Koordinationspunkt für Protestaktionen in aller Welt geworden. Es geht um McDonald‘s, aber nicht allein: Für seine Macher ist die Firma auch ein „Symbol aller Multis und des Big Business, die rücksichtslos ihre Profite durchsetzen wollen“.
Willkommen im Zeitalter des elektronischen Antikapitalismus. Auch Konzerne wie Coca-Cola, Monsanto (http:www.monsantos.com) und Nike (http:www.saigon.com/ nike) schlagen sich längst mit Parodien, Protesten und kritischen Newsgroups im Internet herum. Die kanadische Gruppe Adbusters (http:www.adbusters.com) zieht aktuelle Werbekampagnen durch den Kakao, Hacker brechen in die Computer von Firmen ein und hinterlassen kritische Bemerkungen auf deren Websites. Selbst für die Aktionen der kalifornischen Tortenwerfer „Biotische Bäckerbrigade“ (prominentestes Opfer: Bill Gates) rühren jede Menge Internetseiten die Werbetrommel (http:www.asis.com/ agit-prop/bbb). Tari Hibbitt, Chefin der internationalen PR-Firma Edelman (http:www.edelman.com), rät ihren Konzernkunden: „Überwachen Sie die vielen Internet-Bulletins genau und diskutieren Sie offen mit ihren Gegnern.“ Denn Marken sind kostbar. „Die wenigsten Konzerne nehmen das bislang ernst. Sie ignorieren es auf eigene Gefahr“.
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Im sonnigen Garten der Paulus Potterstraat 20, in einem modischen Stadtteil Amsterdams, erläutert Fiona Dove ihre Vision von einer Zukunft ohne Konzernmacht. „Wir müssen den Staat wieder für uns zurückerobern“, sagt die Chefin des Transnational Institute (TNI, http:
www.tni.org). „Viel zu lange gab es diesen alles beherrschenden Glauben, dass die Globalisierung und der Vormarsch der Konzerne nicht zu stoppen seien“. Beim TNI versteht man sich als „informierende Aktivisten“: Es gibt einen Verbund von engagierten Forschern in aller Welt, und in Amsterdam selbst arbeiten 16 Mitarbeiter. Einige sind ehemalige Langzeitarbeitslose, deren Gehälter der Staat bezahlt.
In den 70er Jahren war das TNI eine große Nummer in der linken Szene. 1973 entstand es als Initiative von Intellektuellen, die den Vietnamkrieg diskutierten und Verbindungen zu den Befreiungsbewegungen der Welt hatten. Natürlich hieß es damals auch, das TNI sei vom KGB gesteuert. Die Zeiten haben sich geändert, doch die Generation der Blumenkinder staunt manchmal nicht schlecht über die Gameboy-Jugend: „Überall in Europa entstehen jetzt Anti-Unternehmens-Gruppen“, sagt Dove. „Es ist toll zu sehen, wie jung diese Leute sind“.
Vorbehalte gegen Großunternehmen sind in Mode gekommen. Am leichtesten ist das bei öffentlichen Protesten zu merken, die sich gezielt ein Thema oder einen Konzern vornehmen: der Verbraucherboykott gegen Shell um die geplante Versenkung der Ölbohrplattform Brent Spar, die Kinderarbeits-Vorwürfe gegen Modefirmen, Kampagnen gegen Menschenrechtsverletzungen. Dahinter stehen manchmal einzelne Initiativen, häufiger aber Kampagnen-Profis wie Greenpeace (http:www.greenpeace.org) oder Amnesty International (http:www.amnesty.org). Wenn das Ziel der Kampagne ein großer Konzern mit bekannten Marken ist, ist die Resonanz in den Medien fast sicher.
Um die Unternehmen anzugreifen, braucht man Informationen über sie. Eine ganze Reihe von Aktivisten hat es sich zum Ziel gesetzt, möglichst viel davon zusammenzutragen. Da gibt es das Polaris-Institut in Ottawa (http:www.polarisinstitute.com), das Bürgerbewegungen dabei berät, wie man mit mächtigen Konzernen umgeht. Das britische Magazin Ethical Consumer (http:www.ethicalconsumer.org) veröffentlicht ein ökologisches und soziales Sündenregister der Großunternehmen – inzwischen sogar im Internet. Corporate Watch aus Oxford (http:www.corporatewatch.org) bietet Aktivisten Forschungs- und Detektivdienste an. Das Corporate Europe Observatory (http:www.xs4all.nl/ ceo/) in Amsterdam spürt den Verbindungen zwischen Business und der Brüsseler Verwaltung nach. Es sind die Munitionsfabriken der neuen Bewegung gegen die Konzerne.
Informationen kursieren in diesen Kreisen schnell. Die wichtigsten Kommunikationsmittel sind Rundschreiben, Konferenzen und natürlich das Internet. Sogar staatliche Stellen interessieren sich manchmal für diese Informationen: Überforderte Aufsichtsstellen, Verbraucherschützer und Kommissionen lassen sich aus der Szene der Nichtregierungsorganisationen (NGO) Informationen zukommen. Eine Entwicklung, mit der die meisten Unternehmen noch nicht umzugehen wissen. „Die Konzerne sind mächtiger als je zuvor“, sagt Wally Olins von der Unternehmensberatung Wolff Olins (http:www.wolff-olins.com) in London. „Aber sogar die größten und erfahrensten finden es schwer, ihre neuen Rollen und Verantwortlichkeiten zu verstehen“.
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In der indischen Hauptstadt Delhi bläst dem US-Agrarmulti Cargill ein scharfer Wind ins Gesicht. Vandana Shiva, promovierte Physikerin und Chefin der „Forschungsstiftung für Wissenschaft, Technologie und Natürliche Ressourcen“, hat gefordert, dass Cargill „sofort“ das Land verlässt. Der Konzern hatte nämlich unter anderem bei den hygieneversessenen Mittelschichten damit geworben, dass sein Weizenmehl „von Hand unberührt“ gefertigt werde – nach Shivas Meinung eine Beleidigung der indischen Frauen, die das Mehl traditionell zubereiten. Und überhaupt ein Angriff auf die vielen kleinen Mühlen in den Dörfern. Die wortgewaltige Technologiekritikerin („Freier Handel führt in die Sklaverei“) kämpfte schon in den 80er Jahren für die Himalaya-Wälder und heizt jetzt vor allem Saatgut-Multis und Biotech-Firmen ein. Auf ihre ruhige, fast mütterliche Art, im traditionellen Sari, das rote Zeichen ihres zornigen Gottes und Namensvetters Shiva auf der Stirn.
Es gibt eine Menge solcher Organisationen in der Dritten Welt (http:
www.twnside.org.sg), und sie haben eine Vielzahl von Anliegen: den Erhalt bäuerlicher Lebensweisen, den Kampf gegen die Ausbeutung heimischer Rohstoffe und für Umweltschutz, bessere Arbeitsbedingungen, Menschenrechte. Viele von ihnen betrachten die liberale Weltwirtschaftsordnung und den Vormarsch der internationalen Konzerne als größte Bedrohung – was sie bei den Regierungen ihrer eigenen Länder nicht immer beliebt macht. „Es gibt zur Zeit einen enormen Druck, Investitionsregeln sogar zu lockern“, sagt Walden Bello, Ökonom an der Chulalongkorn Universität in Bangkok und selbst ein prominenter Aktivist (http:focusweb.org/). „Im Prinzip finden wir Unterstützung bei den Regierungen, man hört uns immerhin zu. Aber Resultate sieht man zur Zeit wenig“.
Doch die Macht der NGO in der Dritten Welt wächst – was nicht zuletzt an der Globalisierung liegt. Sie sind längst selber mit Gleichgesinnten in den reichen Ländern verbunden, und ihre neuen Freunde mobilisieren immer erfolgreicher die Öffentlichkeit und die Medien an den Stammsitzen der Konzerne. „In Indonesien wollten schon so viele ausländische Journalisten die Fabriken von Nike sehen, dass sich die örtlichen Gewerkschafter wie Fremdenführer fühlten“, berichtet die amerikanische Journalistin Naomi Klein. Doch ganz ungetrübt ist die Freundschaft nicht. Aktivisten aus der Dritten Welt beobachten mit Sorge, dass bei den Protesten „für die Dritte Welt“ in reichen Ländern jetzt auch Gewerkschaftsverbände mit marschieren und dass ihre Verbündeten in der Ersten Welt nun straffe Regeln und internationale Ächtungen fordern. Sie wissen aus Erfahrung, dass so etwas schnell in Protektionismus umschlägt – was den armen Ländern dann erst recht schadet.
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Ausgerechnet in Amerika, im Mutterland des Kapitalismus, ist zur Zeit die Bewegung gegen die Weltkonzerne besonders stark. Sogar Ralph Nader ist wieder da. Der Mann sieht nicht wie ein Revolutionär aus: dunkelblauer Anzug, rote Krawatte, die Ausstrahlung eines Sparkassenangestellten. Doch wenn er redet, füllen sich die Hörsäle der amerikanischen Universitäten. Der Verbraucheranwalt und Präsidentschaftskandidat der Grünen (http:
www.gp.org/) ist zur Symbolfigur der protestierenden Jugend aufgestiegen. „Er hat für Euch gekämpft, bevor Ihr geboren wurdet“, stellte dieser Tage ein junger Aktivist den 66jährigen Protest-Veteranen in der Universität von Madison/Wisconsin vor.
Nader hat in Harvard studiert und wurde landesweit bekannt, als er mit dem Bestseller „Unsafe at Any Speed“ die Autoindustrie angriff. Auch andere Branchen lernten den Anwalt in den Folgejahren fürchten – dank seiner Proteste gegen Kosmetika, Fleischverpackungen, überbuchte Flüge oder ärztliche Kunstfehler. Nader mutierte zur personifizierten Verbraucherzentrale. Die Konkretheit seiner Angriffe unterschied ihn in den ideologischen 70er Jahren von anderen linken Kämpfern.
Das Geld, das er mit erfolgreichen Klagen gegen die Industrie verdiente, steckte er in politische Lobbygruppen wie Public Citizen (http:www.publiccitizen.org/), heute sein bekanntestes Kind. Die Organisation steckte maßgeblich hinter den Protesten gegen die WTO in Seattle, die Weltbank und den Internationalen Währungsfonds. Jetzt kandidiert Nader bei den Präsidentschaftswahlen. Umfragen bescheinigen ihm derzeit sieben Prozent der Stimmen – ein Achtungserfolg.
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„DaimlerChrysler will nicht mit mir direkt in Kontakt treten“, beschwert sich Regine Keitel. Sie hält nicht nur 500 Daimler-Aktien, sondern sie ist zugleich die resolute Sprecherin der Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre (http:
www.sdk.org/). Leute wie Keitel sind im Kapitalismus als die klassischen Begrenzer von Konzernmacht vorgesehen: Wer könnte den Unternehmen besser auf die Finger schauen als ihre Aktionäre?
Doch in den Zeiten weltweiter Fusionen schwindet der Einfluss der Kleinaktionäre – der nie sonderlich groß war – bei den betroffenen Unternehmen noch weiter. Von wichtigen Entscheidungen erfahren als letzte, das Sagen haben andere: international operierende Anlagegesellschaften, die selbst schon Weltkonzerne sind. „Ein Daimler-Manager hat mir einmal gesagt, dass sie jede Woche die Positionen dieser Grossanleger überprüfen und gegebenenfalls mit denen reden“, sagt Keitel. Sie schaut neidisch über den großen Teich. „In den USA kann man Vorstände immerhin verklagen“, sagt sie und wünscht sich so etwas auch für Deutschland. Es ist Globalisierung, und manche Shareholder rufen nach dem Staat.
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Köln-Deutz im April 2000. Vor dem Eingang der Messehallen stehen Grableuchten, Holzkreuze und Gestalten in Skelettanzügen. Der Chemie-Multi Bayer hält seine Jahreshauptversammlung, und der Totentanz gilt den Aktionären: Konzernkritiker wollen daran erinnern, dass sich Menschen in der Dritten Welt an den Pestiziden des Unternehmens vergiften. Solche Mahnungen am Eingang sind ein jährlich wiederkehrendes Ritual der Bayer-Hauptversammlungen.
Doch nicht alle Protestierer bleiben vor der Tür. Elf Redner der Aktivistenorganisation Coordination gegen Bayer-Gefahren (CBG, http:www.cbgnetwork.de/) haben sich selber Bayer-Aktien gekauft und dürfen deshalb hinein. Auf diese Weise stört CBG schon seit 18 Jahren mit Reden über Pestizide, Zwangsarbeiter oder giftige Mastmittel die Hauptversammlungen. Mal pfeifen die anderen Aktionäre, mal kommt überraschender Applaus, mal wird das Mikrofon abgedreht. Doch anders als Regine Keitel und ihre frustrierten Kleinaktionäre erreichen die Aktivisten ihr Ziel: ein Medienecho. „Seit 1982 ist kein Verlauf dieser Veranstaltung im Sinne der Konzernherren mehr möglich“, heißt es bei CBG. Das haben inzwischen auch die Gegner anderer Konzerne gemerkt: Der Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre (http:ourworld.compuserve.com/homepages/critical_shareholders/) hat jetzt 36 Gruppen als Mitglieder, 50 bis 80 Akteure treten jedes Jahr medienwirksam bei den Hauptversammlungen auf.
Das Original, die CBG, zählt heute rund 1000 Mitglieder und 41 Koordinationspartner an Bayer-Standorten in aller Welt. Der Geschäftsführer bekommt aus Spenden ein Salär von 2000 Mark im Monat, die anderen arbeiten ehrenamtlich – ihr Geld verdienen sie zum Beispiel als Galerist, Physiker oder Stadtplaner. Gemeinsam tragen sie Informationen über vermeintliche Sünden des Konzerns zusammen, beraten Aktivisten an fernen Bayer-Standorten, tragen ihre Anliegen in die Hauptversammlung hinein. Zwischen Bayer und der CBG herrscht eisiges Schweigen: „Es hat seit 15 Jahren keine Gespräche gegeben“, sagt Geschäftsführer Philipp Mimkes. Und klammheimlich freut er sich, dass diese „Steinzeitpolitik“ des Konzerns dem Profil seiner Organisation durchaus nützt.
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Für die 42 Ökonomen und Juristen der „Merger Task Force“ bei der Europäischen Kommission in Brüssel ist großer Medienrummel keine Option. Geheimniskrämerei ist angesagt. Die Bürotüren schließen automatisch, die ganze Etage ist elektronisch gesichert. Denn die Aktenordner bersten voll vertraulicher Informationen aus Unternehmen.
Und dennoch rücken Kartellwächter im Zeitalter des globalen Konzern-Kannibalismus immer häufiger ins Licht der Öffentlichkeit. In den USA wurde der oberste „Trustbuster“ Joel Klein über Nacht zum Medienstar, als er Microsoft vor den Richter zerrte. In Europa gab es bis zum Herbst den Wettbewerbskommissar Karel Van Miert, der seinen Job stets mit der Rolle eines Schiedsrichters verglich: „Wenn ich einmal ein Auge zudrücke, spielen morgen alle Foul“, sagte der kleine Mann, pokerte im Kampf mit den Konzernen gelegentlich sehr hoch und drohte auch schon mal der Presse mit Millionenbußen.
Mario Monti, seit einem Jahr der Nachfolger Van Mierts, ist von einem anderen Schlag. Der Wirtschaftsprofessor aus Mailand doziert mit wohlgesetzten Worten und leitete aus ökonomischen und juristischen Prinzipien seine handfesten Fusionsverbote für Worldcom und Sprint, Volvo und Scania ab. Im Zweifelsfall referiert er von einem Blatt, was ihm seine Beamten aufschreiben. In der Sache jedoch liefern der alerte Van Miert und der kaltblütige Monti eigentlich identische Ergebnisse. Denn die Geschäftsgrundlage für die Fusionskontrolle ist ein zehn Jahre altes EU-Dokument, die „Verordnung (EWG) Nr. 4064/89“. Ab einem Weltumsatz von fünf Milliarden Euro und mindestens 250 Millionen innerhalb der EU greifen die Beamten der „Task Force“ ein, und den Trend zur Globalisierung können die Beamten an ihren eigenen Überstunden ablesen. Binnen fünf Jahren hat sich die Zahl der Fälle verdreifacht, jetzt prüfen sie im Jahr etwa 300mal Milliarden-Fusionen.
Die Manager von Boeing, Coca-Cola oder Sony haben das längst begriffen und hofieren mittlerweile die EU-Kommission. Und sie wissen auch, dass ihnen die gelegentlich lästige Prüfstelle für den gesamten EU-Markt Geld und Zeit spart. Sonst müssten sie ihre Deals nämlich gleich mehrfach in Berlin, Rom und Paris genehmigen lassen.
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„Früher dachten einige Konzernchefs: Sie brauchen die völlige Freiheit, den Wilden Westen“, sagt Saskia Sassen. „In Wahrheit brauchen sie verlässliche Regeln, Standards, Garantien, Rechtssicherheit“. Die Soziologin an der Universität Chicago gehört zu den bekanntesten Forschern in Sachen Globalisierung – und will in ihrer neuesten Studie nachweisen, dass die Politik eigentlich viel mehr Kontrolle über die Weltkonzerne ausüben könnte. Sie lässt hunderte von Interviews mit Konzernchefs, Anwälten, Stabsmitarbeitern führen und analysiert, in welchen Dingen die Konzerne schlicht auf den Staat angewiesen sind. Und obwohl sie Forscherin ist, keine Aktivistin, sind ihr die politischen Folgen ihrer Arbeit klar: „Man kann diese Dinge auch als Hebel benutzen, um mehr Verantwortlichkeit von den Unternehmen einzufordern“.
Sassens Projekt ist einer von vielen Beiträgen zu einem Forschungsgebiet, dem sich derzeit Soziologen, Politikwissenschaftler und Ökonomen verschreiben: der „Global Governance“ – dem Regieren der Welt in Zeiten von Globalisierung und wachsender Konzernmacht. „Wir rutschen in eine Ära unausweichlicher Zusammenstöße zwischen Unternehmen und Nationalstaaten“, schrieb Raymond Vernon, eremitierter Politologe an der Harvard University. Inzwischen gibt es dazu Forschungszentren und -projekte an den führenden Universitäten der Welt, eine Flut von Veröffentlichungen und akademischen Konferenzen. Wissenschaftler haben erneut begonnen, über eine neue Ordnung für die Weltwirtschaft nachzudenken.
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Scott Haws aus Dallas werden die Ergebnisse sicher brennend interessieren. Es gibt zur Zeit vieles auf der Welt, das ihm nicht gefällt: dass die Menschen Regenwälder roden; dass sie mit ihren Benzinmotoren und Kohleöfen die Polkappen abschmelzen; dass in armen Ländern Kinder auf Müllkippen leben. Haws ist 33 Jahre alt, Weißer, Amerikaner und erfolgreicher Kleinunternehmer. „Mir geht es gut“, sagt er. Trotzdem: Haws geht demonstrieren, im Durchschnitt zweimal die Woche. Irgendwann meinte er zu entdecken, dass all die Übel dieselbe Ursache haben: die Gier der multinationalen Konzerne nach immer höherem Profit. In seiner Heimatstadt hat er die Dallas Progressive Action League gegründet. Kürzlich lernte er bei einem Trainingscamp, wie man an Schornsteinen und Brücken hochklettert, um dort Transparente auszurollen. Mit Protesten auf der Straße kennt er sich schon aus – nur das Wort mag er nicht. „Ich bin kein Protestierer, sondern Aktivist“, sagt Haws. Soll heißen, dagegen zu sein, reicht ihm nicht. Haws will wissen, was die Alternativen sind.
Mitarbeit: Michael Kläsgen, Petra Pinzler, Wolfgang Uchatius, Christian Wernicke