21. Juni 2012, junge Welt
Der Keim aus dem Stall
Bayer an der Wursttheke: Antibiotika in der Massentierhaltung
Von Jan Pehrke (der Autor ist Mitglied der Coordination gegen Bayer-Gefahren)
Bis zu zwölf Schweine drängen sich in der Massentierhaltung auf sechs Quadratmetern. Tageslicht fällt so gut wie nie in die Ställe. Auch Stroh oder Einstreu gibt es nicht. Die Tiere hausen auf blankem Beton. In den sind Spalten eingelassen, damit Urin und Kot direkt in die Güllegrube eine Etage tiefer gelangen können. Vier Monate bleiben den Schweinen bis zur Schlachtreife – vor hundert Jahren waren es noch zwölf. In dieser kurzen Zeit müssen sie viel mehr Gewicht zulegen als ihre Vorfahren. Gesund ist das nicht. Als Abbauprodukt aus den Fäkalien entsteht giftiges Ammoniak, das in der ständigen Feuchtigkeit zu Atemwegserkrankungen führt. Die Tiere regen sich in Enge und Dunkelheit kaum, weshalb ihre inneren Organe – durch die Turbomast ohnehin stark belastet – Entwicklungsdefizite aufweisen. Mehr Auslauf wäre kontraproduktiv, erklärt der ehemalige Veterinäramtsleiter Hermann Focke: »Diese Drangsal ist bewußt hergestellt. Bei genügender Bewegung würden die Schweine ja nicht so schnell zunehmen.«
Hühner, Puten, Mastenten und Legehennen leben unter ähnlichen Umständen und leiden ähnlich oft unter Krankheiten. Gegen die Infektionen kommen bevorzugt Antibiotika zum Einsatz. Mehr als die Hälfte der gesamten Antibiotikaproduktion in Deutschland landet in den Tierställen – rund 1000 Tonnen pro Jahr. Tierärzte sprechen von einer Dunkelziffer von weiteren tausend Tonnen.
Wegen der Ansteckungsgefahr gelangt in der Regel gleich der ganze Bestand in den Genuß der Mittel. Das Leverkusener Unternehmen Bayer rät zum Beispiel in einer Produktinformation: »Unter den gegenwärtigen landwirtschaftlichen Bedingungen ist die Anzahl der Tiere pro Stall sehr hoch. Deshalb ist die Behandlung der gesamten Herde und nicht die individuelle Medikation das Mittel der Wahl, um den Infektionsdruck zu mildern und die Ansteckungsgefahr zu senken«.
Wie alltäglich der Einsatz der Mikrobenkiller ist, zeigt eine Untersuchung des niedersächsischen Landwirtschaftsministeriums. 200 Betriebe mit insgesamt mehr als 23 Millionen Tieren wurden überprüft. 76 Prozent der 18 Millionen untersuchten Hühner erhielten Antibiotika, durchschnittlich knapp siebenmal in ihrem kurzen Leben. Puten erhielten zu 90 Prozent Antibiotika. Die Quote bei Mastschweinen betrug 68 Prozent, bei Kälbern rund 90 Prozent.
Bayer gehört als weltweit viertgrößter Anbieter von Veterinärmedikamenten zu den großen Nutznießern der Massentierhaltung. Welche Mengen Tierantibiotika verkauft werden, will das Unternehmen eigentlich »aus Wettbewerbsgründen nicht kommunizieren«. Erst auf mehrmalige Nachfrage Kritischer Aktionäre nannte der Vorstandsvorsitzende in der jüngsten Hauptversammlung die Verkaufszahlen: Allein 2011 machte der Konzern mit dem Tierantibiotikum Baytril einen Umsatz von 166 Millionen Euro.
Resistenzraten
Der regelmäßige Einsatz verursacht massive Probleme. Die Krankheitserreger bilden trotz ständig erhöhter Dosen Resistenzen aus. Über die Fleischzubereitung können die Keime in den menschlichen Organismus gelangen und dort unbehandelbare Gesundheitsstörungen auslösen. Nach Angaben des Max-Planck-Institutes sterben jedes Jahr zirka 15000 Bundesbürger an nichtbehandelbaren Infektionen. In den USA sorgte 2005 allein ein multiresistenter »Staphylococcus aureus«-Keim für 18650 Todesfälle. Eine Studie der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) kam im Herbst zu dem Ergebnis, daß der Einsatz von Antibiotika in der Tiermast die Gefahr erhöht, daß diese bei Menschen nicht mehr wirken. Die Weltgesundheitsorganisation WHO fordert daher seit Jahren ein Verbot des massenhaften Einsatzes von Antibiotika in der Tierzucht. Insbesondere die Gruppe der Fluorchinolone erklärte die WHO zu »Critically Important Antimicrobials«, also zu unverzichtbaren Bakteriziden.
Die Firma Bayer trägt eine besondere Verantwortung, da das Unternehmen gleichzeitig Antibiotika für die Veterinär- als auch für die Humanmedizin anbietet, noch dazu aus derselben Substanzklasse: Sowohl die Humanantibiotika Ciprobay (Wirkstoff: Ciprofloxacin) und Avalox (Wirkstoff: Moxifloxacin), als auch das genannte Baytril gehören zu den Fluorchinolonen. Da verwundern die hohen Resistenzraten kaum. So stieg die Zahl der Ciprobay-resistenten »Staphylococcus aureus«-Erreger nach Angaben des »German Network for Antimicrobial Resistance Surveillance« von sechs Prozent im Jahr 1990 auf über 26 Prozent im Jahr 2006. Die Zahl der Ciprobay-resistenten »Staphylococcus epidermides«-Keime nahm von 55 Prozent (1995) auf 70 Prozent (2004) zu, die der »Escherichia coli«-Erreger von fünf auf 22 Prozent.
Der »Germap 2008« zieht ein alarmierendes Fazit: »Im Hospitalbereich ist in den letzten zehn bis 15 Jahren eine z.T. deutliche Zunahme der Resistenzhäufigkeit gegenüber Antibiotika festzustellen. Der Resistenzanstieg betrifft besonders die Fluorchinolone und Aminopenicilline.«
Der Leverkusener Multi wiegelt ab: »Das Antibiotikum Baytril wird ausschließlich injiziert und nicht dem Futter beigemischt. Deshalb ist es für die Massentierhaltung nicht geeignet«, erklärte ein Sprecher. Über Lösungen zum Eingeben mittels einer Dosierpumpe und Gaben über das Trinkwasser breitet er den Mantel des Schweigens. Auch die abnehmende Wirksamkeit von Ciprobay und Avalox ignoriert der Pharmariese.
Meinungsbildner
Im vergangenen September organisierte Bayer ein Podiumsgespräch zum Thema »Gesunde Tiere – gesunde Lebensmittel« mit »80 Meinungsbildnern aus Politik, Wissenschaft, Verbänden und Medien«. In dessen Verlauf sprach der Bundestierarzt-Präsident Hans-Joachim Götz von einer unauffälligen Resistenz-Situation in der Veterinärmedizin, es bestehe »kein Grund für Hysterie«. Solche Meinungen kommen nicht von ungefähr. Bayer läßt sich die Pflege der tiermedizinischen Landschaft einiges kosten. Der Konzern spendiert schon Studierenden Sezierbesteck, finanziert Kongresse und »Bildungsreisen«, stiftet Lehrstühle und sponsert Universitäten. Die tierärztliche Hochschule Hannover unterhält sogar einen Bayer-Hörsaal.
Auf seiten der Politik passiert wenig. Einige Präparate wurden aus dem Verkehr gezogen, einige Anwendungsbeschränkungen erlassen. Den Einsatz von Antibiotika als Wachstumsförderer hat die EU verboten. Doch die Verkaufsmengen nahmen trotzdem weiter zu. Für den NRW-Umweltminister Johannes Remmel (Die Grünen) läßt dies nur einen Schluß zu: »Entweder handelt es sich um Wachstumsdoping, was seit 2006 EU-weit verboten ist, oder aber das System der Tiermast ist so anfällig für Krankheiten, daß es ohne Antibiotika nicht mehr auskommt.«
Wachsender politischer Druck hat die Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner kürzlich zu einer Absichtserklärung veranlaßt. Die CSU-Politikerin will die Antibiotikaströme besser dokumentieren, Betrieben mit besonders hohem Verbrauch ein Minimierungskonzept verordnen und den Bau großer Mastanlagen erschweren. Auch das tierärztliche Dispensier-Recht, wonach Veterinäre direkt an den Medikamenten verdienen, für die sie Rezepte ausstellen, steht auf dem Prüfstand. Ob es fällt, ist zu bezweifeln. Die Tierärzte haben einen mächtigen Fürsprecher in Berlin: ihr Kollege Hans-Michael Goldmann von der FDP leitet den Agrarausschuß und hat seine Ablehnung schon bekundet.
Kritische Tierärzte fordern eine lückenlose Dokumentation aller Antibiotika-Anwendungen, flächendeckende Kontrollen, feste Einkaufspreise ohne Rabatte sowie ein Verbot der routinemäßigen Behandlung ganzer Tierbestände. Da unter den derzeitigen Haltungsbedingungen eine Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes kaum möglich ist, fordert der ehemalige Vizepräsident der bayrischen Landestierärztekammer, Rubert Ebner, massive Veränderungen der Haltungsbedingungen, vor allem eine Reduzierung der Besatzdichte sowie insgesamt geringere Tierzahlen. Hierzu will sich die Mehrheit der Politiker nicht durchringen. An den Verkaufszahlen für Baytril und Co. dürfte sich vorerst nicht viel ändern.