Neues Deutschland, 28. September 2011
Ehrenbürger ging über Leichen
Der Industrielle Carl Duisberg soll nicht öffentlich geehrt werden, fordern Kritiker
Zum morgigen 150. Geburtstag Carl Duisbergs fordern Kritiker und Historiker: Schulen und Straßen, die seinen Namen tragen, sollen umbenannt, die Leverkusener Ehrenbürgerschaft soll dem langjährigen Bayer-Generaldirektor und IG-Farben-Aufsichtsratschef aberkannt werden. Denn Duisberg sei für Zwangsarbeit und Giftgaseinsätze verantwortlich – und habe eng mit den Nazis kooperiert.
Dass Carl Duisberg (1861-1935) der wohl erste große Heroin-Dealer der Geschichte war – die Leverkusener Bayer-Werke stellten das »Wundermittel« Ende des 19. Jahrhunderts her und vertrieben es trotz des bekannten Suchtpotenzials –, läuft unter ferner liefen, wenn Kritiker auflisten, warum keine öffentlichen Einrichtungen nach dem »verbrecherischen Genie« benannt sein sollten.
Giftgaseinsatz und Zwangsarbeit
»Carl Duisberg ging für Profite buchstäblich über Leichen«, resümiert der Journalist Jan Pehrke, Vorstand der konzernkritischen Coordination gegen Bayer-Gefahren. Duisberg trage Verantwortung für den Einsatz von Giftgas und die Ausbeutung von Zwangsarbeitern bereits im Ersten Weltkrieg und habe später eng mit den Nazis kooperiert. »Das Reichsamt des Inneren griff 1916 einen Vorschlag Duisbergs und ließ 60 000 Menschen aus dem, so Duisberg, großen Menschenbassin Belgien zur Zwangsarbeit deportieren«, erinnert Pehrke. Die »Frankfurter Allgemeine« sprach 2008 von den »katastrophalen Lebensbedingungen« der Zwangsarbeiter, die der deutschen Kriegsindustrie »als dringend benötigte Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt« wurden. Für das konservative Blatt »ein besonders unrühmliches Kapitel der deutschen Kriegspolitik«. Pehrke geht noch einen Schritt weiter: »Die Deportation gilt als Vorläufer des ungleich größeren Zwangsarbeiter-Programms im Zweiten Weltkrieg.« Zur Zeit des Ersten Weltkriegs habe Duisberg zudem Giftgase wie Senfgas entwickelt, an der Front getestet und »vehement ihren Einsatz« betrieben, so Pehrke.
Duisberg war Mitbegründer und Aufsichtsratsvorsitzender der IG Farben, Vorsitzender des mächtigen und reaktionären BDI-Vorläufers Reichsverband der Deutschen Industrie, er agierte als Antidemokrat, Imperialist und millionenschwerer Förderer der NSDAP. Für Jan Pehrke ist deshalb klar: »Carl Duisberg taugt nicht als Vorbild für künftige Generationen!«
Und doch: Nach Duisberg benannt sind immer noch eine Schule in Wuppertal, Straßen in mehreren Städten und die »Carl-Duisberg-Centren« mit ihren international ausgerichteten Bildungsangeboten für Schüler, Studenten und Berufstätige. Die Coordination gegen Bayer Gefahren will das ändern. Und fordert zudem in einem Offenen Brief an Leverkusens Oberbürgermeister, Duisberg die Ehrenbürgerschaft abzuerkennen.
Auch in Wuppertal regt sich Widerstand: Dort ist der Industrielle Namenspatron des Carl-Duisberg-Gymnasiums. Ein unhaltbarer Zustand, findet der Verein zur Erforschung der sozialen Bewegungen. In einem Offenen Brief an die Schulkonferenz und die Wuppertaler Stadtratsfraktionen fordern die Historiker eine Umbenennung des Gymnasiums. Sie berufen sich auf eine Empfehlung einer vom Stadtrat einberufenen Kommission, der zufolge Straßen und Plätze nur nach Personen benannt werden sollen, deren demokratische Gesinnung außer Frage stehe. Umbenannt werden sollten demgemäß Straßen, deren Namenspatron mit Kriegsverbrechen, Antisemitismus oder Rassismus in Zusammenhang stehe. Analog dazu wollen die Kritiker die Schule umbenannt sehen.
Bayer voll des Lobes für den Konzern-Patron
Währenddessen lobt die Bayer AG ihren einstigen Chef in einer aktuellen Pressemitteilung: Carl Duisberg habe den »Grundstein für eine unternehmerische Denk- und Handlungsweise« gelegt, die sich »noch heute« in der Unternehmenspolitik widerspiegele. Hervorgehoben werden Duisbergs »Verständnis von Innovation und Wissenschaft«, sein »soziales Engagement«, seine Leistungen als Förderer der Künste. Der Konzern-Patron habe die Lebensqualität der Menschen verbessern wollen. Giftgas, Nazis, Zwangsarbeit? »Carl Duisberg«, so wird ein Haushistoriker zitiert, »führte Maßstäbe ein, die für uns alltäglich sind, aber damals eine Revolution darstellten.« Von Marcus Meier