Kampagne gegen Pillen-Gesetz
BAYER sieht rot
Die exorbitanten Pillen-Preise drohen das Gesundheitssystem zu sprengen. Da sah selbst ein FDP-Minister Handlungsbedarf. Aber obwohl der Leverkusener Multi mit dem „Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittel-Marktes“ recht gut bedient ist, sieht er rot. „Anstatt sich um mehr Wettbewerb und um den Abbau der überbordenden Regulierung zu kümmern, setzt die Koalition auf kurzfristige Maßnahmen und geht weitere Schritte in Richtung Planwirtschaft im Gesundheitswesen“, erbost sich BAYER-Chef Werner Wenning.
Auf fast 16 Milliarden Euro Umsatz kam die Pharma-Sparte des Leverkusener Multis im Geschäftsjahr 2009. Besonders gut laufen die Geschäfte in der Bundesrepublik. Hier liegen die Arznei-Preise im Vergleich mit anderen Industrieländern nämlich um ca. 18 Prozent über dem Durchschnitt. Der Grund dafür ist einfach: Sie sind selbstgemacht. Die Pillen-Riesen können ganz allein bestimmen, wieviel sie für ihre neuen Medikamente verlangen wollen. Und da schlagen die Behandlungskosten für BAYERs Krebsmittel NEXAVAR dann eben mit 58.400 Euro im Jahr pro Patient/in zu Buche.
Patentgeschützte Arzneien wie NEXAVAR haben an allen ärztlichen Verschreibungen nur einen Anteil von 2,5 Prozent, am Krankenkassen-Umsatz jedoch einen von 26 Prozent. Damit tragen sie die Hauptverantwortung für die ständig steigenden Pillen-Kosten. Im letzten Jahr beliefen sich die Ausgaben der Krankenkassen für Medikamente auf fast 30 Milliarden Euro – eine Steigerung von 5,3 Prozent oder 1,5 Milliarden Euro gegenüber dem Vorjahr. Mehr Geld geben AOK & Co. nur noch für die Krankenhäuser aus.
Und das wird zunehmend knapp. Um das für 2011 erwartete Defizit von elf Milliarden Euro aufzufangen, sah sich Gesundheitsminister Philipp Rösler deshalb zum Eingreifen erzwungen. Auch die Pharmazeutika im Allgemeinen und das „Premium-Segment“ im Besonderen nahm der Liberale sich dabei vor. „In Deutschland sind viele Medikamente zu teuer“, befand Rösler und brachte das „Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittel-Marktes“ auf den Weg, das zum 1.1. 2011 in Kraft treten soll. Es sieht unter anderem ein Einfrieren der Arznei-Preise auf dem Stand von August 2009 bis zum Jahr 2013, eine Erhöhung des Hersteller-Rabattes für neue Medikamente von sechs auf 16 Prozent und ein Ende des Preisfindung nach Gutsherren-Art vor. Zudem will die schwarz-gelbe Koalition eine Kosten/Nutzen-Bewertung für Medikamente einführen, denn allzu oft haben die neuen Pillen nicht allzu viel Neues in petto.
Das ist den Pharma-Riesen zu viel. Sie hatten zwar mit Einschnitten gerechnet – „Wir wussten, dass wir kein Heimspiel mehr haben“, so ein Branchen-Vertreter -, aber nicht in dem Ausmaß. Der Leverkusener Multi stellt sich auf eine „Rösler-Delle“ von 15 Millionen Euro im laufenden und 25 Millionen im kommenden Jahr ein. Deshalb wähnt der Konzern bereits den Sozialismus anbrechen und sieht rot. „Anstatt sich um mehr Wettbewerb und um den Abbau der überbordenden Regulierung zu kümmern, setzt die Koalition auf kurzfristige Maßnahmen und geht weitere Schritte in Richtung Planwirtschaft im Gesundheitswesen“, erboste sich BAYER-Chef Werner Wenning im April 2010 auf der Hauptversammlung des Konzerns. Und Forschungsvorstand Wolfgang Plischke sah sich unvermittelt einer gelben Gefahr ausgesetzt: „Das hätten wir von einem liberalen Gesundheitsminister nie erwartet“. Erwartet hatten BAYER & Co. vielmehr, mit allen Krankenkassen einzeln in Preis-Verhandlungen gehen zu dürfen. Nach Röslers Gesetz stehen die Unternehmen jedoch dem Gesamtverband gegenüber und damit schmerzlicherweise einem „Nachfrage-Monopol“, wie die Angebotsmonopolisten meinen.
Nun heißt es bei den Multis erwartungsgemäß „Land unter“. Sie sprechen von einer Gefahr für den „Standort Deutschland“, warnen vor Arbeitsplatz-Vernichtung und fürchten um den medizinischen Fortschritt. Darüber hinaus malen die Global Player das Schreckgespenst einer Rationierung im Gesundheitswesen an die Wand, um die Zustimmung der PatientInnen für ihre Geschäftspolitik zu gewinnen. Dass sie selber das Gesundheitssystem bis an die Grenzen der Belastbarkeit getrieben haben, geht ihnen nicht ein. Die hohen Pillen-Preise – BAYERs Gewinn-Spanne im Pharma-Bereich liegt aktuell bei 30,5 Prozent – halten die Konzerne für gerechtfertigt. Sie müssten ja auch viele Fehlschläge verkraften und hätten immense Forschungsausgaben, argumentieren die Hersteller scheinheilig. Und für die ausufernden Arznei-Budgets der Krankenkassen haben sie auch eine schlichte Erklärung: die Überalterung der Gesellschaft.
Dabei hätten die Konzerne allen Grund, etwas demütiger aufzutreten, denn sie sind noch gut weggekommen. So dürfen ihre Pharma-Produkte nach dem Markteintritt noch mindestens 12 Monate zu den selbstgemachten Preisen kursieren. Dann erst beginnen die Verhandlungen mit den Gesetzlichen Krankenkassen auf Basis von Nützlichkeitsdossiers. Noch dazu sollen diese von BAYER & Co. selber stammen. Dem „Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen“ (IQWIG), dessen Leiter Peter Sawicki wegen seiner allzu pharma-kritischen Haltung gehen musste, kommt dabei höchstens eine beratende Funktion zu. Nur wenn die Gespräche zwischen den Pharma-Riesen und den Kassen scheitern, kann es eine umfassende Bewertung der Arznei vornehmen. Aber auch in diesem Fall nicht zu den eigenen, streng wissenschaftlichen Bedingungen. BAYER & Co. haben es nämlich geschafft, die Bewährung der Pillen im Alltag zu einem Kriterium zu machen, weshalb schon eine anwendungsfreundlichere Darreichungsform, eine größere Flexibilität bei der Einnahme oder eine geringere Belastung pflegender Angehöriger das Klassenziel „Zusatznutzen“ erreicht. Und selbst bei einem Verfehlen dieser Anforderungen bleibt das Mittel der Welt erhalten; es fällt dann unter die Festpreis-Regelung. Die Rabatt-Vereinbarung hat ebenfalls so ihre Vorteile für die Branche. Sie tastet die Mondpreise nämlich nicht wirklich an. „Das ist eine wirkliche Mogelpackung, denn viele Länder nutzen Deutschland als Referenzland, um den Preis zu bestimmen“, kritisiert die BUKO-PHARMAKAMPAGNE.
1,5 Milliarden Euro sparen die Krankenkassen durch diese Neuordungen, also gerade mal so viel, wie sie im letzten Jahr mehr ausgeben mussten. Dazu kommen noch einmal 400 Millionen durch Einschnitte beim Pharma-Großhandel. Eine magere Bilanz. Eine wirkliche „Neuordnung des Arzneimittel-Marktes“ hätte es hingegen bedeutet, eine Positivliste einzuführen. Sie hätte es vermocht, den Pharma-Dschungel zu lichten und nur noch die wirklich nützlichen Medikamente übrig zu lassen. Aber das hat der Lobby-Druck von BAYER & Co. noch immer zu verhindern gewusst und stand heuer nicht einmal mehr zur Debatte.
Darum muss Philipp Rösler das Milliarden-Loch anders stopfen. Mit sechs Milliarden Euro kommt in seiner „Gesundheitsreform“ der größte Flicken durch die Erhöhung der Versicherungsbeiträge auf 8,2 Prozent für die Beschäftigten und 7,3 Prozent für die Unternehmen zustande. Zwei Milliarden erbringt ein Steuerzuschuss und 1,4 Milliarden tragen Krankenhäuser, AOK & Co., MedizinerInnen und ApothekerInnen zum Schulden-Abbau bei. Damit gleichen die abhängig Beschäftigten einen Großteil der roten Zahlen aus. Und das kommende Defizit, das sich nach Schätzungen des Bundesgesundheitsministeriums im Jahr 2014 auf ca. zehn Milliarden Euro belaufen wird, bürdet die Regierung ihnen allein auf. Sie hat nämlich die Versicherungsbeiträge von BAYER & Co. bis auf Weiteres eingefroren und im Gegenzug die Begrenzung für die Krankenkassen-Zusatzbeiträge, die bislang bei acht Euro im Monat lag, aufgehoben.
Schöne Aussichten also für BAYER & Co. Trotzdem hätten es die Konzerne gerne noch ein wenig schöner. Der vom Leverkusener Multi gegründete „Verband der Forschenden Arzneimittel-Hersteller“ (VFA) startete eine Kampagne, um im Laufe des parlamentarischen Verfahrens noch Änderungen an den betreffenden Gesetzen zu erwirken. Dazu nimmt der Verband mit der ehemaligen BAYER-Managerin Cornelia Yzer an der Spitze perfiderweise die Beschäftigten in Haftung. In ihrem Namen hat der Lobbyverein Musterbriefe entworfen, in denen Belegschaftsangehörige den PolitikerInnen ihre Sorgen über Arbeitsplatzvernichtungen durch die Kostendämpfungsmaßnahmen mitteilen. Nach den Vorstellungen der ÖffentlichkeitsarbeiterInnen sollte jede Mitgliedsfirma ein entsprechendes Schriftstück aufsetzen, um den Protest vielstimmiger zu machen. „Bitte beachten Sie, dass es sich hierbei um Musterbriefe handelt, die in variierter Form verwendet werden sollten, um wortgleiche Schreiben zu vermeiden“, instruierte VFA seine Mitglieder. Nicht immer mit Erfolg – oft brachten nur Briefkopf und Unterschrift ein wenig Farbe ins Spiel. Der Einsatz der Pharma-Riesen wird aber wohl dennoch seine Wirkung nicht verfehlen und die „Neuordnung des Arzneimittelmarktes“ noch ein wenig älter aussehen lassen. Von Jan Pehrke