Pestizide in Blumen
BAYERs Gift-Blüten
In den Ländern der „Dritten Welt“ boomt die Schnittblumen-Industrie. Wie am Fließband produzieren die ArbeiterInnen Sträuße für den Export – mit entsprechenden Folgen, denn die Behandlung der Pflanzen mit Pestiziden führt bei den Beschäftigten zu zahlreichen Gesundheitsstörungen.
Von Jan Pehrke
Tulpen kommen immer noch bevorzugt aus Amsterdam. Aber die Schnittblumen-Produktion hat sich globalisiert. Nach den Niederlanden folgen schon Kolumbien, Kenia und Ecuador als Hauptexportländer. Allein in dem südamerikanischen Andenstaat züchten 400 Betriebe auf 7.200 Hektar Rosen, Nelken und andere Pflanzen für den Weltmarkt – Entwicklungshilfe machte es möglich. Die ca. 90.000 Beschäftigten – zu zwei Drittel Frauen – sorgen für Devisen-Einnahmen von rund einer Milliarde Dollar. In kaum einem anderen Agro-Business lockt so viel Profit. Während in Ecuador der auf 4.330 Quadratkilometern betriebene Kakao-Anbau pro Hektar mit einem/r Angestellten auf einen Jahresumsatz von 786 Dollar kommt, erwirtschaftet der Blumen-Anbau auf überschaubaren 3,8 Quadratkilometern pro Hektar mit elf Belegschaftsangehörigen 138.000 Dollar – trotz höherer relativer Arbeitsintensität eine enorme Differenz.
Aber dafür braucht es auch die entsprechende Organisation. „Früher haben wir durchschnittlich 180 Blumen pro Stunde geschafft, heute sind es je nach Sorte fast 350“, berichtet Aidé Silva der Journalistin María Fernanda Agudelo über die Verhältnisse in Kolumbien1. Und in der Weiterverarbeitung lautet die Vorgabe „50 Sträuße pro Stunde“. Streng arbeitsteilig läuft die Produktion ab. „Durch die Einführung von Fließbandarbeit müssen wir mittlerweile einen oder zwei Monate lang die gleiche Tätigkeit ausführen“, sagt Helena Bustos. Und das sorgt nicht nur für mehr Eintönigkeit, es minimiert auch die Chancen, zumindest zeitweilig den Pestiziden zu entkommen, ohne welche die industrialisierte Pflanzen-Produktion nicht denkbar ist. „Vor zehn Jahren hatten wir ArbeiterInnen noch nicht so viele Krankheiten. Früher kümmerte sich jede Arbeiterin um circa 30 Pflanzreihen und war für die Blumen während des ganzen Wachstumsprozesses zuständig. Die Arbeiter führten verschiedene Tätigkeiten aus und mussten sich ständig unterschiedlich bewegen“, so Aidé Silva. Zudem halten sich viele Unternehmen nicht an die Ratschläge für den Umgang mit den Giften. Obwohl die Hersteller nach dem Einsprühen der Blumen eigentlich eine 24-stündige Arbeitspause empfehlen, müssen die Beschäftigten teilweise schon eine halbe Stunde nach dem Chemie-Einsatz in die kaum frische Luft hereinlassenden Gewächshäuser zurückkehren. Und Schutzkleidung gehört auch nicht zur Standardausrüstung.
Solche Arbeitsbedingungen lassen das Risiko für Berufskrankheiten beträchtlich steigen. Nach Angaben der VICTORIA INTERNATIONAL DEVELOPMENT EDUCATION ASSOCIATION kommt es in Kolumbien zu fünf Vergiftungen am Tag. Einer Studie des INTERNATIONAL LABOR RIGHTS FUND (ILRF) von 2007 zufolge leiden zwei Drittel aller ecuadorianischen und kolumbianischen BlumenarbeiterInnen an Atem-Problemen, Hautausschlägen und Erkrankungen des Auges. Auch eine fruchtschädigende Wirkung der Agro-Chemikalien hat der ILRF beobachtet: Die Zahl der Früh- und Fehlgeburten von in der Pflanzen-Industrie beschäftigten Frauen liegt weit über dem Durchschnitt. Andere Untersuchungen zählen zusätzlich Gesundheitsstörungen wie Kopfschmerzen, Schwindelanfälle, Brechreiz und Durchfall auf. Sogar Sterbefälle verzeichnet die Statistik.
BAYER trägt gehörig dazu bei. „Wir haben das innovativste Angebot für den Blumen-Sektor, und unser Marktanteil von 25 Prozent macht uns zum Marktführer“, rühmt der in Kolumbien für das Marketing zuständige Gustavo Sanchez den Konzern. Unter dem Titel „Wachsendes Geschäft“ feiert dieser in seiner Propaganda-Postille direkt dann auch seine guten Verkaufszahlen in dem Segment, das ein dankbarer Abnehmer für die Gifte ist – die fragilen floralen Schönheiten haben nämlich weit mehr Bedarf an chemischer Behandlung als schnöde Ackerfrüchte. Darum kümmern sich in der kolumbianischen Niederlassung sieben Beschäftigte ausschließlich um die Zuchtbetriebe. Darüber hinaus verfügt der Global Player in dem Land als einziges Agro-Unternehmen über ein eigenes Pflanzen-Entwicklungszentrum. Unter anderem dort hat es auch das Antipilz-Mittel LUNA mit dem Wirkstoff Fluopyram erprobt, für das der Leverkusener Multi momentan die Werbetrommel rührt. „Das innovative Fungizid könnte ein neuer Standard im Kampf gegen die bei Blumenzüchtern gefürchtete Grauschimmel-Fäule werden“, frohlockt Kolumbien-Chef Björn Hardt. Für Aidé Silva und ihre KollegInnen verheißt der Zulassungsbericht des „Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittel-Sicherheit“ allerdings nichts Gutes. „Umweltgefährlich“, „Gesundheitsschädlich“ und „Verdacht auf krebserzeugende Wirkung“ – solche Risiken und Nebenwirkungen bescheinigt das Dokument dem Pestizid.
Damit steht LUNA in einer langen, unschönen Tradition. Bereits vor 19 Jahren war die Blumenarbeiterin Maria Ortíz extra aus Kolumbien angereist, um auf der BAYER-Hauptversammlung über die katastrophalen Effekte der Agro-Chemikalien zu berichten. „Ich komme vom Lande und habe schon als Mädchen die Auswirkungen des Pestizids Parathion, das BAYER herstellt, kennengelernt. Es ist tödlich“, legte sie 1993 dar und schilderte einen tragischen Unfall. Ein Lastwagen hatte sowohl das unter dem Produktnamen E 605 vertriebene Parathion als auch Mehl geladen. Einer der Pestizid-Behälter lief aus, und die Flüssigkeit geriet ins Mehl. Die Folge: 65 Menschen starben an vergifteten Brötchen. Aber auch im „Normalbetrieb“ sorgten die Substanzen für Gesundheitsschäden. „Vor allem in der Erntezeit dürfen wir die Gewächshäuser meist nicht verlassen, wenn gespritzt wird. Der Geruch, das Einatmen und der Körperkontakt mit den Chemikalien verursachen Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwindel, Erbrechen, Bewusstlosigkeit und Krämpfe“, so Ortís. Den Vorstand beeindruckte diese Klage nicht, er ließ auf seine Stoffe nichts kommen. „Es versteht sich von selbst, dass wir nur sichere Produkte verkaufen. Das gilt auch für Parathion“, antwortete der damalige Vorstandsvorsitzende Dr. Manfred Schneider der Blumenarbeiterin.
Damals stellte Maria Ortís auch die Rechtlosigkeit der ArbeiterInnen dar. Daran hat sich bis heute nicht viel verändert. Besonders hart wird es jedes Jahr vor dem Valentinstag. Nicht selten arbeiten die Menschen während dieser Zeit 36 Stunden durch. Richtige Arbeitsverträge gibt es oft nicht, und von Frauen verlangen die Firmen vor der Einstellung, einen Schwangerschaftstest zu machen. Mit allen Mitteln versuchen die Betriebe zu verhindern, dass sich ihr Personal organisiert. Schließen sich Belegschaftsangehörige dann doch einer Gewerkschaft an, so riskieren sie eine Kündigung und eine lange Phase der Arbeitslosigkeit, denn unter den Blumenzüchtern kursieren Schwarze Listen mit Namen von Unbequemen. Ihr Verband „Asocolflores“ hat zwar bereits 1996 das Nachhaltigkeitslabel „Florverde“ ins Leben gerufen, verfolgt damit aber nur Marketing-Interessen und ändert die Richtlinien nach Gutdünken. So lockerte die Organisation 2008 die Vorschriften zu Leiharbeit, Gesundheitsschutz und Disziplinar-Verfahren.
Die Branche verletzt jedoch nicht nur soziale Standards und setzt die Gesundheit der Belegschaften aufs Spiel, sie belastet auch das Ökosystem. Die Pestizide gelangen nämlich durch die Abwässer in die Umwelt und verseuchen die Flüsse. Der große Durst der Schnittblumen – eine einzige Rose benötigt zwischen sieben und 13 Liter Wasser – droht derweil die sauberen Reserven zu erschöpfen. Bereits in den 1990er Jahren verbrauchte die kolumbianische Pflanzen-Industrie auf ihren damaligen 5.000 ha im Jahr eine solche Menge der Ressource wie eine Großstadt mit sechs Millionen EinwohnerInnen. Wegen des dramatisch abgesunkenen Grundwasserspiegels müssen einige Orte wie das vor den Toren Bogotás gelegene Madrid sogar schon einen Großteil ihres Bedarfs zukaufen. Aber selbst wenn Gemeinden noch über genug Reservoirs verfügen, treibt die erhöhte Nachfrage die Preise auf ungeahnte Höhen.
BAYER schert all das wenig. Der Leverkusener Multi propagiert zwar auch „die nachhaltige Blumen-Produktion in Kolumbien“, hat aber recht eingeschränkte Vorstellungen davon. „Nachhaltigkeit bei BAYER CROPSCIENCE beginnt bei der Entwicklung von Hochqualitätsprodukten, um zu gewährleisten, dass die Blumen frei von Pilz-Krankheiten und Schäden durch Insekten sind“, hält der Konzern fest, denn: „Blumen müssen perfekt sein, sonst sind sie nicht vermarktbar.“ Auch um den C02-Fußabdruck der Pflanzen-Herstellung sorgt sich der Agro-Riese. Nur zu den Arbeitsbedingungen der Beschäftigten und zu den Pestizid-Gefahren, denen sie durch die Waren des Unternehmens ausgesetzt sind, fällt ihm nicht viel ein. Bloß ein knappes Bekenntnis zu einem in Kooperation mit „Florverde“ angebotenen Schulungsprogramm zur Handhabung von LUNA & Co. kommt ihm über die Lippen.
Trotzdem begeht der Global Player den runden Geburtstag seiner Niederlassung in dem Andenstaat mit viel Tamtam. Zu dem unfeierlichen Anlass reiste der Vorstandsvorsitzende Marijn Dekkers extra aus Leverkusen an, und Staatspräsident Juan Manuel Santos ließ es sich nicht nehmen, BAYER persönlich zu gratulieren. Auch an festlichen Worten fehlte es nicht. „Seit 100 Jahren hat BAYER an die Zukunft Kolumbiens geglaubt und in sie investiert. Das werden wir auch in Zukunft tun“, bekannte der jüngst mit dem Verdienstorden des kolumbianischen Kongresses ausgezeichnete Landessprecher Frank Dietrich.
1 Lateinamerika Nachrichten Nr. 384, Juni 2006