Pressemitteilung vom 11. Mai 2004
Profit mit Menschenversuchen
TV-Beitrag zu unethischen Pestizid-Tests
Obwohl Menschenversuche mit Giftstoffen international geächtet sind, testet der Bayer-Konzern gefährliche Pestizide direkt am Menschen. Langfristiges Ziel solcher Versuche sind höhere Pestizid-Grenzwerte in Lebensmitteln und im Wasser – mit unabsehbaren Folgen für die menschliche Gesundheit.
Die Coordination gegen BAYER-Gefahren protestiert seit mehreren Jahren gegen dieses verantwortungslose Vorgehen. Das TV-Magazin „Frontal 21“ greift in einem heute ausgestrahlten Beitrag unsere Kritik an dem Bayer-Konzern auf. Anbei finden Sie Auszüge aus der Dokumentation. Lesen Sie auch eine gemeinsame Stellungnahme der Coordination gegen BAYER-Gefahren und des Pestizid Aktions- Netzwerks sowie einen Artikel aus dem Spiegel.
Frontal 21
Schamlose Chemieindustrie – Profit mit Menschenversuchen
Es klingt ungeheuerlich: Pestizide, also Schädlingsbekämpfungsmittel, werden immer häufiger auch an Menschen getestet. Den Probanden werden bestimmte Insektizide verabreicht, um festzustellen, ab welcher Dosis eine Wirkung zu beobachten ist.
Pestizide sind hochgiftig. Mit ihnen bekämpft man Schädlinge. Jahr für Jahr werden rund 45.000 Tonnen auf Europas Feldern verspritzt. Wenn zu große Mengen des Nervengifts auf den Lebensmitteln zurückbleiben, kann das für den Menschen gefährlich sein.
Also werden Pestizide an Tieren getestet, um herauszufinden in welchen Mengen sie gesundheitsgefährdend sind. In den vergangenen Jahren haben Hersteller ihre Pestizide nicht nur an Ratten, sondern immer häufiger auch an Menschen ausprobiert – zum Beispiel an Bruce Turnbull in Edinburgh, Schottland. Und das geschah ohne sein Wissen, behauptet er.
Freiwillige gesucht
Der Wachmann aus einem Supermarkt braucht einen Zuverdienst. Er stößt auf die Zeitungsannonce einer privaten Forschungsklinik, die Versuchspersonen für Medikamente sucht. Die Firma Inveresk sucht und findet bis heute Freiwillige.
„Ich rief an und wollte Genaueres wissen“, erzählt Turnbull. „Sie sagten mir, dass sie für die medizinische Forschung Tabletten testen. Ich dachte, damit kann ich Menschen helfen und es wird obendrein bezahlt.“
Inveresk zahlt viel Geld
Turnbull macht mit. Denn die Privatklinik Inveresk zahlt viel Geld: umgerechnet rund 700 Euro für ein paar Tage in der Klinik. Was Turnbull nicht klar ist: Die Klinik testet nicht nur Medikamente – sondern auch Pestizide, um herauszufinden, wann das Gift im Körper zu wirken beginnt.
Turnbull: „Ein paar Schwestern standen um mein Bett herum. Der Arzt war am Fußende. Dann wurde die Kapsel in einer Box hereingebracht. Sie machten die Box auf, notierten die Uhrzeit und steckten die Kapsel in meinen Mund. Sie öffneten meinen Mund und ich musste die Zunge heraus strecken. Sie sahen genau nach. Sie wollten sicher sein, dass ich die Kapsel wirklich geschluckt hatte.“
Pestizidhersteller Bayer
Auftraggeber der Menschenversuche ist Bayer, weltweit einer der größten Pestizidhersteller. Wir fragen detailliert nach: Wie häufig schon hat Bayer Pestizide an Menschen ausprobiert? Und wie sind diese Versuche ethisch zu rechtfertigen? Bayer lehnt ein Interview mit Frontal21 ab, antwortet lapidar in wenigen Zeilen: „Zu Ihren (…) Fragen teilen wir Ihnen mit, dass in der Vergangenheit in einigen sehr seltenen Fällen einzelne Studien von den Zulassungsbehörden angefordert wurden.“
Weiter heißt es: „Alle Tests erfolgten in Übereinstimmung mit den nationalen und internationalen Bestimmungen und Standards.“ Haben Zulassungsbehörden die Menschenversuche, so genannte Humanstudien, tatsächlich angefordert? Zumindest für Deutschland trifft das nicht zu.
Unaufgeforderte Menschenversuche
Das bestätigt Dr. Wolfgang Lingk vom Bundesinstitut für Risikobewertung: „Ich möchte ganz klar sagen: Wir selber fordern keine Humanstudien. Wir erachten sie nicht für notwendig, für einen großen Kreis der Bewertung von Chemikalien.“
Demnach hat Bayer unaufgefordert die schottischen Menschenversuche mit dem Pestizid Azinphosmethyl der deutschen Behörde auf den Tisch gelegt. Sie muss diese Humanstudien berücksichtigen – die Ergebnisse beeinflussen die Grenzwerte. Die legen fest, welche Pestizidmenge versprüht werden darf.
Tests am Menschen ersparen die Einrechnung eines Sicherheitsfaktors
Als Bayer auch in Amerika Menschenversuche einreichte, rief das, anders als in Europa, Umweltaktivisten auf den Plan. „Die einzigen, die von diesen Menschenstudien profitieren, sind die Unternehmen, die sie in Auftrag geben“, meint Richard Wiles von der Environmental Working Group. „Diese Studien sollen dafür sorgen, dass mehr Pestizide in Lebensmitteln und Wasser erlaubt wird. Es ist offensichtlich, dass die Allgemeinheit keinen Nutzen davon hat. Ebenso wenig die Testpersonen. Bei Medikamententests ist das anders, da können die Probanden oder Kranke von der Studie profitieren. Aber bei einem Pestizid – da wird Menschen absichtlich ein Gift gegeben, um zu sehen, wie viel sie vertragen können.“
Menschenversuche werden nach Recherchen von Frontal21 bei Pestizidherstellern immer beliebter. Im Auftrag von Bayer etwa wurde Versuchspersonen in Holland ein radioaktiv versetztes Insektizid auf die Haut aufgetragen. Andere Versuchspersonen inhalierten das Insektizid Cyfluthrin – es findet sich etwa in dem Insektenspray Blattanex von Bayer. Auch diese Studie stammt von der Privatklinik Inveresk und stützt sich auf Versuche mit Freiwilligen, die für die – so wörtlich – „medizinische Forschung“ geworben werden.
Lukrativer Nebenjob
Robbie Lonie ist interessiert. Im schottischen Edinburgh bewirbt sich der damalige Student um den lukrativen Nebenjob. Die Einladung aber macht ihn stutzig. Ein Pestizid, genannt Azinphosmethyl, soll getestet werden – als „drug“, Medikament also. Lonie fragt sich: Was hat ein Medikament mit einem Pestizid zu tun?
„Ich zeigte den Brief meiner Mutter, die Chemielehrerin ist“, so Lonie. „Sie erklärte mir, dass das Pestizid ein Organophoshpat ist, das sehr umstritten ist und mit einer Reihe von Krankheiten in Verbindung gebracht wird.“ Lonie fühlt sich getäuscht, macht nicht mit. Bruce Turnbull macht mit. Er versteht das nicht, glaubt weiter, dass es sich wie bei den anderen Versuchen in der Privatklinik Inveresk um ein Medikament handelt. Dass er ein Pestizid schlucken sollte, dieser Gedanke kommt ihm erst gar nicht (…).
Die Klinik soll eine eigene Ethikkommission haben. Wer die Mitglieder sind, das will uns weder Inveresk noch der Auftraggeber Bayer verraten. Für den Umweltaktivisten Wiles sind solche Ethikkommissionen generell ein Problem: „Diese Ethik-Komissionen, von denen sie sprechen, sind sehr verdächtig. Sie bestehen oft aus Angestellten der Forschungsklinik oder des Unternehmens, dass die Freiwilligen rekrutiert. Manchmal bestehen sie auch aus Mitarbeitern des Pestizidherstellers.“
Dank solcher Ethik-Kommissionen sind Menschenversuche legal. Die Versuche lohnen sich für die Pestizidhersteller. Ihr Absatz steigt mit dem Nachweis, dass Menschen mehr Insektengift vertragen können als bislang angenommen.