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[PCB] STICHWORT BAYER 01/2014

CBG Redaktion

Chemische Zeitbomben

BAYERs PCB-Altlast

Weltweit produzierten die Chemie-Multis rund 1,3 Millionen Tonnen Polychlorierte Biphenyle. Die giftigen „Alleskönner“ kamen bis zu ihrem Verbot in Elektrogeräten, Fugendichtungsmassen, Farben, Lacken und Bodenbelägen zum Einsatz. Die Entsorgung dauert Jahrzehnte und kostet Milliarden. Die Hersteller, vor allem MONSANTO und BAYER, wälzen die Kosten auf die Allgemeinheit ab. Erste Versuche, die Firmen für ihr toxisches Erbe haftbar zu machen, scheiterten.

Von Philipp Mimkes

Polychlorierte Biphenyle (PCB) gehören zu den giftigsten Hervorbringungen der Chlorchemie. Darum zählt die Substanzklasse, deren Chlorgehalt je nach Hersteller und Produkt zwischen 20 und 60 Prozent lag, auch zu dem berühmt-berüchtigen „dreckigen Dutzend“ der gesundheitsschädlichsten Gefahrstoffe. Sie können das menschliche Hormonsystem, das Nervensystem und das Immunsystem schädigen, die Schilddrüse, Leber und Nieren angreifen und zu Unfruchtbarkeit führen (Fußnote 1). Die Weltgesundheitsorganisation hat die Substanzklasse jüngst in die Liste krebserzeugender Stoffe der Kategorie 1 hochgestuft (2).
Chemisch mit Dioxinen verwandt, handelt es sich bei PCB nämlich um äußerst stabile und deshalb nur schwer abbaubare Verbindungen, die zudem eine hohe Mobilität aufweisen. Darum finden sie sich nahezu überall in der Natur – in der Tiefsee ebenso wie in der Arktis. Traurige Berühmtheit erlangten kanadische Eskimos, die unter einer PCB-Konzentration leiden, die der von Opfern großer Chemie-Unglücke vergleichbar ist – in einer Weltgegend, in der die Substanzen nie großtechnisch eingesetzt wurden. Darüber hinaus besitzen sie eine hohe Fettlöslichkeit und reichern sich daher in der Nahrungskette an.
Polychlorierte Biphenyle wurden seit 1929 großtechnisch hergestellt. Wegen ihrer speziellen elektrischen Eigenschaften und ihrer Nichtbrennbarkeit fanden sie zunächst Einsatz in Transformatoren und Kondensatoren. Darüber hinaus verwendete man PCB als Weichmacher in Fugendichtungsmassen, aber auch in Farben, Lacken, Klebstoffen und als Flammschutzmittel in Deckenplatten (3).
Weltweit produzierten die Chemie-Multis bis 1989 rund 1,3 Millionen Tonnen PCB. Rund die Hälfte stammt aus den Fabriken des US-Konzerns MONSANTO. Die deutsche BAYER AG, welche die Fertigung bereits 1930 aufgenommen hatte, liegt mit 160.000 Tonnen – rund 12 Prozent der Gesamtproduktion – auf dem zweiten Platz. Es folgen russische und französische Hersteller (4). Die wichtigsten Handelsnamen von PCB waren Aroclor (MONSANTO), Clophen und Elanol (BAYER) sowie Pyralene von der französischen Firma PRODELEC.

Später Produktions-Stopp
Das weltweit erste Verbot „offener“ Anwendungen, etwa in Dichtungsmassen, Farben und Kunststoffen, hatte die schwedische Regierung bereits 1972 verhängt. Deutschland folgte 1978. Der Einsatz in vorgeblich „geschlossenen“ Systemen wie Hydraulik-Ölen und Transformatoren blieb jedoch gestattet. Schlimmer noch: Als die USA, bis dahin der größte Anbieter, 1977 die Herstellung und Verwendung von PCB vollständig verboten, sprang die BAYER AG in die Bresche und steigerte ihre jährliche Produktion von 6.000 auf 7.500 Tonnen. Erst 1983 stellte der Leverkusener Multi als letzte westliche Firma die Herstellung ein.
Ein Verbot auch der „geschlossenen“ Anwendungen folgte in Deutschland erst 1989. Seitdem geht die PCB-Belastung zwar zurück, doch nach Angaben des Umweltbundesamts nimmt die Bevölkerung noch immer bedenkliche Mengen über die Nahrung auf. Auch die Luftbelastung ist oftmals beträchtlich; die höchsten Werte in Deutschland werden in Nordrhein-Westfalen gemessen, wo die größten Produktionsstätten lagen.
Erst durch die Stockholmer Konvention von 2001 wurde die Verwendung von PCB weltweit untersagt. Ziel des Abkommens ist eine vollständige Eliminierung aus technischen Anwendungen sowie eine umweltgerechte Entsorgung bis 2028.

Risiken verheimlicht
Schon in den späten 1930er Jahren wusste die Firma MONSANTO von den Gesundheits-Risiken. ArbeiterInnen in einer New Yorker Fabrik, die mit PCB in Berührung gekommen waren, litten an Chlorakne und Leberschäden, zum Teil mit tödlichem Ausgang (5). Der Umweltmediziner Cecil Drinker von der Harvard Universität wurde mit der Untersuchung beauftragt. Auf einer Konferenz, an der auch Vertreter von MONSANTO teilnahmen, wies Drinker 1937 erstmals auf die Gefahren hin (6). Der Vermarktung von PCB tat dies jedoch keinen Abbruch.
Dreißig Jahre später warnte der schwedische Chemiker Sören Jensen vor der Anreicherung von PCB in der Umwelt (7). Durch Zufall hatte Jensen in schwedischen Seeadlern hohe PCB-Konzentrationen entdeckt und daraufhin in weiteren Tierarten starke Belastungen nachgewiesen. Als Medien das Thema aufgriffen, reagierte MONSANTO mit einer Gegenkampagne. Ein eigens gegründetes Komitee sollte, so wörtlich, „den Vertrieb von und die Einkünfte durch Aroclor sicherstellen, ohne das Image der Firma zu beschädigen.“ Firmeninterne Papiere hielten zudem fest, dass „das Problem die gesamten USA, Kanada und Teile Europas, besonders Großbritannien und Schweden betrifft und andere Regionen Europas, Asiens und Lateinamerikas werden sicher bald folgen. Die Kontamination ist bereits in den entlegensten Regionen der Erde nachgewiesen.“
1968 beseitigte der sogenannte Yusho-Vorfall in Japan die letzten Zweifel an den gravierenden gesundheitsschädigenden Wirkungen: 1.800 Menschen nahmen infolge eines Lecks in einer Wärmetauscheranlage PCB-verseuchtes Reisöl auf. Sie wurden von der „Yusho“-Krankheit befallen, deren Symptome schwerer Hautauschlag, Verfärbung der Lippen und Nägel sowie geschwollene Gelenke waren. Ein ähnlicher Vorfall ereignete sich 1979 in Taiwan („Yucheng“). Eine Langzeitstudie zeigte, dass die Kinder von während der Schwangerschaft kontaminierten Müttern eine erhöhte Sterblichkeitsrate und schwere Geistes- und Verhaltensstörungen aufwiesen (8). Außerdem war die Leberkrebs-Rate bei den Opfern fünfzehn Mal so hoch wie bei einer Kontrollgruppe.

Endlager Mensch
Der Chemiker Roland Weber, Experte für langlebige organische Schadstoffe („Persistent Organic Pollutants“ oder POPs), weist darauf hin, dass große Teile der Weltproduktion langfristig in der Umwelt und damit auch in der Nahrungskette landen (9). So befinden sich mehr als die Hälfte der in den 1960er und 70er Jahren in Fugenmassen und Farbanstrichen verwendeten PCB bis heute in den Gebäuden. Die Ausgasungen führen zu einer permanenten Belastung der Luft – gerade in öffentlichen Gebäuden wie Kindergärten, Schulen und Universitäten. Und auch aus vorgeblich „geschlossenen“ Anwendungen landeten 30-50 Prozent der PCB auf Deponien oder gelangten direkt in die Umwelt (10).
Wegen der Stabilität von PCB und aufgrund ihrer hohen Fettlöslichkeit kommt es zu einer Anreicherung in der Nahrungskette. So können PCB aus Deponien oder über das Abwasser in Flüsse und von dort ins Meer gelangen, wo sie von Algen aufgenommen werden. Die zweite Stufe in der Nahrungskette besteht aus Kleinkrebsen, Larven und Würmern. Von diesem tierischen Plankton ernähren sich wiederum viele Fischarten. Glieder am Ende von Nahrungsketten, zum Beispiel Raubtiere, Fische oder auch der Mensch, sind daher um mehrere Potenzen höher belastet als die Umwelt. Die größten Giftmengen nimmt die Bevölkerung über Milchprodukte auf, gefolgt von Fleisch und Fisch (11). Einige fettreiche Fischarten, zum Beispiel Aale, sind so stark belastet, dass in Deutschland vom Verzehr generell abgeraten werden muss.
Selbst in scheinbar unberührter Natur reichern sich PCB an und gelangen in den Körper von Mensch und Tier. Bei einer Studie, die 140 Schafslebern aus sechs Bundesländern untersuchte, überschritten 131 den zulässigen EU-Höchstgehalt (12) für Dioxine und dioxin-ähnliche PCB. Vermutet wird daher eine deutschlandweit hohe Grundbelastung. Das „Bundesinstitut für Risikobewertung“ empfiehlt deshalb, den Verzehr von Schafsleber generell zu vermeiden.
Die Eintragspfade von PCB in Rindfleisch und der Zusammenhang mit Kontaminationen in der Umwelt wurden Anfang 2013 eigens auf einem Fachgespräch in Bonn beim Umweltministerium thematisiert (13). Auch der Bund für ökologische Landwirtschaft hat dem Thema jüngst ein Fachgespräch gewidmet (14).
Beim Menschen werden PCB besonders im Fettgewebe und in der Muttermilch nachgewiesen. Bei gestillten Säuglingen kann die Aufnahme um den Faktor 50 bis 100 über der von Erwachsenen liegen (15). ToxikologInnen fanden Hinweise darauf, dass insbesondere die Belastung im Mutterleib neurologische Schäden verursachen kann, die zu Aufmerksamkeitsdefizit-Syndromen (ADS) und unterdurchschnittlichen Intelligenz-Quotienten führen (16). Umwelt-MedizinerInnen bezeichnen jedes 20. Kind als hoch belastet. Zwar ging die PCB-Konzentration in der Muttermilch in den vergangenen 20 Jahren um etwa 75 Prozent zurück, dennoch wird es wohl noch mehr als 100 Jahre dauern, bis die Aufnahme von Dioxin und PCB durch die Muttermilch unter der von der Weltgesundheitsorganisation maximal tolerierten Tagesdosis (TDI-Wert) liegt (17).

Toxisches Erbe
Rund drei Millionen Tonnen PCB-kontaminiertes Öl und PCB-belastete Geräte haben sich allein in den Ländern angesammelt, die 2001 die Stockholmer Konvention unterzeichnet hatten. Die Kosten für Verpackung, Transport und Zerstörung betragen pro Tonne zwischen 2.000 und 5.000 Dollar, was Ausgaben von bis zu 15 Milliarden Dollar bedeutet.
Nicht nur die Entsorgung von PCB-Ölen verursacht jedoch Kosten. So wurden allein in Deutschland rund 20.000 Tonnen PCB in Fugendichtungen verbaut, vor allem in öffentlichen Einrichtungen. Meist handelt es sich um Gebäude, die zwischen 1960 und 1975 errichtet wurden. Allein 10.000 Schulen, also fast jede vierte, gelten als kontaminiert. Genaue Zahlen liegen nicht vor, da bislang keine Inventarisierungs- und Beseitigungspflicht besteht.
Die Sanierungsdringlichkeit wird in Deutschland anhand der PCB-Konzentration in der Raumluft beurteilt. Raumluftmessungen schreibt der Gesetzgeber nicht vor, in zahlreichen öffentlichen Gebäuden erfolgten sie jedoch bereits. Die deutsche PCB-Richtlinie von 1994 erklärt den Aufenthalt in Gebäuden für tolerabel, wenn die Luftkonzentration unter einem Wert von 3 millionstel Gramm pro Kubikmeter (3 µg PCB/m3) liegt. Dieser Wert ist jedoch überholt: Er berechnet sich aus dem 1983 vom damaligen Bundesgesundheitsamt festgelegten Grenzwert von einem Millionstel Gramm PCB pro kg Körpergewicht und Tag. Aufgrund neuer toxikologischer Erkenntnisse hat die WHO jedoch 2003 einen fünfzigmal niedrigeren Richtwert festgelegt (18), ohne dass die deutsche PCB-Richtlinie entsprechend angepasst wurde.
Eine Untersuchung des Umweltbundesamtes zeigt, dass selbst die bestehenden schwachen Limits häufig überschritten werden (19). In einigen Fällen waren LehrerInnen und SchülerInnen einer Giftkonzentration ausgesetzt, bei der Fabrikarbeiter Schutzanzüge und Atemschutz tragen müssten. Manche Gebäude sind so hoch mit PCB belastet, dass sie nicht saniert werden können. Aufsehen erregte zum Beispiel der Abriss der Nürnberger Georg-Ledebour-Schule, der allein fünf Millionen Euro kostete (hinzu kamen knapp 30 Mio. für den Neubau). An der Ruhr-Universität Bochum fiel im September 2013 die Entscheidung, zwei ingenieurwissenschaftliche Gebäude aufgrund der PCB-Belastung abzureißen und neu zu errichten. Allein für dieses Projekt fallen laut Presseberichten Kosten in dreistelliger Millionenhöhe an (20).

Die Allgemeinheit zahlt
Eine Pflicht, Gebäude auf PCB zu untersuchen, gibt es bislang nicht. PCB-Messungen finden häufig erst dann statt, wenn sich Gesundheitsbeschwerden und Todesfälle häufen. Meist kommt es dabei zu großen Zeitverzögerungen: Geschädigte warnen, Selbsthilfegruppen oder Elterninitiativen fordern Sanierungen und eine Absenkung der Grenzwerte, während Gutachter die Belastung herunterrechnen, Entwarnung geben und zum Putzen und Lüften auffordern. Allenfalls nach jahrelangen Diskussionen erfolgt dann eine Sanierung.
Ein erster Schritt zur Vermeidung weiterer gesundheitlicher Schäden wäre eine Aufstellung einer Liste mit allen belasteten Gebäuden sowie Vorschriften zum Umgang mit PCB-haltiger Bausubstanz. Schweden, das ein derartiges Kataster aufgebaut hat, könnte hierfür als Vorbild dienen. Klar ist jedoch: Allein in Deutschland gehen die Entsorgungskosten in die Milliarden. Und so oder so gibt es keine risikolose Beseitigung. Die meist verwendete Technologie zur Zerstörung von PCB ist die Verbrennung in Sondermüllverbrennungsanlagen. Und damit gelangen sie zurück zum Urheber: die Firma BAYER betreibt solche Öfen und verdient auf diese Weise gleich doppelt an seinen gesundheitsgefährdenden Produkten. Die hochgiftigen Filterstäube führen jedoch zu einem neuen Entsorgungsproblem. Zudem können sich bei unsachgemäßen Verbrennungen von PCB, zum Beispiel in Hausmüllverbrennungsanlagen, die noch gefährlicheren Dioxine bilden.
Des Weiteren existieren in Deutschland mehrere Untertagedeponien, in denen tausende Tonnen kontaminierter Transformatoren und Kondensatoren lagern. Wegen ihrer hohen Persistenz muss über Jahrhunderte sichergestellt werden, dass die Chemikalien nicht austreten. PCB-haltiger Bauschutt landet meist auf Deponien, wird aber auch im Straßenbau eingesetzt und landet dadurch zu großen Teilen in der Umwelt. Schätzungen zufolge ist rund die Hälfte der hergestellten PCB letztlich in Wasser, Boden oder Luft emittiert.
Auch die Kosten der Kontamination von Lebensmitteln mit PCB beziehungsweise aus PCB entstandenen Dioxinen werden auf die Allgemeinheit abgewälzt. Allein der durch den Eintrag von 25 Litern PCB in Futterfett verursachte PCB/Dioxin-Lebensmittelskandal in Belgien verursachte eine Milliarde Euro an direkten und drei Milliarden Euro an indirekten Kosten (21). Die irische PCB/Dioxin-Schweinefleischkrise wurde ebenfalls durch den Einsatz von PCB-kontaminierten Ölen bei der Futtermittel-Trocknung verursacht und kostete die staatlichen Stellen etwa 100 Millionen Euro (22).

Industrie-Haftung gefordert
Jüngst beschäftigte sich eine Fachtagung des Deutschen Naturschutzrings mit den Lehren aus dem PCB-Desaster (23). Jochen Flasbarth, Präsident des Umweltbundesamtes, kritisierte insbesondere die Rolle der Hersteller: „Die Industrie hat Informationen, dass PCB beim Menschen und der Umwelt zu Schäden führen können, weitgehend unter Verschluss gehalten und ignoriert. Das „PCB-Vermächtnis“, dem wir heute gegenüberstehen, hätte uns vielleicht erspart bleiben können.“ Flasbarth greift auch die einst von der Industrie propagierte Differenzierung in offene und geschlossene Systeme an: „Es hilft nichts, sich bei der Regulierung auf offene Verwendungen zu beschränken. Die Industrie rechnete bei geschlossenen Verwendungen, zum Beispiel in Transformatoren, oft mit einer Null-Exposition. Doch spätestens die Entsorgung derartiger technischer Geräte oder auch des kontaminierten Bauschutts stellt uns vor fast unlösbare Probleme.“
Uwe Lahl, Chemie-Professor an der Technischen Universität Darmstadt, stellte in der Konferenz fest: „Selbst ein Land wie Deutschland – mit strenger Gesetzgebung, ausgefeilter Abfallwirtschaft, guter Analytik und funktionierendem Vollzug – kann problematische Chemikalien wie etwa PCB auch nach 30 Jahren nicht angemessen handhaben. Wie sollen das dann Entwicklungsländer schaffen?“ Zur Vermeidung künftiger Umweltdesaster fordert Lahl eine Umkehrung der Beweislast: „Chemikalien, die im Verdacht stehen, gesundheitsschädlich zu wirken, müssen verboten werden. Es sei denn, die Industrie kann diesen Verdacht nachweislich entkräften.“
Der Präsident des Deutschen Naturschutzrings, Hartmut Vogtmann, mahnte eine kompromisslose Anwendung des Verursacherprinzips an. Die Industrie, die maßgeblich für die hohe Belastung mit PCB verantwortlich sei und die von dem jahrzehntelangen Verkauf profitierte, müsse für die Folgekosten aufkommen. Steigende Gesundheitskosten und Aufwendungen für die Beseitigung von Altlasten sollten nicht die SteuerzahlerInnen zu tragen haben.
Diese Position deckt sich mit derjenigen der langjährigen Kampagne der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG). Jan Pehrke vom CBG-Vorstand: „Produkte von BAYER sind für einen Großteil der PCB-Belastung in Deutschland verantwortlich. Das Unternehmen hat mit den Stoffen Milliarden umgesetzt und muss nun für seine toxische Hinterlassenschaft haftbar gemacht werden!“. Vertreter der CBG hatten erstmals 1983 in der Hauptversammlung der BAYER AG eine Sanierung von PCB-Altlasten auf Kosten des Konzerns gefordert. Bei Boden-Messungen in Deutschland wird meist das von BAYER produzierte Clophen A50/A60 gefunden.

Gift im Hafen
Ein Beispiel für die bislang gescheiterten Versuche, die Hersteller für ihre giftige Hinterlassenschaft haftbar zu machen, ist die Reinigung des Hafenbeckens von Oslo.
Große Teile der norwegischen Küste sind mit PCB verseucht, vor allem durch Rückstände von Schiffsfarben. In Teilen Norwegens musste daher der Verzehr von Meeresfrüchten verboten werden. Chemische Nachweisverfahren zeigen, dass rund die Hälfte der in norwegischen Gewässern gefundenen Gefahrstoffe aus der Produktion von BAYER stammt (24).
Eine Sanierung des 100 km langen Oslo-Fjords, der am stärksten betroffen ist, würde Milliarden kosten. In einem ersten Schritt wurde von 2006 bis 2011 der Hafen der Hauptstadt Oslo gereinigt. Über Jahre hinweg versuchte die Kommune, BAYER und zwei weiteren Produzenten zu einer Beteiligung an den Kosten zu bewegen (25). Von den Ausgaben in Höhe von rund 26 Millionen Euro sollten die Produzenten 7 Millionen tragen, BAYER entsprechend des Marktanteils rund 3,5 Millionen.
Tom Erik Økland vom Umweltverband Norges Naturvernforbund reiste im Jahr 2002 eigens zur BAYER-Hauptversammlung nach Köln und richtete sich dort direkt an den Vorstand: „Die Kontaminierung weiter Teile der norwegischen Küste und die Vergiftung hunderter Werftarbeiter hätten verhindert werden können, wenn BAYER rechtzeitig vor den Risiken von PCB gewarnt hätte.“ Der damalige Vorstandsvorsitzende Werner Wenning bestritt jedoch jegliche Verantwortung und lehnte eine Kostenbeteiligung ab.
Mehr als die Zahlung an sich fürchtete der Konzern einen Präzedenzfall. Dieser sollte unbedingt verhindert werden, weswegen das Unternehmen eine große Schar von AnwältInnen und LobbyistInnen nach Norwegen entsandte. Selbst vor persönlichen Einschüchterungen schreckte BAYER nicht zurück. Schließlich knickte der von der Hafenbehörde engagierte Anwalt ein, die Stadt verzichtete auf ein Klageverfahren. Obwohl BAYER eindeutig als PCB-Lieferant für die belasteten Schiffsfarben feststand, scheiterte somit der Versuch, die Verursacher haftbar zu machen. Einmal mehr wurden die Gewinne über sechs Jahrzehnte hinweg privatisiert, die Folgeschäden trägt die Allgemeinheit.

Fußnoten:
1 Polychlorinated Biphenyls: Human Health Aspects; www.inchem.org/documents/cicads/cicads/cicad55.htm
2 Lauby-Secretan B et al: “Carcinogenicity of polychlorinated biphenyls and polybrominated biphenyls”, Lancet Oncol. (2013)
3 Klaus Goßler, Thomas Höhlein: „Recherche über das Vorkommen von polychlorierten Biphenylen in Baumaterialien“, Landesgewerbeanstalt Bayern (1991)
4 Knut Breivik: “Towards a global historical emission inventory for selected PCB congeners — A mass balance approach”, Science of the Total Environment, (2007)
5 European Environmental Agency: “Late lessons from early warnings: the precautionary principle 1896-2000” (2002)
6 Drinker, C. K.: ”The problem of possible systemic effects from certain chlorinated hydrocarbons”, Journal of Industrial Hygiene and Toxicology, Vol. 19 (1937)
7 Jensen, S., Johnels, A. G., Olsson, M. and Otterlind, G.: “DDT and PCB in marine animals from Swedish waters’, Nature Vol. 224 (1969)
8 Hsu CC et al: “Behavioral development of Yucheng children as compared to their matched controls”, Organohalogen Compounds 14 (1993) und Yoshimura, T.: “Yusho in Japan”, Industrial health, 41 (2003)
9 Roland Weber: PCB, Dioxin & Co – von der Quelle bis in den Mensch (www.dnr.de/downloads/vortrag-dr.-roland-weber–pcb-dioxin-und-co—.pdf)
10 Detzel A. et al. (1998) „Ermittlung von Emissionen und Minderungsmaßnahmen für persistente organische Schadstoffe in der Bundesrepublik Deutschland“, UBA-Texte 74/98
11 Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, und Reaktorsicherheit: „Umweltschutz – Standbein der Lebensmittelsicherheit – Dioxin- und PCB-Einträge vermeiden“ (2013)
12 Basler A: „Evaluierung des Forschungsbedarfs zur Ursachenaufklärung der Kontamination bestimmter Lebensmittel mit Dioxinen und PCB“, Umweltbundesamt UFOPLAN (2009) http:www.dioxindb.de/dokumente/Endbericht-16-10-09.pdf
13 UBA. Eintragspfade von PCB in Rindfleisch. http:
www.umweltbundesamt.de/service/termine/eintragspfade-von-pcb-in-rindfleisch
14 BÖLW-Fachgespräch „Vermeidung von PCB- und Dioxin-Einträgen in tierischen Lebensmitteln“ http:www.boelw.de/dioxin2013.html
15 Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR): „Vorgeschlagene EU-Höchstgehalte für nicht dioxin-ähnliche polychlorierte Biphenyle sind noch immer zu hoch“ (2008)
16 Gerhard Winneke, Jens Walkowiak: „Polychlorierte Biphenyle und geschlechtsgebundene kognitive Funktionen bei Kindern im Einschulalter“ (2002) und Sagiv, S. K., et al: „Neuropsychological measures of attention and impulse control among 8-year-old children exposed prenatally to organochlorines“, Environmental health perspectives (2012)
17 Die WHO empfiehlt wegen der Vorteile des Stillens dennoch eine 6-monatige Stillzeit
18 http:
www.who.int/ipcs/publications/cicad/en/cicad55.pdf
19 Dr. Hansjörg Kieper ,Hans-Joachim Hemminghaus: „Untersuchungen zur PCB-Belastung der Luft in Innenräumen unter Einschluss der Verbindungen, für die toxisch besonders bedeutsame TEQ-Werte ermittelt worden sind“, UBA Forschungsbericht (2005)
20 WAZ vom 1.10.2013: „Uni Bochum reißt Gebäude ab und baut sie formgleich wieder auf“
21 Fiedler H, Hutzinger O et al: “Evaluation of the Occurrence of PCDD/PCDF and POPs in Wastes and Their Potential to Enter the Foodchain”, Study on behalf of the European Commission (2000)
http:ec.europa.eu/environment/dioxin/pdf/001_ubt_final.pdf
22 http:
en.wikipedia.org/wiki/2008_Irish_pork_crisis
23 Seminar „30 Jahre PCB – Management – was ist (noch) zu tun?“ am 20. August 2013 in Berlin
24 Per-Erik Schulze und Tom Erik Økland: „Gift im Hafen, Gift im Fisch, Gift im Menschen“ waterkant 1/2003
25 Bayer, Solutia, Kanegafuchi Asked to Pay for Oslo PCB Cleanup, Chemical Week, March 28, 2001