BAYER verklagt Generika-Hersteller
Patente kontra Patientenwohl
Der BAYER-Konzern will vor indischen Gerichten die Zulassung eines preiswerten Krebsmedikaments verhindern. Gesundheitsinitiativen befürchten einen Präzedenzfall, durch den die Zulassung von Generika generell behindert wird, und fordern die Einstellung des Verfahrens. Indien ist in weiten Teilen der Welt wichtigster Lieferant billiger Pharmazeutika. Im Fall einer eingeschränkten Versorgung mit bezahlbaren Medikamenten droht der Tod Tausender Patienten.
von Philipp Mimkes
Es war im Jahr 2001 als 42 Pharma-Multis ihre Klage gegen die südafrikanische Regierung fallen ließen. Die Konzerne, darunter die Leverkusener BAYER AG, hatten verhindern wollen, dass Südafrika preiswerte AIDS-Medikamente aus Indien importiert. Südafrika berief sich dabei auf Ausnahmebedingungen des internationalen Patentrechts: im Fall eines nationalen Notstands, der angesichts von Millionen von Infizierten zweifellos gegeben war, können Patentrechte außer Kraft gesetzt und billige Generika produziert werden.
Die Firmen hatten erst nach internationalen Protestaktionen, unter anderem vor den Toren der BAYER-Werke, eingelenkt. Der Erfolg gibt Südafrika Recht: die anti-retrovirale HIV-Therapie mit generischen Präparaten kostet mittlerweile nur noch 90 US-Dollar pro Jahr und Patient – statt ursprünglich $12.000 für eine Behandlung mit Markenmedikamenten – und ist für weite Teile der Bevölkerung erschwinglich geworden. Brasilien, Thailand und andere Schwellenländer legten ähnliche Programme auf.
Die Auseinandersetzung lenkte den Blick darauf, dass die Behandlung von Millionen Patienten in aller Welt nicht an der Verfügbarkeit von Medikamenten scheitert, sondern an hohen Preisen. Aufgrund langjähriger Patente können die Hersteller von Markenpräparaten wahre Phantasiepreise verlangen. Die Rechtfertigung der Konzerne, nur mit hohen Preisen ließe sich Pharma-Forschung finanzieren, geht dabei an der Realität vorbei: mehr als doppelt so viel wie für die Entwicklung neuer Präparate geben die Firmen für das Marketing aus. Und noch immer stammt ein Großteil unentbehrlicher Medikamente aus öffentlich finanzierter Forschung.
Die Argumentation von PFIZER, BAYER und Co. unterschlägt zudem, dass Pharma-Patente auch in den Industriestaaten bis in die 70er Jahre nur bedingt anerkannt wurden. Generell war bis dahin Konsens, dass die Gesundheitsvorsorge Vorrang haben muss gegenüber den Interessen der Hersteller. Nach Meinung der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN müssen ärmere Länder daher das Recht haben, den Medikamenten-Markt zu regulieren, um die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen.
internationale Kampagne
Eine Nummer kleiner als das Verfahren in Südafrika – aber dennoch mit internationalen Implikationen – ist die Klage, die gegenwärtig vor dem High Court in Neu Delhi verhandelt wird. BAYER hatte kurz vor Weihnachten die indische Zulassungsstelle für Pharmazeutika Drugs Controller General of India (DCGI) verklagt, da diese dem indischen Unternehmen CIPLA eine Zulassung für das patentgeschützte Krebsmedikament Nexavar erteilt hatte. Die DCGI kann Zulassungen für generische Pharmazeutika erteilen, auch wenn für die Original-Präparate noch Patentschutz besteht. Hierdurch soll erreicht werden, dass nach Auslaufen eines Patents oder im Fall eines Notstands ohne Verzögerung preiswerte Nachahmer-Produkte auf den Markt kommen.
Die Zulassung der DCGI beinhaltet keine automatische Verkaufs-Genehmigung. Nach Ansicht von Gesundheitsexperten stellt die Vorab-Zulassung von Generika daher keine Verletzung von Patentrechten dar; ein zu früher Verkauf von Generika kann gerichtlich unterbunden werden. Dennoch fordert BAYER, im Falle eines existierenden Patents grundsätzlich keine Zulassung für Nachahmer-Produkte zu erteilen. Gesundheitsgruppen aus aller Welt, darunter das Netzwerk HEALTH ACTION INTERNATIONAL, die Ärzte-Organisation IPPNW, die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN, die BUKO PHARMA-KAMPAGNE und MEDICO INTERNATIONAL befürchten, dass der Prozess die Zulassungspraxis von Generika in Indien gefährdet. Indien produziert etwa 70 Prozent aller weltweit eingesetzten Generika.
In einem gemeinsamen Aufruf fordern die Initiativen den Konzern auf, die Klage zurückzuziehen. Amit Sen Gupta vom indischen PEOPLES HEALTH MOVEMENT: „BAYER will offenbar nicht nur die eigenen Patentrechte ausweiten, sondern einen Präzedenzfall schaffen. Die Forderungen des Unternehmens gehen sogar über die im internationalen TRIPS-Abkommen festgelegten Patentregeln hinaus. Ein Erfolg der Klage würde den Einsatz lebensrettender Generika generell verzögern. Dies hätte schwerwiegende Konsequenzen für den Zugang zu preiswerten Medikamenten – nicht nur für indische Patienten, sondern für arme Menschen in weiten Teilen der Welt.“ Bernd Eichner von MEDICO INTERNATIONAL ergänzt: „Im Fall lebensrettender Medikamente kann bereits eine Verzögerung der Zulassung von preiswerten Generika um einige Monate Hunderte oder Tausende Menschenleben kosten, weil patentierte Medikamente für weite Teile der Bevölkerung nicht erschwinglich sind.“
BAYER wird nervös
In den meisten Ländern der Welt, so auch in Deutschland, werden Patentfragen bei der Erteilung von Pharma-Zulassungen nicht betrachtet. Hierfür sind in der Regel Patentämter zuständig. Sowohl das indische Gesetz wie auch das TRIPS-Abkommen zum Schutz des geistigen Eigentums sehen Zulassungen von Generika noch vor Ablauf eines Patents vor. Hiermit soll erreicht werden, dass nach Ablauf oder im Fall der Aberkennung eines Patents sofort Generika auf den Markt kommen können und diese nicht erst einen zeitaufwendigen Zulassungsprozess durchlaufen müssen. Auch klinische Studien von Generika-Herstellern sollen hierdurch ermöglicht werden.
Als Mitglied der Welthandelsorganisation WTO war Indien gezwungen, bis zum Jahr 2005 das TRIPS-Abkommen umzusetzen. Das indische Parlament hatte dabei aber mehrere Mechanismen zum Schutz der Gesundheitsvorsorge beschlossen. Dem vorangegangen waren Forderungen insbesondere aus Entwicklungsländern, die Produktion indischer Generika nicht zu gefährden. Hierzu Vandana Shiva, Trägerin des Alternativen Nobelpreises: „Konzerne privatisieren die Lebens- und Existenzgrundlagen der Menschen und machen sie zum Eigentum der Unternehmen. Meine Tätigkeit ist darauf ausgerichtet, dass Lebensgrundlagen nicht privatisiert werden, dass Bauern das Recht auf Reproduktion von Saatgut haben, dass wir pharmazeutische Produkte selbst herstellen können. Denn unsere eigenen Medikamente kosten hundertmal weniger als die der großen internationalen Unternehmen.“
In einer ersten Anhörung in Neu Delhi konnte BAYER durchsetzen, dass der Zulassungsantrag von CIPLA vorerst auf Eis liegt. Gleichwohl zeigen sich die Verantwortlichen im Konzern durch die internationale Kampagne, die von Nachrichtenagenturen und Tageszeitungen aufgegriffen wurde, verunsichert: Briefe von Mitgliedern der COORDINATION wurden zunächst entgegenkommend beantwortet („Den Zugang zu innovativen Arzneimitteln, den Sie ansprachen, auch in ärmeren Regionen der Welt mit zu ermöglichen, ist sicherlich eine der größten politischen und sozialen Herausforderungen unserer Zeit“). Nur wenige Tage später wird die Diskussion jedoch für beendet erklärt: „Ich werde Ihre Anmerkungen an unsere Rechtsabteilung weiterleiten. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich darüber hinaus zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr dazu sagen kann“, heißt es in einer Stellungnahme von BAYER-Sprecherin Anna Koch.