Die Ampel verteilt Geschenke
Die Normalbevölkerung muss wegen der durch den Ukraine-Krieg gestiegenen Inflation Reallohn-Verluste hinnehmen. Das schert die Ampel-Koalition jedoch wenig. Stattdessen schnürt sie Hilfspakete für die Konzerne.
Von Jan Pehrke
„Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche“, mit diesem Satz warb Kaiser Wilhelm II. in seiner Reichstagsansprache kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges um Geschlossenheit. Im zweiten Jahr des Ukraine-Krieges stellte sich Bundeskanzler Olaf Scholz in diese Tradition und bot dem Bundestag einen Deutschland-Pakt an. „Wir brauchen eine nationale Kraftanstrengung. Also lassen Sie uns unsere Kräfte bündeln“, forderte er die Abgeordneten am 6. September 2023 auf. „Nur gemeinsam werden wir den Mehltau aus Bürokratismus, Risiko-Scheu und Verzagtheit abschütteln, der sich über Jahre, Jahrzehnte hinweg über unsere Land gelegt hat“, erklärte Scholz.
Die konkreten Maßnahmen der Ampel-Regierung, für die er um allgemeine Zu-stimmung warb wie etwa das Wachstumschancen-Gesetz und die Initiative für Planungsbeschleunigung, lassen das Projekt allerdings eher als Pakt für die Konzerne erscheinen. So stellt das Wachstumschancen-Gesetz – Christian Lindners Unternehmenssteuer„reform“ – BAYER & Co. Steuer-Geschenke in einer Gesamthöhe von rund sieben Milliarden Euro in Aussicht. Über 50 Maßnahmen umfasst das Paragrafen-Werk „zur Stärkung von Wachstumschancen, Investitionen und Innovationen sowie Steuer-Vereinfachung und Steuer-Fairness“.
Unter anderem weitet es die Möglichkeiten zum Verlustrücktrag und zu Abschreibungen aus, welche die Große Koalition schon 2020 mit ihrem Corona-Hilfspaket großzügiger gestaltet hatte. Nun erlaubt der Gesetzgeber statt der linearen auch die degressive Abschreibung von Ausrüstungsgütern, was den Unternehmen bis zu zwei Milliarden Euro bringt. Auch die damals bereits ausgebaute fiskalische Forschungsförderung stärkt Lindner noch einmal. Er gestattet den Firmen, bis zu zwölf Millionen Euro an Aufwendungen abzusetzen. Sogar Lohnkosten und Pilotanlagen fallen darunter. Zudem honoriert der Staat künftig Investitionen im Bereich „Klimaschutz“ mit einer Prämie von bis zu 30 Millionen Euro. „Wir stärken die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland und leisten einen wichtigen Beitrag, unseren Wohlstand zu sichern und zu steigern“, erklärte der Finanzminister bei der Vorstellung des Entwurfs. Auf das, was der Lindner-Berater Lars P. Feld von der Universität Freiburg „angebotsorientierte Finanzpolitik“ nennt, reagierte der Deutsche Städtetag panisch. Er warnte vor „massiven Steuerausfällen“ und hielt fest: „Es darf keine Einschnitte bei der Gewerbesteuer geben, denn die Städte brauchen sie, um gute Dienstleistungen und eine gute Infrastruktur für die Bürgerinnen und Bürger und die Wirtschaft vor Ort finanzieren zu können.“ Nicht zuletzt deshalb haben die Bundesländer bereits mit einer Blockade im Bundesrat gedroht.
Lindners Kabinett-Kollege Karl Lauterbach (SPD) plant derweil, den Pharma-Standort Deutschland zu stärken. „Mit BAYER hat er deshalb eine Gesetzesinitiative abgesprochen“, meldete der Kölner Stadtanzeiger. Der Gesundheitsminister erklärte gegenüber der Zeitung freimütig, bei der Arbeit an dem Projekt im engen Austausch mit Stefan Oelrich, dem Pharma-Vorstand des Leverkusener Multis, gestanden zu haben. Oelrich hatte Anfang des Jahres deutliche Kritik an den hiesigen Rahmenbedingungen für Pillen-Riesen geübt und in einem Handelsblatt-Interview bekundet: „Wir verlagern unseren kommerziellen Fußabdruck und die Ressourcen für unseren kommerziellen Fußabdruck deutlich weg von Europa.“ Jetzt will der Sozialdemokrat den Manager mit vereinfachten Genehmigungsverfahren für Arznei-Fertigungsstätten, Erleichterungen bei der Gewinnung von ProbandInnen für Klinische Studien sowie mit einem besseren Zugang zu PatientInnen-Daten für Forschungsvorhaben besänftigen.
In Sachen „Industrie-Strompreis“ hat die Ampel-Koalition hingegen noch keine Entscheidung getroffen. Vor allem Bundeskanzler Olaf Scholz sperrt sich gegen eine solche Subvention. Die großen Unternehmen fordern diese von der Politik jedoch vehement ein und warnen bei Zuwiderhandlungen vor einer Deindu-strialisierung Deutschlands. Dabei ist das Lamento über angeblich zu hohe Energie-Kosten uralt und hält zudem einer genaueren Überprüfung nicht stand. Nach Angaben der Statistik-Behörde Eurostat und der „Internationalen Energie-Agentur“ liegen die deutschen Konzerne mit ihren finanziellen Belastungen nämlich im europäischen Mittelfeld. Zudem profitieren die energie-intensiven Betriebe schon von zahlreichen Vergünstigungen wie Befreiungen von der Strom-Steuer, einer „Strompreis-Kompensation“ und kostenlosen CO2-Verschmutzungszertifikaten.
Der Leverkusener Multi selbst hat seinen Energie-Bedarf seit der Trennung von der Kunststoff-Sparte reduzieren können. Als der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) der Branche bei einem Besuch des BAYER-Standorts Monheim seinen Beistand anbot und konstatierte „Die Industrie benötigt Planungssicherheit. Eine Senkung der Stromsteuer reicht nicht für die Großindustrie“, hörte der Vorstandsvorsitzende Bill Anderson das trotzdem gern. Die Unternehmen bräuchten Klarheit, so der US-Amerikaner.
Diese Klarheit hätte ihren Preis: Der vom grünen Wirtschaftsministerium erdachte Industrie-Strompreis kostet rund 30 Milliarden Euro. Eine Entscheidung über die Art der Unterstützung stand bis zum SWB-Redaktionsschluss noch aus. Aber mit irgendetwas auf dem Gebiet dürfen die Unternehmen auf jeden Fall rechnen. „Die Bundesregierung arbeitet an einer konsistenten und belastbaren Strategie für die zukünftige Energieversorgung in Deutschland, auch für bezahlbare Strompreise, gerade auch für Wirtschaft und Industrie“, heißt es in der Ampel-Initiative „10 Punkte für den Wirtschaftsstandort Deutschland – Zukunftsinitiativen fördern, Finanzierung erleichtern, Verfahren beschleunigen“.
Die Ampel-Regierung gewährt all diese Vergünstigungen trotz eines Sparhaushaltes, der gegenüber dem Vorjahr Minderausgaben von rund 30 Milliarden Euro vorsieht. Aber trotzdem ist das Ganze solide gegenfinanziert: durch Sozialkürzungen. So gibt es statt der von Bundesfamilienministerin Lisa Paus geforderten zwölf Milliarden Euro nur zwei Milliarden für die Kindergrundsicherung. Ihr Veto gegen das Wachstumschancen-Gesetz scheiterte. Der Paritätische Wohlfahrtsverband beziffert die Gewerbesteuer-Mindereinnahmen der Kommunen durch Lindners Paragrafen-Werk auf rund 1,9 Milliarden Euro in den kommenden Jahren und nennt das eine „massive Gefährdung der sozialen Infrastruktur vor Ort“. Zudem kritisiert die Organisation die Einsparungen zulasten der Freiwilligendienste, der psychosozialen Versorgung Geflüchteter und der Programme zur Unterstützung Arbeitssuchender. Auch die Zuschüsse für die Renten- und Pflegekasse sinken, und diejenigen für AOK, DAK & Co. friert die Bundesregierung auf dem jetzigen Niveau ein. Ein Übriges tut dann die Europäische Zentralbank mit ihrer Zins-Politik. So versicherte EZB-Sprecher Pierre Wunsch im April in der Financial Times, dass die Zentralbank „die Zinssätze weiter anheben würde, bis das Lohnwachstum sich verlangsamt“. Schöne Aussichten also. ⎜