CBG vs. BAYER & Uni Köln
Forschung bleibt geheim
In einem Berufungsverfahren wies das Oberlandesgericht Münster die Klage der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN auf Einsichtnahme in den Forschungsvertrag ab, den BAYER mit der Universität Köln abgeschlossen hatte.
Von Jan Pehrke
In den Labors der Pillen-Riesen herrscht schon seit einiger Zeit kein Hochbetrieb mehr. Grundlagen-Forschung findet dort gar nicht mehr statt, und auch die Arbeit an neuen Medikamenten fahren die Konzerne zurück. Die Unternehmen scheuen die Investitionen. Lieber kaufen die Konzerne sich vielsprechende Projekte ein und entwickeln sie weiter oder setzen auf die Zusammenarbeit mit Universitäten oder wissenschaftlichen Einrichtungen. Auf über 800 solcher Partnerschaften, 326 allein im Pharma-Bereich, kann BAYER verweisen. Im Jahr 2008 vereinbarte die Aktien-Gesellschaft etwa eine Kooperation mit der Universität Köln. Der damalige NRW-Forschungsminister Andreas Pinkwart bezeichnete diese jubilierend als „die weitreichenste, die eine nordrhein-westfälische Universitätsklinik bislang eingegangen ist“.
Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) reagierte alarmiert. Was hatten der Leverkusener Multi und die Hochschule da genau ausgehandelt? Müssen sich die Kölner MedizinerInnen jetzt ökonomischen Vorgaben beugen und nach besonders profitträchtigen Arzneien forschen? Haben die WissenschaftlerInnen das Recht, die Forschungsergebnisse in jedem Falle zu publizieren? Wer kann die Neuentwicklungen schließlich als sein geistiges Eigentum verbuchen? Bei wem liegen die Verwertungsrechte? – solche Fragen stellte sich die CBG. Aber Antworten erhielt sie darauf nicht. Die Universität und der Pillen-Riese hatten sich darauf verständigt, das Thema „topsecret“ zu halten. Deshalb lehnte die Hochschule das Auskunftsbegehr mit Verweis auf das Betriebsgeheimnis ab. Die Coordination suchte sich daraufhin Verbündete und wandte sich unter Berufung auf das nordrhein-westfälische Informationsfreiheitsgesetz (IFG) noch einmal gemeinsam mit TRANSPARENCY INTERNATIONAL, dem ÄrztInnen-Verband IPPNW, MEDICO INTERNATIONAL, dem BUND DEMOKRATISCHER WISSENSCHAFTLERINNEN UND WISSENSCHAFTLER, der BUKO PHARMAKAMPAGNE und dem Kölner AStA an die Hochschule, um sie um eine Offenlegung des Vertrages zu ersuchen. Vergebens. Nicht einmal das Votum des NRW-Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit, der eine Veröffentlichung empfahl, weil die Rahmen-Vereinbarung für ihn weder Betriebs- noch Forschungsgeheimnisse, vielmehr „im Wesentlichen organisatorische Regelungen“ enthielt, vermochte die Universitätsleitung umzustimmen.
So blieb der CBG nur der Klage-Weg. Bei der Verhandlung vor der 13. Kammer des Kölner Verwaltungsgerichts am 6. Dezember 2012 folgte der Vorsitzende Richter, Hans-Martin Niemeier, jedoch von Beginn an der Argumentation von BAYER und Universität. Er schlug den Vertrag dem Bereich „Forschung und Lehre“ zu, den das nordrhein-westfälische Informationsfreiheitsgesetz vom Transparenz-Gebot ausnimmt und betonte mit Berufung auf das Hochschul-Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1973 das hohe Gut der Wissenschaftsfreiheit, hinter dem andere Ansprüche zurückzutreten hätten. Niemeier argumentierte dabei ohne echte Grundlage: Er hatte das Kooperationsabkommen gar nicht gelesen. Hätte das Gericht Einblick genommen, so wäre das Dokument nämlich zu den Akten gekommen – und damit auch zur CBG. Und das wollte der Richter verhindern. Sein Verweis auf das Hochschul-Urteil von anno dazumal verfing ebenfalls nicht, wog dieses doch die Wissenschaftsfreiheit keinesfalls gegen gegen Offenlegungspflichten ab, sondern gegen Mitbestimmungsrechte der Studierenden. Mit seiner Entscheidung schützte das BVG damals die ProfessorInnen vor den „Zumutungen“ einer demokratischen Universität, was viel Unmut hervorrief. Zwei RichterInnen gaben ein Minderheitsvotum ab und kritisierten, durch das Urteil würde die Wissenschaftsfreiheit „sinnwidrig in ein ständisches Gruppen-Privileg und Herrschaftsrecht umgemünzt“.
Der OVG-Prozess
Die 13. Kammer des Kölner Verwaltungsgerichts münzte das Grundgesetz-Gebot mit ihrem Richter-Spruch derweil in ein Konzern-Privileg um. Darum akzeptierte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN diesen nicht und ging in Berufung. Die Verhandlung fand am 18. August 2015 vor dem Oberverwaltungsgericht in Münster statt. Zu Beginn wollte der Anwalt der Kölner Hochschule dem Kläger Philipp Mimkes gleich grundsätzlich das Recht bestreiten, per Informationsfreiheitsgesetz eine Einsichtnahme zu fordern, da er diese angeblich nicht als Privatperson, sondern im Namen der CBG begehre. Damit kam der BAYER-Advokat jedoch nicht durch. Der Vorsitzende Richter Sebastian Beimesche zog die Berechtigung der Klage nicht in Zweifel. Im weiteren Verlauf versuchte Mimkes dann deutlich zu machen, dass die für die Coordination relevanten Teile der Rahmen-Vereinbarung wie Regelungen zu Patent- und Verwertungsfragen nicht unmittelbar dem Forschungsbereich angehören und somit veröffentlicht gehören. Beimesche jedoch legte den Ausnahme-Passus „Forschung und Lehre“ des NRW-Informationsfreiheitsgesetzes „weitreichend“, etwa auch die Forschungsplanung umfassend aus und urteilte über den Vertrag: „Das, was von Interesse ist, ist forschungsrelevant.“ Der Jurist tat das ebenso freihändig wie sein Kölner Kollege zweieinhalb Jahre zuvor. Er kannte den Inhalt nur vom Hörensagen und in einer nicht gerade objektiven Version: Die AnwältInnen von BAYER und Universität Köln hatten ihm eine Inhaltsangabe geliefert.
Für Mimkes’ Anwalt Harro Schultze verstieß das Informationsfreiheitsgesetz nordrhein-westfälischer Machart wegen seiner Einschränkungen schlicht gegen das in der Verfassung verbürgte Demokratie-Prinzip. „Kontrolle setzt Wissen voraus“, argumentierte der Rechtsanwalt, nur so könne eine qualifizierte Öffentlichkeit entstehen. Aber auch das ließ der Richter nicht gelten. Aus dem Demokratie-Prinzip sei ein Anspruch auf eine Einsichtnahme in die Quelle nicht herleitbar, befand er. Und Ausführungen zur wachsenden Ohnmacht dem Einfluss der Konzerne gegenüber, dem der § 2 Abs. 3 mit seiner Ausnahme-Regelung Vorschub leiste, kanzelte Beimesche als „rechtspolitische Erwägungen“ ab.
Folgerichtig lautete das Urteil dann: „Universität Köln muss Forschungsvereinbarung mit der BAYER PHARMA AG nicht offenlegen.“ Damit hat nach dem Kölner Verwaltungsgericht auch die nächsthöhere Instanz der Coordination ausgerechnet im Namen der Wissenschaftsfreiheit Einblick in einen Vertrag verwehrt, gegen den der dringende Tatverdacht besteht, die Wissenschaftsfreiheit den Interessen eines multinationalen Konzerns zu opfern.
So sprach die bei der TU Dortmund für Rechtsangelegenheiten in der Forschung zuständige Brigitte Timke bei einer Veranstaltung in Düsseldorf einmal von „diktierten“ Verträgen, was BAYERs Patent-Experte Dr. Dieter Linkenheil dort auch nur bestätigen konnte. In der Regel lege das Unternehmen einen von ihm entwickelten Vertragsentwurf vor, so Linkenheil. Ein damaliger Forscher des Leverkusener Multis wollte den Hochschulen bei der Diskussion noch nicht einmal eine „Bestseller-Klausel“ in den Kontrakten zugestehen, also eine Honorierung besonders erfolgreicher Entwicklungen. Schließlich trügen die Unternehmen doch auch das wirtschaftliche Risiko, argumentierte er. Und um solche Bestseller zu erhalten, schreiben die Konzerne dem Herz-Spezialisten Dr. Erland Erdmann zufolge bei Arznei-Tests zuweilen kräftig mit. „Bevor man als Wissenschaftler die Ergebnisse einer solchen klinischen Studie veröffentlichen könne, müsse man den zur Publikation vorgesehenen Bericht in der Regel erst dem Sponsor vorlegen. Marktschädliche Äußerungen könnten dabei dem Rotstift zum Opfer fallen“, gibt die Faz seine Worte wieder.
Das Oberwaltungsgericht Münster zementierte mit seiner Entscheidung diese Wissenschaftsunfreiheit. Für die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN war die Konsequenz damit klar. „Das Urteil verdeutlicht, dass das nordrhein-westfälische Informationsfreiheitsgesetz (IFG) überarbeitet werden muss“, erklärte sie deshalb nach dem OVG-Votum vom 18. August: „Die generelle Ausklammerung des Hochschulbereichs von jeglicher Transparenz muss durch eine differenziertere Regelung ersetzt werden, sonst droht eine Ausrichtung der universitären Forschung auf rein wirtschaftliche Interessen.“
Reaktionen
Das Bündnis „NRW blickt durch“ pflichtete dem bei. „BAYER-Urteil schreit nach Transparenz-Gesetz“, befand das Netzwerk. Und die nordrhein-westfälischen Piraten, von denen ein Vertreter den Prozess in Münster verfolgt hatte, brachten gleich einen entsprechenden Antrag in den Landtag ein. Dieser forderte die Landesregierung auf, einen „Änderungsvorschlag für das Informationsfreiheitsgesetz NRW vorzulegen, so dass die Informationsfreiheit auch Anwendung in den Bereichen Forschung und Lehre findet, ohne dass der Kernbereich der Forschungsfreiheit verletzt wird.“ Zudem verlangte die Fraktion, die Veröffentlichungspflichten universitäre Forschung betreffend im § 71a des Hochschulzukunftsgesetzes präziser festzulegen. Das lehnte Rot-Grün jedoch ab.
Hochschul-Angehörige zeigten sich in einer Hörfunk-Diskussion, die der Deutschlandfunk aus gegebenem Anlass ins Programm genommen hatte, gleichfalls unzufrieden mit dem Urteil des Oberlandesgerichts. So brachte der Präsident der TU Braunschweig, Jürgen Hesselbach, sein Bedauern über den Richterspruch mit folgenden Worten zum Ausdruck: „Wir würden es bevorzugen, wenn man die Dinge wirklich alle offenlegen könnte. Ich glaube, dass die Gesellschaft einen Anspruch darauf hat, dass man erfährt: ‚Was passiert denn in den Hochschulen’. Übrigens muss das auch unser eigenes Interesse sein, weil wir sofort in den Verdacht geraten, wir machen in unseren Forschungskellern irgendwelche kruden Dinge.“ Professor Dieter Lenzen, Präsident der Hamburger Universität, kritisierte die Ausnahme-Regelungen in den Paragrafen-Werken ebenfalls: „Der Gesetzgeber in Hamburg hat beispielsweise auf Druck der Wirtschaft darauf verzichtet, in dem Transparenz-Gesetz die Wissenschaft mit einzubeziehen. Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee war.“
Unisono klagten die Professoren über die Unterfinanzierung der Hochschulen, welche die Abhängigkeit von der Wirtschaft erhöhe. Auch sorgten sie sich um die Qualität der wissenschaftlichen Arbeit, wenn die ForscherInnen sich etwa zunehmend Produkt-Optimierungen widmeten oder sogar nur als bessere Dienstleister in Prüfreihen neue Industrie-Entwicklungen untersuchten. „Wenn wir immer mehr spezialisierte Hochschullehrer und -lehrerinnen haben, die immer weiter anwendungsorientiert arbeiten, gibt es am Ende niemanden mehr, der Grundlagen-Erkenntnis zumindest in Volluniversitäten sucht“, warnte Lenzen.
Bei der Universität Köln könnte davon in nächster Zeit wieder etwas mehr zu finden sein. Wie kurz vor dem Prozess bekannt wurde, verlängerten die Hochschule und der Leverkusener Multi ihren Vertrag nicht. Beide Seiten hätten daran kein Interesse gehabt, sagte Uni-Sprecher Patrick Honecker der Rheinischen Post. Die öffentliche Kritik, die beide im Zuge der Auseinandersetzung mit der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN um die Veröffentlichung der Vereinbarung einstecken mussten, dürfte an dem Ende der Zusammenarbeit in der bisherigen Form einen gehörigen Anteil gehabt haben. So ganz voneinander lassen mochten beide Parteien jedoch nicht. „Wir kooperieren weiter“, betonte ein BAYER-Anwalt in Münster.
Da das Hochschulzukunftsgesetz für abgeschlossene Projekte eine – freilich auch wieder an Auflagen gebundene – Publikationspflicht vorsieht, hat sich die CBG in einem Brief an die Universität umgehend nach einem solchen Bericht erkundigt und um Informationen zu den pharmakologischen Forschungsvorhaben, zu den patentrechtlichen Fragen und zu den Gründen für die Beendigung der Kooperation gebeten. Bis Redaktionsschluss lag eine Antwort jedoch noch nicht vor.
Zudem wartet die Coordination die Zustellung der schriftliche Urteilsbegründung ab, um anhand ihrer dann zu entscheiden, ob sie gegen den OVG-Entscheid, der eine Revision nicht zugelassen hat, Rechtsmittel einlegt.