11. Mai 2011, Nachrichten.at
Bienen sterben „wie die Fliegen“: Imker fordern Verbot der Maisbeize
Jetzt ist Landwirtschaftsminister Niki Berlakovich am Zug: Österreichs Bienenzüchter fordern ihn in einem Schreiben auf, ein Beizmittel endlich aus dem Verkehr zu ziehen, dem in manchen Regionen heuer schon ein Drittel der Honigbienenvölker zum Opfer gefallen ist.
Der Killer heißt „Clothianidin“, ein Nervengift, 7700 Mal wirksamer als DDT. Es soll die Maispflanzen gegen einen Schädling immunisieren, der 1992 aus Amerika nach Europa eingeschleppt wurde und seit 2007 auch in Oberösterreich sein Unwesen treibt – den Maiswurzelbohrer. Fünf Millimeter ist dieser orange-schwarz gefärbte Verwandte des Kartoffelkäfers groß. Viel größer ist aber sein Appetit auf Maiswurzeln. Ganze Felder kann er zum Absterben bringen. Das Beizmittel macht ihm den Garaus.
Mit dem Gift werden die Maiskörner ummantelt. Doch diese Ummantelung kann sich in der Sämaschine lösen, gelangt pulverisiert in die Luft und wird vom Wind in die Umgebung geblasen, auf Raps-, Baum- und Wildstaudenblüten. „Die Bienen nehmen es auf und gehen binnen fünf Minuten ein“, sagt Maximilian Liedlbauer (64), Präsident des o.ö. Landesverbandes für Bienenzucht.
11. Mai 2011, Oe24.at
Grüne kritisieren Bienentod-Forschung
Pirklhuber: Chemische Industrie finanziell an Forschung beteiligt.
Schon seit Jahren wird in Österreich und Europa über den Zusammenhang zwischen Bienensterben und insektizidgebeiztem Saatgut (Neonicotinoide) diskutiert. Während die Mittel in Deutschland und Italien verboten wurden, dürfen sie in Österreich weiter verwendet werden – unter Auflagen und Beobachtung durch das Forschungsprojekt „Melissa“: Genau daran übten die Grünen am Mittwoch massive Kritik. 17 Prozent der Projektkosten würden von der chemischen Industrie finanziert, beanstandete Landwirtschaftssprecher Wolfgang Pirklhuber bei einer Pressekonferenz in Wien.
Pirklhuber: Keine unabhängige Forschung
Diese Zusammenarbeit sei in Zwischenberichten oder im Internet nicht offen vermerkt, so der Politiker weiter. Eine Anfragebeantwortung durch Umweltminister Niki Berlakovich (V) am 3. Mai habe ergeben, dass die Vereinigung der Pflanzenzüchter und Saatgutkaufleute Österreichs, Syngenta Agro, Bayer Austria und CropScience sowie BASF Österreich beteiligt seien. „Eine unabhängige Risikoforschung ist sicher nicht durch eine Querfinanzierung der Industrie herzustellen“, kritisierte Pirklhuber diese Kooperation. So würde die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) derzeit die Empfehlungen der Industrie übernehmen, anstatt diese in die Schranken zu weisen.
„Man biegt die Ergebnisse, wo man kann und wie man möchte“, meinte Pirklhuber diesbezüglich. „Man macht Anwendungsvorschriften, die nicht praxisgerecht sind.“ So dürften Landwirte nur gebeiztes Saatgut verwenden, wenn sich ihr Feld in Windrichtung nicht neben einem blühenden Wiesenstreifen befinde. „Selbst wenn ich bei Windstille anzubauen beginne, bläst der Wind, bis ich fertig bin“, bemerkte der Landwirtschaftssprecher dazu. Den Bauern werde nun die Schuld zugeschoben, indem man das Problem auf die Anwendung verlagere.
AGES vermutet Bruch der Bestimmungen
Die AGES betonte am Mittwoch in einer Aussendung die Transparenz und wissenschaftliche Basis ihrer Arbeit. Bei den Untersuchung 2011 sei aufgefallen, dass Bienenverluste in Oberösterreich, Niederösterreich, Steiermark und dem Burgenland in denselben Regionen wie in den Vorjahren auftraten, so die AGES. Erste Indizien würden daraufhindeuten, dass die Bestimmungen zur Aussaat – erlaubte Windgeschwindigkeit und Vermeidung der Staubabdrift in benachbarte blühende Pflanzenbestände – nicht lückenlos eingehalten wurden. Dies unterstreiche die Notwendigkeit von verstärkten Kontrollen. Für die Zulassungsbestimmung des Saatguts sei die Koexistenz von Landwirtschaft und Bienengesundheit die Prämisse.
„Berlakovich verweigert konkrete Antwort“
Ein weiteres Problem orteten die Grünen in der Informationspolitik: In der Anfragebeantwortung gebe es keine Angaben zum Ausmaß der Pestizid-Kontamination verendeter Bienen, so Pirklhuber. „Berlakovich verweigert uns konkrete Antwort.“ Den industriellen Beteiligten hingegen sei die Verfügbarkeit von Daten im Forschungsvertrag zugesichert, während die Öffentlichkeit auf noch ausständige Endberichte vertröstet werde. So gesehen stelle sich die Frage einer politischen Connection zwischen Bauernbund und der Chemieindustrie. Laut AGES sind alle Ergebnisse des vom Landwirtschaftsministerium beauftragten Projekts „Melissa“ für die Öffentlichkeit via Internet zugänglich. Der vierte Zwischenbericht soll im Sommer 2011, der Schlussbericht Anfang 2012 veröffentlicht werden.
Insektizid-Verbot gefordert
Laut den Grünen gibt es seit drei Jahren durch insektizidgebeiztes Saatgut Bienenschäden in intensiven Mais-, Kürbis- und Rapsanbaugebieten in Österreich. Im Jahr 2010 waren demnach 76 Imkerbetriebe und 98 Bienenstände betroffen. Bei 89 untersuchten Proben waren die Neonicotinoide Clothianidin zu 51 Prozent und Thiamethoxam zu 23 Prozent nachweisbar. Pirklhuber forderte am Mittwoch ein Verbot der Mittel, Transparenz bei der Forschungsfinanzierung und Entschädigungen für Imker.
Beizmittel werden vor allem gegen dem Maiswurzelbohrer eingesetzt. Die beste Methode dem Schädling beizukommen ist eine konsequente Fruchtfolge. Bei 41 Prozent der in Österreich für Maisanbau verwendeten Fläche – 298.180 Hektar – wird dies nicht befolgt und es darf gebeizt werden, so die Grünen. Für Fruchtfolgebetriebe ohne Mais als Vorfrucht gilt ein Beizverbot.
Auch SP will Beiz- und Spritzmittel verbieten
Ebenso zu Wort meldete sich die SPÖ. „In Österreich, Frankreich, Italien und Deutschland hat man längst die Konsequenzen gezogen. Österreich hinkt meilenweit hinterher“, ließ Bundesgeschäftsführer Günther Kräuter am Mittwochnachmittag per Aussendung wissen. Auch er will Umweltminister Berlakovich in die Pflicht nehmen, um den Einsatz von Mitteln wie Clothianidin und Imidacloprid zu unterbinden. „Ohne Bienen keine Bestäubung“, sieht Kräuter die Zukunft der heimischen Landwirtschaft bedroht.
„Minister muss handeln“
Schon 2008 Jahr wurde das Beizmittel nach einem Bienensterben in Baden-Württemberg in Deutschland vom Markt genommen, Hersteller „Bayer“ zahlte den Imkern 200 Euro pro verendetem Volk. Auch in Italien und Slowenien kommt es nicht mehr zum Einsatz. „Wir verlangen vom Minister, dass er es in Österreich ab 2012 verbietet“, so Liedlbauer.
Nach den großen Schäden des Vorjahres (elf Bezirke in Oberösterreich) gilt heuer eine restriktivere Regelung: Auf neu mit Mais bepflanzten Flächen darf kein gebeiztes Saatgut ausgebracht werden. „Deflektoren“ an der Sämaschine sollen den Staub am Boden halten. Genützt hat es wenig, sagt Liedlbauer: Manche Imker klagten bereits über den Verlust eines Drittels ihrer Flugbienen: „Besonders arg war es bisher im Raum Perg.“ Allein in der Steiermark seien schon mehr als 50 Bienenvölker verendet.
Proben toter Bienen werden derzeit von der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) in Wien gesammelt. Im Labor soll die Todesursache ermittelt werden. Sollte, wie angenommen, das Beizmittel schuld sein, liege der Verdacht nahe, „dass manche Landwirte die gesetzlichen Vorgaben bei der Aussaat nicht eingehalten haben.“
Schwierige Suche nach den Schuldigen
Bis Anfang Mai wurden der „Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit“ Bienensterben aus den Bundesländern Oberösterreich, Niederösterreich und Steiermark gemeldet – meist aus Regionen, die auch schon in den Vorjahren betroffen waren. Für Schadenersatzforderungen fehlt den Bienenzüchtern fast immer ein „Schuldiger“. Denn im Schnitt befliegt ein Bienenvolk 2700 Hektar. Da ist es fast unmöglich, den Verursacher eines Beizmittel-GAUs zu finden.