Ökologie – nachhaltig am Ende?
BAYER & Co. setzen das Primat der Ökonomie durch
Nicht nur beim Chemikalien-Gesetz, auch beim anderen großen umweltpolitischen Vorhaben der letzten Zeit, dem Emissionshandel, setzten die Unternehmen ihre Interessen durch, indem sie dunkelgrüne Untergangsszenarien entwarfen. „Ich befürchte, dass Umweltminister Trittin auf dem besten Wege ist, aus Deutschland eine weitgehend industrie-freie Zone zu machen“, prophezeite beispielsweise BAYER-Chef Werner Wenning erfolgreich. Bedeutet diese Entwicklung das Ende eines Essentials rot-grüner Politik, der Versöhnung von Ökonomie und Ökologie? Hat der Beginn seiner Karriere überhaupt je Anlass zu Hoffnung gegeben? Mit diesen und ähnlichen Fragen beschäftigt sich die Jahrestagung der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) am 27. November. Stichwort BAYER bietet vorab eine Diskussionsgrundlage.
von Jan Pehrke
„Nach unserer Überzeugung gibt es keinen grundsätzlichen Widerspruch zwischen Ökologie und Ökonomie“, heißt es im BAYER-Umweltbericht von 1997. „Beides zu verbinden, ist unser Anspruch“, beteuert der Chemie-Multi darin treuherzig. Die Versöhnung von Wirtschaft und Umwelt stellt nach Ansicht von NRW-Wirtschaftsminister Harald Schartau sogar einen Wettbewerbsvorteil dar. Die Grünen preisen derweil das „Erneuerbare-Energien-Gesetz“ als „kleines Wirtschaftswunder“, weil die Windräder ihrer Auffassung nach den Arbeitsmarkt zum Rotieren bringen. Auch Bundesforschungsminsterin Edelgard Bulmahn sieht Synergie-Effekte. Wer weniger Ressourcen verbrauche, könne seine Produkte auf den Weltmärkten günstiger anbieten, rechnet sie vor. Eine „innovative Kläranlage“ für die Stadt Teheran erwies sich Bulmahn zufolge als lukratives Export-Geschäft, das der bundesdeutschen Wirtschaft hundert Millionen Euro einbrachte. Und solche Deals möchte künftig die Subventionspraxis ihres Hauses befördern; es beabsichtigt, die Umweltforschung stärker nach wirtschaftlichen Kriterien auszurichten. Für Projekte der Produktlinie „Nachhaltig“ wie „Nachhaltiges Wirtschaften“, Nachhaltige Regionen„ und “Nachhaltige Gesellschaft„ stellt das Forschungsministerium deshalb 160 Millionen Euro zur Verfügung.
Der Emissionshandel brachte die neue Wahlverwandtschaft auf den Begriff. Nach diesem Modell dürfen die Unternehmen nur bis zu einer bestimmten Obergrenze Kohlendioxid kostenfrei ausstoßen. Für darüber hinaus gehende Kontingente müssen sie Verschmutzungsrechte hinzukaufen, was zu Investitionen in umweltschonende Technologie ermuntern soll. “Ein wirtschaftliches Instrument, mit dem man Umweltziele erreichen will„ – diesen Ansatz erklärte die konservative Faz zum “Lieblingskind der Ökonomen„. An der Ökosteuer finden die WirtschaftswissenschaftlerInnen bestimmt ebenfalls Gefallen, denn sie funktioniert nach einem ähnlichen Prinzip. Sie sanktioniert gesellschaftlich unerwünschte Effekte wie hohen Energie-Verbrauch und fördert erwünschte wie eine Aufbesserung der Rentenkassen.
Zusätzlich sanft gebettet wird der Ö & Ö-Schmusekurs durch flankierende Maßnahmen wie “freiwillige Selbstverpflichtungen„ der Konzerne, ihrem eigenen Umwelt-TÜV, dem Öko-Audit, und den so genannten “integrierten Umweltschutz„. Dazu zählt auch BAYERs Anlage zur Herstellung des Kautschuks Therban. Der Bund förderte den Bau dieser vergleichsweise emissionsarmen Produktionsstätte durch einen zins-verbilligten Millionen-Kredit, weshalb – eine Hand wäscht die andere – der Chemie-Multi bei der Einweihung Bundesumweltminister Jürgen Trittin als Stargast begrüßte und diesem damit eine medien-wirksamen Auftritt verschaffte.
Als der Politiker allerdings die Rahmenbedingungen für die Transaktionen mit den Verschmutzungsrechten ausarbeitete, zerriss das “grüne Band der Sympathie„. Die Ökonomie in Gestalt von Wolfgang Clement, BAYERs Mann in Sachen “Profit-Sicherung„, zeigte der Ökologie in Gestalt von Jürgen Trittin schnell die Grenzen auf. Hatte Bundeskanzler Schröder als umtriebiger Genosse der Bosse in Brüssel schon zahlreiche Korrekturen am Entwurf durchgesetzt und beispielsweise Chemie-Anlagen vor der Teilnahme am Emissionshandel verschonen können, so kündigte Clement den ohnehin schon faulen Kompromiss kurz vor Toresschluss noch einmal auf. Die Einpeitscher aus der Wirtschaft drängten in routinierter Panik zu Nachverhandlungen. “Die Arbeitslosigkeit, die so entsteht, hat eine Farbe: Sie ist grün„, warnte etwa der BDI-Vorsitzende Michael “Rocky„ Rogowski. Und so kam es zum Ö & Ö-Deal: Am Ende brauchte die Industrie ihre jährlichen Ausstoß von 505 Millionen Tonnen Kohlendioxid gerade mal um zwei Millionen zu reduzieren, wollte sie keine Lizenzen zu weiterer Luftverschmutzung kaufen. Die Öko-Steuer besserte ebenfalls nicht die Öko-Bilanz, sondern allenfalls die Zahlen-Werke von BAYER & Co. Rot-Grün gestand den Industrie-Zweigen mit besonders hohem Energie-Verbrauch nämlich so großzügige Ausnahmeregelungen zu, dass diese durch die eingesparten Renten-Beiträge sogar noch auf ein Plus kamen.
Ein anderes EU-Vorhaben drohte sich hingegen negativ in den Büchern niederzuschlagen: die Vorschrift, Tausende niemals auf ihre gesundheitsschädliche Wirkung hin untersuchte Substanzen erstmals testen zu lassen. Seit 1980 vorbereitet, immer wieder hinausgezögert, nun endlich kurz vor der Umsetzung. Für Schröder, Blair und Chirac stellte dies ein Grund dar, persönlich beim damaligen EU-Präsidenten Romano Prodi vorzusprechen und Profit-Schaden abzuwenden – eine erfolgreiche Intervention. Damit solche konzertierten Aktionen in Zukunft nicht mehr nötig sind, haben sie die Europäische Union auf eine “proaktive Wettbewerbspolitik„ verpflichtet. Künftig müssen sich Umwelt-Gesetze und andere Regelungen einer Folge-Abschätzung unterziehen und ihre Wirtschaftsverträglichkeit nachweisen. Als obersten Folge-Abschätzer plant Gerhard Schröder darüber hinaus, einen für die Industrie-Politik zuständigen Superkommissar zu installieren, was allerdings noch auf den Widerstand des neuen Kommissionspräsidenten José Manuel Durão Barroso stößt.
Seit sich die Ökologie also mit der Ökonomie auf ein gemeinsames Terrain begeben hat, befindet sie sich auf einer schiefen Ebene. Und das, obwohl eine konsequente Umweltpolitik nötiger denn je wäre. Wenige Monate nachdem Minister Trittin den Vorsatz der Regierung Kohl, die CO2-Emission bis zum Jahr 2005 um 25 Prozent senken zu wollen, auf dem Müllhaufen der Geschichte entsorgt hat, bezeichnete eine Studie des Pentagon die Erd-Erwärmung als globales Risiko Nr. 1 – und nicht etwa islamistische Gotteskrieger. Die WissenschaftlerInnen sagten Klima-Katastrophen und in der Folge die Zerstörung menschlicher Lebensgrundlagen, Kriege um zur Neige gehende Ressourcen und Migrationsbewegungen weg von unbewohnbar gewordenen Gebieten voraus. Auf anderen Feldern sieht es nicht besser aus. Asthma, Allergien, Neurodermitis und andere Umweltkrankheiten nehmen zu, die Zahl der Pestizid-Vergifteten liegt unverändert jährlich bei ca. drei Millionen, das Artensterben schreitet unaufholsam voran, und welche Gefahren die Gentechnik heraufbeschwört, ist noch gar nicht auszumachen.
Aber wie kam es überhaupt zu dieser gefährlichen Liebschaft zwischen Ökologie und Ökonomie? Zu Beginn der Umweltbewegung wäre sie unvorstellbar gewesen. Unter dem Einfluss der 1972 erschienenen “Club of Rome„-Studie “Die Grenzen des Wachstums„ sah die weltweit agierenden ökologischen Initiativen in der von BAYER & Co. entfachten wirtschaftlichen Dynamik auf der Jagd nach Maximal-Profit eine Bedrohung für die Lebensgrundlagen aller Menschen. Bis weit in die 80er Jahre hinein waren die Aktivitäten der verschiedenen Gruppen von diesem Bewusstsein getragen.
In jahrzehntelangem Kampf gelang es, in der Öffentlichkeit ein Bewusstsein für die dramatische Situation zu schaffen. Die Wirtschaft aber unterschätzte die Dynamik der Bewegung und beschränkte sich weitgehend auf dümmlich-platte Abwehr-Argumente, die nur noch die Zustimmung für die Umweltgruppen beförderte. Entsprechend geriet die Politik zunehmend unter Druck und begann zu handeln. So kam es beispielsweise zur Debatte über den Ausstieg aus der Atomkraft.
Einen Wandel leitete 1987 das Erscheinen des “Brundtland-Reports„ ein. Er lieferte die Losung, welche die Umweltpolitik der kommenden Jahrzehnte bestimmen sollte: “Nachhaltige Entwicklung„. Dieses Begriffswerkzeug eignete sich vorzüglich dazu, zusammenzuschmieden, was nicht zusammengehört. Auf einmal war es nämlich nicht mehr das Wachstum an sich, das an ökologische Grenzen stieß, sondern bloß das “schlechte„ Wachstum. Das “gute grüne„ Wachstum hingegen, das so genannte qualitative, gestattete der Industrie weiterhin profit-trächtige Expansion. Damit stand dann einer Liaison von Wirtschaft und Umweltschutz grundsätzlich nichts mehr im Wege. Der “Zauberspruch„ schaffte es sogar, den Umweltgipfel 1992 in Rio zu okkupieren und damit die globale Umweltbewegung auf die falsche Fährte zu setzen. Kein größerer Öko-Verband, der nicht die “Nachhaltigkeit„ entdeckte – nicht zuletzt deshalb, weil für “nachhaltige„ Projekte die regierungsamtlichen Finanz-Quellen munter sprudelten.
Den langen Weg von schüchternen Annäherungsversuchen bis zu einer festen Beziehung skizziert das Positionspapier “Dem Öko-Neoliberalismus widerstehen„ der Basisgruppe Reiskirchen der Initiative LANDFRIEDENSBRUCH sehr detailliert. Den VerfasserInnen zufolge setzten die Diskussionen über die Vereinbarkeit von Ökologie & Ökonomie um 1990 ein. 1992 bot dann der “Erste deutsche Umwelt-Tag„ in Würzburg die erste Gelegenheit zu einem Tête à Tête zwischen Umweltschutz-Verbänden und Umweltschmutz-Konzernen. Es war ein schlechter Tag für die Umwelt. Radikalere Gruppen mussten draußen bleiben, viele andere wollten nicht rein, so dass die VeranstalterInnen Verluste machten. Aber es war ein guter Tag für BAYER & Co. In dem überschaubaren Rahmen bahnten sich erste Diskussionen zwischen Industrie-VertreterInnen und Umweltbewegten an. Die CBG hatte diesen GAU kommen sehen und ebenso gegen den Ausschluss bestimmter Gruppen wie gegen die Co-Finanzierung durch die Unternehmen protestiert. Der Leverkusener Chemie-Multi ließ den am Umwelt-Tag aufgenommenen Gesprächsfaden nicht wieder abreißen. “Chemie im Dialog„ nannte BAYER die Treffen mit KritikerInnen, die allerdings nicht allzu kritisch sein durften. Die CBG hat nie eine Einladung des Multis erhalten – und würde sie wohl auch nicht annehmen.
Auf publizistischem Gebiet rückten die Bereiche “Wirtschaft„ und “Umwelt„ ebenfalls enger zusammen. Die Frankfurter Rundschau und die taz vereinigten die beiden Ressorts und “suggerieren damit, dass Ökologie ein Teilproblem der Ökonomie wäre bzw. nur über diese umsetzbar ist„, wie die Basisgruppe Reiskirchen schreibt. Eine wichtige Richtschnur für den Schmusekurs stellte die vom BUND und MISEREOR herausgegebene und vom “Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie„ durchgeführte Studie “Zukunftsfähiges Deutschland – ein Beitrag zu einer globalen nachhaltigen Entwicklung„ dar. Die in hunderttausendfacher Auflage verbreitete und von den Multis in hohen Mengen für Propaganda-Zwecke georderte “Umweltschutz-Bibel gab abermals „grünes Licht“ für eine Steigerung des Bruttosozialprodukts. Folgerichtig formulierte ihr Autor, Reinhard Loske, „Thesen zur Erneuerung bündnisgrüner Umweltpolitik“, die unumwunden auf Brautschau gingen. In dem Text heißt es unter anderem, dass „in manchen Bereichen aus Feindbildern wie der chemischen Industrie Vorbilder geworden“ sind.
Das Darmstädter Öko-Institut gelangte in seiner 1997 publizierten Untersuchung des HOECHST-Konzerns, mittlerweile „Lost in Globalization“, zu einem ähnlich positiven Ergebnis. „Inzwischen hat sich HOECHST in einer Weise verändert, die beim ersten Kontakt unvorstellbar war“, bescheinigten die ehemals kritischen WissenschaftlerInnen dem IG-Farben-Nachfolger. Die wundersame Verwandlung machten sie vor allem an der Trennung von der Chemie-Sparte fest. Allerdings hatte den ManagerInnen nicht ihr schlechtes grünes Gewissen den Verkauf eines lukrativen Unternehmensteils eingeflüstert. Sie folgten vielmehr bloß der von den Aktien-Märkten ausgegebenen Strategie „Konzentration auf das Kern-Geschäft“. Diesen ökonomischen Gesamtzusammenhang ignorierte das Öko-Institut einfach, wie Herbert Steeg in seiner Stichwort BAYER-Kritik von „HOECHST Nachhaltig“ konstatierte (Heft 4/98). Es beschränkte sich lediglich darauf, gemeinsam mit dem Unternehmen unverbindliche Leitlinien für eine „nachhaltige“ Produktion aufzustellen und zwei grüne Vorzeige-Projekte zu begutachten. Aber nicht einmal das ausgestellte „Nachhaltigkeitstestat“ für Dachabdichtungen aus Kunststoff und den Lebensmittel-Konservierungsstoff Sorbinsäure, beides für den Export nach China bestimmt, hält strengeren ökologischen Maßstäben stand. „Wer Umweltschutz auf die Optimierung des Bestehenden reduziert, der reduziert den Umweltschutz, der wird schließlich von der Industrie aufgesaugt und am Ende völlig unkenntlich“, lautete deshalb die inzwischen von der Wirklichkeit bestätigte Prognose von Herbert Steeg.
Es hatten sich also nicht so sehr die Konzerne als vielmehr die Umweltbewegten verändert. Immer weniger AktivistInnen der ersten Stunde fanden sich in ihren Reihen. PragmatikerInnen, die niemals bei Aktionen die Macht der Konzerne zu spüren bekommen hatten, ersetzten sie. Und ganz pragmatisch kümmerten sich die neuen Öko-ManagerInnen auch um das auskömmliche Überleben ihrer Organisationen. Der BUND FÜR UMWELT- UND NATURSCHUTZ (BUND) nahm Spenden von BAYER an. Die Zeitschrift natur & kosmos richtete gemeinsam mit dem Leverkusener Chemie-Multi einen Wettbewerb zur Ermittlung des schönsten Naturfotos aus und bot ihm damit eine ausgezeichnete Plattform fürs „Greenwashing“. Die Grünen-Zeitschrift Schrägstrich schließlich druckte eine Anzeige des Pharma-Riesen (siehe auch SWB 1/04) und anderer Global Player. Der Einzug der Partei in Landes- und Bundesparlamente sowie auf die entsprechenden Regierungsbänke beschleunigte den „Abschied von gestern“ dann noch einmal.
So wurde die Ökologie-Bewegung, was sie heute zu weiten Teilen ist. Gefangen im faustischen Pakt mit der Industrie, muss sie sich sogar ermahnen lassen, doch auch die „ökonomische Nachhaltigkeit“ im Auge zu haben. Sponsoring und Berater-Verträge mit der Industrie haben konsequente Aktionen gegen die Urheber der Umweltverschmutzung längst ersetzt. Aber es gibt noch immer Gruppen, die eine Kooperation mit BAYER & Co. ablehnen und in Wort und Tat deutlich machen, dass ein wirklicher Schutz von Mensch, Tier und Umwelt radikale gesellschaftliche Veränderungen verlangt. Um diese Position zu stärken, ist es erst einmal notwendig, die Maxime von der „Nachhaltigen Entwicklung“ als ideologischer Brückenkopf zwischen Ökologie & Ökonomie einer Fundamentalkritik zu unterziehen und den Umwelt-Gedanken als Ganzes wieder stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken. In Teilgebiete wie „Atomkraft“, „Klimaschutz“, „Chemikalien-Gesetz“ aufgesplittet, bietet er sich nämlich zu mundgerecht dar, um den grünen RealpolitkerInnen Bauchschmerzen zu bereiten. Aber vielleicht fallen uns am 27. November auf der CBG-Jahrestagung „Ökonomie frisst Ökologie – Goldene Bilanzen für BAYER & Co.“ ja noch ganz andere Auswege aus der nachhaltigen Krise der Ökologie ein.